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Album der Woche

16. August 2022, 18:54 Uhr von Uwe

Diese Woche geht es in den Fernen Osten, denn da wurde vor einem halben Jahrhundert Musikgeschichte geschrieben. Nur ahnte das damals keiner der Beteiligten, wie das bei epochalen Entdeckungen oft so ist. Gut, wenns hinkt ist es ein Vergleich, denn es geht nicht um epochale Entdeckungen, sondern nur um die Feststellung dass man auch mit einem billigst produzierten Album mit sehr wenig Aufwand unheimlich viel Geld verdienen kann.

Aber der Reihe nach. Mitte August 1972 waren Deep Purple für drei Konzerte in Japan, um ihr aktuelles Album „Machine Head“ (vor einigen Monaten hier besprochen) zu promoten. Diese drei Konzerte wurden aufgenommen, weil die Plattenfirma ein besonderes Etwas für den japanischen Markt haben wollte, und ein Livealbum mit wenig Aufwand verbunden wäre. Heraus kam „Made In Japan“ und damit die Blaupause für quasi jedes Livealbum einer Rockband überhaupt.

Die drei Konzerte (Osaka am 15.8. und 16.8. sowie Tokio am 17.8. – die ersten Auftritte der Band in Japan überhaupt) wurden aufgenommen – auf absolut minimalistischem Gerät. Produzent Martin Birch bastelte daraus quasi im Alleingang das Album, die Band erschien nicht mal vollzählig zum Mix. Einige Mitglieder sollen angeblich das Album bis heute nicht komplett gehört haben. Das bedeutet auch dass das Ergebnis nicht durch weitere Studionachbearbeitungen verbessert wurde, wie es bei anderen Livealben passierte. Ebenso gingen die Meinungen über das Ergebnis auseinander. Ian Gillan zum Beispiel hatte grade erst eine Erkältung gehabt und fand seine Gesangsleistung ausgesprochen schlecht (womit er wohl der einzige auf der ganzen weiten Welt ist der das so sah). Schlagzeuger Ian Paice hingegen war begeistert. Lediglich in zwei Punkten waren sich alle ziemlich einig: Die Auftritte selbst waren einige der besten der damaligen Besetzung und die Qualität der Aufnahmen war gemessen an der verfügbaren Technik schlicht großartig.

Das Ergebnis war ein Doppelalbum, welches die Band nur in Japan veröffentlicht haben wollte. Die Plattenfirma brachte das Album trotzem Ende 1972 in Europa in den Vertrieb, wo es sich verkaufte wie das sprichwörtliche geschnittene Brot. In den USA erschien das Album ein halbes Jahr später, nachdem sie merkten in welchen Mengen Importe aus Europa verkauft wurden. Zusätzlich wurde auch Smoke On The Water als Single ausgekoppelt und kam in die Top 10. Die Band hingegen sah das Album als eine Art Bonus oder Extra und hatte eigentlich den Fokus aufs nächste Studioalbum gelegt. Die Veröffentlichungspolitik der Plattenfirmen zahlte sich hier also ausnahmsweise mal für alle Fans aus.

Nach so viel blabla über die Hintergründe kommen wir nun endlich auch mal zum Inhalt: Das originale Album enthält sieben Songs, der Großteil aufgenommen am 16.8. Zwei Songs stammen aus der Show am Tag danach, die zwar aus Bandsicht die Beste, aber gleichzeitig die mit der schlechtesten Aufnahmequalität war. Smoke On The Water stammt aus der Show vom Vortag, auf den Grund dafür komme ich noch zu sprechen.

