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Auf Umwegen ans Ziel

21. September 2023, 23:42 Uhr von Uwe

Nach einer Woche Brig hieß es fürs Erste Abschied nehmen vom Wallis. Die nächsten Tage sollten in Graubünden verbracht werden. Dazu musste ich mich und meinen dicken Koffer einmal quer durch die Schweiz kutschieren lassen. Und weil man ja, wenn man eh schon mal da ist, auch was von der Gegend sehen will, wurde noch ein Umweg eingebaut.

Brig – Lausanne

Der Tag begann mit einem hastigen Gang zum Frühstück, dass diesmal nur aus O-Saft und einem Wurstbrötchen bestand. Auf Kaffee wurde verzichtet, denn eine hyperaktive Peristaltik war neben Verspätungen das letzte was ich gebrauchen konnte. Aufgrund der geplanten Reisestrecke mit einem Haken in den tiefen Westen ging es bereits gegen halb acht Uhr morgens los.

Mein Plan sah vor, noch gemütlich eine Stunde im Zug zu pennen, weil man da auf der Fahrt sowieso nicht allzuviel würde sehen können, zumal auch der Wetterbericht nach einer Woche Hochsommer einen Tag Pause verkündet hatte. Der Plan war gut, nur… klappen muss er. Er scheiterte an zwei Gründen. Zum einen wollte meine dämliche Rübe keine Ruhe geben, so dass ich gemütlich wegdösen konnte (vermutlich unterbewusste Angst, das Aussteigen in Lausanne zu verpassen). Und zum zweiten wurde der Zug ab Sion ziemlich voll, um nicht zu sagen latent überfüllt, selbst in der ersten Klasse.

Ganz offensichtlich fährt das halbe Wallis nach Lausanne zum Arbeiten. Und der gemeine Berufspendler nimmt da auf so verpeilte Touristen wie mich eher keine Rücksicht. Zu allem Überfluss überquerte ich während der Fahrt gleich den Röstigraben – was sich in erster Linie darin äußert, dass die ganzen Berufspendler so eine komische Sprache sprechen. Gut, der Mittermeier würde nun einwenden, dass sie in der Schweiz eh alle komisch sprechen, als wöllten sie Donald Duck imitieren. Vielleicht haben sie auch nur ständig einen Frosch im Hals und mussten deswegen Ricola erfinden, wer weiß. Allerdings quasselten die hier nun kein Schwyzerdütsch (oder wie auch immer das nu geschrieben wird), sondern Franzmännisch. Oder ganz wild – ne Mischung aus beidem. Ich kann der französischen Sprache ja nicht allzuviel abgewinnen, in erster Linie war mir aber auch der Zug viel zu voll für eine gemütliche und ruhige Fahrt.

Also guckte ich notgedrungen doch die Landschaft an, die sich unter tiefhängenden Wolken am Fenster vorbeischob. Bergwanderung wäre an dem Tag eine eher doofe Idee gewesen, die Wolken hingen in den Bergflanken und auch tief überm Genfersee. Trotzdem ist der Anblick von der Bahnlinie aus irre, also ab etwa Schloss Chillon über Montreux bis nach Lausanne hinein. Teilweise liegt die Bahnstrecke direkt am Seeufer, dahinter türmt sich dann schon Frankreich mit dem Mont-Blanc-Massiv auf. Da muss ich bei Gelegenheit nochmal hin, aber bei besserem Wetter.

Video der Fahrt von Brig nach Lausanne

Kurz nach 9 Uhr war der Zug dann pünktlich in Lausanne und ich durfte das erste Mal an diesem Tag umsteigen. Da passierte mir etwas, was mir überhaupt noch nie passiert ist, und was mir in Deutschland in den nächsten 50 Jahren auch nicht passieren wird: Ich schaffte den unmöglichen Anschluss.

