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Eine Zensur findet nicht statt

18. April 2009, 15:23 Uhr von Uwe

Gestern verkündete unsere Familienministerin, dass fünf große Internetprovider Verträge mit dem Bundeskriminalamt unterzeichnet haben, nach denen sie sich verpflichten, den Zugang zu bestimmten Webseiten zu unterbinden. Stattdessen soll eine „Stoppschild-Seite“ angezeigt werden. Welche Webseiten das betrifft, soll das BKA in einer täglich aktualisierten Liste festlegen. Als Grund für diese Maßnahme wird das „Massengeschäft“ mit kinderpornographischem Material angegeben.

Von diversen Seiten wird das ganze als „Schritt in die richtige Richtung begrüßt“, nur eine kleine Minderheit von „pseudo-bürgerrechtsengagierten Pseudo-Computerexperten“ (Zitat Hans-Peter Uhl, innenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion) kritisiert dieses Vorhaben aufs Schärfste. Und sie haben verdammt noch mal verdammt gute Gründe dafür:

Technische Unzulänglichkeit

Die Sperre soll über das DNS-System implementiert werden. Ich will nicht auf die Grundlagen von DNS eingehen, es geht aber im Prinzip darum, dass die Provider bei einer Anfrage zu einer Webseite wie www.example.com per DNS prüfen, welche IP-Adresse angesteuert werden muss. Und im Falle von www.blockierteseite.de gibt der DNS-Server statt der IP-Adresse der gesuchten Seite die IP-Adresse der Stoppschildseite heraus, so dass man dann dort landet. Nett gedacht, allerdings lässt sich dieses System kinderleicht umgehen:

Jeder Nutzer kann in seinen Systemeinstellungen festlegen, welchen DNS-Server er benutzen will, denn man muss ja nicht den nehmen, den der Provider standardmäßig benutzt. Also sucht man sich einen Server irgendwo im Ausland, trägt diesen ein und kann weiter ungestört auf die eigentlich gesperrten Seiten zugreifen. Im Internet gibt es inzwischen Videos, die zeigen, wie diese Umstellung durchgeführt wird, das dauert keine halbe Minute. Alternativ kann man die IP-Adresse (sofern bekannt) auch einfach direkt eingeben, dann braucht man die Anfrage beim DNS ebensowenig.

Am Ziel vorbei

Das Ansehen von kinderpornographischem Material soll verhindert werden. Schön und gut, aber da ist der Missbrauch ja bereits passiert. Es hilft den Opfern also überhaupt nicht, denn die Täter im Hintergrund bleiben unbehelligt.

Genausowenig hilft eine Stoppschildseite weiter: Um diese anzuzeigen, muss ja zwingend bekannt sein, dass die eigentlich angeforderte Seite einschlägiges Material enthält. Nur – wenn man das weiß, warum sorgt man nicht einfach dafür, dass der entsprechende Server abgestellt und das Material so tatsächlich vom Netz genommen wird?

Schwammigkeit

Ich surfe jetzt seit gut zwölf Jahren im Netz und habe dabei allerhand abartige Sachen gesehen, aber keine Kinderpornos. Gemäß der Zahlen, mit denen Frau von der Leyen hantiert, müsste man alle Nase lang über Seiten mit Kinderpornographie stolpern. Da ist die Rede von hunderttausenden Klicks täglich. Dabei ist weder mal klar gesagt worden, wie diese Zahlen zustande kommen (vielleicht sinds auch einfach nur die Suchmaschinen, die die Seiten indexieren), noch wurde überhaupt mal definiert, was hier unter Kinderpornographie verstanden wird: Gemäß der juristischen Definition können ja auch „anscheinsjugendpornographische“ Darstellungen darunter fallen, und das wäre z.B. schon gegeben, wenn ein Twen mit Zöpfen und Lolli posiert. Die Werke eines David Hamilton sind auch ein Beispiel, wo die Grenze nicht wirklich eindeutig zu ziehen ist.

Fehlende Transparenz

Die zu sperrenden Seiten werden vom BKA als Liste geführt. Schön. Nur, wer überprüft, ob das BKA seine Arbeit auch richtig macht und dort wirklich nur Seiten gelistet sind, die auch tatsächlich Kinderpornographie enthalten? Und wer sorgt dafür, dass geprüft wird, ob die Seiten entsperrt werden könnten, wenn das Material gelöscht wurde?