Die Show beginnt mit Highway Star, dass sich noch recht nah an der Studioversion orientiert. Es folgt Child In Time und damit der Beweis dass Ian Gillan auch live so hoch schreien kann wie im Studio. Die Solosektion in der Mitte ist länger als in der Studiofassung, wenn auch nur um zwei Minuten. Nun darf der geneigte Hörer der LP schon die B-Seite auflegen. Diese beginnt mit Smoke On The Water, dass um ein markantes und leicht verändertes Introriff ergänzt wird, welches so nie wieder gespielt wurde. Danach folt mit The Mule der einzige Song des „Fireball“-Albums. Hier gibt Ian Paice sein Schlagzeugsolo zum Besten, und schon ist auch diese Seite durch. LP Nummer 2 enthält nun noch Strange Kind Of Woman und eine um viel Georgel aufgebohrte Version von Lazy. Den großen Abschluss bildet auf der B-Seite der zweiten Scheibe nun eine epochal gepimpte Version von Space Truckin‘, die auf stattliche 20 Minuten Laufzeit kommt. In dieses furiose Finale flechtet die Band diverse Anleihen klassischer Werke ein und den Instrumentalteil findet man als Bandarchäologe auch auf älteren Livemitschnitten in anderen Songs.

Im Zeitalter von CDs wurde das Album natürlich auch auf dieses Medium übertragen, so dass man das nun auch endlich mal ohne lästiges Umdrehen der LP-Seiten genießen konnte. Hinzu kamen je nach Format noch Bonustitel. In meinem Schrank steht die 25th Anniversary Edition mit drei Zugaben (Black Night, Speed King und Lucille). Als komplettistischer Fan brauchte ich zusätzlich das „Live In Japan“ 3CD-Set, was die Mitschnitte aller drei Konzerte enthält, obgleich auch unvollständig und teilweise durcheinandergewürfelt, damit alles auf die CDs passt. Wichtigste Änderung gegenüber dem ursprünglichen Album: Die Position von Gitarre und Orgel im Stereomix wurde korrigiert – im ursprünglichen Mix waren beide so angeordnet wie es aus Sicht der Band auf der Bühne war (Gitarre links, Orgel rechts), nicht so wie man es als Zuschauer mit Blick auf die Bühne wahrgenommen hätte (Orgel links, Gitarre rechts). Mit beiden Alben zusammen fehlt einem nur noch ein Zugabetitel, der erstmalig 2002 im „Listen, Learn, Read On“ Boxset enthalten war. 2014 erschien auch ein CD-DVD-Set mit allen Aufnahmen in chronologisch korrekter Ordnung, keine Ahnung ob es das noch zu zivilen Preisen im Handel gibt.

Mit all diesen Aufnahmen ist nun auch klar, warum Smoke On The Water mit der Aufnahme vom 15.8. vertreten ist: Am 16.8. verspielte sich Ritchie Blackmore beim Eröffnungsriff leicht, und am 17.8. verspielte er sich richtig heftig. Ansonsten halte ich die Aufnahmen vom 17.8. für die stärksten, weil sich die Band richtig eingegroovt hat und man auch mehr vom Publikum mitkriegt. Der allercoolste Moment des Albums ist jedoch ganz am Ende von Space Truckin‘. Da gibt es eine Stelle von ungefähr 8 Sekunden purer Stille – man könnte die sprichwörtliche Stecknadel fallen hören, wenn denn eine runterfiele. Ich kann mir dazu nur vorstellen dass da grade Zehntausend Japaner mit offenem Mund vor der Bühne stehen und erstmal realisieren müssen, dass die Tour de Force der letzten 20 Minuten plötzlich und unvermittelt ans Ende gekommen ist, bevor dann frenetischer Jubel aufbrandet.

Das Album verkaufte sich, sehr zur Überraschung der Band, nicht nur gewaltig gut, sondern es ebnete auch den Weg für andere große Livealben der 70er Jahre: Judas Priest, die Scorpions und Cheap Trick nahmen in Japan Livealben auf. Kiss, Queen, Status Quo, Thin Lizzy, UFO und einige andere veröffentlichten legendäre Livemitschnitte. Bis heute gilt das Album als eine der besten – wenn nicht die beste – Liveaufnahme von Deep Purple (und das bei der unüberschaubaren Anzahl von Livealben die es von ihnen gibt). Und vielleicht waren diese drei Konzerte in Japan die rockgeschichtlich wichtigsten Konzerte überhaupt – auf einer Ebene mit Woodstock, dem ersten Fernsehauftritt von Elvis, Live Aid und ähnlich epochalen Bedeutsamkeiten.

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