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Gedanken zum Tode des Papstes

8. April 2005, 00:00 Uhr von Uwe

Ich beschwerte mich ja erst beim letzten Eintrag hier über das miese Fernsehprogramm an den Osterfeiertagen – wenn ich geahnt hätte, zu welchem Trauerspiel sich eine Woche drauf der Tod von Papst Johannes Paul II. entwickelte, hätte ich die Klappe gehalten. Dank der intensiven Berichterstattung war also selbst dem letzten Ignoranten (so wie mir) bekannt, daß es mit der päpstlichen Gesundheit rapide bergab geht, aber daß dann auf allen Sendern täglich mehrfach Sondersendungen gebracht werden mußten, die einem dann doch nur in Holzmichl-Manier „ja, er lebt noch“ bestätigten, das war dann echt zu viel des Guten. Es ist doch pervers, wenn sich alle Arten von Medienvertretern in Rom versammeln, nur um dann möglichst als erste zu berichten, daß es nix Neues zu berichten gibt.

Als es dann tatsächlich etwas Neues zu vermelden gab (der Papst ist gestorben), wurde der Samstagabend-Spielfilm unterbrochen und das Programm endgültig auf den Kopf gestellt – außer auf Pro7, aber die bewiesen mit der Ausstrahlung von „Stirb Langsam“ sowieso sehr viel schwarzen Humor. Allerdings muß ich ganz ehrlich sagen, daß ich einen Film schon ganz gerne bis zum Ende angucken will, anstatt auf die Minute genau zu erfahren, was auch 20 Minuten später, also nach Filmende, noch hätte gesagt werden können – das war ja nicht wie beim Mauerfall, als die Nachrichtensendungen der Realität sowieso nur noch hinterherhinken konnten. Abgesehen davon hätte es ein eingeblendeter Lauftext ja auch getan, wie es schon den ganzen Film über als Werbung für andere Filme gemacht wurde – der interessierte Zuschauer hätte ja nur auf einen anderen Sender umschalten brauchen, um sich weitergehend zu informieren.

So, und wer nun dachte, der Spuk hätte damit ein Ende gehabt, der hatte sich leider getäuscht. Die ganze Woche über hagelte es auf allen Sendern Nachrufe, Vorstellungen von möglichen Nachfolgern, Gesprächsrunden und Wiederholungen der ganzen Sache. Nicht zu vergessen natürlich ständige Sonderberichte aus Rom, wo sich Millionen Menschen stundenlang die Beine in den Bauch standen, um einen kurzen Blick auf den Leichnam zu erhaschen. So beeindruckend es zu sehen ist, daß der Tod des Papstes so vielen Menschen nahegeht, so stellt sich trotzdem die Frage, was diese Menschenmenge wohl hätte bewegen können, wenn die alle stattdessen nur je eine Minute lang etwas Gemeinnütziges gemacht hätten. Mit Trauer hatte dieses Schlangestehen für meine Begriffe jedenfalls nichts zu tun, das hatte eher was von einem Rockkonzert.

Immer wieder wurde ja auch darauf hingewiesen, daß gerade viele junge Menschen vom Tod des Papstes berührt worden wären. Das ist aber auch kein Wunder, er war 26 Jahre im Amt, viele Jugendliche (mich eingeschlossen) haben noch keinen anderen Papst erlebt, und mit seinen unumstößlichen Ansichten, egal für wie katastrophal man sie halten mag, ist er natürlich in Zeiten verfallender Werte eine gern gesehene Identifikationsfigur. Für viele Jugendliche gehört der Papst zur Popkultur wie Coca-Cola und McDonalds. Doch auch das hat alles nichts mit Kirche, Glaube, Religion oder was auch immer zu tun.

