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Album der Woche

7. September 2023, 20:24 Uhr von Uwe

In dieser Woche begeben wir uns ein Vierteljahrhundert zurück in die Vergangenheit. Da passierte musikalisch nicht allzuviel weltbewegendes, der relevante Albumtitel kommt mir auch spanisch vor, aber schauen wir mal…

Vor einem Vierteljahrhundert war ich zwar schon volljährig, hatte aber noch keinen so eklektischen Musikgeschmack wie heute (mein Bruder würde behaupten ich hab auch heute noch keine Ahnung von guter Musik). Besagter Bruder wirkte damals auch mehrfach geschmacksbildend auf mich ein, indem er Iron Maiden, Metallica und anderen Krawall anschleppte, als ich noch hauptsächlich bei Deep Purple unterwegs war. Und irgendwann so vor eben 25 Jahren kam er dann mit der CD an, um die es heute gehen soll.

Diese war eingepackt in ein schlichtes grau mit einem symbolischen Herz und Engelsflügeln, drunter der Albumtitel „Viva Los Tioz“ und nur ganz klein stand unten rechts der Bandname: Böhse Onkelz. Das war tatsächlich mein Erstkontakt mit der Band, die ja damals noch massiv politisch umstritten war. Diese Kontroversen zogen sich damals schon durch die gesamten 90er Jahre und ebbten nur langsam ab. Ich hatte davon bis dato überhaupt nix mitbekommen, hatte nur den Namen aufgeschnappt und konnte mich dadurch relativ unbelastet an die Musik herantasten. Zum Glück, denn sonst wär mir echt was entgangen.

Das Album enthält 13 Songs, davon ein instrumentales Intro und ein ebenso instrumentales Outro (Matapalo Parte Uno und Matapalo Parte Dos). Die restlichen Songtitel kommen einem dann weniger spanisch vor, sondern bewegen sich zwischen Selbstbeweihräucherung, klaren Ansagen und Themen die zum Nachdenken anregen. Und zumindest gelegentlich lohnt es sich bei Texten von Stephan Weidner dann doch mal genauer hinzuhören, der Mann hat nämlich was zu sagen.

Aber der Reihe nach: Das Titelstück ist textlich natürlich feinste Selbstbeweihräucherung, wenn der Ruf eh ruiniert ist kann man ja auch ungeniert einen auf dicke Hose machen („wir sind ein Schlag ins Gesicht, ein freigelegter Nerv und nicht ganz dicht“). Das folgende Leere Worte thematisiert – nicht zum ersten Mal in der Bandgeschichte – Drogen- und Alkoholmissbrauch, etwas, was gerade Sänger Kevin ja bis zum Exzess betrieben hat („ich hab mich abgeschossen, ausgeknipst, mich selbst überholt“).

Nach dieser flotten Eröffnung wirds nun deutlich melancholischer. In Weit weg thematisiert das Thema Herzschmerz und Trennung, allerdings in sehr allgemeiner Form. Hier kommen die elektronischen Soundspielereien auch deutlich zum Tragen, die die Nummer deutlich düsterer machen. Ebenso findet man hier im Text clever gemalte Bilder: „Winter im Herz, keine rühmliche Zeit, man fühlt den Sommer sterben“.

Trauer wird zu Wut, und Wut ist das Geheimnis meiner Kraft – so der nächste Titel. Der Song rockt kompromisslos vorwärts und der Text ist eine klare Kampfansage an quasi alles und jeden: „ich bin im Krieg mit Gott und der Welt, das macht mich nicht beliebt und bringt kein Geld“. Der Refrain lässt mich trotzdem immer wieder schmunzeln: „Fickt nicht mit dem Teufel, stellt ihm keine Fragen, fangt an zu beten und lest die Packungsbeilage“ Öhm, ja. Wenns für Menschen eine Packungsbeilage bzw. Bedienungsanleitung gäbe wäre das wohl durchaus hilfreich.