Die Fragen sind berechtigt, zeigen doch die Beispiele von Australien und Skandinavien (wo solche Filterlisten bereits genutzt werden), dass nur ein verschwindend geringer Bruchteil der Seiten tatsächlich Kinderpornographie bereitstellte. Das meiste waren „normale“ Pornoseiten, dazu kamen illegale Glücksspielangebote und diverse Seiten aus dem radikalen politischen Umfeld. Dummerweise sind diese Listen eigentlich geheim, d.h. keiner darf wissen, was dort eigentlich drinsteht. Und genau so soll das auch in Deutschland gemacht werden.

In einfachen Worten gefasst heißt das: Irgendwer beim BKA entscheidet, ob eine Seite gesperrt wird. Eine Überprüfung der Korrektheit des Eintrages ist nicht möglich, schließlich ist der Listeninhalt geheim. Wer über irgendwelche dunklen Kanäle doch an die Inhalte der Filterliste kommt und sich damit auseinandersetzt, macht sich automatisch verdächtig und gerät ganz schnell selbst ins Visier der Gesetzeshüter. Tja, aber was ist eine Sperrung von Inhalten ohne Überprüfbarkeit? Richtig, Zensur, und damit ist es ein Verstoß gegen das Grundgesetz.

Cui bono?

Tja, was also ist das Ziel? Verhinderung von Kindesmissbrauch ist es nicht, wenn der Dreck im Netz gelandet ist ist das ja bereits passiert. Verhinderung des Zugriffs auf derartiges Material kann es bei der leichten Aushebelbarkeit der Sperre auch nicht sein. Also bleibt nur eine Möglichkeit: Anhand des boulevardträchtigen Themas Kinderpornographie soll ein System etabliert werden, welches eine allgemeine Zensur des Internets ermöglicht.

Heute Kinderpornographie, morgen radikalislamische Seiten und alles, was irgendwie nach nackter Haut aussieht, übermorgen rechtsradikale Seiten, nächste Woche Chemieseiten (Sprengstoffe!) und zensurkritische Seiten, danach die Presse (wobei da ohnehin nicht mehr viel zu sperren ist, die blöken eh nur nach, was die Politiker erzählen) und schließlich alles, was der Meinung der herrschenden Kaste widerspricht. Natürlich immer schön scheibchenweise, damit keiner was merkt und dagegen sein kann.

Schlußbemerkung: Das Internet ist kein rechtsfreier Raum, und ich habe auch nicht das geringste gegen einen Kampf gegen Kindesmissbrauch und Kinderpornographie einzuwenden. Aber dazu muss man sie auch bekämpfen, und nicht einfach Stoppschilder drumrumbauen und weggucken. Damit ist den Opfern nämlich nicht geholfen.

6 Kommentare zu “Eine Zensur findet nicht statt”

  1. Tok

    Das spricht mir einfach mal sowas von aus der Seele. Habe nichts hinzuzufügen.

    (Mein Gott, nun benehme ich mich schon wie so ein Forum-Cheerleader, das nur hüpft und seine Pompoms schwingt und „Dafür!“ ruft.)

  2. Weasel

    Auf den Punkt gebracht!

  3. KeyJ

    Von der Sache her ist dem natürlich nichts hinzuzufügen, aber ich muss doch mal den Geek raushängen lassen und ein technisches Detail bemängeln: IP-Adresse direkt eingeben hilft bei HTTP nicht viel, da in der Regel mehrere Seiten auf dem gleichen Server gehostet werden und man nur dann die gewünschte Seite bekommt, wenn der Browser diese mit vollem (DNS-)Namen beim Server bestellt. So gelangt man z.B. mit http://217.160.128.101/ eben *nicht* zu http://uwe.s2000.ws/

  4. Uwe

    Ich hab damals bei Rechnernetzen nicht so aufgepasst 😉 Aber du hast natürlich recht, und es ist ein Grund mehr, warum dieser ganze Ansatz einfach nur total fürn Arsch ist.
    Gestern wurde ja ein Gesetzentwurf vorgestellt, bei dem dann auch gleich das Loggen aller Zugriffe der Stoppseiten mit drinsteht, damit man auch ja gleich feststellt, wer denn da egal warum und wieso so ein Stoppschild gesehen hat. Passendes Geschenk zum 120. Geburtstag… Man hat nichts draus gelernt.

  5. Rafayel

    Danke KJ, der IP-Link verzehnfacht sicher den Traffic auf meiner Seite. 🙂

  6. Weasel

    heute.de ist eines der wenigen Medien, das sich dazu mal äußert und Deine Ansicht ebenso vertritt: http://www.heute.de/ZDFheute/inhalt/16/0,3672,7558608,00.html

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