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Wasserfälle und Gletscherblick

1. Oktober 2023, 00:27 Uhr von Uwe

Die zweite Wanderung in St. Moritz führte wieder zum Berninapass. Anno 2017 war ich von dort schon Richtung Alp Grüm und Cavaglia (also Richtung Süden) rumgestiefelt, diesmal war die andere Seite dran. Da verläuft der Pass sehr flach bis nach Pontresina, das lässt sich auch für weniger geübte Wanderer (oder für geübte Wanderer mit verhärteten Muskeln) vernünftig laufen. Also zumindest wenn nicht grad höchstsommerliche Temperaturen herrschen. Aber der Reihe nach…

St. Moritz – Ospizio Bernina (22.7 km, ↗613m, ↘200m*)

* So ganz trau ich dem Braten nicht, es geht zwar von St. Moritz bis nach Pontresina noch ein Stück runter, aber keine 200m. Da ist vermutlich ordentlich Ungenauigkeit, weil man im Zug ja nicht notwendigerweise guten Empfang hat.

Der Blick aus dem Fenster war morgens genau null vernebelt, stattdessen gabs allerblauesten Himmel und eine Wettervorhersage in Richtung 30 Grad, selbst auf den Höhen der Alpen. Der erste Weg führte mich dann trotzdem zum Frühstücksbuffet, denn ohne Mampf kein Kampf und so. Die geplante Wanderung gehörte zu einer der längeren Sorte (im Maximalfall über 20km, aber ich konnte unterwegs an einer der Bahnhaltestellen abkürzen, falls das Wetter oder die Beine oder beides oder was ganz anderes es erforderlich machen würden.

Den Haken da rechts im Diagramm muss man ignorieren, da stimmt irgendwas im nachgebauten Kurs nicht – die Zacke sollte weniger steil nach unten gehen – aber sowas kommt eben raus, wenn man mit unzureichender Datenlage operieren muss. Mir fällt auch grad auf, dass der letzte Abschnitt von Pontresina nach St. Moritz fehlt, aber den kann man sich aus dem Beitrag zur vorherigen Wanderung extrapolieren – das sind 10 min Bahnfahrt, da passierte nun wirklich nix relevantes mehr.

So, zurück zum eigentlichen Text: Nach dem Frühstück ging es wieder zum Bahnhof und mit dem gleichen Zug zur gleichen Zeit wieder los Richtung Berninapass. Über die Schönheiten der Strecke brauch ich hier jetzt nich zu schreiben, die wurden ja später noch zu Fuß erkundet, außerdem war ich ja erst am Vortag hier langgefahren und hab das bereits in epischer Breite beschrieben. Wichtig war nur, dass das Wetter einer schönen Aussicht genau gar nix in den Weg gestellt hatte.

Ospizio Bernina – Cascada di Bernina (9.7 km, ↗69m, ↘322m)

Die Wanderbeschreibung muss ich hier nun etwas blöd aufteilen, weil mittendrin mein GPS-Tracker nix mehr tracken wollte. Ob nun der Akku leer war oder ich ihn versehentlich beim Rumwurschteln im Rucksack ausgeschaltet hab, als ich was zu Trinken rausgekramt habe, lässt sich nicht mehr nachvollziehen. Bis zu den Wasserfällen oberhalb von Morteratsch gibt es eine Aufzeichnung, danach habe ich den Weg anhand der Fotos und der Landkarten und viel Google Earth versucht grob nachzuplotten.

An der Passhöhe angekommen war ich nicht der einzige arme Irre, der bei diesem Kaiserwetter wandern wollte. Vor dem Damenklo gabs auch prompt einen Stau, der mich zum Glück nicht tangierte, ich hatte meinen Kaffee in weiser Voraussicht noch vor der Abfahrt weggetragen. Stattdessen wurde also fett Sonnencreme aufgetragen, diesmal auch auf die Unterschenkel, denn erstmals war die kurze Hose umgeschnallt.

