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Wer schön sein will muß…

7. Februar 2005, 00:00 Uhr von Uwe

…ja, was muß man? Leiden? Sicher, ohne ein wenig Quälerei kriegt man keinen sportlich gestählten Körper, den die anderen bestaunen können. Aber braucht man den denn überhaupt? Offenbar schon, wird doch in den Medien ständig darauf hingewiesen, daß schöne Menschen mehr Geld verdienen, mehr Erfolg beim anderen Geschlecht haben, und überhaupt die allertollsten sind. Da nun dummerweise ja nicht jeder von Natur aus schön sein kann, muß man eben ein wenig nachhelfen. Und dann kommt die nächste Sendung zum Thema „Brustvergrößerung, Fettabsaugen und Nasenkorrektur“. Nachdem ich mich mal wieder mächtig über diese Verschwendung an Sendezeit geärgert hab, hab ich dann mal angefangen mich intensiver mit dem Begriff Schönheit auseinanderzusetzen, und dabei kommen einige interessante Sachen raus, die ich an den Anfang stelle, um mich dann hinterher zum Thema plastische Chirurgie zu äußern.

Fangen wir also mit dem Begriff Schönheit an. Was ist Schönheit? In erster Linie ist es ein abstrakter Begriff, der auf die verschiedensten Dinge mehr oder weniger sinnvoll angewendet werden kann. In den allermeisten Fällen geht es wie bereits erwähnt um die Schönheit des menschlichen Körpers, allerdings kann man genausogut von der Schönheit der Landschaft, einer Opernarie oder auch von der Schönheit des Faulenzens reden.

Schönheit kann sich also auf verschiedene Arten äußern, enthält jedoch immer eine Wertung. Und damit sind wir schon beim Kernproblem: wie bewertet man Schönheit? Wertungen erfolgen üblicherweise nach gewissen Wertmaßstäben. Diese sind jedoch starken Veränderungen unterworfen, man denke nur an die Vergänglichkeit von Modetrends oder schlage im Lexikon unter Wertewandel nach. Hinzu kommt, daß eine Bewertung von Schönheit auf einer emotionalen Ebene erfolgt, und da jeder andere Wertmaßstäbe anlegt kommen zwangsläufig unterschiedliche Ergebnissen heraus, die Bewertung ist also subjektiv.

Konstatieren wir also, daß Schönheit ein ziemlich komplexer Begriff ist, der nicht wissenschaftlich exakt und allumfassend greifbar ist. Wenn man versucht, Schönheit in ein derartiges Korsett zu pressen, um sie bewerten zu können, geht man komplett am Thema vorbei: Die Schönheit eines Menschen zum Beispiel läßt sich nicht auf 90-60-90 oder bestimmte Proportionen reduzieren, denn dies sind alles nur visuelle Aspekte. Ein Supermodel mit einer Heliumstimme verliert aber viel von seiner Schönheit…

Ähnliche Fehlleistungen ergeben sich zwangsläufig auch in anderen Gebieten, in denen man versucht, Schönheit zu messen bzw. zu bewerten. Zu den üblichen Verdächtigen zählen hier Kunst, Musik und Literatur. Diese Gebiete zeichnen sich dadurch aus, daß ihre Erzeugnisse (Gemälde, Sinfonien, Bücher und so weiter) das Ergebnis eines künstlerischen Prozesses sind. Das heißt, der Künstler hat seine Vorstellungen von Schönheit in seine Arbeit einfließen lassen und versucht, dadurch seine Idee von Schönheit auszudrücken. Da ja wie bereits gesagt Schönheit eine subjektive Größe ist, kann niemand (außer dem Künstler selbst) eine Wertung über die Schönheit des Ergebnisses abgeben.

Ein besonders schönes Beispiel für eine derartige Fehlleistung beim Bewerten von Schönheit gibt es im Film Club der toten Dichter. Dort wird in einem Lehrbuch konstatiert, daß man die Schönheit eines Gedichtes anhand formaler dichterischer Kriterien und des Inhalts bestimmen kann. Dazu werden beide Elemente getrennt bewertet und in ein Koordinatensystem eingetragen, die Fläche des so aufgespannten Rechtecks ergibt dann die Schönheit. Das ist natürlich totaler Quatsch. Eine Betrachtung von Reimschemata von Versmaßen ist losgelöst vom Inhalt völlig zwecklos, ebenso ist eine Bewertung des lyrischen Gehalts ohne Beachtung des kulturellen und historischen Hintergrundes der entsprechenden Epoche bzw. des Dichters unmöglich. Damit ist natürlich auch der gesamte mathematische Bewertungsansatz sinnlos. Dennoch werden die Schüler mit den wechselnden Reimschemata im Faust genervt, anstatt sinnvoll mit dem Werk zu arbeiten.