Lausanne – Zürich

Meine Reiseplanung sah eigentlich vor, dass ich in Lausanne ungefähr eine halbe Stunde Zeit haben würde, um in Ruhe in den IC nach Bern umzusteigen, um später von dort weiter nach Zürich zu fahren. So weit, so schön entspannt. Ich stieg also aus, ließ mich im Gedränge der Menschenmassen durch den Bahnhof treiben und lief ohne große Hektik von Gleis 8 zu Gleis 1. Dort fuhr dem Plan nach gerade der IC nach Zürich ab, den die SBB aber nicht als Anschluss für Reisende aus Richtung Brig vorsieht.

Man muss dazu sagen, dass die SBB einen weiteren Anschluss drei Minuten später anbietet, allerdings wäre der via Neuchâtel und Biel/Bienne nach Zürich gefahren. Die Strecke kenne ich zumindest teilweise schon, während ich die Strecke von Lausanne über Fribourg nach Bern noch nicht kannte. Die war also mein Ziel. Kein normaler Mensch, der von Brig nach Zürich will, fährt einen Umweg über Lausanne, da fährt man direkt über Spiez (das hatte ich bei der Anreise ja gemacht). Insofern war die geplante halbe Stunde Aufenthalt meiner „ich fahr komische Umwege und guck die Gegend an“-Planung geschuldet.

Ich stiefelte also gemütlichen Schrittes auf den Bahnsteig in der Erwartung, dort noch dem IC hinterher winken zu können. Tja, Pustekuchen. Der stand noch am Bahnsteig, abfahrbereit, der Schaffner schon mit Kelle in der Hand. Die Gelegenheit ließ ich mir nicht nehmen, also ran an den Zug, rein in den Zug und rauf aufs Oberdeck für die gute Aussicht. Ich hatte mich noch nicht gesetzt, da fuhr der Zug bereits an. Somit hatte ich also in drei Minuten den Weg von Gleis 8 nach Gleis 1 geschafft.

Das hatte nun noch einen weiteren Vorteil: Der Zug fuhr über Bern bis nach Zürich, während meine ursprüngliche Planung noch einen Umstieg in Bern nötig gemacht hätte. Dafür hatte ich nun in Zürich statt einer halben plötzlich eine ganze Stunde Zeit – eine Stunde eher als ursprünglich geplant weiterfahren wollte ich nicht, der Wetterbericht hatte was von aufklarendem Wetter am Nachmittag gelabert, und die schöne Landschaft Richtung Graubünden muss man ja genießen. Und was will man schon um 15 Uhr im Hotel?

Na jedenfalls gurkte der Zug nun zunächst mal hoch überm Genfersee Richtung Osten, um dann einen Tunnel später nach Nord-Nordost abzubiegen. Der Zug war relativ leer, lediglich ein paar dauertelefonierende Bürotiere (in Englisch, Deutsch und Französisch) waren am videokonferenzieren. Die Strecke selbst war jetzt nicht so wirklich der Hingucker, sie schlängelt sich in vielen Kurven durchs Hügelland südwestlich von Bern und zwingt den Zug damit zu einer ganz schönen Schleicherei. Stellenweise hätte man schöne Aussichten auf hohe Berge haben können, wenn da keine Wolken davor gewesen wären.

Ab Bern mit seinem potthässlichen superdunklen Bahnhof war die Strecke dann schnell und bekannt – ich war sie bei der Anreise schon gefahren, und auch bei so ziemlich jedem vorherigen Schweizurlaub ebenso. Man rollt auf der relativ langweiligen Neubaustrecke nach Olten (inklusive schönem Ausblick auf die Festung Aarburg, wenn man weiß wann man hingucken muss) und kurvt dann weiter über Aarau nach Zürich, um schließlich im Tiefgeschoss auf Gleis 33 oder 34 oder so anzukommen. Von dort wuchtet man seinen Koffer dann über zwei Rolltreppen nach oben ans Tageslicht und kann seine Reise fortsetzen – schließlich hatte ich das Umsteigen ja erst auf der Hinfahrt geübt. Oder man machts auf die gemütliche Tour und organisiert erstmal Verpflegung und guckt sich in Ruhe das bunte Treiben an.

