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Dabei sein ist alles!?

15. August 2004, 00:00 Uhr von Uwe

Vorgestern war ja die Eröffnungsfeier für die olympischen Spiele in Athen, zur besten Sendezeit live im Fernsehen. Und ich habe es boykottiert. Nicht weil es mich nicht interessiert hätte, sondern einfach, weil mir dieses ganze kommerzielle Unterhaltungsdrumherum zu blöd ist. Die Fernsehsender kriegen auch so ihre Quote. Es sollen wohl 3,9 Milliarden Menschen zugeschaut haben. Das sind 2/3 der Weltbevölkerung, da kommt es auf mich dann auch nicht mehr an. Aber dieser ganze Entertainment-Zirkus gehört wohl dazu. Schließlich werden wohl schon im antiken Griechenland große Zeremonien abgehalten worden sein, und die Römer waren ja auch bekannt für Brot und Spiele. Somit ist die Vermischung aus sportlichem Wettstreit und publikumswirksamer Unterhaltung wohl so alt wie die Spiele selbst.

Geändert haben sich seitdem die Austragungsorte, die Wettbewerbe, die Teilnehmerzahlen und nicht zuletzt die Geldsummen, die damit verdient werden können. Naturgemäß steht gerade letzteres im krassen Gegensatz zur olympischen Idee, nach der dabeisein alles ist. Für viele Sportler mag dies tatsächlich stimmen, aber es gibt Ausnahmen, also Sportler die um jeden Preis gewinnen wollen und dafür auch mal mit unerlaubten Mitteln nachhelfen. Das ist natürlich keine Erfindung der Neuzeit, schon in der Antike wird es Betrug bei den Wettkämpfen gegeben haben. Ebenso logisch ist es, daß man nicht nur von Leitungswasser die Höchstleistungen heutiger Athleten erreicht. Aber abgesehen davon ist üblicherweise jeder Teilnehmer noch vor Ende des Wettkampfes sowieso schon ein Sieger, zumindest in den Augen der Medien.

Wie üblich bei Sportereignissen von größerer Bedeutung als der oberfränkischen Regionalausscheid im Unterwassermikado werden natürlich jede Menge Journalisten, Fernsehleute und sonstige Berichterstatter hingeschickt, damit man auch ja im Bild festhalten kann, wie der Nachwuchsspieler der Halmanationalmannschaft von Samoa sein Frühstücksei pellt. Dazu gehören natürlich auch Leute mit dem entsprechenden kulturellen Hintergrundwissen, sonst kann man dem Zuschauer ja nicht erklären, daß das Schale des Frühstückseis in Samoa grundsätzlich durch einen kunstvollen Piekser mit einem speziell dafür entwickelten Eierpiekser geknackt wird, da dies Glück und gesteigerte Manneskraft bringen soll. Vielleicht klappt das aber auch nur, weil die Bewohner von Samoa fest dran glauben, denn der Glaube versetzt bekanntlich Berge. Aber egal, ich schweife ab.

In good ol‘ Dingsda, äh, Deutschland, gibt es ja bekanntlich zwei öffentlich-rechtliche Fernsehsender, und die haben sich natürlich ebenfalls voll diesem investigativen Journalismus verschrieben. Und so werden zu Olympia, Tour de France, Fußball-WM und was weiß ich wo sonst noch Unmengen an Reportern, Material und Mitarbeitern geschickt. Dazu kommen natürlich noch zur jeweiligen Sportart passende Experten, denn man kann ja nicht mit Jens Weißflog über das Kettenblatt von Lance Armstrong philosophieren, genausowenig wie Rudi Altig die Eigenheiten des Skis von Sven Hannawald erklären kann. Soweit, so gut.

Aber wieso schaffen es ARD und ZDF immer wieder, sich trotz (oder gerade wegen des) riesigen technischen Aufwands total zu blamieren? Das letzte hervorragende Beispiel dafür war die Tour de France vor wenigen Wochen. Beide Sender mit ihrem eigenen Sendeteam, eigenen Experten, jeder Menge Sendezeit und überhaupt perfekt vorbereitet. Dazu Jan Ullrich, der gerade mit dem Sieg bei der Tour de Suisse seine Form gezeigt hatte.

