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Der Weg ist das Ziel

3. Oktober 2023, 12:54 Uhr von Uwe

Die Überschrift war das passende Tagesmotto für diesen Urlaubstag. Es ging um den Wechsel des Standorts, nach zwei Tagen Berninapass von St. Moritz aus waren nun noch zwei Tage Zermatt geplant. Also muss man von A nach B bzw. von S nach Z fahren. Und aufgrund des Tagesmottos wurde da bei der Routenfindung nicht die schnellste Route, sondern die „scenic route“ (wie das so schön neuhochdeutsch heißt) genommen.

Die schnellste Route führt von St. Moritz über Chur nach Zürich und von da weiter über Bern, Thun, Spiez und den Lötschbergbasistunnel nach Visp, und von da dann weiter nach Zermatt. Also einmal Rundreise durch 9 Kantone (Graubünden, St. Gallen, Glarus, Schwyz, Zürich, Aargau, Solothurn, Bern, Wallis – schlimmer als die deutsche Kleinstaaterei vor 1871, ey…), 459 km in 6:30h bis 6:50h  (also 67-70 km/h, inklusive Umsteigezeiten usw.). Die „scenic route“ ist deutlich kürzer: man sieht nur drei Kantone (Graubünden, Uri, Wallis) und fährt 290 km, dafür aber in über acht Stunden (also ein atemberaubendes Tempo von 36.25 km/h). Da ich die schnelle Route bereits gesehen hatte, war nun selbstverständlich die andere dran (die ich zwar auch schon gesehen hab, aber das war 2017 und nicht 2023). Und außerdem und überhaupt fährt ja der Glacier Express als Panoramaschnellzug auf der schön langsamen Strecke. Sonst könnten sie ja auch keine Werbung als „langsamster Schnellzug der Welt“ machen.

Genug der Vorrede, beginnen wir mal mit der eigentlichen Schwafelei zur Fahrt an sich. Der Tag begann erstmal mit gemütlichem Ausschlafen und Frühstücken, die Fahrt ging ja erst kurz vor 10 Uhr los, da kann man sich Zeit lassen. Gut gestärkt wurde dann aus dem Hotel ausgecheckt und der Koffer zum Bahnhof gezottelt. Da kam ich gegen 9:30 Uhr an, der Zug stand schon bereit, also nix wie rein in die gute Stube.

Seit meiner letzten Fahrt wurden die Wagen offenbar renoviert und modernisiert, jetzt gibts stylisches Holzdekor, was ich so noch nicht kannte. Das sagte mir dann auch (neben den nächsten Bahnhöfen und Uhrzeiten) auch die aktuelle Außentemperatur mit an. Zum Glück funktionierte die Klimaanlage. Der Zug war gut besucht, in meinem Waggon waren bei der Abfahrt nur noch eine Handvoll Plätze frei (die ab Chur belegt wurden).

St. Moritz – Chur

Im ersten Abschnitt geht es über die Albulabahn, die Beschreibung erspare ich mir, die hab ich schon x-fach hier notiert (z.B. hier und hier und da auch noch). Im Panoramazug hat man natürlich die allerbeste Aussicht, nur Fotografieren kann man durch die Scheiben eher schlecht (bräuchte man spezielles Equipment).

Die Fahrt verlief schön geruhsam, mir ging nur sehr schnell eine Reisegruppe aus dem Rheinland auf den Keks, die schräg gegenüber saßen und als erstes (nachdem sie 10 Minuten nach ihren Fahrkarten und Reservierungen gekramt hatten) Bier und Schampus bestellten und unnötig viel dummes Zeugs laberten. Ich bestellte mir erstmal ein Rivella (und hielt mich an dem halben Liter für den Rest des Tages fest – naja, ich füllte aus dem Rucksack nach…) Mir gegenüber saß übrigens eine sehr nette junge Frau aus Hamburg, mit der ich mich während der Fahrt unterhalten habe (nein Björn, ich hab mir nicht ihre Nummer geben lassen, was nutzt es mir, wenn ich eine Frau in Hamburg kenne?). Achja, und das Mittagessen wurde natürlich bestellt – einmal Tagesteller ohne Vorspeise.

Und so ging es rückwärts (also ich saß entgegen der Fahrtrichtung) die Albulalinie runter, durch das Gekreisel zwischen Preda und Bergün, übers Landwasserviadukt, den Soliser Viadukt und den Rhein bis nach Chur. Dort hat der Zug ja planmäßig eine Viertelstunde oder so Aufenthalt, die Fahrtrichtung wird gewechselt und deswegen herumrangiert. Außerdem stiegen weitere Fahrgäste zu – eine Familie aus China soweit ich das mitbekommen habe.

