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Weihnachtswahn

17. September 2003, 00:00 Uhr von Uwe

Weihnachten – da denkt jeder an entspannte Dezemberabende in heimeliger Atmosphäre, so mit Kerzenschein, Plätzchen und Weihnachtsstollen, während draußen, bei leichtem Frost, locker flockig der Schnee fällt, und im CD-Player eine CD mit den schönsten Weihnachtsliedern rotiert.

SCHNITT, zurück in die Realität

Wir haben Mitte September, draußen ist der herrlichste Altweibersommer mit Temperaturen über 20 Grad, die Blätter färben sich langsam rot und gelb, und alle denken eher an den nächsten wochenendlichen Herbstspaziergang, oder die letzten notwendigen Gartenarbeiten.

Alle? Nein, nicht alle. Eine kleine Gruppe von Leuten mit leicht verschobener Zeitwahrnehmung fängt genau jetzt an, die Supermarktregale mit Schokoweihnachtsmännern, Weihnachtsstollen, Marzipan, Lebkuchen und anderen figurschadenden Dingen zu bestücken. Ich weiß zwar nicht was das soll, daß jetzt Tannengrün die Auslage des Wurstregals schmückt, oder warum man bei sommerlichen Temperaturen unbedingt in Weihnachtsstimmung kommen soll, aber aus irgendeinem Grund scheint es ja notwendig zu sein, einen 100-Tage-Countdown für das große Fest einzuhalten – als wenn der Stollen davon besser wird, wenn er ein Vierteljahr im Regal liegt. Naja, wenigstens wünschen die Verkäufer momentan noch einen guten Tag anstatt eines frohen Festes…

Wenn ich jetzt tatsächlich anfangen würde, mich mit Lebkuchen und Stollen zu ernähren, könnte ich das Zeug spätestens Ende Oktober nicht mehr sehen – und da sind es immer noch zwei Monate, bis der Spuk vorbei ist… Wobei Spuk vorbei in dem Fall ja nur heißt, daß die übriggebliebenen Schokoweihnachtsmänner verramscht werden, damit die Regale frei werden für die Schokoosterhasen, denn auf Weihnachten folgt ja direkt Ostern, also so mit 100 Tage Countdown und so. Zu Ostern ist die ganze Sache allerdings noch nicht ganz so extrem, oder hat schon mal wer im Januar eine Packung bunter Eier im Regal stehen sehen (warum gibts eigentlich beim Weihnachtsmann keine leichtverderbliche Ware? Lebkuchen werden bloß hart).

So richtig vorbei ist der ganze Einkaufsspuk dann erst nach Ostern, weil es da erstmal keine weiteren Feiertage gibt, d.h. Feiertage gibt es schon, nur werden die vom Einzelhandel nicht in dieser Form wahrgenommen. Hier gibt es also noch genug Entwicklungspotential, damit wir irgendwann zu jeder beliebigen Jahreszeit einen Countdown auf wichtige Feiertage haben, denn wo bleibt das Einkaufserlebnis, wenn man nur ganz banal hingeht und Brot und Butter kauft, weil kein Feiertag vor der Tür steht?

Aus diesem Grund schlage ich folgenden Terminkalender vor: Der Januar beginnt bekanntlich mit Neujahr, da muß es rechtzeitig mit dem beginnenden Weihnachtsgeschäft (also ab September) Schreibblöcke geben, auf die man seine guten Vorsätze notiert, die man einzuhalten gedenkt. Diese eignen sich hervorragend als Weihnachtsgeschenk, und beleben den Altpapierhandel, denn wer hält schon seine Vorsätze ein?

Im Februar folgt der Valentinstag, also muß es ab sagen wir mal November Schokoladenherzen, Karten mit Herzchenmotiven, und sowieso und überhaupt Blumen im Großangebot geben. Und wo wir schon bei Blumen sind, ab Dezember läuft dann der Countdown zum Frauentag, da sind Blumen auch immer gern gesehen, und wenn man schon Blumen schenkt, kann man auch Vasen dazuschenken.

Zu Ostern muß man nicht mehr viel sagen, das funktioniert ja einigermaßen, aber mit Beginn des Februar ist besonders auf den 1. Mai hinzuweisen. Dieser Kampftag der Werktätigen ist mit Mainelken, Spruchbändern und… ach halt, das ist ja jetzt nicht mehr… Also gut, dann ist dieser Feiertag der Werktätigen mit Sonderangeboten an Bier, Wein und anderen alkoholischen Getränken sowie Kopfschmerztabletten vorzubereiten. Ähnliches gilt für Himmelfahrt, hier kann auch gleich die Fahrradindustrie durch Sonderangebote, Reifenchecks und ähnliches Umsatz machen, eine weitere Marktlücke wäre hier vielleicht auch der Verkauf von Stützrädern bei Nachweis von mindestens 1,5 Promille.

Am ersten Juni ist Kindertag, da gehen Süßigkeiten bestimmt gut, und zu Pfingsten könnte sich der Einzelhandel auch was einfallen lassen, besondere Grillangebote vom Pfingstochsen zum Bleistift. Nach so vielen Feiertagen hat man sich zwei Monate mit Ferien und Urlaub verdient, da könnte man aber noch von Seiten der Tourismusbranche und der Autoindustrie mehr machen.

Im September beginnt das neue Schuljahr, für Studenten das neue Semester, bei vielen eine Ausbildung, und für die allermeisten ist es die Zeit wo der Urlaub vorbei ist. Der ideale Markt für Antidepressiva! Bei Schulkindern reicht ja meistens eine Zuckertüte, oder was anderes kleines, für Erwachsene darfs auch etwas mehr sein, schließlich muß man ja gesund in den Weihnachtscountdown starten. Bevor es soweit ist, ist noch Tag der deutschen Einheit, der sich ideal für alle Arten von Leim und Klebstoff eignet – damit zusammenhält, was zusammengehören soll.

Der Feiertagscountdown endet dann mit dem Reformationstag, aber abgesehen von Rheumamitteln gegen Kreuzschmerzen will mir da keine wirklich sinnvolle Vermarktungsmöglichkeit einfallen. Da man zu diesem Zeitpunkt aber eh schon voll im Weihnachtscountdown ist, spielt das auch gar keine große Rolle mehr.

So, ich hoffe mal, daß die Werbebranche dieses ungenutzte Potential erkennt – und daß die Kunden den ganzen Werbespuk ignorieren, und lieber das kaufen, was sie tatsächlich brauchen, denn die meiste Freude macht man noch immer mit Geschenken, die von Herzen kommen, und da ist es egal, wie groß der Karton und wie hoch bzw. niedrig der Preis ist.

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