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Das Märchen vom Gewinneinbruch

11. September 2003, 00:00 Uhr von Uwe

Es war einmal vor langer Zeit, genauer gesagt in einer Zeit, als es noch keine CDs mit Kopierschutz gab. Damals gab es viele CDs, und Kassetten, und teilweise sogar noch Schallplatten. Und dann gab es natürlich viele Leute, die gerne Musik hörten. Und weil sie gerne Musik hörten, kauften sie sich CDs, und hörten sich die an. Weil sie aber die CDs nicht überall hören konnten, zum Beispiel weil das Autoradio nur ein Kassettendeck hatte, kauften sie sich noch Kassetten und überspielten ihre Lieblingstitel auf Kassette und konnten dann auch im Auto ihre Lieblingsmusik hören. Und wenn jemanden die Musik so gut gefiel, daß er meinte, sein bester Kumpel könnte die auch mögen, hat er ihm mal schnell die Kassette geliehen. Die Kunden freuten sich, die Musikindustrie freute sich, und alles war in bester Ordnung.

Und dann kam die Katastrophe. Ein cleverer Mensch kam auf die Idee, man könnte ja die Musik auf einem Computer abspeichern. Da hat man kein Rauschen wie mit Kassetten, und handlicher ist es auch noch. Da die reinen Audiodaten aber viel zu groß waren, erfanden kluge Leute einen Weg, die Daten ohne großen Verlust zu komprimieren. Und so entstand das mp3-Format. Nun hatte man plötzlich die Möglichkeit, seine CDs als handliche Dateien auf dem Computer zu speichern und sie auch übers Internet mit anderen Leuten zu tauschen.

Das wurde so populär, daß ein anderer cleverer Mensch auf die Idee kam, man könnte ja eine Tauschbörse einrichten, damit man einen Titel den man gerne hören möchte auch schnell finden kann. Und so tauschten immer mehr Leute ihre Musiktitel untereinander aus. Das führte dann natürlich dazu, daß sich immer mehr Leute fragten, warum sie sich für viel Geld die CD im Laden kaufen sollten, wenn sie sich doch die Titel aus dem Internet ziehen und auf einen CD-Rohling brennen konnten.

Und so merkte die Musikindustrie plötzlich, daß die Leute weniger CDs kauften, dafür aber mehr CD-Rohlinge. Das war der Musikindustrie natürlich gar nicht recht, also überlegten sie sich, wie man dafür sorgen könnte, daß die Leute wieder mehr CDs kauften. Und so kamen wieder andere clevere Leute auf die Idee, man könnte die CD ja so manipulieren, daß man sie im Computer nicht mehr abspielen könnte, so daß man sie ja auch nicht mehr kopieren und als mp3 tauschen konnte, und die Leute müßten sich die CD im Laden kaufen, und die Industrie würde wieder mehr Gewinn machen.

Also wurden mal einige potentielle Charthits mit einem Kopierschutz versehen, und die Leute kauften die CDs, weil sie ja nicht ahnten, daß da irgendwas gemacht worden war. Doch nun gab es ein Problem – der Kopierschutz funktionierte so gut, daß die CDs nicht nur auf Computern keinen Ton von sich gaben, sondern auch in vielen CD- und DVD-Playern. Das gefiel natürlich den Leuten, die sich die CDs für teures Geld gekauft hatten, überhaupt nicht.

Also verbesserten die Leute von der Musikindustrie den Kopierschutz, so daß die CDs auf CD-Playern ordentlich liefen. Dummerweise war das aber viel komplizierter, als sie sich das gedacht hatten, und so gab es immer wieder Probleme, daß CDs auf bestimmten Playern nicht funktionieren. Da fühlten sich die CD-Käufer natürlich betrogen, denn sie hatten viel Geld für CDs ausgegeben, die sie nun nicht anhören konnten. Und warum sollten sie sich extra für diese CDs einen neuen CD-Player kaufen, mit dem das möglich wäre? Und warum sollten sie sich mit Hilfe des Computers keine Kopie der CD fürs Autoradio anfertigen können, wo das Gesetz das doch ausdrücklich erlaubte?

Auf diese Fragen kannte die Musikindustrie nur eine Antwort: Sie zeigte auf die Verkaufszahlen, und da stand dann, daß mehr Rohlinge als bespielte CDs verkauft wurden, und daß hunderttausende Titel aus dem Internet heruntergeladen wurden und daß diese ganzen Einnahmen nun fehlten und es der Industrie deswegen sehr schlecht ginge.

Dem widersprachen die Käufer allerdings. In der Zeit, als es noch keine Internet-Tauschbörsen gab, kopierten die Leute ja auch auf Kassetten und die Industrie machte trotzdem viel Gewinn. Und dem Argument, jedes aus dem Netz kopierte Lied entspräche einer gekauften CD weniger, konnten sie natürlich auch nicht zustimmen. Vielmehr hatten die Leute so die Möglichkeit, problemlos in neue Titel hineinhören und dann entscheiden, die CD zu kaufen, ohne das Risiko eines Fehlkaufs einzugehen. Viele Leute kauften sogar mehr CDs als vorher, weil sie besser informiert waren. Das war natürlich deshalb wichtig, weil viele CDs nur ein oder zwei gute Titel enthielten und damit das Geld nicht wirklich wert waren. Das wiederum war natürlich ein von der Musikindustrie hausgemachtes Problem. Es wurden immer mehr Bands unter Vertrag genommen und immer mehr Alben und Singles veröffentlicht und beworben, bis der Markt völlig übersättigt war. Als Folge wurden die Kunden natürlich kritischer, denn den vierhundertdreiundsiebzigsten Aufguß eines zehn Jahre alten Songs wollte keiner wirklich haben.

Und die Leute, die in Ruhe in die Titel hineingehört hatten und sich bewußt zum Kauf einer CD entschieden hatten, wollten sich dann natürlich nicht mit einem Kopierschutz herumärgern, der ihnen nur Schwierigkeiten beim Abspielen bereitete. Denn selbst wenn die CD abzuspielen ging, war die Qualität niedriger, weil der Kopierschutz durch absichtliche „Kratzer“ in der CD den Klang beeinträchtigte und die CDs anfälliger gegen echte Kratzer machte.

Von diesen Argumenten ließ sich die Musikindustrie aber nicht beeindrucken. Und so wurden wieder neue Kopierschutzverfahren erfunden und die Käufer meckerten weiter, und wenn sie nicht gestorben sind kopierschützen und streiten sie noch heute.
[Update] Da das mit dem Kopierschutz inzwischen auch vom gemeinen Massenmarkt a la „Deutschland sucht den Superdepp“ auf Bereiche brauchbarer Musik übergreift, hier noch ein paar passende Links zum Thema – denn es kotzt mich als Musikliebhaber mit mehr als 400 (Standard)-CDs einfach maßlos an:

  • Heise Un-CD Register – Eine sehr umfangreiche Datenbank von kopiergeschützten CDs mit Angaben zu Abspielproblemen und der Kopierbarkeit auf verschiedenen Geräten.

Ein Kommentar zu “Das Märchen vom Gewinneinbruch”

  1. Patrick Nermerich

    Recht hat er. Aber wir sollten nicht der Illusion verfallen, dass sich das in näherer Zukunft ändert. Denn warum das eigene Handeln hinterfragen und ändern, wenn es auch einfacher geht und den schwarzen Peter einem Anderen in die Schuhe schieben.

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