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Album der Woche

31. August 2023, 20:43 Uhr von Uwe

Man kann ja nicht immer nur vom Urlaub und vom Wandern schreiben, deswegen hier nun endlich wieder frisch in die Tasten gehauen der Eintrag zum Album der Woche. Witzigerweise verheißt der Titel des Albums eine recht interessante Wanderung. Allerdings endete diese dann mit Mord und Totschlag. Aber der Reihe nach.

Vor 25 Jahren, also im Jahr 1998, hatte ein bis dahin relativ unbekannter Holländer eine durchgeknallte Idee. Er wollte eine Rock-Oper schreiben, bei der eine Geschichte über eine Reise verschiedener Charaktere erzählt wird. Diese Charaktere sollten von verschiedenen Sängern und Sängerinnen dargestellt werden, und das ganze sollte dann als Doppelalbum auf die Menschheit losgelassen werden. Nachdem die vorherigen Alben seines Projekts mehr oder minder unverkäuflich im Regal gelegen hatten war dies nun also eine „wenn schon untergehen, dann mit Pomp und Stil“-Aktion.

Als Gaststars wirken also u.a. Sharon den Adel und Robert Westerhold (beide Within Temptation), Fish (ex-Marillion), Anneke vna Giersbergen (ex-The Gathering), Damian Wilson (Threshold) und Clive Nolan (u.a. Pendragon, Arena) mit. Eine der Hauptrollen singt Mastermind Arjen Lucassen selbst, womit auch klar sein dürfte, dass es sich beim Album der Woche um „Into The Electric Castle“ von Ayreon handelt.

Die Geschichte ist eigentlich recht einfach: Acht prototypische Personen aus verschiedenen Zeitaltern (Ägypter, Highlander, Ritter, Hippie, Römer, Barbar, Indianer, „Futureman“) finden sich an einem Ort jenseits von Raum und Zeit wieder, wo ihnen eine Stimme (untermalt von wilden Synthieklängen) erklärt, dass sie den Weg zum „Electric Castle“ finden müssen. Achja, und dass das eine tödliche Angelegenheit sein wird. Wie bei den zehn kleinen Jägermeistern endet nun also die Reise der einen oder anderen Person, so dass nur die Hälfte der Gruppe überhaupt das Ziel erreicht. Von dort kehren sie zurück in ihre ursprüngliche Zeit zurück und können sich an (fast) nichts erinnern.

Klingt ein bissl durchgeknallt, wurde von Lucassen total bombastisch inszeniert und mit allen Arten von Synthies vollgekleistert und brachte dabei einen sehr frischen Wind ins angestaubte Genre des Progressive Rock/Metal. Allein die Koordination der ganzen Gaststars muss ja schon ein Alptraum gewesen sein.

Aber natürlich würde das alles nicht funktionieren, wenn die Songs nix wert wären. Und von denen gibt es nun 17 Stück, verteilt auf zwei CDs. Prog-typisch geht es ausufernd zu, unter fünf Minuten geht fast nix. Dabei springt man wild zwischen Power Metal, gefühlvollen Balladen, dicken Bombastbreitseiten und Ohrwurmrefrains, die alles zusammenhalten.

Das Album wird also eröffnet von einem lauten Knall, gefolgt von Synthiesounds und einem wilden Monolog des Sprechers, der den Charakteren erklärt was Sache ist. Nach drei Minuten beginnt dann die Reise mit Isis And Osiris. Ein Teil der Charaktere wird vorgestellt, ihre Motivationen beleuchtet und ihre wesentlichen Charakterzüge dargelegt. Die Nummer ist mit über 11 Minuten das längste Stück der Scheibe und lebt vom Zusammenspiel der verschiedenen SängerInnen. In die gleiche Kerbe haut danach Amazing Flight, dass sich mit weiteren Charakteren befasst. Hier ist die Musik etwas abgedrehter und wartet unter anderem mit Querflöte auf. Das Stück rollt hauptsächlich instrumental nach rund 10 Minuten über die Ziellinie. Geringfügig kompakter wird es nun in Time Beyond Time mit sechs Minuten, womit dann alle Charaktere eingeführt sind und die eigentliche Geschichte beginnen kann.

Wabernde Synthesizer tönen unheilschwanger, die nächsten Schritte werden in The Decision Tree (We’re Alive) dargelegt. Einer der Reisenden muss sterben, die Gruppe muss selbst entscheiden wer zurückgelassen wird. Es entsteht ein Streitgespräch zwischen dem Highlander und dem Barbar. Ein dickes Synthiesolo später geht es weiter im Tunnel Of Light. Das ist eine kurze und relativ harmlose Akustiknummer von vier Minuten. Ein ziemlich unspektakuläres Ende für die Reise des Highlanders (verkörpert von Fish), da wäre ein dicker Schwertkampf und „Es kann nur einen geben“ angemessener gewesen 😉

Die anderen sieben ziehen weiter und müssen schließlich im letzten Song der ersten CD Across The Rainbow Bridge. Das ist gleichzeitig der Eingang zum Electric Castle. Hier werden nun alle Regler auf 11 gedreht und noch zwei Schippen Bombast obendrüber gekleistert, damit der Refrain auch ja beim Hörer hängenbleibt („Across the rainbow brige, run to the other side where all our dreams abide“).

