Kategorien

Archive

Kalender

Juni 2005
M D M D F S S
 12345
6789101112
13141516171819
20212223242526
27282930  

Vaya Con Tioz

20. Juni 2005, 00:00 Uhr von Uwe

Die letzten zwei Tage gehören in ihrer Art zu den intensivsten, die ich bislang erleben durfte. Und ich bin tierisch glücklich darüber, daß ich die Möglichkeit hatte, sie so zu erleben. Aber der Reihe nach, sonst kapiert hier keiner, um was es überhaupt geht: Am 17.6. und 18.6.2005 fand auf dem Eurospeedway Lausitz im Rahmen eines extra organisierten großen Festivals das Abschlußkonzert der Böhsen Onkelz statt.

Die am kontroversesten diskutierte Band Deutschlands zog damit einen Schlußstrich unter eine beispiellose Karriere. Sie haben alles erreicht: ohne großartige Werbung regelmäßig Platz 1 in den Charts, ausverkaufte Tourneen und eine fanatische Fanbasis. Da ist die Verlockung groß, einfach so weiterzumachen, halbgare Alben zu veröffentlichen oder sich damit zu begnügen, bei Konzerten die alten Hits zu spielen. Man soll aufhören, wenn es am schönsten ist – und genau das haben sie getan. Davor habe ich allergrößten Respekt.

Die Band hat ihren Entschluß, sich nach 25 Jahren aufzulösen, bereits im letzten Jahr bekanntgegeben. Es folgte das letzte Studioalbum und eine Abschiedstournee. Und im Oktober 2004 folgte die Ankündigung, mit einem großen Festival einen endgültigen Schlußpunkt zu setzen. Die über 100.000 Karten waren in weniger als einem Monat ausverkauft, ohne daß auch nur ansatzweise Werbung stattgefunden hätte oder Details über weitere Bands bekannt gewesen wären. Man vergleiche das mal mit anderen Festivals wie Rock am Ring oder dem Wacken Open Air, um die Dimensionen auch nur ansatzweise zu verstehen.

Banner

Ich hätte mich von alleine nie dafür entschieden, dorthin zu fahren, das war mehr oder weniger ein Zufall. Bei einem Mitstudenten mußte ein Mitfahrer absagen, und somit fragte er mich, ob ich nicht Interesse hätte. Da wär ich in dem Augenblick schön blöd gewesen, nicht zuzusagen. Und so starteten wir schließlich am 16.6. gegen 18 Uhr zu dritt (mein Kumpel Björn, sein Bruder Sören und meine Wenigkeit) in Richtung Lausitzring.

StaupartyWir hatten uns vorsorglich auf einen ordentlichen Stau eingestellt, wenn an einem Tag mehrere 10.000 Autos, Wohnmobile usw. an einer Autobahnabfahrt von der Autobahn wollen, dann läßt sich das einfach nicht vermeiden. Tatächlich erlebten wir dann einen Stau der anderen Art. Wir standen so etwa 4-5 km vor der Abfahrt, um uns herum nur andere Leute, die das gleiche Ziel hatten, ergo wurde erstmal eine große Stauparty aufgezogen, komplett mit Bier, Campingstuhl und lauter Musik. Sören stieg aus, rauchte erstmal eine und mußte sich dann plötzlich ziemlich beeilen, als es doch mal 500m weiterging… Alles in allem eine sehr entspannte Atmosphäre, auf der rechten Spur und dem Standstreifen standen die Autos der Fans, die linke Spur blieb für den restlichen Verkehr frei, das war also auch organisatorisch recht gut gelöst.

ZeltaufbauGegen 23 Uhr hatten wir dann endlich einen Zeltplatz zugewiesen bekommen, idealerweise konnten wir dort auch gleich das Auto mit parken. Einziger Nachteil – der Zeltplatz war der am weitesten vom Festivalgelände entfernte, aber wen interessieren in diesem Zusammenhang schon 4 km Fußmarsch? Nach dem etwas chaotischen Zeltaufbau (man hätte es vorher mal üben sollen, gell?) schlossen wir auch Bekanntschaft mit den Nachbarn auf der einen (aus der Plauener Ecke) und der anderen (aus Helmstedt) Seite. Und gegen halb ein Uhr morgens begaben wir uns dann so langsam auf den Weg Richtung Festivalgelände. Da war zwar kein Konzert am Laufen, aber mal gucken und einen Überblick beschaffen kann ja nicht schaden.