Wer auf derartige Hilfskonstruktionen zurückgreifen muß, um Schönheit zu bewerten, hat etwas ganz grundsätzliches nicht verstanden. Gleiches gilt natürlich für die Bewertung von Schüleraufsätzen zum Thema Interpretation einer Kurzgeschichte / eines Gedichtes. Eigentlich kann man in einem solchen Aufsatz nur schreiben, daß der Autor bestimmte stilistische Stilmittel benutzt, aber eine Interpretation bzw. Bewertung der Bedeutung des Werkes ist eine rein subjektive Angelegenheit. Wenn der Schüler hinschreibt, daß das Gedicht blödsinniges Süßholzgeraspel ist, so kann er dafür eigentlich auch keine schlechtere Zensur kriegen als einer, der nur das hinschreibt, was der Lehrer lesen will.

Ein ähnlich blödsinniges Thema ist die Bewertung von Zeichnungen im Kunstunterricht. Man kann vielleicht die Feinheit des Pinselstrichs bewerten, aber wenn ein Schüler beim Thema „schöne Landschaften“ einen nebelverhangenen Herbsttag malt, ein anderer einen Frühlingstag oder eine schneebedeckte Landschaft, so entzieht sich dies jeglichem Bewertungsmaßstab, schließlich hat jeder andere Vorlieben, die sich ja nicht mit denen des Lehrers decken müssen. Im Endeffekt reicht es aus, den Schüler zu fragen, ob das Ergebnis seinen Vorstellungen entspricht, und wenn dem so ist, dann kriegt er dafür halt eine gute Zensur. In einem weiteren Schritt kann man den Kunstunterricht in seiner üblichen Form dann auch gleich ganz abschaffen und durch sinnvollere Alternativen ersetzen.

Exakt das gleiche Problem hat man im Musikunterricht, obwohl es hier mit den Bewertungen noch vergleichsweise einfach ist, solange man nicht gerade das Singen bewertet. Die ganze Notenlehre besteht eh nur aus Mathematik, da kann man beim Bewerten nicht viel falsch machen. Andererseits kann man die Schönheit eines Gesangsvortrags oder eines Musikstücks nicht objektiv bewerten. Der eine bevorzugt simplen Punkrock, für andere gehts nicht ohne krumme Takte und wechselnde Instrumentierung. Die meisten Musiklehrer gehen einer solchen Diskussion lieber gleich aus dem Weg, indem sie nur Bach, Händel, Mozart und Co. behandeln. Doch auch da gibt es gravierende Unterschiede, dem einen gefällt das Wuchtige von Beethoven halt besser als das filigrane von Vivaldi.

Soviel zum Thema Bewertung von Schönheit. Allerdings gibt es auch noch ganz andere Bereiche, in denen man von Schönheit redet, so zum Beispiel in der Mathematik. Als Beispiel seien hier nur einmal Fraktale oder der goldene Schnitt genannt. Letzterer spielt ja auch in der Architektur und in vielen anderen Disziplinen eine gewichtige Rolle. Mit den richtigen (mathematischen) Wertmaßstäben entfaltet diese Zahl eine wahnsinnige Schönheit, die den meisten Menschen trotzdem egal sein dürfte, weil sie andere Probleme haben – hatte ich das mit der Subjektivität der Schönheit schon erwähnt?

Ein weiteres Beispiel für eine Form der Schönheit ist die Schönheit des Einfachen. Dabei heißt einfach nicht zwingend einfach verständlich, sondern es geht eher um einfache Beschreibungen komplexer Sachverhalte. So kann eine mathematische Definition eine gewisse Schönheit haben, die sich nicht vergrößern läßt, wenn man Worte hinzufügt und rumsülzt, oder Worte entfernt und sie damit ungültig macht. Gerade die Notwendigkeit des Vorhandenseins aller Worte beim gleichzeitigen Verzicht auf allen überflüssigen Ballast macht ja eine Definition aus.

Für bestimmte Personen offenbart die Mathematik sehr viel Schönheit, so zum Beispiel beim Lösen einer komplizierten Aufgabe auf eine besonders elegante Art und Weise. Informatiker dürften das kennen, wenn sie ein ziemlich anspruchsvolles Problem in wenigen Code-Zeilen durch einen cleveren Trick gelöst haben. Auch hier gilt: die Schönheit offenbart sich nur dem, der sich mit der Materie beschäftigt und der entsprechende Wertmaßstäbe anlegt. So muß die kürzeste Lösung nicht unbedingt die am besten lesbare oder verständliche sein.

