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Album der Woche

28. Dezember 2021, 12:49 Uhr von Uwe

Wir sind am Jahresende angekommen, was liegt da näher als ein schönes Album passend zur besinnlichen Jahreszeit zu besprechen?

Und genau deswegen mache ich das nämlich nicht. Die Weihnachtszeit war alles andere als besinnlich, das Jahr war insgesamt für die meisten von uns eher beschissen, und deswegen gibts zur 100. Ausgabe ein garstiges Album mit fiesen Tönen und noch fieseren Texten. Kennengelernt hab ich die Band, um die es heute geht Mitte der Nuller Jahre beim Studium, als ich bei irgendeiner Gelegenheit mal die komplette Nacht mit zwei Kommilitonen aufm Balkon des Wohnheims gesessen und über Gott und die Welt gequatscht habe. Dabei wurde mir empfohlen, doch mal in Type O Negative reinzuhören. Und deren Debüt Slow, Deep And Hard ist das Album der Woche – genau mein Humor zum Jahreswechsel.

Albumtitel und Cover passen schon mal wie die Faust ins Gesicht, hinzu kommen fünf Songs – eigentlich jeweils mehrteilige Suiten – mit Überlange von mindestens je sechs Minuten plus zwei Instrumentals. Allen gemein sind bandwurmartig lange Titel, das kürzeste Instrumental heißt zum Beispiel The Misinterpretation Of Silence And It’s Disastrous Consequences und besteht passend dazu aus völliger Stille. Solche Scherze hatte die Band öfter drauf. Das zweite Instrumental, Glass Walls Of Limbo (Dance Mix) ist keineswegs Disco, sondern ein sakraler Chor, über den verschiedene Industriemaschinengeräusche und Soundeffekte gelegt sind, die wie eine Mischung aus Terminator und Schwertkampf klingen. Achja, der längste Songtitel der Bandgeschichte stammt vom 96’er Album „October Rust“ (das ich auch hätte besprechen können), nämlich das einminütige Instrumentalstück The Glorious Liberation of the People’s Technocratic Republic of Vinnland by the Combined Forces of the United Territories of Europa. Auf sowas muss man erstmal kommen…

Die restlichen „echten“ Songs sind wilde Mischungen aus Industrial, Black Sabbath, viel Bass, Orgelflächen und der speziellen Stimme von Pete Steele. Textlich gehts um alles was scheiße ist, wobei die Definition von Pete Steele in der Hinsicht nicht als politisch korrekt durchgeht. Besonders schwierig fällt mir das bei Der Untermensch, einer Hasstirade auf Immigranten und Leute, die es sich in der sozialen Hängematte bequem gemacht haben. Das fällt dann selbst mit Ironie und Sarkasmus schwer. Der Song sorgte auch dafür, dass Type O Negative in Deutschland jede Menge Ärger mit linken Aktivisten bekamen.

Wesentlich einfacher ist es mit ironischer Distanz bei den restlichen Songs, die sich allesamt um das schöne Thema Liebe drehen, natürlich mit einem speziellen Dreh, sonst wärs nicht Type O Negative. Das Album wird dabei eröffnet von Unsuccessfully Coping With The Natural Beauty Of Infidelity – zwölf Minuten Krach über eine Frau, die es mit der Treue nicht genau genommen hat. Der Text ist ultrafies, aber im Sinne von Eifersucht und allem was dazugehört durchaus nachvollziehbar. Das im Mittelteil wiederholt gegrölte „I know you’re fucking someone else“ ist dabei als Songtitel wesentlich griffiger. Xero Tolerance beschäftigt sich mit den Folgen des Seitensprungs und der potentiell tödlichen Wut, die das beim Partner auslöst („I’ll kill you tonight“). Das findet anschließend seine Fortsetzung mit Prelude To Agony mit wahnhaften Bestrafungsfantasien, wie er die untreue Partnerin leiden lassen will. Spätestens da kann man es textlich dann nicht mehr ernstnehmen (und wer es doch tut sollte sich ein paar kritische Fragen stellen). Abgeschlossen wird das Album und das ganze Thema schließlich durch einen Song mit dem coolsten Titel ever: Gravitational Constant: G = 6.67 x 10-8 cm-3 gm-1 sec-2. Im Text gehts drum wie die Welt schwer auf seinen Schultern lastet, und dass der Betrogene lieber den Abzug betätigt als sich noch länger runterziehen zu lassen.

Fazit: Ein böses Album für eine fiese Welt. Sicherlich nicht für jeden geeignet, aber für Momente wenn man mal so richtig mies drauf ist erstaunlich gut zum ungefährlichen Rauslassen der Wut. Es ist sicherlich nicht das beste Album der Bandgeschichte, aber dafür das roheste und ungeschliffenste und das mit dem coolsten „Refrain“ – eben „I know you’re fucking someone else“.

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