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Album der Woche

13. September 2023, 21:08 Uhr von Uwe

In dieser Woche machen wir eine ziemlich fette Zeitreise, nämlich ganz weit zurück bis zum Urknall und noch ein Stück weiter. Naja, nicht so ganz, aber beinah fast. Das hängt dann auch um drei Ecken mit singenden Schlagzeugern und blumig eingetopften Sängern und karierten Schotten zusammen.

Beginnen wir mal ganz am Anfang, da war erstmal eine ganze Weile nix, dann sprach Bon Scott „Let there be light“, und einen Urknall später hatten wir den Salat. Einige Millionen Jahre später schrieben ein paar bekiffte Mönche dann ein dickes Buch, und das erste Kapitel beschreibt die Entstehung des Universums ein klein wenig anders. Allerdings weigern sich die Autoren beharrlich, Korrekturen vorzunehmen und eine aktualisierte Ausgabe ihrer Bibel herauszugeben. Vermutlich brauchen sie eine Unterschrift von ihrem Chef, der sich aber seit mehreren tausend Jahren nicht mehr im Büro hat blicken lassen. Und sein Sohn als Juniorchef wurde ja auch schon vor längerer Zeit zum Teufel geschickt.

Was das jetzt mit dem Album der Woche zu tun hat? Nicht viel, außer dass der Titel des 1. Buch Moses auch der Name der Band ist, um die es geht. Genesis nämlich. Diese Woche geht es dabei um alte Genesis, genauer gesagt um ein halbes Jahrhundert alte Genesis, also in der ganz klassischen Besetzung mit Peter Gabriel am Mikro, Steve Hackett an der Gitarre und Phil Collins quasi ausschließlich am Schlagzeug. Also lange vor den einschlägig bekannten Radio-Welthits wie Mama, Invisible Touch, We Can’t Dance und so weiter. Wobei Mama (also der Song) dieses Jahr auch runden Geburtstag feiert. Aber zurück zum eigentlichen Thema: Album der Woche.

Wir gehen also zurück ins Jahr 1973, und zwar nach London. Roger Moore wird neuer James Bond, der Nordirlandkonflikt ist Tagesthema der Innenpolitik, und außerdem tritt das Vereinigte Königreich der EU bei, nur um 2020 die Wandlung zu brexitannischen Inselaffen zu vollziehen. Außerdem wird ein Vertrag mit Frankreich über den Bau eines Tunnels unter dem Ärmelkanal unterzeichnet, Jackie Stewart wird zum bis dato erfolgreichsten Rennfahrer der Formel 1, Nixon stolpert über Watergate, J.R.R. tritt seine Reise in die unsterblichen Lande an und ein birnenförmiger Oggersheimer wird Vorsitzender der CDU.

In dieser wilden Gemengelage bringen Genesis also „Selling England By The Pound“ heraus. Der Titel bezieht sich dabei auf einen Wahlkampfslogan der Labour Party. Im Vorjahr hatte die Band mit „Foxtrot“ ein wegweisendes Album vorgelegt, war danach ausgiebig getourt und sollte nun einen gleichwertigen Nachfolger produzieren. Das Ergebnis umfasst acht Songs, die prog-typisch zwischen drei und 12 Minuten dauern und dabei alles abdecken, was man sich vorstellen kann, inklusive instrumentaler Teile, krummen Taktarten, wilden Soli und durchgeknallten Texten.

Das Album wird eröffnet von einer a capella-Einlage von Peter Gabriel: „Can you tell me where my country lies?“ Dancing With The Moonlit Knight ist ein achtminütigen Epos mit wild verklausulierten Texten über das moderne England. Musikalisch ist die Nummer ein Sammelsurium von Ideen, wobei das Ende irgendwie überhaupt nicht zum Rest passen will. Macht aber nix, der Anfang ist Weltklasse, da kann man das ignorieren. Weiter geht es mit I Know What I Like (In Your Wardrobe), einer durchgedrehten kleinen Nummer über einen Typen, der zufrieden ist, den Rasenmäher durch die Gegend zu schieben. Mit knapp über vier Minuten ist der Song vergleichsweise kompakt und wurde tatsächlich zu einer Hitsingle, die die Top 20 nur knapp verfehlte.

Das ganz große Highlight ist der dritte Song Firth Of Fifth. Dieser Neunminüter beginnt mit einem wahnsinnig komplexen Pianointro in so wirren Rhythmen wie 13/16 und 15/16, bevor es in die erste Strophe geht. Dieser perlende Pianolauf wurde live jedoch weggelassen. Nach den konventionellen Strophen folgt ein episches Gitarrensolo von Steve Hackett, der hier lange vor Eddie van Halen die Tapping-Technik verwendet. Und dann ist die ganze grandiose Schönheit auch schon vorbei: „The sands of time were eroded by the river of constant change.“ – ganz nebenbei eins der schönsten lyrischen Bilder von Peter Gabriel wie ich finde.

Das totale Kontrastprogramm dazu ist nun ein dreiminütiges Liedchen mit Phil Collins am Mikro. Ansonsten ist More Fool Me keine weitere Erwähnung wert und auch musikalisch ziemlich nichtssagend. Umso mehr sagt bzw. singt Peter Gabriel in The Battle Of Epping Forest, dem Opener der zweiten Seite. Die Nummer ist knapp 12 Minuten lang, und das zum Teil auch weil nur so genug Zeit für den wahnsinnig umfangreichen Text ist, der auch als Kurzgeschichte durchgeht. Inhaltlich geht es um Revierkämpfe von Jugendbanden im gleichnamigen Verwaltungsbezirk, also durchaus ein relevantes Thema der Gegenwart. Nach dieser Anstrengung folgt das passend betitelte Instrumentalstück After The Ordeal, was nicht weiter hängenbleibt, aber auch nicht stört.

Das Album endet schließlich mit The Cinema Show und dem direkt anschließenden Aisle Of Plenty, die quasi zusammengehören. Was mir Peter Gabriel mit den Texten sagen will bleibt wohl sein Geheimnis, in Aisle Of Plenty tauchen sogar Sonderangebote des Supermarkts auf… Musikalisch ist die Kinoschau ungleich besser verdaulich und eines der großen Epen der Band, und am Ende wird auch ein Motiv aus Dancing With The Moonlit Knight wieder aufgegriffen.

Wie fällt nun also das Fazit aus: Drei große Klassiker (Dancing With The Moonlit Knight, Firth Of Fifth und The Cinema Show), der Rest irgendwie eher mau, mit Ausnahme der Single I Know What I Like (In Your Wardrobe). Die Kritiker waren sich damals auch nicht einig, heute wird es als eines der wichtigsten Prog-Alben der 70er angesehen. Highlights für mich sind (unabhängig von den Songs) die durchgeknallten Wortspiele in Peter Gabriels Texten sowie das Drumming von Phil Collins (ich habs schon oft geschrieben, der Mann war als Schlagzeuger Weltspitzenklasse, als Sänger eher so nuja…). Beides beeinflusste auch Größen wie Fish (Marillion waren anfangs ja quasi eine Genesis-Kopie) und Neil Peart. Grund genug das Album zu kennen würde ich sagen.

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