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Abgekürzter Sonntagsspaziergang

6. September 2023, 23:45 Uhr von Uwe

Die Wettervorhersage versprach schon wieder absolutes Kaiserwetter mit weit über 30 Grad bei wolkenlosem Sonnenschein. Das bedeutete natürlich, dass ich mich mit Getränken für die Wanderung versorgen musste. Nun gabs da nur ein klitzekleines Problem: In der Schweiz haben wie auch in vielen anderen Ländern die Läden sonntags zu. Mit Ausnahmen. Und genau diese wollte ich nutzen.

Brig-Zermatt (43.6km, ↗957m, ↘48m)

Die grundlegende Idee war, dass in einem Touristenhotspot wie Zermatt noch am ehesten eine Chance besteht, auch sonntags einen geöffneten Laden zu finden. Also wurde wie schon in den vergangenen Tagen geübt als allererste Amtshandlung des Tages das Frühstücksbuffet um Wurstbrot und Rührei erleichtert, was dann mit O-Saft und Kaffee runtergespült wurde. Anschließend marschierte ich zum Bahnhof. Ich hätte beinahe noch den abfahrbereiten Zug nach Zermatt erwischt, der vor meiner eigentlich geplanten Verbindung fahren sollte, aber aus Prinzip wird im Urlaub keinem Zug hinterhergerannt, wenn 20 Minuten später der Zug fährt, den man sowieso geplant hatte.

Der für mich relevante Zug fuhr auch schon wenige Minuten später ein und hatte dann erstmal reichlich zehn Minuten Aufenthalt. Das hatte ich ja an den Vortagen alles schon zur Genüge ausgeknobelt und konnte mir so ganz in Ruhe einen schönen Sitzplatz in Fahrtrichtung links suchen – die Strecke nach Zermatt steigt ja am rechten Berghang nach oben, das heißt links gibts die Aussicht und rechts nur Berg.

Die ersten paar Kilometer geht es aber erstmal völlig unspektakulär neben der großen Eisenbahn entlang nach Visp, immer schön im Tal. Direkt nach dem Bahnhof Visp beschreibt die Strecke eine scharfe 90-Grad Linkskurve nach Süden und biegt ins Vispertal ein, benannt nach der Vispa, dem Bach, der dieses südliche Seitental in Richtung Rhone entwässert. Bis kurz vor Stalden-Saas passiert da auch noch nicht viel, man fährt am Ufer des Fließgewässers entlang, überquert selbiges und ab da wirds dann spannend. Denn die bis jetzt nur moderat ansteigende Strecke muss auf den verbleibenden Kilometern noch knapp 1000 Höhenmeter überwinden. Die dabei vorkommenden Steigungen bis 125 Promille schafft man nur mit Zahnradhilfe (zum Vergleich: die große Eisenbahn geht auf normalen Strecken bis etwa 25 Promille, die Berninabahn als eine der steilsten Adhäsionsbahnen der Welt bis 70 Promille).

In Stalden-Saas teilt sich das Tal, das östliche Tal führt nach Saas-Fee, das westliche nach Zermatt, beide ausgewaschen von den Abflüssen der Schneeschmelze und der Gletscher weiter oben. Hier fließen nun die Mattervispa und die Saaservispa zusammen. Die Bahnstrecke folgt der Mattervispa, die hier eine der tiefsten Schluchten der Schweiz gegraben hat. Die Bahntrasse klebt rund 100m über dem Talgrund an einer steilen Felswand, was spektakuläre Blicke in die Tiefe erlaubt.

Bis St. Niklaus, ungefähr 10 km weiter, hat man bereits die Hälfte der Höhenmeter überwunden. Links und rechts türmen sich die ersten 3000er auf, und dann weitet sich das Tal etwas und gibt erstmals den Blick frei in Richtung Süden, wo mehrere Dutzend 4000er in der Gegend herumstehen. Zwischen St. Niklaus und Randa geht es größtenteils eher gemächlich bergan, erst kurz vor Randa folgt ein neuer Zahnstangenabschnitt. Da ist man dann schon auf ungefähr 1400m Höhe angekommen.

Bei Randa ist auch ein großer Bergsturz zu bewundern, eine Geröllhalde, die 1991 nach dem Abbrechen einer Bergflanke entstand. Die Bahn führt im großen Bogen um diese Geröllhalde herum, bevor es nun in vergleichsweise flotter Fahrt nach Täsch weitergeht. Hier ist es nun ein ganz entspanntes Hochtal, vergleichbar mit dem Goms bei Oberwald, nur eben deutlich höher und deutlich schmaler. Der Talboden hingegen ist recht eben und lädt zum Wandern und Mountainbiken ein.

