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Informatiker und andere schräge Vögel

24. Oktober 2003, 00:00 Uhr von Uwe

Zur O-Woche der Informatiker (das ist eine Veranstaltung, wo höhere Semester den angehenden Informatikstudenten zeigen, wo’s langgeht, damit sie nicht so planlos durch die Gegend stolpern, wie das sonst der Fall wäre) haben wir im Kino einen sehr schönen Film über zwei Informatiker in der zerfallenden DDR gesehen – der Film hieß „Zwei schräge Vögel“, und der Name war Programm. Nun waren die zwei Typen ja aber nicht deshalb schräg, weil der Drehbuchautor sich das so gedacht hat, sondern weil Informatiker von vielen Leuten tatsächlich für ein bissel bekloppt (oder manchmal auch ein bissel bekloppter) gehalten werden. Doch was zeichnet eigentlich einen ganz normal bekloppten Informatiker aus? Diese Frage wird uns nun Prof. Dr. Hinz mit seinem Mitarbeiter Dr. Kunz beantworten:

Biologisch betrachtet ist der Informatiker (homo informaticus) ein Säugetier aus der Ordnung der Primaten. Er gehört zur Unterordnung der Affen, speziell der Familie der Menschenähnlichen, bzw. der Gattung Mensch als solcher. Damit ist der Informatiker also keineswegs ein „schräger Vogel“.

1. Entwicklungsgeschichte:
Mit der Entwicklung von Heimcomputern ergab sich in der ersten Hälfte der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts die Möglichkeit, nicht mehr nur an großen Mainframes zu arbeiten, die sich nur wenige Institutionen wie Universitäten leisten konnten. In kurzer Zeit wurden Computer zu einem alltäglichen Arbeitsgerät und für viele Berufe unverzichtbar. Die hohe Komplexität dieser Geräte führte zu evolutionstechnischen Veränderungen, insbesondere bei Mathematikern (homo mathematicus) und Elektrotechnikern (homo electrotechnicus). Der Informatiker verfügt über typische Eigenschaften dieser beiden Arten, entwickelte sich jedoch weiter und bildet heute zahlreiche Unterarten, wie den theoretischen Informatiker (homo informaticus theoreticus), die wiederum bestimmte Eigenarten haben, die allerdings hier nicht besprochen werden sollen.

2. Anatomie:
Die groben anatomischen Eigenschaften sind dieselben wie bei allen Menschen, allerdings sind bestimmte Dinge beim Informatiker besonders ausgeprägt: Die Finger sind beweglicher und oftmals auch länger als im Durchschnitt. Dies ist eine Folge des Schreibens mittels Tastaturen, und der Benutzung von Eingabegeräten wie sogenannten Mäusen. Die Nervenbahnen zwischen Fingern und Gehirn sind stärker ausgeprägt, ebenso die Sehnerven. Folge ist eine stark verbesserte Auge-Hand-Koordination, die optimal auf die Arbeit mit Computern und ihren Eingabegeräten abgestimmt ist.
Das Hirn selbst ist auf abstrakte Denkvorgänge und logisches Schlußfolgern ausgerichtet. Dies ist eine der Grundvoraussetzungen, um das wichtigste Arbeitsgerät, den Computer, und seine Arbeitsweise zu verstehen und nachvollziehen zu können. Diese Hirnstruktur ist gleichzeitig der Grund, warum es hauptsächlich männliche Informatiker gibt: Das weibliche Hirn mit seinem stark ausgeprägten Nichtdeterminismus verhindert ein erfolgreiches Verstehen der Arbeitsweise des Computers. Die resultierenden Probleme werden im Abschnitt Soziologie ausführlicher betrachtet.
Die Augen sind auf das Lesen von Texten trainiert, daher bevorzugen Informatiker starke Farbkontraste bzw. schwarz-weiß-Displays. Die Aussage, daß Informatiker Drogen nehmen, mit denen selbst diese Displays farbig werden, konnte noch nicht bestätigt werden. Weiterhin kann der Informatiker durch kurzes Scannen einer Textseite die wichtigsten Inhalte extrahieren und verarbeiten, Handbücher oder Bedienungsanleitungen liest er daher recht selten (entweder kennt er die enthaltenen Informationen bereits, oder er braucht sie für seine Arbeit nicht). Sehhilfen wie zum Beispiel Brillen sind unter Informatikern ausgesprochen verbreitet.
Die Gliedmaßen sind vergleichsweise schwach ausgebildet, dafür jedoch widerstandsfähig gegenüber Dauerbelastung. Informatiker sind allgemein sehr ausdauernd, und können beispielsweise nächtelang vor dem Rechner arbeiten. Da die Ernährung hinter der Rechnerarbeit zurückstehen muß (ein Informatiker ißt nur, wenn er Hunger hat), sind Informatiker im allgemeinen sehr schlank und schlaksig. Sie treiben nur selten Sport, da dies konträr zu ihrem Interesse an der Rechnerarbeit ist.

