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Album der Woche

6. Januar 2022, 11:56 Uhr von Uwe

Auch im neuen Jahr gibts wieder Alben der Woche, ich hab eine schöne Liste zusammengepuzzelt für die kommenden paar und 50 Wochen, also schauen wir mal. Das erste Album des Jahres ist inzwischen auch schon wieder fast 20 Jahre alt, und ich erinnere mich noch sehr genau an die Umstände, unter denen ich es kennenlernte.

Vor ziemlich genau 19 Jahren lag mein Bruder wegen Blinddarm im Krankenhaus, und das lief ziemlich mies, weil sie ihn falsch behandelten und man ihn in einem anderen Krankenhaus ein zweites Mal operieren musste. Auf jeden Fall ließ er mir aber durch meine Mutter den kryptischen Satz „Beim Barte des Spock, es schneit“ übermitteln. Ich wüsste angeblich was das heißt. Jo, wusste ich. Er hatte sich (bevor der Blinddarm zickte) das Album „Snow“ von Spock’s Beard gekauft. Und das ist nun das Album der Woche – trotz oder wegen der Umstände.

Das Album nimmt in der Diskographie der Band eine Sonderstellung ein, denn es ist das letzte mit Hauptsongschreiber und Sänger Neal Morse. Jener fand zu dieser Zeit zu Gott (oder Gott zu ihm), so dass er die Band direkt nach der Veröffentlichung verließ und seitdem Musik macht, in der sein christlicher Glaube die Hauptrolle spielt. In diesem Album findet man durchaus auch religiöse Untertöne, aber es hält sich in Grenzen und ist zumindest für mich nicht störend offensichtlich. Neal Morse war offensichtlich auf der Suche nach einem Sinn in seinem Leben, und das spiegelt sich in den Texten wider.

Um was geht’s nun eigentlich? Das Album ist klassisch Prog, ein Doppelalbum mit dahinterstehendem Konzept über einen Albino mit heilenden Kräften, der Snow genannt wird. Ähnlichkeiten mit Jesus sind vielleicht nicht ganz zufällig. Anyway, das Album erzählt irgendwie die Geschichte von Snow, wobei ich wenn ich ehrlich bin nie wirklich verstanden habe, was da konkret passiert. Macht aber nix, andere Konzeptalben wie The Lamb Lies Down On Broadway haben das gleiche Problem. Und solange man die Musik auch ohne den ganzen konzeptionellen Überbau genießen kann passt es ja.

Womit wir nun beim Thema wären: Knapp zwei Stunden Musik auf zwei CDs, und quasi alles in sehr typischer Neal Morse-Art. Will heißen: Wenn Neal Morse Musik schreibt klingt es nach Neal Morse. Man findet Einflüsse der klassischen Progbands der 1970er, den einen oder anderen vertrackten Part (wenngleich weder so frickelig wie King Crimson noch so hart wie Dream Theater). In erster Linie gehts um die verschiedenen Stimmungen, die durch die Musik erzeugt werden. Das klappt nicht immer (das Album hat diverse Längen, weswegen ich es eigentlich nie am Stück höre), aber doch recht oft.

Das Album beginnt mit einer Overtüre, die es nach ruhigem akustischen Intro gleich mal rhythmisch in sich hat. Die folgenden Stranger In A Strange Land und das nahtlos anschließende Long Time Suffering sind hingegen relativ gradeaus und typische Spock’s Beard-Musik – schicke Melodien, gefällige Sounds und den einen oder anderen instrumentalen Farbtupfer. Mit Welcome To NYC wirds etwas härter, aber aufgelockert mit akustischem Ausklang, der das Thema von Love Beyond Words vorgreift. Selbiges ist allerdings eine eher schnarchige Ballade mit ein wenig Satzgesang. Das komplette Gegenteil davon ist der folgende 39th Street Blues, der in etwa so klingt als wenn Spock’s Beard einfach nur Hardrock spielen wollen. In eine ähnliche Kerbe schlägt The Devil’s Got My Throat, ein keyboardlastiger Rocker. Den Ausklang der ersten CD bilden Open Wide The Flood Gates, Open The Gates Part 2 (Part 1 fehlt einfach mal), Solitary Soul und Wind At My Back. Die gehen direkt ineinander über und formen eine eher klassische Prog-Suite, wo sich die Band zu ganz großer Form aufschwingt und wunderschöne Melodien auspackt. Diverse musikalische und lyrische Themen der vorherigen Songs werden wieder aufgegriffen und weitergesponnen, wie man das eben so macht wenn man progressive Musik schreibt (was ein Widerspruch in sich ist, denn was ist progressiv daran genau das zu schreiben was formelhaft als progressiv gilt?). Auf jeden Fall endet die Scheibe mit Wind At My Back ausgesprochen positiv, wobei die religiösen Untertöne hier kaum zu übersehen sind.

Die zweite Scheibe beginnt mit einer Second Overture, die nahtlos in 4th Of July übergeht. Beides eher rockige Stücke, allerdings ohne große Momente. Im weiteren Verlauf pendelt die Scheibe zwischen reduziertem Rock (I’m The Guy), Balladen (Carie, I Will Go), relativ belanglos dahinplätschernden Stücken mit plattem Text (Looking For Answers) und proggigen Ausbrüchen verschiedenster Art. Erneut werden Themen der ersten Scheibe aufgegriffen (Devil’s Got My Throat Revisited), bevor Made Alive Again und Wind At My Back (ja, gleicher Name wie der letzte Song der ersten Scheibe, diesmal aber mit wesentlich fetterer instrumentaler Untermalung, die erste Version ist sehr reduziert instrumentiert) den Kreis schließen. Leider ist vieles auf der zweiten Scheibe ziemlich verzichtbar, aber grade das Abschlussdoppel gehört so ziemlich zum berührendsten was Neal Morse je komponiert hat. Aber nur weil es eine eingängige Melodie ist muss man das halt nicht unbedingt zweimal auf ein Album packen.

Fazit: Wenn man die Längen und Füllstücke grade auf der zweiten CD rausgestrichen hätte und das Album auf die Laufzeit einer CD gebracht hätte, wäre es ein Hammeralbum geworden. So muss man sich die Rosinen herauspicken, was schade ist. Aufgrund der besonderen Umstände zur Albumentstehung ist es aber eben doch relativ speziell. Anspieltipps sind Wind At My Back (egal welcher der beiden), die Overtüre und The Devil’s Got My Throat. Danach kann man sich dann – so man will – das ganze Album erarbeiten.

 

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