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Vom Wahlk(r)ampf und seinen Folgen

21. September 2005, 00:00 Uhr von Uwe

Letzten Sonntag war Bundestagswahl – ein guter Zeitpunkt, mal so ein paar allgemeine Gedanken im Bezug auf Politik und Politiker zu Papier zu bringen bzw. in die Tastatur zu hacken. Die Wahlen standen und stehen ja insgesamt unter keinem guten Stern – das geht bei dem umstrittenen Mißtrauensvotum gegen den Kanzler los und geht dann über das Gezeter über die Nachwahl in Dresden hin zum allgemein als unbrauchbar angesehenen Wahlergebnis.

Man muß den Politikern aber zumindest sportliche Qualitäten bescheinigen. Sie hetzten durch den Wahlkampf, als wäre der Leibhaftige hinter ihnen her und bewiesen Stehvermögen und Sitzfleisch in ausufernden Debatten, Diskussionsrunden und Interviews, alles für das erklärte Ziel, Deutschland nach vorne zu bringen, wo auch immer dieses ominöse vorne auch ist. Und eben weil das keiner so genau weiß, gibt es zwei Disziplinen, in denen Spitzenpolitiker wahrhaft Weltspitze sind und ansatzlos bei den olympischen Spielen teilnehmen könnten: Bodenturnen und Wassersport – immerhin beherrschen sie die Rolle rückwärts und auch das Rückwärtsrudern absolut meisterhaft.

Auch eine dritte Sportart müssen die Politiker wunderbar beherrschen – das Reden. Damit meine ich nicht, daß sie rhetorisch ein bissl was drauf haben sollten, das haben eh nur die allerwenigsten, nein, die eiserne Grundregel für politisches Reden ist, daß man möglichst nichts sagt. Die Aussagen, die man trifft, müssen so dehnbar sein wie Kaugummi, man darf sich ja um Himmels Willen nicht auf irgendwas konkretes festlegen, das könnte der Wähler ja später tatsächlich einfordern wollen.

Und genau das ist es, was mir an der Politik im allgemeinen so sauer aufstößt. Da wird geredet und diskutiert und gemacht und getan, und am Ende kommt eigentlich nix verwertbares bei raus. Die Standardeinstellung ist ja nicht ohne Grund das klare und entschlossene Jein. In der Wirtschaft kann sowas nicht funktionieren, da müssen Entscheidungen getroffen werden, denn wer dort zu spät kommt, den bestraft die Konkurrenz. In der Politik hingegen wird ein Problem entweder so lange breitgeredet, bis es keinen mehr interessiert, oder man sitzt es aus – Hauptsache man trifft keine Entscheidung, die möglicherweise die Wiederwahl gefährden könnte. Klar, ist ja auch wesentlich bequemer, in den Debatten einfach nur rumsitzen zu können und Zeitung zu lesen als mitzudenken oder sogar eine eigene Meinung dazu zu haben (und diese wenns hoch kommt auch noch zu äußern). Dafür wachen dann plötzlich alle auf, wenns um völlig unwichtige Dinge geht, wie zum Beispiel die Dekoration des Rednerpults…

Da nutzt es dann auch nix, daß Volk darauf einzuschwören, ja die richtigen Leute und die richtige Partei zu wählen, denn nur die richtige Partei kanns ja richten. Wahlkampf also aller Orten, man überbot sich wieder einmal gegenseitig mit Kundgebungen und natürlich auch beim Plakate kleben. Eine besondere Würdigung muß ich an dieser Stelle für das Wahlkampfteam von Frau Merkel loswerden, das könnte ansatzlos in die Werbebranche gehen, wahlweise für Faltencreme oder für Bildbearbeitungsprogramme – die Frau auf den Wahlplakaten hatte jedenfalls nur noch entfernte Ähnlichkeit mit Frau Merkel. Man kanns mit der Schönfärberei auch übertreiben. Daran zeigt sich aber wieder, daß es für Politiker aller Couleur vor allem im Wahlkampf wichtiger ist, in den Medien eine gute Figur zu machen als Wert auf ein schlüssiges Regierungskonzept zu legen.

Aus diesem schönen Grunde wurden auch die TV-Duelle eingeführt, bei denen sich die Spitzenkandidaten hinstellen und eine mehr oder weniger gute Figur beim Phrasendreschen machen. Zumindest war danach keiner wirklich schlauer als vorher. Vor lauter Wahlkampf wußten viele vermutlich gar nicht mehr, was eigentlich gewählt wurde und was das Ergebnis bedeuten könnte. Und so wählte das Volk… und die Politiker aller Parteien stellten sich anschließend hin und feierten ihre Wahlerfolge – die einen, weil sie erhebliche Stimmenzuwächse verbuchen konnten, die anderen weil sie es geschafft hatten, der regierenden Koalition die Mehrheit zu entreißen, die nächsten weil sie davon ausgegangen waren noch viel schlechter abzuschneiden. Gewonnen hatten also wie üblich alle, außer dem Wähler. Und laut entsprechenden Umfragen waren sich zwar alle befragten Wähler einig, die Richtigen gewählt zu haben, aber gleichzeitig waren auch alle unzufrieden mit dem Ergebnis. Was sagt uns das?