Das Hauptproblem des medialen Ausnahmezustandes jedoch war die völlig unkritische Berichterstattung. Es gab keinerlei neue Erkenntnisse zum Wirken des Papstes oder gar eine kritische Auseinandersetzung mit seiner Person (man soll zwar nicht schlecht über Tote reden, aber gewisse existierende Streitpunkte konsequent totzuschweigen bringt auch nichts) – alle Sender machten einen auf Wiederkäuer und wiederholten sich gegenseitig. Diese undifferenzierte Lobhudelei geht einem ja schon beim ersten Mal kräftig auf den Zeiger, aber dann wurde das ja im Verlauf der ganzen Woche nicht spürbar besser… Heute wurde der Papst nun schließlich und endgültig zu Grabe getragen, die versammelte Polit-Prominenz war anwesend, Rom war hermetisch abgeriegelt, und abschließend waren sicherlich einige der Helfer und Einsatzkräfte froh, daß ein Papst nur einmal stirbt.

Damit stehen einige Fragen im Raum, die mal geklärt werden müßten: Warum machen die Medien so ein Theater um den Tod eines alten Mannes? Und warum versammeln sich so viele Politiker zur Beerdigung, obwohl sie weder der römisch-katholischen Kirche angehören noch eine Politik nach den von dieser Kirche beziehungsweise dem Papst gepredigten Grundsätzen machen? Diese und noch ein paar andere Fragen zum Thema Glaube und Religion beschäftigten mich in der letzten Woche. Diese Sachen sponnen sich am Ende um drei Ecken weiter zu den Fragen, über die man nur nachdenkt, wenn man zuviel Zeit zum Nachdenken hat, bis hin zur Frage, was die Welt im Innersten zusammenhält.

Warum also machen die Medien so ein Theater? Gut, der Papst so ganz im allgemeinen hat ja als Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche eine außerordentlich bedeutende Position, sowohl in religiöser als auch in weltlicher Hinsicht, soviel ist unbestreitbar. Dieser spezielle Papst war nun seit 1978 in dieser einflußreichen Position und hat in dieser Zeit in vielerlei Hinsicht gewirkt, unter anderem spielte er eine Rolle beim Zusammenbruch des Ostblocks und war stets um ein friedliches Zusammenleben der verschiedenen Völker und Religionen bemüht.

Man kann ja durchaus behaupten, daß die katholischen Kirche mehr Einfluß auf die westliche Welt hat als es irgendein Politiker je haben wird. Die Kirche ist vergleichbar mit einem internationalen Großkonzern, ähnlich hierarchisch organisiert, und irgendwo auch auf Machterhalt bzw. -gewinn ausgerichtet. Und eben wegen dieses großen Einflusses haben Entscheidungen des Papstes eine ungeheure Wirkung, die sehr schnell in extrem schädliche Formen umschlagen kann. Das Wirken der Kirche ist daher eine äußerst sensible Angelegenheit, und in der Vergangenheit gab es da bekanntermaßen einige grobe Verfehlungen.

Jedenfalls verkauft die Kirche ihre Botschaft, und gerade Johannes Paul II. bediente sich dabei sehr geschickt der Medien, mit dem Ergebnis daß er nicht mal in Ruhe sterben konnte, sondern stattdessen nun berichtet wird, er wäre nach einem finalen „Amen“ sanft entschlafen. Nunja, es ist eine nette Geschichte, passend zurechtgemacht für die Massenmedien, aber mit dem christlichen Glauben hat das nichts zu tun. Ich hätte es für besser gehalten, wenn der Vatikan sich da weniger populistisch verhalten hätte.

