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Album der Woche

14. März 2023, 16:00 Uhr von Uwe

Diese Woche geht es um das Debütalbum einer Band, die ich sehr schätze. Soweit nix ungewöhnliches, aber für dieses Album weiß ich noch genau, wann und wo ich es gekauft habe.

Das ist inzwischen auch schon wieder 20 Jahre her, damals war ich noch Studierender (oder wie auch immer man die Leute nennt die sich von Professoren nerven lassen um am Ende einen Zettel zu kriegen der bescheinigt dass man irgendwann mal irgendwas bestimmtes gewusst hat). Und weil man das nicht rund um die Uhr machen kann wurde mal ein Ausflug gemacht, nämlich nach Berlin. Darüber berichtete ich sogar hier in diesem Blog. Cool, wenn man 20 Jahre später auf so eine olte Kamelle zurückgreifen kann.

Jedenfalls prangte auf einem der Alben vorn drauf eine Zeichnung eines lustig bunt angezogenen Hofnarrs mit Geige. Diese stammt von Mark Wilkinson, der auch Alben von Judas Priest (u.a. Painkiller) und Iron Maiden aufhübschte. In erster Linie kennt man ihn aber für seine Werke für Marillion – und um die geht es heute, womit denn auch klar ist dass das Album der Woche den schönen Titel „Script For A Jester’s Tear“ trägt.

Zur musikalischen Einordnung muss man jetzt etwas weiter ausholen. Die New Wave Of British Heavy Metal (mit Iron Maiden und Saxon als Speerspitze) hatte zwischen 1979 und 1982 diverse Klassiker hervorgebracht, andere Bands wie Motörhead und Judas Priest waren ebenfalls schwer angesagt. Im Gegensatz dazu hatte die Punkexplosion von 1977 (Sex Pistols und Co.) ein anderes Genre mehr oder minder komplett in sich implodieren lassen: Den Progressive Rock. Waren Anfang und Mitte der 70er noch zahllose große und epische Alben veröffentlicht worden (neben vielen anderen von Jethro Tull, Van der Graaf Generator, King Crimson, Pink Floyd und nicht zuletzt Genesis) änderte sich das radikal: Statt zwanzigminütiger Longtracks hatten Yes und Pink Floyd mit Owner Of A Lonely Heart bzw. Another Brick In The Wall plötzlich Single-Hits, andere lösten sich ganz auf (Emerson, Lake & Palmer), während Genesis ihren Sound komplett umkrempelten und mit Phil Collins am Mikro zu einer der erfolgreichsten Pop-Bands der 80er Jahre mutierten.

In dieser Gemengelage tauchten nun also Marillion ab 1982 auf, zunächst mit Singles, und dann im März 1983 mit ihrem Debütalbum. Klanglich orientierte sich das extrem am Sound der Frühsiebziger-Genesis, was ihnen diverse Kopievorwürfe einbrachte. Tja, nur, wenn das Original in Richtung Pop abdriftete war der Fan froh über alles, was nach den progressiveren Zeiten klingt – selbst wenn daran per Definition nix mehr progressiv ist, zehn Jahre alte Sounds in neue Songs zu gießen.

Anyway, auf dem Album finden sich sechs Songs, von denen der kürzeste schon fünfeinhalb Minuten auf die Uhr bringt, die restlichen Songs kommen bis auf einen über je acht Minuten. Hier muss man sich also schon ein bissl Zeit nehmen zum Reinhören, nix mit drei Minuten Hitsingle. Trotzdem wurden zwei Singles ausgekoppelt die in England immerhin die Top 40 bzw sogar die Top 20 erreichten.

Das Album wird eröffnet vom Titelstück, welches sich mit dem Thema Liebeskummer befasst. Das Besondere daran (wie auch am ganzen Rest des Albums) sind die poetischen Worte, die Texter Derek William Dick (genannt Fish) hier findet und in extrem ausdrucksstarker Weise zu Gehör bringt (Querverweise auf den frühen Peter Gabriel und Peter Hammill von Van der Graaf Generator sind unüberhörbar). Aber zurück zum Song: Die Nummer besteht aus mehreren Abschnitten, in denen der Protagonist die Situation aus verschiedenen Ecken beleuchtet: Am beginn das Konstatieren der Situation („too late to say I love you, too late to restage the play, the game is over“), gefolgt von einem ruhigeren Mittelteil („As you grow up and leave the playground where you kissed your prince and found your frog“) in welchem erzählt wird, dass sie wohl mit einem anderen glücklich werden wird („So I’ll hold my peace forever when you wear your bridal gown“) hin zu einem traurig schönen Ende („Can you still say you love me?“). Schon mit diesem einen Song haben sie mich überzeugt, dass dieses Album ganz weit oben auf der Liste meiner Lieblingsalben stehen wird.