Also erstens sagt uns das, daß das Volk entweder klüger ist als die Politiker dachten, oder daß es noch bescheuerter ist als sie befürchteten, die Ansichten werden sich hier je nach Partei unterscheiden. Wie auch immer, das Wahlergebnis zeigt deutlich, daß keiner weiß wo es langgeht bzw. daß es niemand schaffte, das Volk klar von dem zu überzeugen, was man machen will. Klar, geht ja auch schwerlich, wenn alle das gleiche wollen, nur auf leicht unterschiedlichen Wegen. Großartige Veränderungen am politischen Kurs sind ja allein schon deshalb nicht drin, weil die Kassen leer sind, egal wer Finanzminister ist. Da kann man dann hier ein wenig an der Steuerschraube drehen, dort ein paar Vergünstigungen streichen, aber unterm Strich kommt immer das gleiche raus.

Erschwerend kommt hinzu, daß natürlich alle darauf bedacht sind, alles was auch nur ansatzweise unpopulär sein könnte weiträumig zu umfahren. Darum hört man politisch unkorrekte, aber treffende Äußerungen oftmals auch nur von irgendwelchen unbekannten Abgeordneten aus der zweiten oder dritten Reihe. Der auf die Aussagen folgende Sturm der Entrüstung sorgt dafür, daß der Abgeordnete parteiintern abgesägt wird und die Parteiführung weiß, daß sie das Thema nicht mehr ansprechen sollte, bis Gras über die Sache gewachsen ist. So geht natürlich nix vorwärts.

Im Übrigen kommt mir das Gezanke um die Regierungsbildung jetzt vor wie ein Streit von kleinen Gören im Sandkasten, alternativ kann man es auch Affentheater nennen. Partei A will nur mit Partei B, Partei B aber nur mit Partei C oder D, Partei E wird von allen schief angeguckt, und überhaupt waren sich alle einig, daß man mit seiner Festlegung auf mögliche Koalitionspartner richtig lag. Denn witzigerweise legten sich alle Parteien bereits vor der Wahl auf mögliche Koalitionspartner fest, mit denen sie Deutschland aus der Krise manövrieren wollten, also zu einem Zeitpunkt als eigentlich nur klar war, daß gar nichts klar ist. Da fragt man sich doch, ob die noch ganz richtig ticken – wie kann man schon vor der Wahl, also bevor die endgültigen Tatsachen bekannt sind, festlegen, was man machen wird? Das erinnert schwer an eine untergegangene Diktatur, in der das Protokoll der Volkskammersitzung schon im Wortlaut bei der Presse ankam, bevor die Sitzung überhaupt beendet war. Daß eine derartige Vorausplanung nicht funktionieren kann, sollte jedem Kind klar sein. Und dann wählt das Volk doch ganz anders als alle dachten, und schon machen wieder alle fleißig ihre Rolle rückwärts, weil es einfach nicht anders geht. Das freut zumindest die Pressefritzen, die jetzt lustige Rechenspielchen machen können und neue Wortkreationen wie „Jamaika-Koalition“ erfinden.

Aber eigentlich zeigt das ganze Hick-Hack doch nur allzu deutlich, daß es den Politikern nicht um das Wohl Deutschlands, sondern um die eigene Machtposition geht. Bei der Besetzung von Ministerposten entscheidet dann natürlich auch nicht die Kompetenz, sondern die Farbe der Socken oder wie gut man miteinander kann. Als Folge blockiert sich alles gegenseitig, damit ja nicht die eine Partei die Lorbeeren für etwas einfahren kann, was die andere Partei sowieso gemacht hätte, wenn sie ein halbes Jahr später die Wahl gewonnen hat. Ebenso läßt die Opposition die Regierungspartei natürlich sämtliche unpopulären Gesetze durchboxen, nur um nach der folgenden Abwahl die Regierung zu übernehmen und den gleichen Kurs fortzusetzen. Die Ergebnisse dieser allgemeinen kurzfristig orientierten Blockadepolitik sind deutlich spürbar: Egal ob bei der Essensausgabe in der Mensa oder an der Supermarktkasse oder in der Rush hour, nirgendwo gehts vorwärts, alles ist blockiert…