Nunja, wir alle machen Fehler, auch der Papst, obwohl gerne von der Unfehlbarkeit des Kirchenoberhauptes ausgegangen wird. Bei aller Einzigartigkeit, die ihm auch von den Medien zugesprochen wird, wird schließlich immer eins vergessen – auch ich bin einzigartig, so wie jeder andere Mensch auf dieser Welt. Insofern verstehe ich den ganzen Hokuspokus nicht, den die Medien da jetzt um seinen Tod machen. Er war ein alter Mann am Ende eines langen und für ihn sicherlich erfüllten Lebens, und schwer gezeichnet von langer Krankheit. Aber in der Zeitung liest man auch täglich „starb nach langer schwerer Krankheit“ – ohne daß da so ein Aufstand gemacht wird. Der Tod ist unausweichlich, und der Tod eines jeden Menschen ist meiner Meinung nach ein Verlust, egal ob es eine wichtige Figur des öffentlichen Lebens ist, ein 34jähriger Familienvater, ein naher Verwandter, oder 1000 Einwohner eines Fischerdorfes, das von einer Flutwelle überrollt wird. Natürlich berührt der Tod einer derart bedeutenden Persönlichkeit wesentlich mehr Menschen als wenn ein unbekannter Obdachloser erfriert, trotzdem halte ich die Reaktionen insbesondere der Medien für völlig überzogen. Ich bezweifle auch, daß hierzulande eine ähnlich umfangreiche Berichterstattung stattfinden wird, wenn das chinesische Staatsoberhaupt im Sterben liegen sollte, obwohl das vielleicht viel direktere Konsequenzen auf den Verlauf der Geschichte in den folgenden Jahrzehnten haben könnte.

Ich denke damit hätten wir das Thema Papst und Medien vorerst abgekaspert und können zur Frage übergehen, warum nun Politiker aus aller Welt zur Beerdigung anwesend waren, und Prinz Charles seine Hochzeit verschoben hat (obwohl das eigentlich ein ganz eigenes Kapitel ist). So richtig will das in meinem Kopf nicht zusammen, daß Politiker wie der amerikanische Präsident, dessen Politik der Nächstenliebe im Irak überhaupt nicht den Segen des Papstes fand, nun vor dem aufgebahrten Leichnam kniet und betet. Das ist doch völlig bekloppt und bigott, denn George W. Bush ist ja kein Katholik, sondern Methodist. Der einzige sinnvolle Grund, den ich sehe, ist die bereits angesprochene Medienpräsenz – gerade der amerikanische Präsident braucht die Bilder mit dem Papst zur Beruhigung der Heimatfront. Und die Medien spielen natürlich mit, und so kommt es, daß sich Bush, Blair und andere Befürworter des Irakkrieges im Heiligenschein des Guten (in diesem Fall der Papst als Kriegsgegner) sonnen können. Mit der Trauer um eine bedeutende Person mit großem politischen Einfluß hat dies jedoch nichts zu tun. Andererseits zeigt die Teilnahme von Vertretern aller Glaubensrichtungen sowie zahlreicher Staatsmänner aus teilweise seit Jahrzehnten verfeindeten Staaten doch eine gewisse einigende Wirkung, und vielleicht trafen sich einige im Rahmen der Trauerzeremonie zu gemeinsamen Gesprächen über eine friedlichere Zukunft – zu hoffen wäre es.

Eine andere Sache, über die man in diesem Zusammenhang mal nachdenken kann, ist die Trennung von Religion und staatlicher Politik. In den meisten Ländern der westlichen Welt sind Staat und Religion grundsätzlich getrennt, aber davon war in der letzten Woche überhaupt nichts zu spüren. Heute, zum Tag der Beisetzung, waren alle Flaggen in Deutschland auf Halbmast (das ist ja auch so ein Schwachsinn, daß überhaupt nur dann geflaggt wird, wenn Halbmast angesagt ist), viele Fernsehsender, allen voran die staatlichen, überschlugen sich mit Live-Übertragungen, und in den Zeitungen sieht es auch nicht besser aus. Man kann echt den Eindruck gewinnen, wir würden in einem christlich-fundamentalen Gottesstaat leben. Nun gut, die Trennung von Staat und Religion existiert meiner Meinung nach ohnehin nur auf dem Papier: Zahlreiche Feiertage wie Weihnachten und Ostern entstammen dem christlichen Glauben, viele moralischen Grundwerte gehen darauf zurück, in vielen öffentlichen Gebäuden gerade in Süddeutschland hängen Kruzifixe, über die schon genauso wie über verschleierte Frauen prozessiert wurde – der Ausgang der Gerichtsverfahren ist bekannt. Der größte Witz in Bezug auf die Trennung von Staat und Religion ist und bleibt jedoch die Art und Weise der Finanzierung religiöser Gemeinschaften durch die Kirchensteuer. Von einer vollständigen Säkularisierung sind wir also weit entfernt, aber es ist natürlich auch unrealistisch, daß man die Weihnachtsfeiertage abschafft und den Arbeitnehmern dafür zwei Urlaubstage mehr gibt. Dies zeigt nur, wie tief unsere Wertvorstellungen in bestimmten religiösen Sachverhalten vewurzelt sind, man kann also durchaus sagen, daß eine vollständige Trennung von Staat und Religion gar nicht möglich ist.