Eine weitere Sache von besonderer Schönheit (unter Anwendung der passenden Bewertungsmaßstäbe) sind beispielsweise auch komplexe mechanische Anlagen, deren Aufbau sich strikt aus ihrer Funktion bzw. aus betrieblichen Notwendigkeiten ergibt (ein Auto mit eckigen Rädern ist zum Beispiel relativ unpraktisch). Ein inzwischen klassisches Beispiel für eine elegante Lösung eines komplexen technischen Problems stellt (zumindest für mich, andere werden das logischerweise anders sehen) die Steuerung einer Dampflokomotive dar – mit nur einem Hebel und ein paar Verbindungsstangen wird gesteuert, wozu man im Auto Gaspedal, Kupplung und Getriebe braucht. Natürlich offenbart sich die Schönheit dieser Lösung nur dem, der sich intensiv damit auseinandersetzt.

Der „form follows function“-Ansatz wird aber nicht nur von Ingenieuren geschätzt, die technische Geräte entwerfen, die keinen unnützen Ballast herumschleppen und problemlos funktionieren sollen, sondern er spielt auch eine gewisse Rolle in der Architektur und in anderen Disziplinen – Stichwort Bauhaus und so. Andererseits ist nicht abzustreiten, daß Schloß Neuschwanstein eine gewisse Schönheit besitzt, obwohl es eine wahnwitzig unpraktische Konstruktion ist.

Das soll für eine oberflächliche Betrachtung der Mannigfaltigkeit des Begriffs Schönheit reichen, interessant wäre jetzt eigentlich nur noch, was man in diesem Zusammenhang unter schön versteht. Wenn Schönheit eine einem wie auch immer gearteten Objekt innewohnende Eigenschaft ist, dann ist schön die zugehörige Empfindung, die auslöst wird. Somit kann man dann von schönen Bildern, Liedern, Bauwerken, Lösungen und unter Umständen auch vom schönen Wetter sprechen (wobei letzteres eigentlich nicht existiert, da ja offensichtlich immer alle übers Wetter meckern).

Bleibt also nur noch ein großes Thema, das dann auch den Haken zurück zur Einleitung schlägt, und das ist die Frage der Schönheit beim Menschen. Zunächst sollte man hier aber gleich vom Begriff Schönheit abweichen und nur noch vom Aussehen sprechen, denn darum gehts ja im Endeffekt, es sei denn man vergleicht gerade zwei Opernsänger.

Was aber zeichnet nun einen schönen (bzw. in diesem Kontext hübschen oder gutaussehenden) Menschen aus? Wie üblich ist dies wieder recht subjektiv, zumal sich der Wertemaßstab ständig ändert. So haben es Blondinen in Südamerika oder China äußerst schwer, sich vor Verehrern zu retten, während sie in Europa kaum auffallen – der exotische Reiz des Besonderen halt. Analoges gilt entsprechend für die Südseeschönheit auf dem Europa-Urlaub.

Doch was gilt denn nun eigentlich als attraktiv? Übereinstimmende Untersuchungsergebnisse sprechen von symmetrischen Gesichtern, glatter ebenmäßiger Haut mit gleichmäßiger Hautfarbe, bestimmten Proportionen etc. pp. Zusammengerechnet ergibt sich dann meistens ein völlig langweiliger Durchschnittstyp, mit einem aalglatten unnatürlich aussehenden Gesicht. Ob das nun attraktiv ist, kann jeder für sich selbst entscheiden. Andererseits gibt es genug Gegenbeispiele, zum Beispiel war Cindy Crawford trotz (oder vielleicht auch gerade wegen) eines markanten Leberflecks im Gesicht eines der bestbezahlten Supermodels der frühen 90er Jahre. Andererseits tendieren gerade diese Laufsteggrazien dazu, wie ein Haufen Knochen auszusehen (klar, ewig groß und gertenschlank), so daß man Angst haben muß, daß sie durchbrechen, wenn man sie umarmen will… Tja, Mann ist kein Hund, der sich auf einen Haufen Knochen schmeißen will – ist ja evolutionsbiologisch besehen auch Quark, eine Frau mit ein paar Rundungen ist vermutlich eher zur Erhaltung der Art geeignet.

Die Sache mit dem Schönheitsideal gilt natürlich nicht nur für Frauen. Auch bei Männern wird ein spezielles Ideal angepriesen, wobei mir bereits mehrere Mädels versichert haben, daß sie überhaupt nicht auf braungebrannte Muskelpakete mit Waschbrettbauch und rasierter Brust stehen. Es läßt sich also darüber streiten, was attraktiv ist, und die Ansichten dazu sind in etwa so haltbar wie eine geöffnete Milchpackung.