3. Lebensraum/Lebensweise:
Die von einem Informatiker bevorzugten Zimmer verfügen über zahlreiche Tische, Regale und Ablageflächen für Rechner, Monitore, Kabel, Ersatzteile, Handbücher, Quelltextausdrucke und anderen Kleinkram. Weiterhin ist in aller Regel ein Tiefkühlschrank sowie ein Herd mit Ofen vorhanden, damit sich der Informatiker seine fertig abgepackte Tiefkühlnahrung selbständig erwärmen kann, ohne sie jedoch dabei die ganze Zeit beaufsichtigen zu müssen.
Wichtigstes Flüssignahrungsmittel, aufgrund seiner aufputschenden Wirkung, ist Kaffee. Dieser ist oftmals notwendig, da die meisten Informatiker im Gegensatz zum Büroarbeiter nicht nur tag-, sondern auch nachtaktiv sind, also keine geregelten Arbeitszeiten einhalten. Sollte der Informatiker doch einmal soetwas wie Feierabend machen, trinkt er auch gerne mal ein Bier, aber nicht in der Kneipe, sondern vor seinen Rechnern.
Eine Heizung im Zimmer ist nur in extrem kalten Gegenden erforderlich, üblicherweise reicht die Abwärme der Rechentechnik zum Beheizen des Zimmers. In einer Ecke des Zimmers werden üblicherweise die Verpackungsreste gestapelt, zusammen mit älteren Ausgaben einschlägiger Fachzeitschriften. Weiterhin bilden CDs, Rechnerteile und ausgedruckte Codefragmente scheinbar chaotische Haufen. Diese von nicht Eingeweihten einfach als Unordnung oder gar Chaos bezeichneten Strukturen sind allerdings nur eine für den Informatiker typische Form der Ordnung. Kein Informatiker wird einmal einen Zettel mit wichtigen Informationen in seinem Zimmer suchen müssen, denn er weiß stets genau, daß sich alle wichtigen Dinge in Griffweite befinden. Änderungen an diesem Zustand durch putzwütigen Individuen (gemeinhin als Frauen bekannt) sorgen daher oftmals für spontane Wutausbrüche.