Soviel also zum Thema Religion und Politik. Obwohl, eigentlich fehlt da noch ein wichtiger Punkt, nämlich die Politik des Papstes (und damit der römisch-katholischen Kirche), denn er setzte nicht nur wichtige Akzente zur Aussöhnung zwischen den Weltreligionen und zur Völkerverständigung, er vertrat auch Standpunkte, für die er schon zu Lebzeiten heftig kritisiert wurde. Das geht bei der Verdammung von Verhütung los, setzt sich fort beim Thema Abtreibung und endet nach weiteren diskussionswürdigen Punkten wie Homosexualität bei der Rolle der Frau in Familie und Gesellschaft – um nur mal ein paar Sachen zu nennen. In diesen Fällen vertrat der Papst Standpunkte, die bestens ins tiefste Mittelalter gepaßt hätten, aber nicht ins beginnende 21. Jahrhundert. Es ist also kein Wunder, daß sich gerade in den Industrieländern immer weniger Leute mit diesen selbst innerkirchlich umstrittenen Standpunkten identifizieren können. Andererseits nimmt die Zahl der Gläubigen (im Sinne von Anhängern der von der katholischen Kirche vertretenen Standpunkte) in der dritten Welt zu, wo eine moderne Einstellung zur Familienplanung gerade wichtig wäre. Die konsequent reaktionäre Haltung des Papstes könnte dort noch verheerende Wirkungen zeigen.

Aber auch in unserer achso aufgeklärten westlichen Welt kann man immer wieder Fälle von religiösem Wahnwitz erleben. Vorreiter sind hierbei mit Sicherheit die Vereinigten Staaten. Nicht nur, daß dort in mehreren Bundesstaaten die Darwin’sche Evolutionstheorie aus den Lehrplänen entfernt wird (schließlich erschuf Gott die Erde, den Menschen und so weiter), da zanken sich dann auch Gerichte um das Schicksal einer Frau, die seit 15 Jahren mit irreparablen Hirnschäden im Wachkoma liegt. Die Eltern wollten sie aus christlicher Nächstenliebe (du sollst nicht töten) am Leben lassen, der Ehemann wollte ihr aus christlicher Nächstenliebe weiteres Leiden ersparen. Schließlich ließ man die Frau über zwei Wochen verhungern – da fragt man sich doch, jeder beschissene Massenmörder stirbt dank Giftspritze einen schnelleren und humaneren Tod (sofern es soetwas wie einen humanen Tod gibt). In diesem speziellen Fall kommt natürlich auch wieder die Rolle der Medien zum Tragen, die den Fall durch polarisierende Berichterstattung bewußt aufbauschten.

Das soll jetzt aber zum Thema Papst und Kirche reichen, wie man sieht habe ich mit dieser Form der organisierten Religion so meine Probleme, man muß da also auch strikt zwischen der Religion und einer darauf basierenden weltlichen Organisation trennen, denn nichts anderes sind Kirchen ja. Ich sehe nicht ein, warum mir eine derartige Organisation den Weg zu Gott zeigen soll und ich bestimmte Verhaltensregeln einhalten soll, die mir diese Organisation vorschreibt – man kann den Weg zu Gott auch ohne derartige Hilfen beschreiten. Das Dumme an der Sache mit derartigen Organisation und ihrer mehr oder weniger starken Ausrichtung hin zu weltlicher (materieller) Macht ist ja, daß Grundsätze der Religion oftmals verdreht oder gar ins Gegenteil verkehrt werden. So darf ich ungestraft sündigen, solange ich meine Sünden anschließend beichte und die Kirche mit einer kleinen Spende beehre und habe somit nichts von Gott zu befürchten – wenn das nicht scheinheilig ist, dann weiß ich auch nicht, wie ich das bezeichnen soll. Ebenso wurden in der Geschichte im Namen der Kirche (und damit angeblich im Namen Gottes) diverse Glaubensgrundsätze wie „Du sollst nicht töten“ mehrfach gebrochen – wie viele Kreuzzüge wurden noch gleich geführt? Und wie viele Frauen wurden im Mittelalter von der Inquisition als Hexen gefoltert und getötet?

