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Überall überlastet

20. Juni 2022, 21:04 Uhr von Uwe

Ich hab letzte Woche einen Kurzurlaub gemacht, und dabei sind ein paar Dinge passiert, die ich in den nächsten Tagen und Wochen hier runterschreiben will. Mal sehen ob ich das hinkriege, oder ob diese Idee an meiner momentan eher weniger vorhandenen mentalen Belastbarkeit scheitern wird.

Die eigentliche Idee war ja, nach langer Pause mal wieder einen Luftwechsel zu haben. Und weil inzwischen neuer Kleinkram im Miniatur-Wunderland eröffnet worden war, ging es für einige Tage nach Hamburg. Nun könnte man aktuell ja ausgesprochen billig dorthin fahren, nämlich mit dem 9-EUR-Ticket. Das geht theoretisch mit nur 3x umsteigen in reichlich neun Stunden. Allerdings kostet sowas Nerven, und die wollte ich ja schonen. Also wurde eine umsteigefreie Route (umsteigefrei im Sinne von „von hier mit dem Bus zum Bahnhof und in Hamburg noch ne Ecke mit der U-Bahn“) im ICE gewählt, so richtig nobelhobel mit reserviertem Sitzplatz, die kostet weniger Nerven und dafür eben mehr als neun EUR. Ich mag zwar ein bissl irre sein, aber nicht so irre. Achja, und schneller ist der ICE auch, der braucht nämlich nur fünf Stunden und fünf Minuten. Also theoretisch. Praktisch brauchte er dann eine Viertelstunde mehr, weil Stau am Elbtunnel oder so.

So problemlos wie die Anreise war, so nervtötend war die Rückreise. Da kam ich nämlich mit einer satten Verspätung von knapp einer Stunde an, womit natürlich auch der Bus nach Hause weg war und ich insgesamt eine Stunde später daheim ankam. Allerdings wird die Bahn sich da schön rausreden von wegen keine ganze Stunde Verspätung und deswegen nix Erstattung. Eingereicht habe ich das Formular zumindest mal.

Wir müssen sparen – koste es was es wolle

Auf jeden Fall war diese Reise ein schönes Beispiel dafür, was bei der Bahn aktuell alles schiefläuft. Der Hamburger Hauptbahnhof gilt bereits seit Jahren als chronisches Nadelöhr und als überlastet. Die Altonaer Verbindungsbahn, die den Bahnhof über Dammtor mit Hamburg Altona verbindet, gilt ebenso als überlastet. Gleiches gilt nebenbei auch für die Strecken zwischen Würzburg und Nürnberg sowie Bamberg und Nürnberg – was ich aus eigener Erfahrung nur bestätigen kann. Der größte Witz in der Liste der überlasteten Bahnstrecken ist seit wenigen Monaten übrigens die Strecke Halle-Könnern – eine eingleisige Nebenstrecke mit einer Handvoll Regionalzügen pro Stunde. Die wurde aber in den letzten Jahr(zehnt)en so zurückgebaut dass halt die Kapazitäten einfach nicht mehr reichen. Gleiches gilt für zahlreiche Streckenstilllegungen, wo nun rund 20 Jahre später die Wiederinbetriebnahme diskutiert wird – Stichwort Elbbrücke Barby. Die Bahn sollte börsentauglich gemacht werden, koste es was es wolle. Und das rächt sich jetzt an allen Ecken und Enden.

Neben dem Kahlschlag bei den Strecken (nur eine ausgebaute Weiche ist eine gute Weiche – und warum sollte der Bahnsteig länger als 120m sein?) fallen auch die Züge durch immer schlechtere Zuverlässigkeit auf. In der Summe schafft es die Bahn aktuell nur auf desaströse Pünktlichkeitswerte. Und die sind noch geschummelt, weil alles innerhalb von fünf Minuten nach geplanter Ankunft als pünktlich zählt und ganz ausgefallene Züge auch nicht eingerechnet werden. Trotzdem sind nur reichlich 50% der Züge „pünktlich“. Das ist natürlich umso schlimmer für die Fahrgäste wenn sie dann von kurz nach knapp umsteigen müssen. Das macht jede Fahrt mit Umsteigen schon seit Jahren zu einer Zitterpartie, und in den meisten Fällen steht man dann eine Stunde in der Pampa – wenn 15 Minuten später die nächste Bahn kommen würde wäre mir das hingegen relativ Bockwurst ob ich nun die oder die nächste nehme.

