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Alle Jahre wieder…

9. Januar 2006, 00:00 Uhr von Uwe

„Mach nich so ’ne Hektik!“ Diesen Spruch läßt mein Vater immer los, wenn meine Mutter irgendwelche Feiertage planen will. Letzter Anlaß für derartige Planungen war die Weihnachtszeit inklusive Silvester und dem Geburtstag meiner Mutter, der kurz nach Jahresanfang und damit denkbar ungünstig liegt. Die Planung und das Schwanken zwischen guter Laune und Verzweiflung eskaliert dann in mehreren Stufen:

Stufe 1 – Anfang September
Im Supermarkt werden die ersten Regale mit Weihnachtsnaschkram befüllt, was ein untrügliches Zeichen dafür ist, daß in dreieinhalb Ewigkeiten mal Weihnachten sein wird. Darum muß sofort und am besten noch vorgestern mit der Planung dieses Events begonnen werden. Als erstes wird das Ziel postuliert: „Wir machen dieses Jahr ’n ganz ruhigen, kein Streß, keine Hektik.“ Mein Vater brummt dazu irgendwas zustimmendes und verschwindet anschließend wieder im Garten zum Laub harken. Mein Bruder und ich sagen gar nix, da wir aus jahrelanger Erfahrung wissen, daß es eh egal ist, was wir sagen, und am Ende kommt es ja doch ganz anders.
Stufe 1b ist dann erreicht, wenn meine Mutter beim Abendbrot den Satz ausspricht „Da müssen wir jetzt aber mal ne Planung machen.“ Stunden später einigt man sich dann auf einen Kompromiß, Mutter kriegt ein Glas Wein und Vater holt Zettel und Stift zum Notieren der Planung.

Stufe 2 – November
So langsam hat sich die Einsicht durchgesetzt, daß man doch mal langsam mit der Planung konkret werden sollte, denn „wir wollten doch dieses Jahr zu Weihnachten essen gehen“ beinhalten die unausgesprochene Formulierung „und dazu müssen wir einen Tisch reservieren, und dazu müssen wir wissen, für wieviele Leute“. Ob dieser Erkenntnis beginnt das große Telefonieren mit den Großeltern. Nachdem diese sich entschlossen hatten, aufgrund der allgemeinen Großwetterlage daheim zu bleiben,kann auch ein Tisch bestellt werden – nur muß sich dazu der Familienrat einigen, in welches Lokal es gehen soll. Da sich die Auswahl auf „das oder gar keins“ beschränkte, einigte man sich jedoch bemerkenswert schnell, denn die Alternative „gar keins“ beschrieb auch die Menge des selbstgekochten Alternativessens ausreichend genau.

Stufe 3 – Ende November
Nachdem klar ist, daß Weihnachten unausweichlich sein wird, muß es an die Planung der Beschenkerei gehen. Mein Bruder und ich machen es sich da viel einfacher und tragen so auch gleich zur Reduktion des Einkaufsstresses bei: Man kauft sich einfach ein paar neue Klamotten und bittet um finanzielle Beteiligung oder schickt ein paar Links zu interessanten Geschenkvorschlägen.

Stufe 4 – 1. Advent
Die Wohnung muß dekoriert werden, damit eine weihnachtliche Stimmung aufkommen kann. Dazu klettert Vater auf den Dachboden, holt einen Karton voll mit Räuchermänneln, Pyramiden und sonstigem Gedöns runter und verteilt die ganzen Staubfänger in der Wohnstube. Damit ist das bei uns erledigt, in gewissen Gegenden muß hingegen die ganze Bude taghell illuminiert werden (Vorsicht, 5MB Video!). Das ganze erinnert irgendwie an die Erzählung von der Randsiedlung Önkelstieg…
Für mich beginnt die Stufe 4 mit der Feststellung, daß ich Plätzchen und Nußecken backen sollte, sonst gibt es derartige Köstlichkeiten zu Weihnachten nicht, und das geht ja schonmal gleich gar nicht. Die Großeltern geben dann auch noch ihren Senf in Form von Mandelstollen dazu, somit ist gesichert, daß man Weihnachten nicht verhungert. Mutter fängt ihrerseits an, zigtausend Mal die Kühltruhe umzustechen und den Inhalt zu katalogisieren. Daraus entsteht dann ein Menüplan mit 11 Gängen, der vom Rest der Familie rundheraus abgelehnt wird, da spätestens am zweiten Weihnachtsfeiertag eh keiner mehr Hunger hat.
Daraufhin verzieht sich Mutter beleidigt an den Rechner zum Solitaire-Spielen und erwartet von allen eine Liste mit Essensvorschlägen für die Weihnachtstage. Das klappt dann erstaunlicherweise sehr gut, mit dem kleinen Problem, daß die Listen so gut wie disjunkt sind, d.h. es bleibt eigentlich nur noch Gemüsesuppe und Nudeln mit Tomatensoße übrig. Viel wichtiger ist jedoch die Feststellung, daß es unbedingt Schoko-Mandel-Pudding mit Schlagsahne geben muß, und daß Vater gefälligst vernünftiges Bier kaufen soll und keine Plörre zu 4 EUR irgendwas pro Kasten. So is das halt mit verwöhnten Kindern, die wollen Qualitätsware…