Womit wir gleich beim nächsten Thema wären: der Tod, das Ende des Lebens, der Eingang in Paradies / Himmel / Hölle / die ewigen Jagdgründe / Walhalla beziehungsweise notwendige Bedingung für die Reinkarnation, je nachdem, was nach dem persönlichen Glauben eintreten wird. Ich glaube ja nun eher nicht daran, daß sich irgendein Teil von mir aus dem Sarg erhebt und gen Himmel schwebt, wie die Bibel das beschreibt. Genausowenig glaube ich daran, daß ich ins ewige Paradies mit seinen 72 Jungfrauen komme, wie es im Koran beschrieben steht (wobei sich da die Gelehrten nicht einig sind, ob das nicht vielleicht nur eine Mißdeutung der entsprechenden Suren ist) – aber da ich weder gläubiger Christ noch Moslem noch bekennender Anhänger irgendeiner anderen Religion bin, kann mir auch ziemlich egal sein, wie die Religionen das Geschehen nach dem Tod beschreiben.

Es ist noch niemand wieder aus dem Reich der Toten zurückgekehrt und hat stichhaltig belegen können, wie es denn nun tatsächlich ist. Da dies prinzipbedingt auch ziemlich unmöglich ist, muß man halt mal abwarten, ich werde es noch früh genug erfahren. Der Tod ist einfach ein notwendiger Teil des Lebens, auch wenn das Sterben in der westlichen Welt tabuisiert wird. Schwer ist es natürlich für die, die mit dem Verlust fertig werden müssen. Eine wie auch immer geartete Religion mag dabei helfen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang meiner Meinung nach eigentlich nur, daß man etwas hat, woran man glauben kann. Deswegen glaube ich aber noch lange nicht an wie auch immer geartete Götter (deren Existenz für mich nicht erwiesen ist), sondern an mich selbst und meine eigene Stärke und Persönlichkeit. Die kommt natürlich nicht aus dem Nichts, sondern aus meinem direkten Umfeld, also Familie, Freunde und so weiter. Wenn dies nicht funktioniert, kann eine Religion durchaus als praktikabler Ersatz funktionieren, das will ich nicht bestreiten. Doch auch dies hat noch lange nichts mit irgendeiner organisierten Religionsgemeinschaft im Sinne einer Kirche zu tun.

Ich habe also nix gegen den christlichen oder einen beliebigen anderen Glauben. Das soll jeder halten wie er will, solange er mich damit in Ruhe läßt und nicht versucht, mich in irgendeiner Form zu missionieren. Ich mach das für mich auch so wie ich das für richtig halte, und die Meinung von anderen bezüglich eines Richtig oder Falsch ist mir egal – zumal es in dieser Frage kein Richtig oder Falsch gibt: Richtig ist das, was einen glücklich macht. An irgendeinem Ende folgt man ja doch dem ein oder anderen moralischen Wertgrundsatz, der als christlich eingestuft werden kann (wie zum Beispiel Teilen der 10 Gebote, ähnliche Gebote findet man aber auch in anderen Religionen). Beispielsweise soll man weder als Christ, Jude, Moslem oder Bürger der Bundesrepublik irgendwas klauen, was einem anderen gehört. An dieser Stelle hätten wir auch gleich den sehr wichtigen Unterschied zwischen Religion und Ethik festgehalten. Man muß also keineswegs daran glauben, daß Moses die zehn Gebote vom Berg Sinai herabtrug, um konform zu diesen Geboten oder zu anderen sinnvollen Verhaltensregeln zu leben.