FrühstückTatsächlich brachte uns dieser Erkundungsgang dann am Merchandising-Stand vorbei, wo es die exklusiven Festival-Shirts gab. Da konnten weder Björn noch ich widerstehen – und im Nachhinein stellte sich heraus, daß die Shirts bereits am nächsten Morgen ausverkauft waren. Auf dem Rückweg kauften wir uns dann auch noch je eine Büchse des extra für das Festival abgefüllten Onkelz-Biers. Danach war dann aber auch Schluß, der Tag war ja bereits lang genug, ergo ging es dann so gegen halb drei Uhr morgens in den Schlafsack.

auf dem Weg zum FestivalgeländePlatz für 100.000 LeuteAn Schlaf war natürlich kaum zu denken, da rundherum entsprechende Unterhaltungen mit lautstarker Musikuntermalung liefen. Somit waren wir gegen sieben wieder auf den Beinen und stellten erstmal fest, wie der Zeltplatz bei Tageslicht ausschaut. Meine beiden Mitstreiter machten sich dann auf den Weg zum Festivalgelände, um sich die Autorennen im Rahmenprogramm anzusehen, ich nutzte die relative Ruhe, um noch ein paar Stunden zu pennen. Gegen 11 Uhr wurde ich dann von AC/DC aus dem Nachbarzelt geweckt, also gesellte ich mich dazu. Die Helmstedter Jungs waren recht locker drauf, hörten allgemein gute Musik (also nicht nur Onkelz, wie etwa 80% der restlichen Besucher). Damit konnte man dann den ganzen Nachmittag mit Fachsimpelei über alle möglichen Bands verbringen. Das Wetter war auch ok, zwar bedeckt, aber dadurch wenigstens nicht so extrem heiß. Björn und Sören stießen dann irgendwann auch wieder zu uns, ebenso ein nettes Mädel aus der Plauener Truppe, es war also ein recht entspannter und entspannender Nachmittag auf dem Zeltplatz.

MahlzeitGegen 16:30 machten wir uns so langsam auf den Weg Richtung Konzertgelände, schließlich spielten da bereits die ersten Vorbands. Als wir eintrafen, spielten gerade Sub7even. Mir sagte die Band nix, die Musik war auch nicht mein Fall, also einfach mal abhaken. Ein netter Gimmick war der plötzlich einsetzende leichte Regen, passend zum gerade gespielten Titel „Weatherman“. Eine kurze Umbaupause später betraten D:A:D die Bühne.

Diskussionen auf dem ZeltplatzDiskussionen auf dem ZeltplatzAusgeschrieben heißt das ja Disneyland After Dark, aber da hat eine nicht ganz unbekannte Firma was dagegen. Die Dänen fielen in erster Linie durch ihren Bassisten auf (bekleidet mit Lendenschurz und Centurio-Helm aus nem alten Sandalenfilm), wobei der Bass mit nur zwei Saiten auch recht nett anzusehen war. Die Musik, insbesondere natürlich ihr Hit „Sleeping My Day Away“, traf den Geschmack der Leute (und auch meinen), so daß da schon recht gute Stimmung war.

ZeltplatzatmosphäreZeltplatzatmosphäreDanach sollten Motörhead die Bühne betreten, allerdings verzögerte sich das etwas, weil der Truck irgendwo im Stau steckengeblieben war. Lemmy sollte dann per Helikopter eingeflogen werden. Kurze Zeit später wurde der landende Hubschrauber mit stehenden Ovationen bedacht. Die gesamte Verspätung summierte sich dann auf lediglich 15 Minuten und stellte kein Problem dar.

ZeltplatzatmosphäreDer Auftritt selber läßt sich mit einem Wort beschreiben: geil. Lemmy und seine beiden Mitstreiter zockten sich durch ein Set, daß sich gewaschen hatte (u.a. „No Class“, „Love Me Like A Reptile“, „Ace Of Spades“, „Overkill“). Die Ansagen dazu waren natürlich auch wie üblich kultverdächtig. Das einzige Problem dabei: Die Mehrheit der Fans hatte das kleine Einmaleins des Rock’n’Roll nicht gelernt, d.h. bis auf ein paar Leute jenseits der dreißig schien kaum einer Motörhead zu kennen. Mir hat der Auftritt aber definitiv sehr gut gefallen.

ZeltplatzatmosphäreDie letzte Band vor den Onkelz waren dann Machine Head. Musikalisch ist das nun überhaupt nicht meine Baustelle, aber die Art und Weise, wie sich die Band durch ihre ultraheftigen Songs prügelte, war schon beeindruckend. Inzwischen füllte sich auch der Zuschauerraum deutlich, da ja gegen 23 Uhr die Onkelz ihr vorletztes Konzert spielen sollten. Die Umbaupause wurde dann mit dem netten „Mädels aus dem Publikum lüften ihr T-Shirt“-Spielchen überbrückt. Lacher des Abends war dann ein Typ ziemlich weit vorn, der den Mädels zeigen wollte, was Man(n) in der Hose stecken hat. Am zweiten Abend war dann Gummipuppe „Helga“ der Lacher.

