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Album der Woche

7. Mai 2020, 17:33 Uhr von Uwe

Eigentlich wollte ich heute ein Album aus dem Jahr 2000 vorstellen, aber aufgrund der aktuellen Nachrichtenlage habe ich den Plan umgeschmissen. Wie heute bekannt wurde, ist Florian Schneider, einer der Mitbegründer des deutschen Künstlerkollektivs (Band klingt hier viel zu banal) Kraftwerk, kürzlich verstorben. Grund genug, das 1975er Album Radio-Aktivität mal wieder aus dem Schrank holen.

Meine Erstbegegnung mit Kraftwerk hatte ich Mitte 1990, als mein Vater mich das erste Mal im frisch gekauften Westauto herumkutschierte. Im Gegensatz zur vorher genutzten Rennpappe hatte dieses nämlich ein Radio mit Kassettendeck. Und der Soundtrack zur Fahrt war eine Kassette mit diversen nachgespielten Stücken der elektronischen Musik der 70er und 80er, u.a. Stücke von Jean-Michel Jarre, Vangelis, Hot Butter („Popcorn“) und eben auch Kraftwerk mit (glaube ich) einer Kurzfassung von „Autobahn“. Und seitdem hab ich ein gewisses Faible für diese Art Musik.

Einige Jahre später hörte ich dann zum ersten Mal „Radio-Aktivität„. Auf diesem Album wurden erstmals ausschließlich elektronische Musikinstrumente benutzt (ursprünglich fing man ja mit ziemlich verschrobenem Krautrock an und auch auf dem Vorgänger „Autobahn“ gibts neben dem klassischen Titelstück jede Menge Klangspielereien mit „normalen“ Instrumenten). Der Titel des Albums kommt natürlich auch nicht von ungefähr, es dreht sich alles um die Doppeldeutigkeit zwischen Radio und Kernernergie. So beginnt das Album mit dem Ton eines immer stärker ausschlagenden Geigerzählers, der dann direkt in das Titelstück übergeht – und das klingt heute noch futuristisch und absolut zeitlos. Die restlichen Stücke sind dann eher in die Sparte Klangexperiment einzuorden, „Sendepause“ besteht zum Beispiel nur aus einem Pausenton, wie es ihn in der Frühzeit des Rundfunks gab, „Nachrichten“ ist genau das was der Name vermuten lässt, gesprochene Nachrichtenbeiträge zum Thema Kernkraft. „Richtige“ Songs sucht man hier eher vergebens, die Hinwendung zum minimalistischen Techno-Pop kam erst später.

Das Album ist sicherlich nicht das zugänglichste und auch nicht das beste im Katalog (da greift man wohl am ehesten zu Mensch-Maschine mit dem Hit „Das Model“ von 1978 oder Computerwelt – mit so prophetischen Textzeilen wie „Interpol und Deutsche Bank, FBI und Scotland Yard, Finanzamt und das BKA haben unsere Daten da“ – von 1981) oder legt sich wie ich die Box „Katalog“ zu. Den Einfluss der Gruppe auf die Popmusik der 80er Jahre und darüber hinaus kann man hingegen kaum überschätzen – große Namen wie David Bowie und Depeche Mode ließen sich von den Klängen inspirieren, und insbesondere in den sich entwickelnden Hip-Hop und Techno Szenen sampelte man quasi jeden Soundschnipsel aus den bandeigenen Kling-Klang Studios. Darüber hinaus beeinflusste das Quartett mit seiner ausgefeilten Außendarstellung und seinen durchchoreografierten Live-Auftritten so ziemlich jede andere Band dieses Planeten – ich würde jede Wette eingehen dass sich selbst Rammstein (obgleich stilistisch ja gar nicht vergleichbar coverten sie später „Das Model“) so einiges bei Kraftwerk abgeschaut haben in Punkto Selbstinszenierung.

Fazit: Ich fahr-fahr-fahr zwar nicht auf der Autobahn und auch eher selten im Trans-Europa-Express, aber Kraftwerk gehen immer und werden auch in 50 Jahren noch relevant sein.

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