Auch wenn man keiner Religion angehört (im Sinne von aktiver Ausübung derselben) lebt man also trotzdem nach gewissen Regeln, die die Gesellschaft sinnvollerweise zum besseren Zusammenleben festgelegt hat, und ohne diese geht es halt nicht (man kann ja mal versuchen, wie lange es sich ohne die Regel „Du sollst nicht quer über vielbefahrene Straßen laufen“ leben läßt – wobei es offensichtlich genug Rentner mit latenter Todessehnsucht bzw. dem Wunsch nach Erringung des Darwin Awards gibt, anders kann ich mir nicht erklären, warum sie an der Zentralhaltestelle dauernd die Busfahrer zu Vollbremsungen nötigen).

Aber warum zum Kuckuck glauben Menschen überhaupt an etwas wie Gott, also mal unabhängig von der Manifestation desselben? Die übliche Erklärung beinhaltet die Urmenschen und den berühmten Blitz, der das Feuer brachte. Da man damals noch keine bessere Erklärung hatten, mußte also da oben im Himmel ein übermenschliches Wesen existieren, welches den Blitz runtergeschmissen hat. Diese Erklärung ist einfach, jeder verstehts, und der Priester / Schamane / Medizinmann war plötzlich superwichtig und hatte Macht und Einfluß.

Mehrere zehntausend Jahre später hatte man dann nicht nur einen ganzen Olymp voller Götter in Griechenland, jede Menge in Stein gemeißelte gottesanbeterische Symbole in Ägypten, und einen Haufen anderer Götzenbilder von Südamerika bis in den Dschungel von Indien sowie die großen monotheistischen Weltreligionen und verschiedenste Weltanschauungen im Fernen Osten, man hat auch eine ganz banale wissenschaftliche Erklärung, wie Blitze zustandekommen.

Nun gehen wir also einen Schritt weiter und abstrahieren noch ein wenig mehr: Wir haben ein Ereignis, für das wir keine Erklärung haben. Nun können wir entweder glauben „Gott wars“ (oder irgendeiner von vielen Göttern, oder die Macht, oder irgendwas anderes in der Art), wir können aber auch sagen „Also, das mit dem Blitz, das ist so: Wir haben … “ und an diese Erklärung glauben. Nach Ockham’s Rasiermesser neige ich eher zur wissenschaftlichen Erklärung. Analog dazu können wir viele weitere Phänomene auf wissenschaftlicher Basis begründen – aber eben auch nicht alle. Vielleicht dauert das noch lange, bis wir für bestimmte Dinge eine wissenschaftliche Erklärung haben, vielleicht werden wir für bestimmte Phänomene niemals eine derartige Begründung finden können, vielleicht findet sich sogar irgendwann ein wissenschaftlich fundierter Beweis, daß es etwas wie auch immer geartetes gibt, was man als göttlich bezeichen kann – das läßt sich ja nicht einfach ausschließen. In diesem Punkt unterscheidet sich die Wissenschaft nicht von jeder anderen Religion: Sie erklärt uns Dinge, die wir nicht verstehen, wahlweise mit einem einfachen „Gott wars“ oder eben ein wenig komplexer. Und nun kann sich jeder seinen Reim drauf machen.

Für mich persönlich sieht der Reim ganz einfach aus: Es konnte mir bisher noch keiner beweisen, daß es irgendeine übernatürliche Erscheinung gibt, die all das getan hat, wofür sie von den verschiedenen Religionen verantwortlich gemacht wird. Es konnte mir aber auch noch niemand schlüssig beweisen, daß es etwas derartiges nicht gibt. Oder mit anderen Worten: Es ist nicht auszuschließen, daß der Glaube an irgendetwas Berge versetzen kann, aber nach meiner bisherigen Erfahrung ist ein Bagger dafür besser geeignet.

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