Erfreulicherweise war das Wetter inzwischen besser geworden, hinter Bern hatte sich auch endlich die Sonne aus der Deckung gewagt, und in Zürich war ein schöner Sommertag.

Video der Fahrt von Lausanne nach Bern

Video der Fahrt von Bern nach Zürich

Zürich – Chur

Ich bestieg schließlich – nachdem ich mir den Bahnbetrieb lange genug angeschaut hatte den Zug Richtung Chur. Die Strecke bin ich schon mehrfach gefahren, da gibts in reichlich einer Stunde mit dem Zürichsee und dem Walensee gleich zwei sehr sehenswerte Abschnitte, die allein mehr als die Hälfte der Fahrzeit ausmachen. Das ist immer wieder super anzuschauen, aber es wird wohl nie wieder an das Gefühl herankommen, wie ich da 2011 das erste Mal langfuhr – bis Zürich war absolutes Mistwetter gewesen mit Regen und kühl und bäh, und dann kamen wir vor Thalwil aus dem Tunnel raus und da schien plötzlich die Sonne, links guckte man auf den glitzernden See und im Hintergrund türmten sich die ersten Berge über 2000m auf. Das hatte schon was.

Die Berge türmten sich heute zwar auch, aber ebenso türmten sich einige fiese Wolken, wobei man nicht so genau wusste wie das Wetter sich nun entwickeln würde, Richtung Osten sah es trübe aus, Richtung Süden (also Richtung St. Moritz) war es tendenziell heller, aber was soll das im Gebirge schon heißen… Ich genoss trotzdem die Fahrt und die schöne Aussicht, und plötzlich war ich kurz vor 14 Uhr auch schon in Chur angekommen. Der Zug hatte dabei die sagenhafte Verspätung von 3 Minuten, was dem Spaß beim Umsteigen aber keinen Abbruch tat, einmal quer übern Bahnsteig rollen schafft man da trotzdem.

Video der Fahrt von Zürich nach Chur

Chur – St. Moritz

Der Zug nach St. Moritz war überraschend voll, allein ganzer Waggon der ersten Klasse war durch eine Gruppe orthodoxer Juden belegt. Sieht man auch nicht jeden Tag. Ein schickes Plätzchen mit Aussicht zur richtigen Seite hin war trotzdem zu finden, damit stand einer schönen Fahrt nix mehr im Wege, abgesehen vom Wetter. Das beschloss jetzt nämlich erstmal die Schleusen zu öffnen. Bis Reichenau gabs einen kurzen Schauer, danach entwickelte es sich zu einem Landregen, der über den Bergen von gelegentlichen Blitzschlägen begleitet wurde. Das war also durchaus spektakulär anzusehen.

Die Fahrt ist auf der Strecke aber sowieso ein Erlebnis, egal bei welchem Wetter. Die Albulastrecke ist ja UNESCO-Welterbe, worauf in Durchsagen auch hingewiesen wird. Ich bin die Strecke inzwischen oft genug gefahren, um bei dem Geschlängel zwischen Bergün und Preda keinen Knoten im Kopf zu kriegen, das ging aber nicht allen Mitreisenden so (sofern sie sich für derlei technische Meisterleistungen überhaupt interessieren und nicht nur stumpf von A nach B fahren wollen).

Bis Preda war das Wetter dann ziemlich zum Vergessen, heftiger Dauerregen, gelegentliche Blitze und null Aussicht wegen Wolken. Die einzige Hoffnung war die Tatsache, dass der Himmel Richtung Süden etwas heller aussah – und da ist ja noch der Albulapass dazwischen. Und siehe da, auf der Südseite des Passes war es beinahe fast trocken und der Wolkenbruch vom Norden hatte sich in einen leichten Nieselregen verwandelt. Damit kann man auch als Fußgänger leben.

