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Album der Woche

12. Juli 2023, 18:45 Uhr von Uwe

Draußen brennt die Sonne, drinne brennt meine Birne (bin grad krankgeschrieben, nachdem ich vorgestern plötzlich ungesund hohe Temperaturen entwickelt hab und man auf meiner Stirn Eier hätte braten können). Was macht man da nun also (neben unmotiviertem herumliegen und pennen)? Richtig, man sucht sich ein Album der Woche, dass richtig schön eisig kalt daherkommt.

Zu diesem Zwecke geht es also nach Finnland, was ja nun nicht unbedingt für Sandstrand und übermäßig fröhliche Laune bekannt ist. Vor ziemlich genau 25 Jahren veröffentlichten Sentenced nämlich das Album mit dem schön passenden Titel „Frozen„. Und das ist nun Album der Woche – als ich den Plan im Dezember zusammengestellt hab, hab ich nur aufs Veröffentlichungsdatum geschaut, dass es jetzt gut als Antithese zum Wetter passt ist echt Zufall. Aber passend.

Sentenced starteten ja als reine Death Metal-Kapelle, das heißt da kreischröchelte ein Typ unverständliches Zeug ins Mikro, während dahinter die Gitarren wild durch die Gegend sägten. Mit dem Stil kann ich nicht wirklich viel anfangen, da fehlt mir das melodische – im Lauf der Zeit entwickelten sich da im Großraum Göteborg der sogenannte Melodic Death Metal mit den Vorreitern In Flames (bevor sie komische Ausflüge in moderne Gefilde unternahmen). Anyway, Sentenced änderten ihren Stil Mitte der 90er (inklusive personeller Umbesetzungen) und setzten fortan auf klareren Gesang und mehr Melodie. Und siehe da, das gefiel mir erheblich besser.

Eine Spezialität der Band waren dabei immer die tödlichen Texte – mal augenzwinkernd, mal ernsthaft – aber es ging quasi immer irgendwie um Tod, Vergänglichkeit, Suizid und alles was sonst so mit den dunklen Seiten des Lebens zu tun hat. Genau das richtige wenn man grad bei über 30 Grad im eigenen Schweiß vor sich hin dünstet, hrhr. Vielleicht liegts auch an der finnischen Mentalität, das Leben in der polaren Einöde kann man vermutlich nur mit viel Schnaps und schwarzem Humor komisch finden.

Kommen wir nun also zum eigentlichen Album. Verpackt in ein schickes Graustufencover mit einer im Eis eingefrorenen Person gibts 12 Songs, davon ein instrumentales Intro und Outro. Inzwischen gibts Neuauflagen mit Bonussongs, da finden sich dann vier Coverversionen von Creep (Radiohead), Digging The Grace (Faith No More), I Wanna Be Somebody (W.A.S.P.) und House Of The Rising Sun in einer sehr besoffen klingenen Version.

Nach dem anderthalbminütigen Intro Kaamos (laut Internet „Polarnacht“ auf Finnisch, was inhaltlich perfekt passt) beginnt die Platte gleich mit einem Hit namens Farewell, der sich mit Depressionen beschäftigt („I regret every single day I ever lived in my life. I gave all I had in me, so it’s time to say Goodbye“). Ganz im Gegensatz zum Text ist die Musik ausgesprochen positiv und sehr stark im klassischen Heavy Metal verwurzelt – das zieht sich so auch durch das ganze Album durch.

Die folgende Nummer heißt Dead Leaves und befasst sich mit der Vergänglichkeit im Allgemeinen und mit Herbst und Dunkelheit im Besonderen („The wintry frost comes crawling, freezing all life that’s on its way, the first dead leaves come falling, hovering in the air with the rain“). Eine schön poetische Umschreibung einer eher blöden Jahreszeit. Danach wird das Gaspedal weiter durchgetreten, das flotte For The Love I Bear befasst sich um drei Ecken mit Liebeskummer, was ja schon bei Shakespeare ziemlich tödlich endete.