Anyway, ich wollte also von Hamburg Hbf nach Süden. Der Zug sollte gegen halb neun Uhr fahren. Das einzige was gegen halb neun fuhr waren die Fahrgäste auf dem Bahnsteig – aber die fuhren aus der Haut vor Wut, weil kein Zug kam. Der ICE hatte zunächst 10, später 20, bald 30 und dann in immer weiter steigenden Zehnerschritten am Ende 70 Minuten Verspätung. Und das auf der kurzen Strecke zwischen Altona und Hauptbahnhof, die man in 70 Minuten problemlos zu Fuß gehen kann. Im Übrigen kam der Zug nicht etwa irgendwo aus den Tiefen des Raumes, sondern aus dem Betriebswerk Hamburg Altona.

Auf Kante genäht

Ganz offensichtlich ist es aber inzwischen nicht mehr möglich, Züge morgens zu 100% funktionierend auf die Fahrgäste loszulassen. Wie ich später von einer Mitreisenden erfuhr war wohl ein Triebkopf des ICE defekt, so dass der Zug umständlich aus dem Kopfbahnhof Altona zurück ins Betriebswerk gezogen und dann quasi verkehrt herum – mit dem anderen Triebkopf voraus – auf die Strecke geschickt wurde. Das hieß natürlich für alle Reisenden in Hamburg Dammtor, Hamburg Hbf, Berlin Spandau, Berlin Hbf, Berlin Südkreuz und Wittenberg, dass sie sich auf eine umgekehrte Wagenreihung einstellen mussten. Hinten ist das neue Vorne und so. Zum Glück hab ich kein Problem damit, rückwärts durch die Gegend gefahren zu werden.

Noch schlimmer hatten es aber die Reisenden in Leipzig, denn dort konnte der Zug natürlich auch nicht wenden – der defekte Triebkopf hätte wieder vorn gestanden. Also wurde kurzerhand der Halt in Leipzig gestrichen und stattdessen ein Halt in Halle eingelegt. Danach stimmte die Wagenreihung, aber wenn ich nun grad von Leipzig aus nach Hause hätte fahren wollen wäre das genau meine Verbindung gewesen. Da nutzt einem dann auch die Platzreservierung nix, wenn der Zug gar nicht erst kommt. Und das an einem Sonntag nach einem (im Süden) langen Wochenende und zum Ende der Pfingstferien in den südlichen Bundesländern. Ab Erfurt gab es dann auch Durchsagen, dass man Taschen und Koffer bitte nicht auf den Sitzplätzen verstauen sollte – der Zug war zumindest in der zweiten Klasse zu über 100% ausgelastet.

Ich stand also eine gute Stunde auf dem Bahnsteig herum und schaute mir den Bahnbetrieb an. Da kam nun alle paar Minuten ein ICE vorbei, der dann weiter nach Stuttgart oder ins Ruhrgebiet oder wohin auch immer fahren sollte. Was mir dabei aber auch auffiel: Nicht einer der ICEs war voll einsatzbereit, mindestens eine Tür war immer mit einem „defekt“ Zettel beklebt. Außerdem waren sämtliche Züge einfach mal dreckig. Und das bei Zügen, die frisch aus der Nachtruhe kommen. Mir kann keiner erzählen, dass sich die Züge zwischen Altona und Hauptbahnhof so einsauen können. Dass die neumodischen grünen Streifen am ICE einfach nur billig wirken, weil man die im Streifen liegende Lufteinlassöffnung rot gelassen hat setzt dem billigen Eindruck nur die Krone auf.