In Täsch, rund 5km vor Zermatt, ist dann die Welt für Autofahrer zuende. Zermatt ist autofrei, Autofahrer müssen ihre Blechkalesche in Täsch im Parkhaus abstellen und einen der sehr häufig verkehrenden Shuttlezüge nach Zermatt nehmen. Mich als Bahnfahrer tangiert das nicht, die weitere Strecke bis nach Zermatt ist nun allerdings extrem gut ausgebaut und erinnert von der Zugdichte eher an eine Straßenbahnlinie.

Ein letzter Zahnstangenabschnitt kurz vor Zermatt bringt den Zug dann auf die Zielhöhe von 1600m, und ganz kurz vorm Bahnhof Zermatt wird (wenn man den richtigen Blickwinkel erhascht und das Wetter mitspielt) dann auch das Matterhorn sichtbar. Da muss man allerdings ordentlich den Hals verrenken, ein wesentlich entspannterer Blick bietet sich wenn man vom Bahnhof Zermatt aus einfach mal 200m zur Mattervispa rüberläuft. Anyway, der Zug war pünktlich in Zermatt, dort war massiv viel Betrieb und ich konnte mich tatsächlich mit Getränken eindecken. Nun konnte die eigentliche Wanderung beginnen.

Zermatt-Randa (10.9km, ↗308m, ↘492m*)

*Die Höhenwerte kommen mir übertrieben vor, da spielt mir sicher die Genauigkeit der Aufzeichnung einen Streich. Durch die umliegenden 4000er und den stellenweise wohl sehr schlechten Empfang in den Waldabschnitten war der Track stellenweise um mehr als 50m vom eigentlichen Weg versetzt, die Höhenwerte dürften also ähnlich ungenau sein. Das Diagramm zeigt zwischen 11:30 Uhr und 12:00 Uhr einen markanten Knick um fast 100m hoch und wieder runter, der da einfach mal nicht stimmt.

Der Wanderweg beginnt östlich vom Bahnhof, um dorthin zu kommen musste ich erst einmal eine Runde um den Bahnhof drehen, am Best Western Hotel vorbei und dann auf den Wanderweg abbiegen. Muss man wissen, hatte ich vorher aber per Street View ausgeknobelt, weil es aus der Papierkarte nicht so klar hervorging.

Ab hier wanderte ich nun ganz gemütlich den Weg entlang, musste nur stellenweise auf Mountainbiker achten, die den gleichen Weg nutzen, und musste mich alle Nase lang umdrehen, weil das Matterhorn ja nun mal hinter mir zu sehen war und nicht vor mir. Die Temperaturen waren – es war kurz nach 10 Uhr vormittags – deutlich zu hoch, reichlich 25 Grad (was für die Höhe verdammt viel ist). Zum Glück verläuft der Weg soweit möglich im Wald bzw. am Waldrand, so dass zumindest stellenweise im Schatten gewandert werden konnte.

Ansonsten ist der Weg super einfach, bestens ausgebaut, so dass er eben auch für Mountainbiker nutzbar ist. Es geht immer mal ein paar Meter hoch und runter, aber das sind dann mal 15 Meter und dann gehts wieder gradeaus. Der Weg schmiegt sich dabei eng an die Bahnstrecke an, so dass die Steigungen recht moderat sind. An vielen Stellen teilt sich der Weg dann auch auf in die Radlstrecke und in den reinen Wanderweg. Da hat man als Fußgänger dann schon mal Treppenstufen oder ähnliches, was halt für Radfahrer eben nicht so berauschend wär.

Rauschen tut höchstens die Mattervispa im Hintergrund, denn dieser folgt man (da ja die Bahnstrecke wiederum dem Fließgewässer folgt). Innerhalb kürzester Zeit erreichte ich also Täsch, und spätestens hier mutierte die Wanderung zum bequemen Sonntagsspaziergang. Der Weg führte ab hier nun direkt am Ufer der Vispa entlang und war dabei breit und geschottert, so dass man ganz problemlos mit Turnschuhen hätte joggen gehen können (mir kam auch ein Jogger entgegen, außerdem ein Haufen wild diskutierende Italiener und ein paar Radfahrer).

