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Album der Woche

11. Juni 2020, 11:59 Uhr von Uwe

Wir bleiben im Jahr 1985 – das Album der Woche kommt diesemal von einer Band aus Schottland, die seit Anfang der 1980er Jahre aktiv ist. Damals wurde ihre Musikrichtung als Neoprog bezeichnet, sind aber inzwischen in einem ganz eigenen Genre unterwegs.

Es geht konkret um das dritte Album von Marillion – „Misplaced Childhood„. Aufgenommen wurde das Semi-Konzeptalbum (wobei ich das Konzept bis heute nicht wirklich verstanden hab, vermutlich weil es der Legende nach auf einem zehnstündigen Drogentrip entstanden ist) vor 35 Jahren im damals noch ummauerten Westberlin und entwickelte sich dann zum mit Abstand größten Erfolg der Band (Nummer 1 in den britischen Charts) und zu einem der erfolgreichsten Alben des Jahres.

Rein theoretisch gibts auf dem Album zehn Titel, je fünf pro LP-Seite (sowas war damals ja noch relevant), aber tatsächlich gehen eh alle Titel ineinander über, wie es z.B. auch Pink Floyd in den 70ern vorgemacht haben, so dass es eigentlich nur zwei Titel gibt, Seite 1 und Seite 2 nämlich… Das Album beginnt mit einem sehr keyboardlastigen Intro, gefolgt vom größten Singlehit der Band, Kayleigh. Ich halte die Nummer ja für ein perfektes Beispiel dafür, dass aus Liebeskummer richtig gute Songtexte entstehen können. Im krassen Gegensatz dazu steht das nachfolgende Lavender mit seinem Abzählreim-Kinderlied-Refrain, was aber eben genau deswegen auch super funktioniert und im Albumkonzept das Thema der unbeschwerten Kindheit hervorragend rüberbringt. Den zweiten Teil der ersten LP-Seite formen dann die Bitter Suite und Heart Of Lothian, bei denen es dann etwas vertrackter zugeht. Vertrackter heißt hierbei nicht dass man sich in irgendwelchen rhythmischen Labyrinthen verirrt wie bei King Crimson, sondern dass die Songs nicht dem klassischen Strophe-Refrain-Schema folgen, sondern (wie der Name ja suggeriert) als eine Art Suite aufgebaut sind, komplett mit atmosphärischen instrumentalen Zwischenspielen. Die Keyboards weben hier ein paar sehr schicke Klangteppiche, auf denen sich dann Fish am Mikro austoben kann – das ist großes Kino ganz in Anlehnung an klassische Pink Floyd. Daneben wird das Lavender-Thema erneut aufgegriffen, was ganz im Sinne des Konzeptalbum-Ansatzes eine gewisse albumweite Kohärenz ergibt.

Die zweite Seite – ohne weitere Hitsingles – beginnt mit dem vergleichsweise hektischen Waterhole (Expresso Bongo), danach folgt Lords Of The Backstage, welches wiederum ein Thema aus Heart Of Lothian aufgreift. Die Texte sind auch hier hervorzuheben – „I just want to be free, I’m happy to be lonely, can’t you stay away? Just leave me alone with my thoughts.“ – Fish ist ohnehin einer der besten Texter wie ich finde. Textlich ebenso schwierig wie tiefgründig kommt das folgende Blind Curve daher – kaum einer kann so anklagend klingen wie Fish – bevor das Album zum Abschluss mit Childhoods End? und White Feather eine eher positive Wendung nimmt – „We don’t need no uniforms, we have no disguise, divided we stand, together we’ll rise“.

Fazit: Die Hitsingle Kayleigh kennt vermutlich eh jeder, aber dieses Album ist so viel mehr als nur dieses eine Stück. Es ist eins von denen die man komplett am Stück hören muss (habe ich beim Schreiben des Eintrags auch gemacht). Es ist musikalisch auf den Punkt, atmosphärisch dicht und hat auch nach 35 Jahren nichts von seiner Faszination eingebüßt.

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