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Album der Woche

9. April 2022, 11:43 Uhr von Uwe

Da passt man mal ein paar Sekunden nicht auf und schon ist eine Woche rum. Und dann wacht man mitten in der Nacht auf und denkt sich so in der Stille „da war doch noch irgendwas…“. Irgendwann gegen morgens halb vier fällt es einem dann ein, dass es im Blog schon die ganze Woche zu ruhig war und es noch gar kein Album der Woche gab. Das ist so natürlich kein Zustand und wird deswegen nun umgehend nachgeholt.

Das Album der Woche ist 25 Jahre alt und kommt aus Deutschland. Kennengelernt hab ich es ungefähr vier Jahre später durch meinen damaligen Studien-WG-Mitbewohner. Und danach dauerte es nochmal ungefähr vier/fünf Jahre bis es klick gemacht hat und ich die Musik verstanden habe – ziemlich konkret Ende Januar 2006 bei einem Spaziergang durch den schneebedeckten Chemnitzer Stadtpark. Wobei, so ganz stimmt es nicht, einen Titel davon hatten wir schon beim Abi irgendwie am Wickel. Damals hinterließ die Musik bei mir aber noch keinen bleibenden Eindruck.

Auf jeden Fall passt die Einleitung gut zum Titel des Albums, denn es heißt schlicht „Stille“ und stammt von Lacrimosa. Das ist ja nun weniger Band als Projekt von Komponist und Sänger Tilo Wolff, der alles von E-Gitarre über Chorgesänge bis hin zum klassischen Orchester in einen Topf wirft und kräftig umrührt. Heraus kommt dann, gepaart mit den üblicherweise deutschen Texten eine ausgesprochen eigenständige und unverwechselbare Musik. Er beschäftigt sich dabei oft mit den Schattenseiten des menschlichen Seins, eine gewisse Nähe zur Goth-Szene ist dabei nicht verwunderlich. Auf jeden Fall ist es nur selten was für Gelegenheitshörer, die Musik erfordert genaues Hinhören.

Insgesamt finden sich auf dem Album – wie üblich mit schwarzweiß gezeichnetem Cover – acht Stücke mit insgesamt über 70 Minuten Laufzeit. Die kürzeste Nummer kommt bereits auf deutlich über fünf Minuten, zwei Stücke knacken die 10 Minuten und das Grande Finale braucht mal eben eine Viertelstunde, um zur vollen Entfaltung zu kommen.

Das Album wird gleich mal mit dem Zehnminüter Der erste Tag eröffnet. Dieser beginnt mit klassischer Instrumentierung, bevor nach zwei Minuten das Schlagzeug dazukommt. Die erste richtig verzerrte Gitarre mischt nach vier Minuten mit und nach fünfeinhalb Minuten kippt die bis dahin getragene sakrale Stimmung in eine schnelle Heavy Metal Nummer mit Orchester Unterstützung. Kann man mit einigen Stücken von Nightwish oder auch mit den Orchesterwerken von Rage vergleichen.

Das folgende Not Every Pain Hurts wird vom Gesang von Anne Nurmi getragen. Die Instrumentierung ist ausgesprochen sparsam, das Stück sehr getragen und schwelgerisch. Mit etwas über fünf Minuten ist es das kürzeste Stück auf dem Album. An dritter Stelle steht Siehst du mich im Licht, das mit einem düster treibenden Gitarrenriff losmarschiert, welches vom Orchester umspielt und unterstützt wird. Tilo packt die aggressive Stimme aus, und insgesamt geht es reichlich sieben Minuten lang recht geradlinig metallisch zur Sache, von einem kurzen Klassik-Intermezzo abgesehen. Irgendwie ähnlich, aber dann doch wieder ganz anders kommt danach Deine Nähe aus den Boxen gekrochen. Das Stück dehnt sich auf elf Minuten aus und variiert mehrfach Tempo und Instrumentierung, beginnend mit einem sparsam instrumentierten Intro, in der Mitte wieder heftig riffend, und statt viel Orchester hört man hier in erster Linie Akzente vom Klavier (neben einem heftigen Gitarrensolo).

Den fünften Titel überspringen wir hier mal, weil man sich das Beste ja bis zum Schluss aufhebt 😉 Weiter geht es also mit Mein zweites Herz, was zunächst mal irgendwie nach Spielesoundtrack der frühen 90er klingt (irgendein Adventure wie Day Of The Tentacle oder so). Hier kommen auch Bläser zum Einsatz, bevor das gesamte Orchester einsetzt. Die Bläser erzeugen einen Eindruck wie in einem klischeehaften Film, der in einem Pariser Bistro spielt. Dafür verzichtet die Nummer komplett aufs Schlagzeug und kommt dementsprechend düster und schleppend daher. Das glatte Gegenteil ist das folgende Make It End. Dieser Sechsminüter dürfte die aggressivste Nummer des Albums sein. Viel verzerrte Gitarre und Wechselgesang von Tilo und Anne prägen das Stück.

Den Abschluss des Albums bildet schließlich der Viertelstünder Die Straße der Zeit. Die Nummer beginnt mit einem sakral klingenden Chor, gefolgt von düsteren Strophen, nur begleitet und gestützt vom Orchester. Der Erzähler wandert hierbei durch die Zeit zurück, jede Epoche kommt dabei mit einem eigenen musikalischen Schwerpunkt daher. Die Instrumentierung wechselt dementsprechend zwischen Orchester und elektrischer Gitarre, zwischen Chorgesängen und dem Wehklagen des Sängers über den Zustand der Welt. Nach gut zehn Minuten folgt ein rein orchestrales Zwischenspiel bevor das Stück zum Grande Finale furioso mit einem für die Band eher untypisch positiven Ausklang ansetzt.

Das wichtigste und vielleicht bekannteste Stück des Albums ist trotzdem Stolzes Herz, dass in einer völlig verstümmtelten gekürzten Version auch als Single veröffentlicht wurde. Einem ruhigen Pianointro folgt eine ebenso instrumentierte erste Stophe. In der Überleitung zum Refrain steigt das Schlagzeug ein, bevor der Refrain mit aller Macht über den Hörer hereinbricht. Die zweite Strophe – wenn man es so nennen will, klassische Songstrukturen gibt es ja eher nicht – wird nun zusätzlich von elektrischen Gitarren untermalt, bevor ein instrumentales Zwischenstück einsetzt, welches teilweise an die minimalistischen Klangspielereien der Frühwerke erinnert. Von diesen löst man sich durch ein harsches Gitarrenriff, dass zurück zum Refrain führt, der ebenso wie bei Die Straße der Zeit einen ungewohnt hoffnungsvollen Unterton hat: „Mit blutverschmierten Händen, mit einer Träne im Gesicht, einem Lächeln auf dem Lippen und der Hoffnung tief im Blick aufzustehen auch aus dem Dreck, tief beschmutzt und stolz im Herz“. Vermutlich war es genau das, was damals bei mir so klick gemacht hatte, denn es passt wunderbar wenn man gerade in einer persönlich vertrackten Situation steckt und am Ende vom Licht noch zu viel Tunnel übrig ist.

Fazit: Gute Scheibe, nicht die beste im Katalog (das ist meiner Meinung nach „Elodia“), aber allein wegen Stolzes Herz den Kauf wert.

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