4. Soziologie:
Der Informatiker ist typischerweise ein Einzelgänger, der sich am liebsten allein mit seinen Rechnern beschäftigt. Mit anderen Leuten tritt er nur erzwungenermaßen in Kontakt, da er dazu in aller Regel sein Zimmer verlassen muß, zum Beispiel um einkaufen zu gehen. Überhaupt vermeidet er Kontakte mit anderen Menschen, wo immer es möglich ist. Einzige Ausnahme sind Gespräche mit anderen Informatikern, die sich dann ausschließlich um fachspezifische Dinge drehen. Bevorzugtes Medium der Unterhaltung ist dabei jede Art von Chat, da man hierbei in seiner gewohnten Umgebung am Rechner sitzen kann. Aus diesem Grund gehen Informatiker nicht oder nur äußerst selten zu Parties. Böse Zungen nennen Informatiker deshalb Stubenhocker. Dies stimmt jedoch nur bedingt. Zwar schotten sich Informatiker oftmals von der Außenwelt ab, allerdings ist dies für sie eine Grundvoraussetzung, um ungestört ihrer Arbeit nachzugehen. Behauptungen, nach denen das Leben außerhalb des Informatikerzimmers nur eine hochqualitative 3D-Simulation sei, konnten in diesem Zusammenhang jedoch widerlegt werden.
Wie bereits diskutiert, sind die meisten Informatiker männlich. Trotzdem sind die wenigsten Informatiker auf der Suche nach einer Partnerin, im Gegensatz zu den meisten anderen Menschen. Gründe dafür sind wohl in der Natur der weiblichen Exemplare der Spezies Mensch zu suchen. Die meisten dieser Exemplare (gemeinhin als Frauen bekannt) sind nichtdeterministisch, haben eine Schwäche für unpraktische und teure Geschenke wie Ringe oder Blumen, und sie lassen sich auch nicht programmieren – kurz gesagt, Informatiker und Frauen sind einfach nicht kompatibel. Aussagen, nach denen Informatiker Angst vor Frauen haben, konnten bisher weder bewiesen noch widerlegt werden.
Der Informatiker beschäftigt sich mit Vorliebe mit Problemen, die seiner Denkweise entsprechen. Dazu zählen Aufgaben, bei denen man aus gegebenen Fakten schnell und sicher Schlußfolgerungen ziehen und auf dieser Basis Entscheidungen treffen muß, sowie Aufgaben, bei denen man sich in abstrakte Problemstellungen hineindenken muß, zum Beispiel in die Programmabarbeitung durch einen Computer. Beispiele für bevorzugte Beschäftigungen sind Logikpuzzles, oder Aufgaben, wo man „um die Ecke denken“ muß, aber auch hochkomplexe Strategiespiele, oder auch Schach. 3D-Shooter und andere Actionspiele zählen entgegen landläufiger Meinung nicht zu den bevorzugten Spielegenres, da zu großer Wert auf Reflexe gelegt wird, und das Geschehen zudem hochgradig nichtdeterministisch ist. Lieber beschäftigt sich der Informatiker mit Adventures, bei denen es auf das Lösen von Rätseln ankommt.

5. Sonstige Eigenheiten:
5.1 Pragmatismus

Der Informatiker sieht sein Leben als eine Folge von Problemen, zu denen es eine möglichst optimale Lösung gibt. Dieser lösungsorientierte Ansatz zeichnet die Denkweise des Informatikers aus, und zieht sich durch alle Bereiche seines Lebens: Er favorisiert alles, was Probleme löst, ohne neue zu erzeugen. Darum bevorzugt er bequeme Kleidung, die keinen großen Aufwand zum Reinigen verursacht, und genauso ißt er lieber eine Pizza, anstatt mehrere Töpfe zu verdrecken und stundenlang am Herd zu stehen.
Der Informatiker bevorzugt daher auch Betriebssysteme, die er entsprechend seinen Wünschen konfigurieren kann, also in aller Regel ein Linux oder BSD-Derivat. Einige wenige Informatiker vertuschen ihre Informatik-Anlagen durch Benutzung einer „Klicki-Bunti-Oberfläche“, allerdings mit nur mäßigem Erfolg. Diskussionen mit Nichtinformatikern bzw. Windows-Nutzern sind in aller Regel fruchtlos, da die Interessen und Ansprüche diametral verschieden sind.
Mit gleicher Konsequenz verweigern sich die meisten Informatiker dem Autofahren. Lieber nutzen sie öffentliche Verkehrsmittel, oder Fahrräder, letzteres teilweise bis zum Exzeß. In aller Regel liegt der Grund für das Radfahren einfach nur darin, daß sie damit im Stadtverkehr schneller sind als mit allen anderen zur Verfügung stehenden Fortbewegungsmöglichkeiten. Warum Informatiker ungern Auto fahren, ist Gegenstand verschiedener Forschungsprojekte. Endgültige Ergebnisse liegen noch nicht vor, aber wahrscheinliche Ursachen sind der nichtdeterministischen Straßenverkehr und die Tatsache, daß die Steuerelektronik nicht Open Source ist. Weiterhin kann man beim Autofahren nicht gleichzeitig am Rechner arbeiten. Für lange Strecken bevorzugen Informatiker daher die Eisenbahn, bei der man während der Fahrt am Laptop arbeiten kann. Hinzu kommt, daß eine Bahnreise durch Fahrpläne verhältnismäßig gut planbar ist, der Informatiker betrachtet eine Reise von A nach B schließlich als Graphenproblem und wird mit einer entsprechenden Aufwandsbetrachtung eine für ihn möglichst optimale Lösung anstreben.