Chur – Disentis/Mustér

Nach dem Fahrtrichtungswechsel saß ich nun auf der optimalen Seite (in Fahrtrichtung links) in der richtigen Richtung (nämlich vorwärts). Letzteres ist eigentlich egal, Landschaft gibts dort ja vorwärts und rückwärts, nur die Seite ist wichtig wegen der Hanglage und der Sitzplatzkonfiguration der Wagen. Nun wurde nochmal der Hinterrhein überquert, gleich darauf der Vorderrhein, und schon gings durch die Rheinschlucht – allgemeines „ooh“ und „aaah“ und „klickediklickklick“ – nur der ältere Typ aus der rheinländischen Reisegruppe meinte „ich fotografiere nicht, das spiegelt doch eh alles“. Wo er recht hat…

Die Bahnstrecke kurvt nun stetig ansteigend durch die Surselva, immer am Rhein entlang. Links türmen sich die Berge um 2300-2500m auf, rechts hingegen hat man der Abwechslung halber Berge um 2700-3000m. In Disentis/Mustér ist man dann schon auf über 1100 Höhenmetern angekommen, hier ist dann wieder Lokwechsel angesagt. Das ging in nicht mal fünf Minuten über die Bühne. Ab hier wechselt die Bahn ja von der Rhätischen Bahn in den Bereich der Matterhorn-Gotthard-Bahn. Der relevante Unterschied ist dabei, dass es bei letzterer Zahnstangenabschnitte gibt, die nur durch geeignete Lokomotiven befahren werden können. Auf der rhätischen Bahn gibt es das nicht, deswegen muss die Lok gewechselt werden. Immerhin muss man ja allein schon bis zum folgenden Oberalppass nochmal 1000 Höhenmeter überwinden.

Disentis/Mustér – Andermatt

Viel wichtiger als der nun folgende steile (und langsame – im Zahnstangenabschnitt ist das Tempo begrenzt) war für mich aber die Tatsache, dass es nun was zu Futtern gab. Reis, geplatztes Huhn mit heller Soße und Mohrrüben. Kann man futtern, vor allem weil man ja seit dem Frühstück nix mehr gegessen hatte und die ganze Zeit mächtig angestrengt aus dem Fenster guckte. Somit ergab sich nun erstmal eine gefräßige Stille im Wagen.

Währenddessen wurde die Baumgrenze überschritten, das Tal verengt sich in Richtung Oberalppass zusehends, links hat man irgendwo die Rheinquelle, dann biegt man in einen länglichen Tunnel ein und kommt plötzlich in Rotterdam raus. Quatsch, man kommt am Oberalppass raus, und da steht eine Replika eines Leuchtturms, der in Rotterdam, am anderen Ende des Rheins, zu finden ist. Klingt bekloppt, ist bekloppt, aber einen Leuchtturm in den Alpen hat eben auch nicht jeder Pass vorzuweisen, und man sucht ja immer das Alleinstellungsmerkmal bzw. den „unique selling point“.

In Nätschen, oberhalb von Andermatt, wurde 10 Minuten Fotopause gemacht. Blöderweise versteckt sich Andermatt da noch hinter der Bergkante, den tollen Modellbahnblick hat man erst ein paar Hundert Meter weiter nach der nächsten Kehre. Dafür konnte man weit ins Tal hinunter Richtung Realp und Furkapass gucken.

Anschließend kurvt der Zug die Kehren nach Andermatt hinunter. Das hat sich seit meinem letzten Besuch 2017 ganz schön verändert. Am nördlichen Ende, in Richtung Schöllenenschlucht, wird ein gigantischer Hotelkomplex hochgezogen (1.5 Quadratkilometer, mehrere Hotels und Apartment-Häuser, Eissporthalle, Hallenbad, Golfplatz und natürlich Skilifte). Kann man geteilter Meinung sein, ob das eine gute Idee ist.

Viel relevanter für mich war der Schnaps, den ich jetzt runterkippte. Ich trink ja normalerweise (außer beim Griechen) nix Hochprozentiges. Im Glacier Express wird aber „Schnapsakrobatik“ betrieben, d.h. beim Eingießen ins Schnapsglas wird die Flasche einen halben Meter überm Glas gehalten – im fahrenden Zug. Und genau deswegen hatte ich mir einen bestellt, weil ich das mal live sehen und fotografisch festhalten wollte. Der Schnaps selbst – ein Grappa – war mir recht egal, tat nach dem Essen aber auch nicht weh.

Andermatt – Brig

Von Andermatt aus führt die Strecke nun nach Realp, wo die Dampfbahn Furka-Bergstrecke abzweigt. Leider war weit und breit keine Dampflok zu sehen. Dafür konnte man sich nun eine Viertelstunde lang gepflegt Tunnelwände von innen angucken, bevor wir in Oberwald wieder ans Tageslicht kamen. Ab hier war die Fahrt für mich nun relativ überraschungsfrei, ich war ja erst eine Woche vorher mehrfach hier unterwegs gewesen.