Nun wird wieder einen Gang zurückgeschaltet und eine Art Pianoballade zelebriert. Mit dem schönen Titel Scheiße passiert wird drauf eingegangen, dass man nicht immer gewinnt, aber dass auch eine Niederlage nicht der Weltuntergang ist, frei nach dem Motto „Es gibt Tage da verliert man, und es gibt Tage, da gewinnen die anderen.“

Die nächsten drei Songs bilden für mich das Herzstück des Albums. Das beginnt mit einer der größten Hymnen der Bandgeschichte: In Terpentin nehmen sich die Frankfurter selbst auf die Schippe und garnieren das mit einem der mitgrölkompatibelsten (was für ein Wort…) Refrains überhaupt: „Ja hier sind wir, eure Feinde und Ziel, wir geh’n zum Lachen in den Keller und wir trinken Terpentin“. Liebe Kinder, nicht nachmachen! Terpentin ist zwar vegan, aber trotzdem nicht zum Verzehr geeignet 😉

Danach folgt mit Ohne mich eine klare Absage an alle politischen Extremisten, egal welcher Richtung. Die Antifa kriegt dabei ebenso ihr Fett weg („Ihr kämpft gegen mich, wie lächerlich, denn euren wahren Feind, den seht ihr nicht“) wie Neonazis („Ihr seid blind vor Hass, dumm wie Brot, ihr habt verschissen, eure Führer sind tot.“). Die Band war ja in den 90ern Zielscheibe von links (als „rechte“ Band) und von rechts (als Verräter) und saß damit zwischen allen Stühlen. Und dass politischer Extremismus bescheuert ist, ist nun eigentlich auch keine neue Erkenntnis, allerdings ist diese Ansage leider heute aktueller denn je.

Nach der großen Politik kommt nun ein mit über 10 Minuten wahnsinnig langes und sehr persönliches Stück: Der Platz neben mir. Offiziell besteht es aus zwei Teilen, die sich musikalisch deutlich unterscheiden. Thematisch geht es um den Verlust eines Freundes der Band, der 1990 in einer Kneipe erstochen wurde. Die Band hatte sich schon in Nur die Besten sterben jung und Das Messer und die Wunde damit auseinandergesetzt. Der Text ist dabei aber vage gehalten und passt für jede Person, die einen verstorbenen Freund vermisst: „Ich warte schon so lange auf ein Wort von Dir, der Schmerz ist vergangen, geblieben ist die Leere und der Platz neben mir“.

Es bleibt tödlich: Der Preis des Lebens beschreibt die Arbeit des personifizierten Todes. Und der ist – wie Terry Pratchett es ausdrückte – nicht grausam, sondern einfach nur verdammt gut in dem was er tut. Er kriegt jeden, irgendwann. Bei den Onkelz heißt das dann „ich bin nicht gesegnet, ich bin nicht gnädig. Ich hab einen Job, der wird erledigt.“

Wir bleiben bei großen und existenziellen Fragen: Bin ich nur glücklich wenn es schmerzt? ist eine solche. Es geht um die Suche nach Liebe, um selbstverletzendes Handeln und alles was so dazwischen liegt. Untermalt wird das von düsteren schleppenden Klängen. Textlich finden sich auch wieder sehr eindrucksvolle Bilder: „Ich schenk Dir mein gefrorenes Herz, ich will dass Du es für mich wärmst.“ Also wenn das keine Liebeserklärung ist…

Nach so viel negativen Themen kommt zum Abschluss noch was Erbauliches: Wenn du wirklich willst ist eine Hymne darauf, dass man quasi alles schaffen kann (wo ein Wille ist…). Der Text zählt dabei durchaus schwierige Dinge auf, die man aber schaffen kann: „Wenn du wirklich willst, veränderst du dein Leben“). Dabei wirds zutiefst philosophisch und es lohnt sich, mehr als eine Nanosekunde drüber nachzudenken: „Du bist was du warst und du wirst sein was du tust“ ist durchaus als Motto zu verstehen nach dem man sein Leben gestalten kann.

Und damit ist Album zuende – gut über eine Stunde lang, mit einem insgesamt deutlich maschinelleren Klang versehen als die Vorgänger, dabei aber abwechslungsreich. Auch ein Vierteljahrhundert später funktionieren die Songs nach wie vor – leider, möchte man bei Ohne mich sagen. Das Album verkaufte sich damals wie geschnitten Brot und bescherte der Band die erste Nummer 1 (was danach alle weiteren Alben ebenso schafften).

An dieser Stelle sei noch kurz auf die beiden Alben „Weiß“ und „Schwarz“ von 1993 eingegangen, die ja ebenfalls rundes Jubiläum feiern: Ich halte sie für wesentlich schwächer, sowohl musikalisch als auch von der Produktion her – es fehlen die geradlinigen Hits, die die späteren Alben auszeichnen. Allerdings haben sie einige der besten Texte, die es von der Band je zu hören gab, allen voran Deutschland im Herbst, dass ja leider nach wie vor brandaktuell ist.

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