Die Fahrgäste nahmen es murrend zur Kenntnis, die meisten waren auch noch falsch angezogen, weil es am Sonntag morgen ungewöhnlich kühl war – unter 20 Grad, während im Süden weit über 30 Grad herrschten. Die Durchsage der Aufsicht, als der Zug dann doch endlich Einfahrt hatte wurde denn auch mit großem Hallo quittiert. Der Rest der Fahrt verlief nun ereignislos, aber die Verspätung holt man natürlich dann nicht mehr auf. In München hatte der Zug am Ende wohl noch eine knappe Dreiviertel Stunde Verspätung.

Wer sich selbst ein Bild von der Lage machen möchte, dem sei zugfinder.net empfohlen, dort gibt es Pünktlichkeitsstatistiken.

Fazit

Was sagt uns das alles nun? Die Bahn fährt auf der letzten Rille. Es ist quasi fünf nach Zwölf. Die jahrelange Vernachlässigung von Wartung sowohl der Strecken als auch der Fahrzeuge und das Einsparen bei den Strecken rächt sich nun bitterlich. Zahllose Strecken sind bis an die Kapazitätsgrenzen ausgelastet, man kriegt schlicht nicht mehr Züge unter. Die eingesparten Weichen und Ausweichmöglichkeiten limitieren die betriebliche Flexibilität, so dass man nicht adäquat lokal eingreifen kann und sich Verspätungen im ganzen Streckennetz schockwellenartig fortpflanzen. Und Verspätungen – machen wir uns nix vor – können und werden immer auftreten. Die Bahn ist ein komplexes System mit mehreren zehntausend Kilometern Streckennetz. Es gibt da genug Einflüsse von außen, für die die Bahn nicht mal was kann. Da reicht ein unaufmerksamer Autofahrer am Bahnübergang oder ein über die Strecke huschendes Wildschwein, um den Plan zur Makulatur werden zu lassen, von lokalen Unwettern, Suiziden und so weiter ganz zu schweigen.

Das Problem ist, dass diese ganzen Einflüsse das gesamte ausgeklügelte System in ganz Deutschland zum Wanken bringen können. Es kann nicht angehen dass im Süden Züge ausfallen müssen, wenn im Norden  – 500km weit weg – ein Sturmtief durchzieht. Es darf nicht passieren, dass Züge bereits am Morgen in falscher Wagenreihung oder mit defekten Türen auf die Strecke geschickt werden müssen, damit überhaupt irgendwas fährt. Dazu brauchts aber nicht nur höhere Reserven an kurzfristig einsetzbaren Zügen, sondern eben auch das zugehörige Personal. Das ist prinzipiell auch alles kein Hexenwerk – die Eisenbahn als Verkehrsmittel ist fast 200 Jahre alt, und in den letzten 100 Jahren gab es eigentlich keine grundlegenden Neuerungen, die den kompletten Betriebsablauf auf den Kopf stellen würden.

Es wird ja immer von der Verkehrswende geschwafelt – mehr Güter auf die Schiene und so. Dazu brauchts aber überhaupt erstmal den politischen Willen dazu – und zwar mit einem Planungshorizont, der nicht an Legislaturperioden gebunden ist. Es braucht deutlich höhere Investitionen. Der Wartungsstau an Strecken und Rollmaterial muss beseitigt werden. Die Kapazitäten sowohl bei Strecken als auch bei Fahrzeugen müssen erheblich aufgestockt werden. Es braucht stärkere Rückfallebenen, damit nicht bei einem lokalen Problem (Blitzchlag, Kabelbrand, …) der Betrieb in halb Deutschland stillsteht. Es braucht lokal mehr Personal, dass im Fall von Problemen schnell eingreifen kann und nicht erst stundenlang anreisen muss, von abenteuerlichen Subunternehmerkonstruktionen und verwirrender Befehlskette mal ganz zu schweigen. In anderen Ländern funktioniert sowas, da fahren die Züge teilweise im Viertelstundentakt oder sie sind als Doppelstöcker mit wesentlich mehr Plätzen unterwegs. Da wird aber eben auch erheblich mehr Geld in die Hand genommen.

Ich habe da aber insgesamt eher wenig Hoffnung – für Autobahnen ist Geld da. Aber die Autofahrer haben halt eine Lobby, die Eisenbahn hat nur Freunde.

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