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Album der Woche

2. November 2022, 18:15 Uhr von Uwe

Wir bleiben im Jahr 1977, und statt majestätischen Stadionhymnen gibt es das krawallige Gegenstück, was damals Musiktrend des Jahres war. Richtig, Punk. Stellen wir uns also mal ganz dumm und fragen: „Was ist Punk Rock?“

Die Frage haben Musikjournalisten zur Genüge erörtert, selbst die Ärzte – ihres Zeichens ja auch vom Punk beeinflusst – haben die Frage vor zehn Jahren auch schon aufgeworfen, also fassen wir es mal kurz zusammen: Punk rock ist eine musikalische Stilrichtung, enstanden Mitte der 70er in London und New York. Musikalisch war es eine Abkehr von den immer pompöseren Werken von Bands wie Pink Floyd oder Yes mit ihren komplexen Konzeptalben, zurück zu den Anfängen des Rock’n’Roll und ebenso eine Reaktion auf das Aufkommen der Diskomusik. Die etablierten Rockbands der frühen 70er (allen voran Black Sabbath, Led Zeppelin, Deep Purple oder auch die Rolling Stones) waren in schweren Schaffenskrisen, steckten im Drogensumpf oder lösten sich gleich ganz auf. In diese Lücke trat nun eine bewusst einfache – um nicht zu sagen primitive – Musik. Inhaltlich kam dazu gerade in Großbritannien eine Anti-Establishment-Haltung mit Ablehnung der konservativen bürgerlichen Normen, was sich dort auch eindeutig im optischen Auftreten mit bunten Haaren, Iro-Frisur und zerlumpten Klamotten manifestierte.

Und damit wären wir nun beim Album der Woche, nämlich „Never Mind The Bollocks, Here’s The Sex Pistols“ von – der Name sagts ja schon – den Sex Pistols. Diese waren live bereits seit Ende 1975 aktiv und hatten als größtes Plus auf ihrer Seite den Manager Malcolm McLaren, der die Band so geschickt vermarktete, dass sie einen Vertrag beim Branchenriesen EMI bekamen. Nach der ersten Single Anarchy In The UK Ende 1976 war dieser Vertrag Geschichte, aber die Pistols waren damit auf der musikalischen Landkarte angekommen. 1977 wurde dann das Jahr der Pistols.

Die zweite Single war God Save The Queen und wurde ein Klassiker. Der Zeitpunkt war passend gewählt, Queen Elizabeth feierte 25. Thronjubiläum, und der Text mit seiner direkten Kritik an der Person der Queen bzw. der Monarchie im Allgemeinen war damals noch so richtig shocking. Das Establishment war mit Sicherheit not amused. Ein Werbeauftritt der Band auf einem gemieteten Boot auf der Themse samt anschließender Verhaftung sorgte für passende Publicity. Das Album erschien schließlich Ende des Jahres 1977 und landete auf Platz 1 der Charts und wurde später mit Platin ausgezeichnet, wurde aber von offizieller Seite ziemlich totgeschwiegen so gut es ging.

Insgesamt 12 Songs sind auf dem Album vertreten, darunter die beiden Singles Anarchy In The UK und God Save The Queen als bekannteste Stücke. Die restlichen Songs sind – wie schon der Albumtitel – die reine Provokation. Musikalisch geht es wie nicht anders zu erwarten sehr simpel zu, die Songs dauern nicht länger als drei Minuten, Soli oder eine ausgefeilte Komposition gibt es nicht, ebensowenig einen Gesang der diese Bezeichnung verdienen würde. Heute lockt das niemanden mehr hinterm Ofen vor, damals war das neuartig und unkonventionell.

Während also über die Musik nicht allzuviel zu sagen ist, gibt es über die musikhistorische Wirkung des Albums wesentlich mehr zu erzählen: So war die Band zum Zeitpunkt der Veröffentlichung schon auf dem absteigenden Ast. Hauptsongwriter Glen Matlock hatte bereits Anfang 1977 das Handtuch geworfen, der neue Bassist Sid Vicious sah zwar gefährlich aus, konnte aber ums Verrecken keinen Bass spielen. Selbst Lemmy Kilmister gab es auf, ihm etwas beibringen zu wollen, und live wurde der Bass dann extra leise gemischt. Man brauchte ihn nur fürs gefährliche Image. Ist das dann noch Punk Rock?

Schon 1978 löste sich die Band auf. Sänger Johnny Rotten machte in jüngster Zeit mit politisch eher kontrovers zu bezeichnenden Positionen von sich reden. Sid Vicious wurde Ende 1978 verdächtigt seine Freundin umgebracht zu haben, starb aber bereits vor Aufklärung des Falls im Februar 1979 an einer Überdosis Drogen. Das Establishment atmete auf, die Queen regierte noch weitere Jahrzehnte, bis ihr das brexitannische Affentheater anno 2022 dann auch zu viel wurde.

Punk Rock hingegen hat Geschichte geschrieben und wird in unterschiedlichsten Formen bis heute gespielt, mal politischer (The Clash, Dead Kennedys oder später Bad Religion), mal eher mit Spaß inne Backen (The Offspring, Die Ärzte) und so weiter. Auch die Grabenkriege der späten 70er zwischen Rockern und Punkern sind lange überwunden. Angefangen bei Motörhead, die sowieso immer und überall gesetzt waren beeinflusste Punk Rock auch die aufkeimende Heavy Metal-Szene gerade in Großbritannien, mit dem entscheidenden Dreh, dass die Jungs ihre Instrumente wirklich beherrschten und die rohe Energie des Punk mit musikalischer Raffinesse verbanden.

Somit bleibt das einzige Album der Pistols in erster Linie ein Zeitzeugnis der damaligen Umstände und kann ohne diesen Kontext auch nicht wirklich verstanden werden.

 

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