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Album der Woche

1. Februar 2024, 20:55 Uhr von Uwe

Manche Alben sind wie guter Wein, sie werden besser je älter sie werden. Und manche Alben sind dabei nicht nur zeitlos aktuell, sondern heute aktueller denn je. Um ein solches Album geht es heute.

Das erste Mal Notiz nahm ich von der heutigen Band irgendwann Mitte der 90er im damals noch real existierenden Musikfernsehen, denn da lief eine Single in Heavy Rotation, bei der drei Typen in einer Irrenanstalt mächtig abrockten. Fand ich nicht ganz unspannend, packte mich damals aber noch nicht wirklich. Als ich dann einige Jahre später herausfand, wer den Punk erfand (Ramones und Sex Pistols) und was sich daraus in verschiedenen Richtungen entwickelte (tote Hosen, Bad Religion) und wer das dann auch in humoristischere Bahnen lenkte (Die Ärzte, The Offspring), war auch diese eine Truppe irgendwie wieder aktuell. Vor allem hatten die (das war dann 2004) gerade ein Album auf den Markt gebracht, was völlig durch die Decke ging. Name der Truppe? Green Day. Name des Albums? „American Idiot„.

Das Album ist eine bitterböse Abrechnung mit den USA der frühen Nuller Jahre unter George W. Bush, gespalten durch 9/11 und die auf Lügen gestützte Invasion im Irak, sich weltweit waffenschwingend in die Politik einmischend und gleichzeitig in der Innenpolitik den Standards europäischer Demokratien hinterherhinkend. Der American Dream war schon damals nur ein Traum, die Massen durch Reality TV und Werbung abgestumpft. All das und noch ein paar andere Themen werden aufgegriffen und miteinander verwoben in eine Art Punkrock-Oper.

Musikalisch wurzelt zwar alles noch im Punk, wurde hier aber weit aufgefächert und durch einige unübliche Instrumente ergänzt. Einige der Songs sind auch weit entfernt von den üblichen Strophe-Refrain-Schemata, allein Jesus Of Suburbia und Homecoming kommen jeweils auf über 9 Minuten Laufzeit, verteilt auf jeweils fünf Abschnitte. Dazu kommt eine fette Breitwandproduktion, und fertig war das beste Rockalbum der Nuller Jahre (so sieht es zumindest das britische Kerrang-Magazin). Ich würde es auf jeden Fall ziemlich weit oben in dieser Kategorie ansiedeln. Die Band, die vorher noch über ihre Auflösung nachgedacht hatte, war nun plötzlich im absoluten Mainstream angekommen. Ist das noch Punkrock? Nicht wirklich, es ist aber zeitlos guter Rock mit sehr spannenden Texten.

Die Band machte aus ihrer Ablehnung der republikanischen Regierung keinen Hehl, ganz im Gegenteil. Erstaunlicherweise haben das einige bis heute nicht begriffen, erst kürzlich gab es empörte Reaktionen, als die Band eine Stelle aus dem Song American Idiot umdichtete in „don’t wanna be a MAGA idiot“ – ein klares Statement gegen die Anhänger von Donald Trump. Und wenn man sich anguckt, wo die USA heute innenpolitisch stehen und was bei der nächsten Präsidentenwahl dort auf dem Spiel steht, ist auch klar, dass dieses Album heute eigentlich noch aktueller ist als damals.

Aber auch ganz ohne die Bezüge zur Zeitgeschichte funktionieren die allermeisten Songs einfach mal nur als gute Rocksongs. Das beginnt beim eröffnenden American Idiot, was damals wie heute im Rockradio hoch und runter gespielt wird. Gleiches gilt für die anderen Singles aus dem Album, Boulevard Of Broken Dreams (eine sehr poetische Umschreibung für die amerikanischen Großstädte an der Ost- und Westküste, wo man als Jugendlicher hingeht um dem Mief des mittleren Westens zu entkommen, auf der Suche nach der Erfüllung des eigenen Traums von der großen Karriere) und Wake Me Up When September Ends. Holiday ist eine unverhohlene Kritik am Krieg gegen den Terror, der knapp 20 Jahre später damit endete, dass in Afghanistan wieder die Taliban an der Macht sind. Und statt Give Me Novocaine sind wir inzwischen bei Fentanyl angekommen, weil das Leben so deprimierend ist, dass man es sich nur durch Drogen irgendwie erträglich machen kann.

Fazit: Eines der wichtigsten Rockalben der letzten 20 Jahre. Sollte man kennen. Achja, und eine lobende Erwähnung am Rand für „Dookie“, mit dem Green Day 1994 das erste Mal Staub aufwirbelten, als sie in Basket Case durch die Irrenanstalt rockten (hier zum Angucken).

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