ZeltplatzatmosphäreDas Publikum forderte nun auch energisch die Onkelz auf die Bühne. Die ersten Introklänge von „28“ waren kaum erklungen, als auch schon alle kollektiv am Durchdrehen waren. Als dann Kevin zum eröffnenden „10 Jahre“ auf der Bühne erschien, kannte die Begeisterung keine Grenzen. Es wurde alles mitgesungen, geklatscht, und angefeuert ohne Ende. Die Band ließ sich nicht lumpen und spielte einen herrlichen Querschnitt aus den ersten 12 Jahren ihrer Karriere, also die Jahre bis 1992. Einzelne Songs rauszupicken ist in diesem Zusammenhang eh sinnlos, ein spezielles Highlight war allerdings „Der nette Mann“ (mit freundlichen Grüßen an die Bundesprüfstelle). Daneben gab es Klassiker wie „Kneipenterroristen“, „Nekrophil“, „Nichts ist für die Ewigkeit“, „Nur die Besten sterben jung“ und so weiter und so weiter.

Das schreibt sich jetzt hier so schön larifari hin, aber die Art und Weise, wie das alles abgefeiert wurde, kann man mit Worten kaum ausdrücken. Daß es auch für die Band etwas ganz besonderes war, merkte man spätestens bei „Wieder mal ’nen Tag verschenkt“, wo sich die Band erstmal kräftig verspielte und eine Pause einlegen mußte, um sich zu sammeln. Als wenn der reguläre Set nicht gereicht hätte, wurden im Zugabenblock (natürlich) nochmal alle Register gezogen. „Mexico“ wurde nach allen Regeln der Kunst abgefeiert und mit einem extra Konfettiregen versehen, und das finale „Erinnerung“ war ein grandioser Abschluß für ein wahnsinnig geiles Konzert.
Nicht ganz so grandios war der anschließende Stau auf dem Rückweg zum Zeltplatz, aber wenn eine hohe fünfstellige Anzahl von Leuten gleichzeitig durch eine recht enge Gasse will, dauert das halt. So konnte ich auf dem Rückweg gegen 4 Uhr morgens einen schönen Sonnenaufgang beobachten…

ZeltplatzatmosphäreDer Samstag begann dann mit Ausschlafen, d.h. wir entstiegen unseren Schlafsäcken so gegen 10 Uhr und gesellten uns dann wieder zu unseren Helmstedter Nachbarn. Wir saßen dann wieder den gesamten Nachmittag auf dem Zeltplatz herum, hörten Musik und verbrauchten hektoliterweise Sonnenmilch. Allerdings nutzte das bei dem wolkenlosem Himmel und den extremen Temperaturen nicht mehr wirklich viel, so daß ich am Abend so langsam Pommes rot-weiß ähnelte… Aber von solchen Kleinigkeiten läßt man sich nicht abhalten, wenn es um das letzte Konzert der Onkelz geht, ergo ging es dann wieder so gegen halb fünf Richtung Bühne, denn dort waren bereits hochkarätige Vorbands am Spielen.

ZeltplatzatmosphäreDie erste Band, die wir mitkriegten, waren J.B.O. Die sind in Deutschland ja richtig bekannt, vor der Bühne war also auch schon entsprechend viel Andrang, es war deutlich mehr los als am Vortag zur selben Zeit. J.B.O. waren natürlich auch prima drauf und spielten ein klasse Best-Of-Set, verarschten wie üblich so ziemlich alles und jeden und verdienten sich damit einen dicken Applaus.

Nach dieser Spaßgranate betraten die Jungs von In Extremo die Bühne. Normalerweise stehe ich überhaupt nicht auf deren Musik, aber im Liverahmen kam das Zeug für mich überraschend gut rüber. Viele andere waren noch wesentlich begeisterter, die Band wurde also mit viel Applaus verabschiedet. Ich begab mich in der Umbaupause weiter nach vorne, denn die folgenden Bands, namentlich Rose Tattoo und Children Of Bodom, wollte ich mir schon etwas genauer angucken.

ZeltplatzatmosphäreDummerweise trat bei Rose Tattoo genau das gleiche ein wie bei Motörhead einen Tag zuvor. Die wenigsten Fans, ein paar ältere Semester ausgenommen, konnten mit der Band etwas anfangen. Mir hingegen gefielen die oberamtlichen Ansagen von Chefpriester „Angry“ Anderson, der eindeutig im Namen des Herrn und der Mission Rock’n’Roll unterwegs war. Die heftig genuschelten Ansagen konnte dummerweise kaum einer verstehen, und diejenigen, die es verstanden, hatten deswegen noch lange nicht den Sinn kapiert. Egal, ich freute mich wie ein Schneekönig über Hymnen wie „Rock’n’Roll Outlaw“, „Nice Boys (Don’t Play Rock’n’Roll)“ oder „Rock’n’Roll Is King“.