Ich gönnte mir trotzdem (oder grade deswegen?) ein Stück Bündner Nusstorte. Die war echt nicht schlecht, kann man mal probiert haben. Die Temperaturen hatten draußen inzwischen lange die 30-Grad-Marke geknackt, als der Zug gegen 16:30 Uhr in Brig stoppte, waren 37 Grad auf der Anzeige… Die meisten Fahrgäste verpennten einen Teil der Fahrt durch das Goms, ist aber auch kein Wunder nach so vielen Eindrücken und dem Mittagessen. So richtig munter wurden die meisten erst wieder so irgendwo bei Fiesch, da wird ja auch die Landschaft wieder spektakulärer (also noch spektakulärer, als sie eh die ganze Zeit ist).

Brig – Zermatt

So richtig krass spektakulär (ein inflationär benutztes Wort wie ich finde…) wirds ja aber eh erst hinter Visp, wenn man (der Zug fährt da übrigens durch, fand ich auch spannend, dass da ein Taktknoten einfach mal ausgelassen wird im Schweizer Streckennetz) um 90 Grad nach Süden abdreht und dann das Mattertal hochfährt.

Bei St. Niklaus ist ja dann auch die steilste Stelle der ganzen Fahrt, die Berge links und rechts überschreiten die 4000m, und das Tal links unten ist über 100m tiefer. Konnte mich jetzt nicht mehr wirklich überraschen, da ich ja grad schon mal dort unterwegs gewesen war, aber mit Panoramafensterausblick ist das ja doch nochmal was anderes.

Gut, nicht alle waren so begeistert wie ich – die rheinländische Reisegruppe war glatt der Meinung, dass sie gelangweilt wären („nach 3h Bergen ist es doch wenig Abwechslung“) und dass sie es sich spektakulärer vorgestellt hatten. Wie jetzt? So mit extra für den Zug abgestimmten Lawinenabgängen? Oder soll der Zug lieber Loopings fahren wie in der Achterbahn? Was zur Hölle? Wieso muss eigentlich immer alles immer noch spektakulärer sein? Kann man nicht einfach mal genießen? Egal, warum über die Blödheit von anderen aufregen?

Wir gerieten kurz vor Zermatt noch in einen Stau – die Strecke ist ja spätestens ab Täsch sehr gut besucht, und da kann es dann schon mal sein, dass man Gegenzüge abwarten muss. Ob man da nun aber fünf Minuten später in Zermatt ankommt ist ja nun grad egal, viel wichtiger ist, dass man kurz vorm Bahnhof tatsächlich das erste Mal das Matterhorn sehen kann – also wenn man weiß wo man hingucken muss.

Zermatt und Matterhornblick

Mit nicht erwähnenswerten (und trotzdem erwähnten…) fünf Minuten Verspätung kam der Zug dann in Zermatt an, bis dann alle ihre Koffer aussortiert hatten, dauerte es nochmal fünf Minuten, und dann konnte ich mich schließlich auch auf den Weg zum Hotel machen. Das waren gemütliche 200 Meter, also grade so schaffbar.

Dort angekommen folgte eine längliche Erklärung und Begehung des Hotels, was sich auf zwei Gebäude verteilte. Die Lobby und der Frühstücksraum in Gebäude 1, mein Zimmer mit Matterhornblick in Gebäude 2, dazwischen im Keller der Zugang zum Pool. Würde man ohne diese Führung jetzt nicht unbedingt alles so finden, selbsterklärend ist anders. Auf jeden Fall hatte mein Zimmer einen schicken Balkon mit Panoramablick aufs Matterhorn, dafür aber auch mit Panoramablick ins Bad.

Das würde mich echt mal interessieren, weil mir das schon in mehreren Hotels aufgefallen ist: Da hat man das Bett, und direkt neben dem Bett ne Glasscheibe, und dahinter dann die Badewanne bzw. Waschbecken. Im besten Fall noch ohne Vorhang oder ähnliches. Ich mein, wenn ich allein unterwegs bin ist mir das Bockwurst, aber so ganz grundsätzlich hätte ich im Badezimmer doch gern meine Ruhe, ohne dass mir meine bessere Hälfte (oder mit wem auch immer ich ggfs das Zimmer teile) dabei zuguckt, wie ich mir die Zähne putze. Und dass an das Klo eine richtige Türe gehört und man allgemein über Schallschutz nachdenken sollte, hat sich bei Hotelzimmerdesignern glaube ich auch noch nicht herumgesprochen.

Nachdem ich ja nun den ganzen Tag nur im Zug herumgesessen hatte, war noch ein kurzer Abendspaziergang angesagt. Zum Einen zwecks Herausfinden, wo man was zu Trinken kaufen kann, zum Anderen ob sich irgendwo eine Restauranz anbietet, und zum Dritten zur Klärung wo die Seilbahn für die Wanderung am nächsten Morgen losfährt. Achja, und natürlich um noch viele Fotos der Sorte „Matterhorn hinter belanglosem Vordergrund“ zu machen. Da kamen aber bestenfalls knapp zwei Kilometer zusammen. Und so endete ein Tag, an dem man eigentlich nix gemacht hatte, und am Ende trotzdem müde war…

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