Fest steht eigentlich nur, daß es attraktive Menschen im Leben einfacher haben sollen, weil ein attraktives Äußeres üblicherweise automatisch mit anderen Merkmalen wie Fleiß, Kreativität, Erfolg und so weiter assoziiert wird. Es versteht sich von selbst, daß dies oftmals ein Trugschluß ist, allerdings zählt meistens halt doch der erste (optische) Eindruck – von dieser Tatsache lebt sowohl die Kosmetik- als auch die Bekleidungsindustrie, von anderen Sachen wie Friseursalons, Tattoostudios und Solarien mal gar nicht zu reden. Ich finde im Übrigen Tätowierungen absolut potthäßlich, außerdem fällt man heutzutage eher auf, wenn man keine hat.

Weiterhin mischen natürlich die Medien kräftig mit, indem ein völlig unnatürliches Schönheitsideal propagiert wird. Mit Hilfe gängiger Grafikprogramme ist es ja auch problemlos möglich, Hautunreinheiten und Falten zu entfernen, die Zähne strahlend weiß zu machen und die Augen strahlendblau zu färben. Somit ist das Foto des Supermodels auf der Titelseite natürlich viel perfekter als das Model tatsächlich ist.

Damit ist auch völlig klar, daß viele Menschen mit ihrem Aussehen bzw. ihrer Figur unzufrieden sind. Völlig logisch, gegen diese nachretuschierte Unnatürlichkeit kann man nur verlieren. Allerdings vergessen die meisten Leute, daß gutes Aussehen sekundär ist. Es gibt ja schließlich genug Gegenbeispiele, wo nach gängigen Maßstäben unattraktive Menschen viel besser mit ihrem Leben klarkommen als es attraktive und damit vermeintlich erfolgreiche tun. Das könnte durchaus direkt damit zusammenhängen, daß die „unattraktiven“ sich überhaupt keine Gedanken über übliche Schönheitsideale machen und sich nicht mit Gedanken an ihre vermeintlichen Makel belasten. Wer das tut und ständig an seinem Aussehen zweifelt, wird auch kaum selbstbewußt auftreten – was einem erfolgreichen Auftritt naturgemäß entgegensteht.

Zum Erreichen des von den Medien angepriesenen Schönheitsideals werden denn auch immer extremere Mittel eingesetzt. Während Diäten, Sport, Kosmetika und Rasierapparate mit vier Klingen noch recht konventionelle Methoden sind, dem Trend hinterherzurennen, suchen immer mehr Menschen (und nicht nur Frauen!) ihr Glück mittels plastischer Chirurgie zu erzwingen. Ich hab ja prinzipiell nix gegen derartige Operationen, ich hätte auch was dagegen, zum Beispiel nach einem Unfall mit einem verstümmelten Gesicht herumzulaufen, wenn es sich auch reparieren ließe; aber einen Haufen Geld auszugeben um meinen Körper an ein übermorgen womöglich überholtes Schönheitsideal anzupassen geht mir dann doch gegen den Strich. Dummerweise scheint das Fernsehen diese Meinung nicht zu teilen, wird doch auf vielen Sendern lang und breit über Schönheitsoperationen referiert. Die Bandbreite (und die Preisvorstellungen) sind variabel, von Anti-Falten-Spritzen bis zur Generalüberholung ist alles drin.

Wer derartige Operationen für notwendig hält, hat meiner Meinung nach ganz andere Probleme als zu große Problemzonen oder zu kleine Brüste. Und abgesehen vom Risiko, daß derartige Operationen auch gerne mal schiefgehen oder nicht die gewünschten Resultate hervorbringen, so wird bei den OPs gerne mal übertrieben, insbesondere bei Brustimplantaten. Mädels, ihr behauptet immer, daß die Größe des Penis nicht so entscheidend ist. Tja, selbiges gilt für weibliche Brüste – es sind keine Fußbälle. Das sieht nicht nur unvorteilhaft aus, das sorgt auch für erhebliche Rückenschmerzen, schließlich muß Frau da ein nicht unerhebliches Gewicht herumschleppen. Über die Frage, was dann mit zunehmendem Alter und größerem Einfluß der Schwerkraft mit den Implantaten passiert, will ich mal lieber nicht nachdenken.

Es bleibt also festzuhalten, daß das, was gemeinhin als Schönheit bezeichnet wird, vergänglich ist, was natürlich nicht heißt, daß man deswegen unattraktiv wäre, denn Aussehen ist nicht Alles. Dummerweise ist in der heutigen Gesellschaft ohne Aussehen alles Nichts.

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