ZeltplatzatmosphäreNoch mehr hätte ich mich auf Children Of Bodom gefreut, dummerweise hatte dort irgendeine Pappnase beim Umbau sämtliche Lautsprecher abgesehen von denen direkt an der Bühne abgestellt. Somit kam bei mir weiter hinten nur noch ein besserer Wohnzimmerpegel an, und da konnte die ansonsten geniale Musik nix mehr reißen. Das war für die Finnen natürlich äußerst schade, doch was nutzt ein perfekt ausbalancierter Sound, wenn er einfach mal zu leise ist? Die Band selber holzte sich dennoch in einer wahnwitzigen Art und Weise durch ihr Set und sorgte zumindest bei den Leuten ganz vorn für reichlich Aktion.

Auch die ersten paar Titel des finalen Onkelz-Konzerts litten unter diesem Lautstärkeproblem, was prompt zu „Lauter, lauter“-Sprechchören führte. Das Konzert selbst war dann jedoch wieder der absolute Wahnsinn. Ein letztes Mal bewiesen die Onkelz, wer die beste Rockband in Deutschland ist. Songs wie „Hier sind die Onkelz“, „Terpentin“, „Auf gute Freunde“ und „Superstar“ führten zu wahren Begeisterungsstürmen. Davon abgesehen enthielt das Set einige schöne Überraschungen, so zum Beispiel das ultraintensive „Koma (eine Nacht die niemals endet)“ oder auch „Der Platz neben mir“. Die endgültigen Highlights songtechnisch waren dann „Finde die Wahrheit“, bei dem noch einmal 110.000 Fans die Arme emporreckten, „Feuer“ mit den passenden Spezialeffekten und „Keine Amnestie für MTV“.

MerchandisingDamit war man nun schon mitten im Zugabenblock, und gegen 1:45 Uhr war unwiderruflich die Zeit zum Abschiednehmen gekommen. Die Band war sichtlich beeindruckt von der ganzen Situation, und Stephan hatte ziemliche Mühe, eine kurze Dankesrede zu formulieren, ohne die Beherrschung zu verlieren. Wie schon bei einigen Konzerten der letzten Tour kniete das Publikum ein letztes Mal vor der Band nieder und stimmte „Wir danken Euch!“-Chöre an.

Man kann diese eigenartig melancholische Stimmung nicht mit Worten beschreiben, als der letzte Titel „Ihr hättet es wissen müssen“ gespielt wurde. Alle Fans hatten mindestens einen Kloß im Hals und feuchte Augen, viele weinten auch hemmungslos. Und somit war am 19.6.2005 gegen zwei Uhr morgens der Schlußpunkt unter ein sehr wichtiges Kapitel der deutschen Rockmusik gesetzt, als die Fans zu den Klängen von „Baja“ mit einem großen Feuerwerk verabschiedet wurden.

Danach ging es ziemlich ruhig zurück zum Zeltplatz, man war einfach zu sehr damit beschäftigt, das zu verarbeiten, was man da gerade miterlebt hatte. Wir drei beschlossen, noch kurz zu schlafen und dann gegen sechs Uhr morgens aufzubrechen. Das taten wir dann auch, und das klappte wider Erwarten auch völlig reibungslos ohne sämtliche Staus, so daß wir bereits vor neun Uhr wieder in Chemnitz waren. Der erste Weg führte mich dann unter die Dusche, den ganzen Staub vom Zeltplatz runterwaschen, und danach ins Bett, den fehlenden Schlaf nachholen. Der fette Sonnenbrand, den ich mir eingefangen hatte, meldete sich erst am nächsten Tag, dafür dann aber so richtig…

Fazit: Es fehlen einem die Worte, das ganze Festival adäquat zu beschreiben. Die Konzerte waren erste Sahne, die gesamte Organisation war bis auf kleinere Probleme aufgrund der schieren Menge der Leute auch ok. Wenn man bedenkt, daß das Festival größer war als Rock am Ring, und daß sich Rock am Ring über Jahre hinweg entwickelt hat, anstatt von 0 auf 100.000 zu gehen, kann man nur den Hut ziehen vor der logistischen Leistung, die da vollbracht wurde. Einen Eindruck von der ganzen Sache kann man sich auf diversen Fotoseiten machen, z.B. auf der Galerieseite vom Lausitzring.

„Ich erinnere mich gern an diese Zeit, eine Zeit die man nie vergißt.“

DANKE!

Einen Kommentar schreiben