Weiter geht es mit der ersten Single He Knows You Know. Dieses beschäftigt sich mit Drogenmissbrauch („you’ve got venom in your stomach, you’ve got poison in your brain“). Der Text beschreibt eindringlich die Wirkungen des Drogenkonsums („Light switch, yellow fever, crawling up your bathroom wall, singing psychedelic praises to the depths of a china bowl“ – im übrigen die poetischste Umschreibung für Kotzen die ich je gesehen habe), vergleichbar mit Hand Of Doom von Black Sabbath, musikalisch aber natürlich ganz anders gelagert.

Dritter Song und damit Abschluss der ersten LP-Seite ist The Web. Hier beschreibt Fish eindringlich das Leben in einer Partnerschaft die keine mehr ist, in der man aber noch irgendwie gefangen ist wie die Fliege im Spinnennetz. Man klammert sich an die Erinnerungen einer besseren Vergangenheit („Confused and rejected, despised and alone, I kiss isolation on its fevered brow“), ohne Aussicht auf eine Besserung. Allerdings wagt der Protagonist am Ende den Ausbruch („Now I leave you, the past does have it’s say, you’re all but forgotten a mote in my heart. Decisions have been made, I’ve conquered my fears, the flaming shroud. Thus ends the web.“).

Die zweite Seite beginnt mit positiveren Klängen, die zweite Single Garden Party beschreibt in blumigen Worten eine Festivität der versnobten Upper Class, bei denen es um sehen und gesehen werden geht („social climbers polish ladders“). Fish macht sich über die sozialen Regeln lustig („please don’t lie upon the grass, unless accompanied by a fellow“), beschreibt die Abläufe in wilden Bildern („Champagne corks are firing at the sun again“, „social leeches quoting Chaucer“, „punting on the Cam“, „beagling on the downs“) und karikiert die ganze Oberflächlichkeit („Chitters chat and gossips lash, posers pose, pressmen flash“, „smiles polluted with false charm, locking on to Royal arms, society columns now ensured, returns to mingle with the crowds“). Die größte Kontroverse löste natürlich eine Zeile auf, in der die verschiedenen Zeitvertreibe aufgezählt werden, die man da so macht: „I’m punting, I’m beagling, I’m wining, reclining, I’m rucking, I’m …“ – ja ne, da steht im Originaltext „miming“ und nicht etwa das böse F-Wort, man wäre ja zum Beispiel bei der altehrwürdigen BBC not amused wenn da sowas über den Äther gestrahlt würde – live klang das natürlich anders. Wie auch immer, der Song wurde zum Klassiker der Band und wird auch heute noch als Zugabe ausgepackt, obwohl die Band sonst eigentlich überhaupt nix mehr aus der Fish-Ära spielt (die ja schon 1989 endete).

Weiter geht es mit Chelsea Monday. Das Stück dreht sich um die tote Leiche einer jungen Frau, die man aus der Themse gefischt hat und die Träume, die diese Frau hatte. Vom Leben als Filmstar, als Model, bekannte Schauspielerin („She’s playing the actress in this bedroom scene, she’s learning her lines from glossy magazines“). Pointiert bringt Fish es in den eröffnenden Zeilen auf den Punkt: „Catalogue princess, apprentice seductress, hiding in her cellophane world in glitter town“, wobei die zweite Zeile am Ende des Songs in „buried in her cellophane world in glitter town“ abgeändert ist.

Das letzte Stück und gleichzeitig das für mich zweite ganz große Highlight neben dem Titelsong ist Forgotten Sons. Das beschäftigt sich mit dem damals sehr präsenten Nordirland-Konflikt („Death in the shadows he’ll maim you, he’ll wound you, he’ll kill you, for a long forgotten cause on not so foreign shores“). Der Song besteht wiederum aus mehreren Teilen und beschreibt die Erlebnisse der Soldaten, erhebt aber auch direkt Anklage („asking questions, pleading answers from the nameless faceless watchers that stalk the carpeted corridors of Whitehall“). Das kulminiert dann in einem von einer epischen Gitarre getragenen Schlussteil mit einem der besten Texte, die zum Thema Krieg je verfasst wurden (und das ist leider aktuell wieder verdammt aktuell und wird deswegen in Gänze zitiert):

You’re just another coffin on its way down the emerald aisle
When your children’s stony glances mourn your death in a terrorist’s smile
The bomber’s arm placing fiery gifts on the supermarket shelves
Alley sings with shrapnel detonate a temporary hell
Forgotten Sons

From the dole queue to the regiment, a profession in a flash
But remember Monday signings when from door to door you dash
On the news a nation mourns you unknown soldier, count the cost
For a second you’ll be famous but labelled posthumous

Forgotten sons, forgotten sons
Peace on earth and mercy mild, Mother Brown has lost her child
Just another Forgotten Son

Fazit: Ein ganz großes Album. Ja, stellenweise klingt es schwer nach Genesis, aber ist das wirklich schlimm? Die Texte sind der Oberhammer, und musikalisch passt hier auch fast alles.

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