Stufe 5 – Eine Woche vor Weihnachten
Das ist normalerweise der Zeitpunkt, an dem man sich möglichst weit entfernt von zuhause aufhalten sollte. Jetzt geht das eigentliche Chaos los, denn Vater hat inzwischen Urlaub und beginnt dann in einer großangelegten Aktion das gesamte Haus zu putzen. Und wer nicht rechtzeitig abgehauen ist, wird zum Mitmachen verdonnert. Diesen Fehler macht man folgerichtig nur einmal. Das Putzen ist zwar eigentlich gar nicht notwendig und zu diesem Zeitpunkt sowieso ziemlich sinnlos, aber da ja im Regelfall die Verwandschaft in Kompaniestärke anrückt und jedes Staubkorn unterm Sofa findet, und überhaupt und so. Also muß das Haus geputzt werden, auf daß der Nachbar von soviel Glanz geblendet werde. Der Glanz ist aber nur von kurzer Dauer, denn es folgt ja nun erst noch

Stufe 5b – Aufbau des Weihnachtsbaums
Dieses Ritual beginnt mit dem Suchen von Säge und Weihnachtsbaumständer. Nachdem dieses abgeschlossen ist, wird der Baum millimetergenau zurechtgefeilt, bis er in den Ständer paßt. Das passiert wohlgemerkt in der frisch geputzten und gesaugten Wohnstube. Wenn der Baum erstmal reinpaßt, muß er nur noch aufgestellt und ausgerichtet werden. Da gibt dann jeder seinen Senf dazu, und irgendwann steht der Baum dann sogar halbwegs lotrecht. Jetzt folgt noch das obligatorische Verzieren mit Lichterkette, Kugeln und Lametta, und anschließend geht die Putzerei nochmal los – da aber selbst mein Vater dann keine große Lust mehr hat, wird nur der gröbste Müll weggesaugt, der Rest ist unterm Baum eh nicht zu sehen. In diesem Zusammenhang könnte man vielleicht in Zukunft die Initiative „Gummibaum statt Weihnachtsbaum“ unterstützen…

Stufe 5c – Heiligabend
So, nun sollte eigentlich die Hektik beendet sein und man kann ein gemütliches, harmonisches und besinnliches Weihnachtsfest erleben. Denkste. Mutter macht sich nämlich zu diesem Zeitpunkt große Sorgen wegen des Auftritts des Frauenchors, denn die singen da offenbar nur Lieder in der vokalen Stratosphäre, und der Alt is auch so schwach besetzt und überhaupt wurde das eine Lied viel zu selten geübt und dann isses doch auch noch kalt und überhaupt. So schlimm kann das Ergebnis der Trällerei aber auch nicht sein, faule Eier oder alte Tomaten wurden noch nicht nach ihr geworfen. Dafür geht sie der Familie beim Üben mächtig auf den Keks.
Nachdem also Mutter an Heiligabend mit dem Chor gesungen hat, versammelt man sich so gegen 18 Uhr, nein, nicht vorm Weihnachtsbaum, sondern vorm Backofen, denn da ist der vorbereitete Auflauf drin, den es schon vor einer halben Stunde hätte geben sollen. Mutter (ver)zweifelt daraufhin an ihren Kochkünsten, an der Eieruhr und am Rezept, Vater brummt nur irgendwas von „hättste was gesagt, daß wir den eher reinschieben sollen“, und ich sitze dazu auf dem Sofa und gucke Loriot – Weihnachten bei Hoppenstedts. Zur Auflockerung der allgemeinen Atmosphäre wird dann erstmal beschert, dank der ausgeklügelten Planung ohne SOS-Programm (Schlips, Oberhemd, Socken), dafür mit riesengroßen Freßtüten voller Marzipan, Dominosteinen, Schokolade und weiteren Dickmachern. Daraufhin beginnt ein reger Austausch, bis dann jeder in seiner Tüte nur noch Zeugs hat, was er auch essen will. Das ist immer noch einfacher, als Oma zu erklären, daß in die eine Tüte keine Lakritze und in die andere kein dunkle Schokolade soll.
Jetzt ist zwar der Auflauf bereit zum Verzehr, aber ich bin es nicht mehr, denn inzwischen kommt Familie Heinz Becker mit ihrem Streit um die Christbaamspitz, und sowas darf man ja nicht verpassen. Also wird das Essen kurzentschlossen vor den Fernseher verlegt. „Dann räumen wir auf, und dann wirds gemütlich“ – um mal Loriot zu zitieren, denn so gehts auch bei uns weiter. Das Gemütliche besteht dann aus einer oder zwei Flaschen Wein, einer Schale mit Knabberkram und Schokoladenzeugs sowie einer gemeinsamen Runde Würfeln oder Kartenspielen. Und damit sind dann alle froh und zufrieden, den ganzen Zirkus ohne große Panik überstanden zu haben. Aber das war ja auch erst der Anfang.