Ebenso lebensbejahend *hust* kommt das folgende schleppende One With Misery daher („He’s gazing through all that is there, sees the world left for him to despise, blissfully feeling so dead, no glimmer in his eyes“). Die beschriebene Person hat die Lösung („nothing left to believe in, he’s reaching out to be free“) bereits zur Hand – „with a razorblade smile he’s taken the path neverending yet only to walk for a while“). Thematisch in die gleiche Kerbe schlägt das nachfolgende flotte The Suicider. Der Titel ist Programm, es geht um immer wiederkehrende Gedanken, die sich nicht auslöschen lassen („I’m the suicider dying every night and day, killing me is not enough to make me go away“).

Der nächste Song greift das Thema erneut auf – The Rain Comes Falling Down ist für mich das stärkste Stück der Scheibe. Ausgehend von den Wettermetaphern beschreibt er wie ein Mensch langsam den Weg ins bessere Jenseits (nein, das Jenseits ist nicht besser, das ist eine Formulierung aus nem Bud Spencer-Film) antritt: „A steady hand with this sharpened cold steel will help me wipe away the pain I feel. The rain comes falling down, my life flows to the ground. No longer feeling the pain, my flame now fading away.“) Passend dazu ist der zweite Teil des Sechsminüters komplett instrumental gehalten und fadet schließlich in Regengeräusche aus – unheimlich beeindruckend.

Danach folgt Grave Sweet Grave – die finale Erlösung, das herbeigesehnte Ende, endlich niemand mehr der einem auf die Ketten geht (gut, als Anhänger verschiedenster Religionen hat man jetzt natürlich möglicherweise den Zonk, weil man eben doch noch keine Ruhe hat, sondern sich mit Petrus über gute Taten unterhalten muss, damit man nicht im ewigen Fegefeuer der Verdammnis landet (obwohl da vermutlich die cooleren Typen abhängen, die die interessanteren Geschichten zu erzählen haben). Oder man wird schlicht als Gänseblümchen wiedergeboren. Oder so.)

Das kurze Burn (nicht mal drei Minuten) ist ein Quasi-Instrumental, irgendwo in den Gitarrenwänden taucht ganz am Ende kaum zu hörend „Just take the flame and burn yourself. Burn the pain away!“ als Text auf. Danach folgt ein konventionellerer Song, nämlich Drown Together. Logisch, es geht um die große Liebe und was man da halt für Blödsinn tut („Let’s drown ourselves in this love my darling, my only one. Let’s give our lives for this love we are in, make it forever.“). Quasi Alles aus Liebe ohne Revolver. Besagten Revolver gibt es dafür im nächsten Song Let Go (The Last Chapter) – „the only things I really have left here in this life are bitter hate and this fucking gun“. Und damit meint er definitiv nicht die von Kiss besungene Love Gun.

Nachdem es nun also um diverse Möglichkeiten des möglichen selbstverursachten Dahinscheidens ging, folgt an letzter Stelle nur noch das Instrumental Mourn. Quasi die Stille nach dem Schuss. Die Leere, die danach überbleibt.

Fazit: Man sollte emotional schon einigermaßen stabil drauf sein wenn man sich das Album reinzieht. Die Texte sind nun wirklich nicht als Antidepressivum geeignet. Musikalisch hingegen ist es ein bockstarkes Ausrufezeichen, tief verwurzelt im klassischen Heavy Metal mit starken Anleihen Richtung Gothic (von den Themen und der emotionalen Ausrichtung her, nicht die Sache mit der da meistens vorhandenen mehr oder minder daherkreischenden Trällerelse).

Aber grad an einem Tag wie heute, wo es einfach nur verflucht warm ist, man an Urlaub, Sommer, Sonne, Sonnenbrand denkt, da ist da Anhören dieses Albums eine echt kathartische Erfahrung. Und ich hab jetzt während ich das getippt und ins Album reingehört habe eisgekühlte Cola getrunken, jetzt geht’s auch mit der Hitze schon viel besser :-).

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