Von dieser Grundproblematik mal abgesehen ist das Wahlergebnis in der Tat nicht geeignet, irgendwas zu bewegen. Die einzigen mehrheitsfähigen Koalitionen wären die Elefantenhochzeit von SPD und CDU, was beide nicht wirklich wollen und womit man in den 60ern auch schon nicht besonders berauschende Ergebnisse verzeichnete. Die anderen Varianten sind allesamt Kombinationen aus drei Parteien, für die vermutlich viel zu viele Kompromisse bei der Koalitionsbildung eingegangen werden müßten als daß diese dann tatsächlich haltbar wäre. Würde aber gut zur Politik passen, immerhin ist die Haltbarkeitsdauer einer politischen Aussage in etwa so hoch wie die einer Eiskugel in der Sauna. Aber schließlich sind es ja üblicherweise auch keine Versprechen, sondern Versprecher…

Nunja, lösen wir uns mal von der aktuellen Wahl, die Nachwehen wird man sicherlich noch zu Weihnachten spüren, und wenn alles schiefgeht, dürfen wir uns (damit meine ich jetzt die Wähler) den ganzen Wahlkampfterror demnächst wieder antun. Zumindest hat die Wahl wieder einmal gezeigt, daß die Politiker zwar in einer Machtposition sitzen, aber eben auch erst, nachdem sie gewählt wurden. Und einmal alle vier Jahre (oder wie jetzt auch mal außer der Reihe) hat der Wähler eben gemeinerweise die Möglichkeit, allen Planungen einen Strich durch die Rechnung zu machen. Vermutlich wird sich schon so mancher Spitzenkandidat über das Volk geärgert haben, daß sogar zu blöd ist, die Kreuzchen an der richtigen Stelle zu machen…

Und selbst wenn das Volk es tatsächlich auf die Reihe kriegt, so zu wählen, daß eine stabile Regierung gebildet werden kann, heißt daß noch lange nicht, daß diese Regierung dann tatsächlich irgendwas bewegen kann. Die Mysterien der Gesetzgebung sind schließlich vielfältig, und so entscheidet dann meistens das Kompetenzgerangel zwischen Bund und Ländern oder die fehlende Mehrheit im Bundesrat, daß eigentlich doch alles beim Alten bleibt. Und selbst wenn sich alle einig sind, wie jetzt gerade erst beim Verteufeln der Ölkonzerne wegen der hohen Spritpreise muß sich noch lange nix bewegen, was wiederum zeigt, daß Politiker eigentlich gar nix zu bestimmen haben. Und darum ist es bei den großen Parteien im Grunde egal, welche grad am Ruder ist, die andere würde es auch nicht anders und somit auch nicht besser machen. Die einzige Möglichkeit, die da bleibt, ist das konstante Wählen der Opposition, damit wenigstens alle vier Jahre mal Bewegung in die festgefahrenen Strukturen kommt.

Im Endeffekt haben die Politiker doch auch gar keine Wahl, sie müssen sich in den enggesteckten Grenzen bewegen, die die Wirtschaft vorgibt. Und da ist klar, wer am längeren Hebel sitzt. Nicht umsonst hat sich irgendwann mal die Einsicht durchgesetzt, daß in der Politik viele zu finden sind, die es in der Wirtschaft zu nix gebracht haben. Da braucht man sich natürlich nicht über die Qualität der Politik zu wundern.

Nur um es abschließend nochmal ganz klar und deutlich zu sagen, damit hier keiner auf dumme Ideen kommt: Nein, ich bin kein Freund von einer Politik, in der Probleme nur breitgelabert werden, anstatt sie zu lösen. Allerdings gehöre ich nicht zu den Leuten, die der Wahl komplett fernbleiben, weil „eh sich so oder so nix ändert und man eh nix entscheiden kann“. Wer von seinem Wahlrecht keinen Gebrauch macht, hat auch kein Recht, sich anschließend über die Ergebnisse und die Regierungspolitik zu beschweren. Ebensowenig gehöre ich zu den Leuten, die aus Protest Parteien aus dem extremistischen Spektrum wählen – wohin derartige Irrungen führen, hat man zum Ende der Weimarer Republik deutlich gesehen, und da sollte man eine Wiederholung tunlichst vermeiden.

Bleibt also festzuhalten, daß Macht und politischer Einfluß verführerisch sind, darum dürften eigentlich nur Leute zur Wahl antreten, die glaubhaft machen können, daß sie gar nicht gewählt werden wollen, getreu dem Motto „Macht für den der sie nicht will“ – nur dann besteht die klitzekleine Chance, daß tatsächlich mal sinnvolle Politik gemacht wird und sich etwas ändert.

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