Und genau da lag der Hase im Pfeffer. Für die Medien in Deutschland war schon vor der ersten Etappe klar, wer am Ende ganz oben steht – klar, Jan Ullrich. Und aus genau diesem Grund konzentrierte sich die Berichterstattung nur auf ihn. Da war es scheißegal, daß ein junger Franzose wie ein Löwe kämpfte, um das Gelbe Trikot auch nach den Pyrenäen noch zu tragen (und sich darüber mehr freute als so manch arrivierter Profi über einen Etappensieg), da war es egal, daß Lance Armstrong wieder einmal eine Klasse für sich war – es ging nur um Jan Ullrich, oder bei den Sprintankünften halt um Erik Zabel. Dabei können auch andere kräftig in die Pedale treten. Dazu kamen überlange Vorberichte über das kulturelle Drumherum, die vielleicht für Frankreichurlauber oder Weinkritiker interessant waren, aber nicht für den durchschnittlichen Sportfan. Kurz gesagt ein hervorragendes Beispiel, wie man es nicht machen sollte. Gottseidank konnte man die Tour auch auf Eurosport verfolgen. Da gab es kompetente Moderatoren, die Zuschauerfragen beantworteten, einem das Geschehen in einer auch für Laien verständlichen Art erklärten und vor allem in erster Linie das Rennen kommentierten anstatt über Käsesorten zu referieren. Da machte das Zuschauen Spaß und es spielte keine Rolle, daß Jan Ullrich „nur“ Vierter wurde. Das muß man schließlich auch erstmal schaffen.

Eine ähnliche Katastrophe war die Fußball-EM. Nur gut, daß Deutschland da schon in der Vorrunde ausgeschieden ist, da war der Wahnsinn wenigstens schnell vorbei. Aber im Vorfeld machten uns die Medien natürlich zum großen Favoriten, immerhin war man ja vor zwei Jahren sogar Vizeweltmeister geworden. Daß man sich damals eher ins Finale stolperte anstatt Fußball zu spielen, wurde dabei natürlich geflissentlich übersehen, ebenso die durchwachsenen Ergebnisse in der Vorbereitung. Der größte Witz an der EM war dann allerdings (neben dem Titelgewinn für Griechenland) der Rücktritt von Rudi Völler bzw. die daraus resultierenden Folgen. Das beim DFB ausgelöste verharmlosend als „Trainersuche“ titulierte Chaos übertraf denn auch die schlimmsten Befürchtungen. Zumindest für die Presse war es allerdings toll, konnte man doch täglich auf der Titelseite was berichten, wo doch das Sommerloch gerade nix besseres hergab. Inzwischen hat man mit Jürgen Klinsmann den ehemaligen Sturmpartner von Rudi in Kalifornien als neuen Trainer ausgegraben. Unterstützt wird er unter anderem von Oliver „Golden Goal“ Bierhoff. Und was passiert? Das erste Ziel, was der verhinderte Bäcker und ehemalige Nationalstürmer ausgibt, ist der Gewinn des WM-Titels 2006. Na klar, und ich renne nächste Woche die 100m in acht Sekunden. Gehts noch? Aber das mit dem Anspruch und der Wirklichkeit hatten wir ja schon.

Ganz anders Otto Rehagel und seine Griechen. Von den Medien nur als Außenseiter belächelt und für Ottos Mauertaktik kritisiert, mauserten sie sich schnell zum Favoritenschreck und kickten unter Anderem so große Mannschaften wie die Franzosen oder Tschechen raus. Das Interview von Waldemar Hartmann mit Otto Rehagel nach dem Sieg gegen Frankreich gehört für mich zu den TV-Highlights des Jahres. In seiner unnachahmlichen Art erklärte Otto da, wie und warum seine Mannschaft gerade gewonnen hatte. Angesprochen auf sein altmodisches Konzept mit Libero antwortete er einfach nur trocken: „Modern spielt, wer gewinnt.“ Eine ebenso verblüffende wie geniale Antwort.

Aber neben Ottos taktischem Geschick und seiner Erfahrung war es sicherlich noch etwas anderes, was die Griechen beflügelte. Noch nie hatten sie bei einem Turnier nennenswerte Erfolge verbuchen können. In ihren Klubs saßen die Spieler meistens nur auf der Ersatzbank. Wenn man dann plötzlich für sein Land antreten darf und es all den Beckhams, Zidanes, Figos und wie die sonstigen kickenden Millionäre so heißen zeigen kann, so geht man natürlich mit einer ganz anderen Motivation an die Sache ran.

Und da schließt sich der Kreis. Seit gestern kämpfen die Sportler in Athen um olympisches Edelmetall. Für viele ist von ihnen ist es schon das Größte, überhaupt dabei zu sein. Einige wenige können von sich sagen, daß sie zu den klaren Topfavoriten in ihrer Disziplin gehören. Und von vielen Sportlern erwartet die geballte Medienarmada, daß sie mindestens mit Gold nach Hause kommen. Da wird dann von einem Bann geredet, der erst gebrochen werden muß, um Medaillen zu gewinnen. Und der vierte Platz der Damen-Schwimmstaffel ist natürlich auch eine riesengroße Enttäuschung, ebenso die Aufgabe des Zweiten der Tour de France Andreas Klöden beim olympischen Radrennen.
Die unmittelbar Betroffenen sehen das vermutlich viel sachlicher – es gibt halt wie so oft im Leben jemanden, der besser ist. Hoffentlich kriegt man das irgendwann auch mal in der Medienlandschaft mit. Aber das wäre vermutlich zuviel verlangt, denn unsere Medienberichterstattung ist natürlich die Beste und somit fehlerlos…

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