Hinter Täsch kommt man dann an einem kleinen See vorbei, hier kann man baden (es war auch angesichts des Wetters gut besucht) und außerdem per Seilzuganlage Wasserski fahren (da war auch einer wild am herumhüpfen). Direkt dahinter wirds gefährlich, denn da muss man sich vor tieffliegenden Geschossen in Acht nehmen: Richtig, da ist ein Golfplatz (Golf Club Matterhorn, 9 Löcher). Und witzigerweise führt der Wanderweg auch quer über einen Teil des Golfplatzes, so dass der Abschlag auf der einen Seite ist und das Grün auf der anderen Seite. Ich kann mir vorstellen, dass es da durchaus mal Diskussionen über die Vorfahrt gibt und was es für den Golfer heißt, wenn er harmlose Wanderer trifft. Für den Wanderer ist zumindest klar geregelt, dass man keine herumliegenden Golfbälle einsammeln darf, denn dann wird man wegen Diebstahl verknackt, wie auf großen Schildern mehrsprachig beschrieben ist.

Ich marschierte also ohne Golfbälle weiter in Richtung Randa. Kurz vor dem Ortseingang überquert man dabei zuerst die Mattervispa, anschließend die nach Täsch führende Straße und dann ist man auch schon in Randa angekommen. Es ging erstmal stur gradeaus vorbei an schicken Holzhäusern, dann vorbei an einem umfangreichen Schilderwald von Wegweisern (u.a. zu einer knapp 500m langen Hängebrücke ungefähr 500m oberhalb des Ortes).

Am Bahnhof vorbei sollte es nun weiter in Richtung Norden gehen. Es wir inzwischen kurz nach 12 Uhr, die Sonne brannte ordentlich, aber bis hierhin war es eine supereinfache Wanderung gewesen, bis zum nächsten Bahnhof hätte ich also noch problemlos gehen können. Die Maximalwanderung bis St. Niklaus hätte ich wohl nicht gemacht, das wären am Ende 20km geworden, aber bis Herbriggen wäre möglich gewesen.

Dummerweise kam ich nun jedoch an ein Schild, dass mir vielsprachig sagte, dass der Wanderweg hier wegen „Lawinengefahr“ gesperrt sei. Mir ist nicht ganz klar, wie da jetzt im Hochsommer eine Lawinengefahr besteht, vielleicht war auch eher Steinschlag gemeint. Trotzdem nimmt man sowas besser ernst, hinterher ists egal ob man unter einer Lawine oder unter Gesteinsmassen verschüttet wurde. Es war auch ein Kartenausschnitt mit Umleitung ausgehangen. Besagte Umleitung war aber eher was für Radfahrer, denn da hätte ich ein paar Hundert Meter an der Landstraße entlang laufen müssen. Da hatte ich dann plötzlich eher wenig Lust drauf.

Ich trabte also eher unschlüssig zurück in Richtung Bahnhof, mit der Idee, erstmal noch den Wegweiser und die Karte zu prüfen, um zu sehen, ob man auf einem anderen Weg noch hätte weiterwandern können. Gerade wie ich 50m vorm Bahnhof war, fuhr dann aber gerade ein Zug in Richtung Brig ein. Das war dann für mich ein Zeichen, dass es jetzt vielleicht doch eine gute Idee sein könnte, einfach mal nicht mehr weiter zu wandern. Also stieg ich kurzentschlossen in den Zug und änderte das Tagesprogramm auf „zurück nach Brig und dann gemütlich den Sonntag genießen“.

Randa-Brig (34.3km, ↗144m, ↘881m)

Die Rückfahrt verlief nun wenig spektakulär, abgesehen von den Blicken aus dem Fenster natürlich. Ich war nun bereits halb zwei wieder in Brig, die Temperaturen unten im Tal waren wieder bei deutlich über 30 Grad angekommen, also trat ich einen gemütlichen Rückzug ins Hotel an. Nun hatte ich also viel Zeit das Reisetagebuch zu vervollständigen, das TV-Programm auf Sinnhaftigkeit zu testen (immerhin war Sonntag, da kam dann irgendwo tatsächlich ein Film).

Zum Ende des Tages hin zerlegte es das schöne Sommerwetter. Über den Bergen brauten sich dicke Gewitterwolken zusammen, der Wetterbericht erzählte was von einer großen Gewitterzelle weiter südöstlich (Südseite vom Gotthard), und auch in Brig kam im Laufe des Abends ein Gewitter an. Ich war mit meiner Wanderung ziemlich zufrieden. Mehr geht ja immer, aber das kann man ja auch noch am nächsten Tag angehen. Denn da ging es dann ins Tessin, und das wurde eine anstrengende Tour. Aber das wird dann im nächsten Eintrag thematisiert.

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