Die zweite Scheibe beginnt mit einem Spaziergang durch The Garden Of Emotions. Die eher kämpferisch veranlagten Figuren des Römers und des Barbars reagieren aggressiv, der Hippie ist aufm totalen Trip, der Ritter und der Futureman sehen die Angelegenheit nüchtern als Test ihrer Überzeugungen und die Ägypterin (Anneke van Giersbergen) fühlt sich von ihren Göttern angesprochen. Um das alles unterzubringen und musikalisch passend zu untermalen braucht die Nummer natürlich knapp zehn Minuten. Dafür ist das folgende The Valley Of The Queens mit nur zwei Minuten die kürzeste Nummer des Albums, die Ägypterin besingt ihr Ende der Reise.

Die anderen Zeit- und Dimensionsreisenden dringen weiter vor in The Castle Hall. Das ist eine nette Geisterstunde, die Seelen der Toten klagen die schwertschwingenden Kämpfer an („Shades of the dead are sliding on the wall, demons dance in the castle hall“). Entsprechend dürfen sich gesanglich hier der Barbar und der Ritter austoben. Nur sterben tut niemand, die Geister sind ja schon tot. Das komplette Gegenteil dieser riffbetonten Nummer folgt danach mit The Tower Of Hope. Direkt daran schließt sich Cosmic Fusion an, beide Songs gehören inhaltlich zusammen. Die Indianerin (Sharon den Adel) hat hier nämlich ein Zusammentreffen mit dem Tod höchstpersönlich, während die anderen Reisenden verschiedene mehr oder minder positive Visionen der Zukunft sehen. Nach siebeneinhalb Minuten ist damit die Reisegruppe um eine weitere Person geschrumpft.

Weiter geht es durch The Mirror Maze. Ein jeder sieht sich selbst im Spiegel, blickt auf sein inneres Selbst, auf alle Ängste, die man im Alltag überspielt und versteckt. Angeführt vom Ritter zerschlagen sie die Spiegel und entkommen dem Irrgarten. Es folgt nahtlos das Zwischenspiel Evil Devolution. Hier wird die letzte Prüfung vorgestellt, eine Wahl zwischen zwei Türen. Eine führt in die ewige Verdamnis, die andere in die jeweilige Dimension zurück, aus der die Reisenden kamen. Hier wird nun auch erklärt, was es mit diesem ganzen Zinnober auf sich hat: Eine Alienrasse, hochentwickelt, aber frei von jeglichen Emotionen, benutzt Menschen um mehr über das große Thema Gefühle zu lernen. Abgedreht und für den Genuss der Scheibe nicht zwingend erforderlich.

Und damit sind wir beim Finale angekommen. The Two Gates – eins alt und verrostet, das andere prächtig golden glänzend. Der Barbar wählt letzteres und landet somit an der Seite Odins in Valhalla. Seine Wahl war schlecht. Die anderen wählen weise und nehmen die andere Tür und kehren zurück woher auch immer sie gekommen waren. Untermalt wird der ganze Spaß von einem Ohrwurmrefrain und dicken Synthielinien.

Es folgen noch zwei ruhige Outro-Stücke, das erste ist ein zweiminütiges Spoken-Word Stück (mit schwer verzerrter Computerstimme), und im anderen (Another Time, Another Space) fragen sich die vier übrig gebliebenen Figuren, was sie da eigentlich erlebt haben, da sie sich bis auf vage Gefühle an nix erinnern können.

Fazit: Ein wildes Konzeptalbum, dass aber zum Glück auch ohne den konzeptionellen Überbau funktioniert, weil die Songs einfach stark sind. Das sahen auch die Kritiker und Käufer so – hervorragende Reviews und starke Verkaufszahlen waren die Folge. Somit konnte Arjen Lucassen bis heute weitere ähnlich gestrickte Alben zusammenpuzzeln und dabei mit allen Musikern zusammenarbeiten die man sich vorstellen kann (bis hin zu Hochkarätern wie Bruce Dickinson, Neal Morse, Devin Townsend, Floor Jansen, Hansi Kürsch oder James LaBrie). Der einzige, die sowas ähnliches (mit weniger Fokus auf Konzepte und mehr auf Songs) auf die Beine stellt, ist Tobias Sammet mit seinem Avantasia-Zirkus. Sollte man also kennen, grade wenn man sich für progressive und ausladende Kompositionen interessiert.

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