Stufe 6 – 1. Weihnachtsfeiertag
An diesem Tag brechen die ersten aufgestauten Aggressionen heraus. Mutter beschwert sich, daß die Kinder so lange pennen und das gemeinsame Frühstück ausfallen lassen, Vater regt sich auf, daß er zum Mittagessen im Lokal ein Sakko anziehen soll, ich stelle fest, daß ich kein Hemd habe, was zum Sakko paßt, und bei meinem Bruder mangelt es an ordentlichen Schuhen. Tja, Fehlplanung, man sollte die Kleiderordnung eben nicht erst eine Stunde vor dem Losgehen festlegen. Obendrein muß ja auch noch der Schokoladenpudding gekocht und kaltgestellt werden. „Eigentlich wollte ich meine Ruhe haben.“ ist somit der am meisten geäußerte Satz des Tages, zusäzlich kriegen mein Bruder und ich dann auch noch ein „Das hier ist nicht Hotel Mama!“ zu hören, und nach dem Mittagessen verzieht sich jeder in eine andere Ecke des Hauses, womit tatsächlich Ruhe einkehrt.

Stufe 6b – Zwischen Weihnachten und Silvester
Silvester wird traditionell mit mehreren Bekannten gefeiert. Das hat zur Folge, daß zunächst mal der Weihnachtsbaum rausgeschmissen werden muß, um Platz zu schaffen. Dann beginnt für meine Mutter eine hektische Küchenarbeitsphase, in der zahllose Salate, Spieße und ein Topf Bowle vorbereitet werden müssen. Vater hingegen will lieber noch die letzten Heimwerkerprojekte des Jahres beenden und kann darum nicht in der Küche helfen, was natürlich zu latenten Spannungen und einem schiefhängenden Haussegen führt – mal mehr, mal weniger, je nach dem, wie streitlustig alle noch sind.
Der Höhepunkt der Feiervorbereitung ist erreicht, wenn eine Stunde vor Beginn die Suche nach einer passenden Tischdecke beginnt und Vater feststellt, daß der Wein garantiert nicht reichen wird und Mutter das Büffet auch ziemlich mickrig findet. Und so kläfft man sich dann gegenseitig noch ein wenig an, bis die ersten Gäste vor der Tür stehen. Und oh Wunder, sie bringen auch noch einen Salat und einen Kasten Bier mit und am nächsten Morgen stellt man fest, daß man von den Resten noch vier Wochen zehren kann.
Diese Stufe entfiel dieses Jahr, bzw. wurde sie auf nach Silvester und vor Mutters Geburtstag verschoben. Somit ergab sich die völlig unübliche Tatsache, daß ich zu Silvester meine Ruhe hatte. Keine Gäste, kein Streß, nur ich, laute Musik, eine Flasche Wein und ein Puzzle. Warum kann das nicht immer so sein?

Stufe 6c – Mutters Geburtstag
Dieses Ereignis findet eigentlich als zweiter Teil der Silvesterfeier statt und eignet sich somit hervorragend zur Resteverwertung. Insofern ist das mit dem Vorbereitungsaufwand wie in Stufe 6b beschrieben nicht ganz so tragisch, dafür kommen aber noch ein paar mehr Gäste, die gerne mal ins Rotweinglas schauen, was dann ein Problem für die Vorräte ist. Aufgrund jahrelanger Übung klappt das mit der Planung aber ganz gut, und so gegen halb drei kann man dann auch mal dran denken, ins Bett zu fallen, nachdem der neueste Klatsch ausgewertet ist, von dem ich natürlich nur Bahnhof verstehe, weil ich eigentlich niemanden dort kenne (und dem Getratsche nach zu urteilen will ich das auch gar nicht).

Stufe 7 – Finale
Das letzte Wochenende, bevor man wieder arbeiten gehen muß. Beim Aufwachen hat man das Gefühl, im Kopf arbeite jemand mit dem Preßlufthammer. Überhaupt ist man sich sicher, daß der Kopf am Abend vorher nur halb so groß war. Es ist auch nicht ganz klar, wieso das Bett so schwankt, und sowieso hat man sich auch schon mal besser gefühlt. Der Blick auf den Wecker bestärkt einen in der Entscheidung, Frühstück und Mittagessen ersatzlos zu streichen, man hatte ja ohnehin keinen Appetit. Stattdessen schluckt man eine Aspirin, dreht sich um und schläft wieder ein. Und das ist dann endlich der Zeitpunkt, auf den man die ganze Zeit hingearbeitet hat – Ruhe und Entspannung.

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