Kategorien

Archive

Kalender

Februar 2022
M D M D F S S
 123456
78910111213
14151617181920
21222324252627
28  

Album der Woche

10. Februar 2022, 19:13 Uhr von Uwe

Diese Woche gibt es nicht nur ein Album, sondern drei Alben, die aber wie üblich von der gleichen Band stammen. Diese Band zeichnet sich durch ein relevantes Alleinstellungsmerkmal aus und hat außerdem einen für ungeübte Sprecher äußerst zungenbrecherischen Namen.

Die Rede ist von Jethro Tull, und bei der letzten Besprechung eines ihrer Alben (der Klassiker Aqualung von 1971) bin ich bereits auf dem Thema Flötentöne herumgeritten. Besagte Flötentöne kommen zumindest bei zwei der drei Alben auch gut zur Geltung. Aber der Reihe nach.

Auf die Besprechung des ersten Albums freu ich mich schon seit Wochen, weil es so herrlich britisch skurril ist. Ich mein, wer bastelt als Verpackung seines Albums eine ganze Zeitung, die dann die Texte und weitere Infos zum Konzept des Albums und jede Menge sinnlose weitere Artikel enthält? Richtig, keiner. Das Album ist dabei nicht nur ein Höhepunkt der klassischen Frühsiebziger Prog-Geschichte (auf gleicher Ebene wie die Werke von Genesis mit Peter Gabriel). Achso, es geht – der Kenner hats vielleicht erraten – um Thick As A Brick von 1972.

Auf der Scheibe treibt man das Thema Konzeptalbum auf die Spitze und zieht es gleichzeitig durch den Kakao, dass es eine Freude ist. Es gibt genau zwei Titel, einen pro LP-Seite, passenderweise als Part I und Part II bezeichnet. Und wenn man damals schon die Möglichkeiten heutiger Zeit gehabt hätte, wäre der Übergang im Mittelteil vermutlich auch eleganter geworden. Aber das ist Meckern auf hohem Niveau, das Album ist auch 50 Jahre nach Erscheinen ein absolutes Highlight und Meisterwerk, wobei es natürlich schwierig ist einzelne Teile herauszuheben – insgesamt ist die erste LP-Seite zugänglicher und besser strukturiert, die verschiedenen Themen und Melodien werden vorgestellt und später aufgegriffen und verfremdet, bleiben dabei aber stets nachvollziehbar. Auf der zweiten LP-Seite wirds dann manchmal etwas chaotischer und die Übergänge zwischen den Teilen sind nicht ganz so flüssig. So oder so ist das Album eine Wundertüte, an der ich mich auch nach knapp 30 Jahren, die ich das Album nun schon kenne, nicht satthören kann. Fazit: Wenn es nur ein Album der Band sein soll, dann definitiv dieses. (Und hier spielen ein paar Musikstudenten das ganze Album mal eben live im Studio).

Allerdings würde man dann weitere große Alben verpassen. Jethro Tull veränderten ihren musikalischen Charakter im Lauf der Zeit ziemlich drastisch. So ist Songs From The Wood von 1977 etwas akustiklastiger und wird oft als „folkig“ beschrieben, was aber in erster Linie auf die lyrischen Inhalte zutrifft, und nur sehr rudimentär auf die Musik. Es ist nämlich schwerstens proggy und ein Fest für den geneigten Musiktheoretiker – so wechseln die Taktarten gerne mal je nachdem wie viele Silben der Text grad hat, was auch noch ironisch im Text aufgegriffen wird („join the chorus if you can“) – laut einer Analyse die ich im Netz gefunden habe findet man da „13/16, 5/8, 4/4, 7/8, drei 11/8-Takte, 3/4, 4/4, 3/4, 6/4“ (allein im Titelsong, nicht etwa verteilt auf alle Songs) – jo, Bruchrechnung für Freidenker. Ähnlich schräg ist Ring Out Solstice Bell, bei dem es textlich viel um die Zahl Sieben geht und dementsprechend ein 7/8-Takt zelebriert wird. Mit Pibroch (Cap In Hand) gibt es auch einen vertrackten Achtminüter auf der Scheibe.  Lediglich Fire At Midnight ist angedeutet folkig würde ich behaupten. Das Songwriting ist also durchaus spannend und überraschend. Zum Reinhören empfehlen sich das Titelstück und The Whistler. Fazit: Insgesamt fast gleichwertig mit Thick As A Brick.

Wiederum ganz anders präsentiert sich die Band weitere fünf Jahre später auf The Broadsword And The Beast. Das wird schon beim Cover deutlich, dass auch gut zu Blind Guardian oder ähnlichen Fantasy-Kapellen passen würde. Musikalisch gehts rockiger zur Sache, die Querflöte wird nur sehr verhalten ausgepackt. Neu hingegen ist der ausgedehnte Einsatz von Synthies. Musikalisch ist alles etwas zugänglicher und weniger vertrackt, wobei wir natürlich immer noch weit entfernt von simplen Popnummern sind. Das Titelstück kommt schwer getragen episch daher, Beastie ist düsterer Poprock, Flying Colours kommt flott rockend daher, ganz im Gegensatz zum gemächlichen Slow Marching Band (nomen est omen). Watching Me, Watching You basiert auf einem Sequenzerlauf und hört sich dementsprechend hektisch an (dafür hört man hier aber auch mal die charakteristische Flöte, die auf dem Album insgesamt unterrepräsentiert ist), während Pussy Willow gut ins Ohr geht. Fazit: Eleganter Rock mit einigen proggigen Einsprengseln, ich mags ziemlich, aber gegen die Klassiker aus den 70ern kommt es wohl kaum an.

Einen Kommentar schreiben