5.2 Weltanschauung
Informatikern bevorzugen literarische Werke des Science-Fiction-Genres sowie Bücher, in denen deprimierende Endzeitvisionen und/oder globale Verschwörungen thematisiert werden. Besondere Erwähnung verdienen hierbei Huxley’s Brave New World und Orwell’s 1984, aber auch die Illuminatus-Trilogie. Eine gewisse Skepsis gegenüber Anderen und eine stark ausgeprägte Paranoia bezüglich neuer Technologien sind dem Informatiker eigen. Erfahrungen mit spanabehebender Datenverarbeitung unterstützen dies und führen zur einer großen Akzeptanz von Murphy’s Gesetz („Wenn etwas schiefgehen kann, wird es auch schiefgehen.“) In extremen Fällen gelten Informatiker als pessimistisch oder gar fatalistisch, im allgemeinen schätzen sie jedoch die Situation einfach nur wesentlich realistischer ein als viele andere.
Ausgehend von dieser zwischen Realismus und Pessimismus schwankenden Weltanschauung haben Informatiker eine spezielle Art von Humor kultiviert, die inkompatibel zum Humor der meisten anderen Menschen ist. Insbesondere legen Informatiker Wert auf Sarkasmus, so daß der Humor durchaus pechschwarz und bitterböse sein kann. Beliebte humoristische Werke sind die „Per Anhalter durch die Galaxis“-Bücher sowie die Werke von Monty Python. Ebenfalls sehr beliebt sind die frühen Werke der Monkey Island-Spieleserie, die nicht nur den Informatiker-Humor ansprechen, sondern mit ihren Rätseln auch der Denkweise des Informatikers entgegenkommen. In jüngster Vergangenheit wurden die Abenteuer des zynischen Brotes Bernd zu einem wichtigen Teil der humoristischen Sicht des Informatikers.
Erholung findet ein Informatiker, wenn er nicht gerade liest oder spielt, auch im Kino, dann allerdings nur in Begleitung weiterer Informatiker. Wichtig ist hierbei nicht der Film als solcher, sondern die Qualität der computergenerierten Spezialeffekte, darum bevorzugen Informatiker auch Science-Fiction- und Actionfilme. Sollte ein Informatiker tatsächlich einmal schlafen, was im allgemeinen nicht im Bett, sondern in seinem Stuhl vor den Rechnern sein wird, so träumt er vermutlich von einer real funktionierenden Turingmaschine mit Endlosband.

Soweit also die wissenschaftliche Abhandlung – und was lernen wir daraus? Informatiker sind auch nur Menschen wie du und ich – naja, mehr oder weniger, und im Zweifelsfall vielleicht auch gar nicht, aber im Endeffekt haben andere Leute ja auch ihre speziellen Macken…

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