Video der Fahrt von Chur nach St. Moritz / Version 2 / Winterversion

Abend in St. Moritz

Und ein solcher war ich ja dann für einige Minuten in St. Moritz auch, denn man musste ja vom Bahnhof bis zum Hotel marschieren, so Koffer hinter sich herzottelnd und so. Blöderweise liegt St. Moritz natürlich – wie könnte es anders sein – am Berghang, das Hotel liegt also schlappe 50m höher als der Bahnhof. Erfreulicherweise gibt es da eine Ansammlung von Rolltreppen, die ich normalerweise nicht benutzen würde, wenn ich da nicht meinen Koffer dabei gehabt hätte. Ärgerlicherweise war die längste der Rolltreppen aber defekt. Glücklicherweise gibt es neben der Rolltreppe auch einen Schrägaufzug, der eigentlich für Rollstuhlfahrer und sonstige mobilitätseingeschränkte Personen vorgesehen ist. Ich definierte meinen Koffer also flugs als mobilitätseinschränkend und fuhr Fahrstuhl – die mitreisenden Rentner hats nicht gestört.

Die restlichen paar Meter bis zum Hotel – vorbei am teuersten Hotel am Platze, wo der Rolls-Royce vor der Türe parkt und die Gäste vermutlich mit dem Privatflieger ankommen – bis hin zum zentralen Kreisverkehr. Das hatte ich mir vorher per Streetview angeguckt, da konnte also nicht viel schiefgehen. Einen Checkin samt Ausfüllen von komischen Meldeformularen später konnte ich schon wieder Fahrstuhl fahren, Hotelzimmer im vierten Stock für die gute Aussicht auf den See. Das gab in dem Augenblick in erster Linie gute Aussicht auf eher durchwachsenes Wetter – nieselpieselig, aber sonst ok.

Der erste Erkundungsspaziergang führte mich dann einen Kreisverkehr weiter in den Ort hinein, da war der lokale Supermarkt und somit meine Wanderverpflegungsquelle. Der weitere Plan sah nun den Besuch eines Fresstempels vor – man kann sich ja nicht immer nur von Nussmischungen ernähren. Das Problem in St. Moritz ist simpel – es ist teuer, selbst für Schweizer Verhältnisse. Und ein Sternerestaurant brauche ich auch nicht, ich will was Handfestes („Du hörst mit dem Vorschlagen auf und bringst was zu Fressen, sonst qualmts! Für den Gentleman und mich!“ – wie Bud Spencer sich ausdrückte).

Ich guckte mir diverse Restaurants von außen an und stellte fest, dass es eigentlich nicht so wahnsinnig viel Auswahl gibt, und ohne Reservierung würde man wohl auch Glück brauchen um einen Platz zu kriegen. Inzwischen hatte sich das Wetter in einen Dauerregen verwandelt, mit draußen sitzen war also auch nix. Schlußendlich landete ich im Restaurant Hauser (im zugehörigen Hotel war ich 2011 schon gewesen), welches ausgesprochen gut besucht war.

Neben mir saß eine Familie mit drei Kindern im Vorschulalter, die aber alle gut mit Malen beschäftigt waren. Der Kellner war große Klasse, der nahm die Wünsche der Erwachsenen auf und meinte dann salopp: „Was solls für euch sein? Spaghetti mit Tomatensoße? Pommes? Chicken Nuggets?“ – damit hatte er die Kinder sofort überzeugt. Mich auch, aber das wird erst im Bericht für den nächsten Tag relevant.

Ich hingegen entschied mich für eine Kalbsbratwurst mit Pommes und Gemüse – ausgesprochen lecker. Runtergespült wurde mit einem Glas regionalen Weißweins – ich hab mir blöderweise nicht die Sorte gemerkt, aber der war lecker. Anschließend gabs noch einen kurzen Verdauungsspaziergang im Regen, bevor der Rest des Abends im Hotelzimmer verbracht wurde – den ganzen Tag nicht viel gemacht außer mit der Bahn zu fahren, und dann ist man trotzdem fix und fertig…

Der Plan für den nächsten Tag sah eine Wanderung im Puschlav vor, also im südwestlichsten Zipfel der Schweiz, kurz vor Italien. Das wird dann aber im nächsten Beitrag in aller unnötigen Ausführlichkeit ausdiskutiert.

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