Und dann gings auch schon los. Man beginnt also auf etwa 2250 Höhenmetern erstmal ziemlich topfeben entlang des Lago Bianco. Erstes Ziel war die Kontinentalwasserscheide zwischen dem Lago Bianco und dem Lej Nair (was so viel heißt wie weißer See und schwarzer See und sich auf die Farbe des Wassers bezieht). Der Lago Bianco wird direkt aus einem oberhalb befindlichen Gletscher gespeist, in den Lej Nair fließt das Wasser nur über Umwege. Gleichzeitig fließt der Lago Bianco auch in Richtung Italien und dann über den Po in die Adria, während der Lej Nair in Richtung St. Moritz entwässert und dann über den Inn in die Donau und damit ins Schwarze Meer entwässert. Hinter St. Moritz ist dann gleich die nächste Wasserscheide, ab dem Albulapass gehts dann in den Rhein und somit in die Nordsee. Auf jeden Fall steht da ein großes gelbes Schild, was auf diese relevante geographische Besonderheit hinweist.

Der Weg führt von da nun gemächlich bergab und lässt sich bestens laufen – man muss sich nur drüber klar sein, dass es auf der Höhe außer Gräsern und Moosen nix mehr gibt und man entsprechend keinen Schatten finden wird. Dafür hat man allerbesten Blick auf die umliegenden Berge mitsamt Gletschern und zwischendrin kurvt ja auch noch die Berninabahn herum. Der Wanderweg war da auch ziemlich gut gefüllt, wozu auch die zahlreichen Wanderparkplätze rund um die Seilbahnen von Bernina Diavolezza und Bernina Lagalb beitragen.

Hier hatte ich jetzt auch das erste Mal in diesem Urlaub nähere Bekanntschaft mit Vierbeinern. Überraschenderweise waren das aber keine Kühe, sondern Pferde (gut, die Kühe waren 300m weiter, aber trotzdem, die Pferde standen mir zuerst im Weg herum – steht ein Pferd auf der Flur und so). Damit war dann aber auch schon die Baumgrenze erreicht, was freilich noch nicht viel Schatten gab, da der Weg noch relativ offen im Gelände verläuft. Allerdings kommt man da dann auch man da dann auch plötzlich mal an Ecken wo man denkt, man hat sich ins tiefste Kanada oder Alaska gebeamt. Bis zum Horizont nix zu sehen von menschlichen Eingriffen in die Natur, ein wilder Bach plätschert vor einem, im Hintergrund ein paar hohe Berge – fehlten nur noch die Lachse und Grizzlys.

Das erste Zwischenziel der Wanderung waren schließlich die Wasserfälle „Cascada da Bernina“. Da geht es plötzlich relativ steil nach unten, während der Weg bis dahin vergleichsweise flach war (reichlich 200 Höhenmeter auf rund neun km, danach dann nochmal 200 Höhenmeter auf ungefähr einem Kilometer). Der Wanderweg an den Wasserfällen ist dabei für Radfahrer zum Glück gesperrt, stattdessen gibt es mehrere Aussichtsplattformen. Bevor ich mir das anschaute war Pause angesagt, und irgendwo da ist dann auch der GPS-Track zuende… Tscha…

Cascada di Bernina – Pontresina (9.7 km, ↗60m, ↘189m *)

* Ab hier sind die Werte auf Basis von bekannten Höhenwerten (Wegweiser, Kartendaten, usw.) und Foto-Zeitstempel interpoliert, da der GPS-Tracker ja wie gesagt nicht tracken wollte. Die realen Höhenmeter sind vermutlich erheblich mehr gewesen, es ging ja allein vom Wasserfall nach Morteratsch schon über 100m runter, und dann auf der anderen Seite Richtung Montebellokurve wieder hoch.

Eine Pause später war nun also Wasserfall gucken angesagt. Das ist durchaus beeindruckend, was das Fließgewässer da für Formen in den Stein geschliffen hat. Über diverse Treppenstufen ging es nun steil hinunter in Richtung Morteratsch. Das ist eigentlich nur wegen seiner Bahnstation und einem Campingplatz relevant, da man von hier aus zahlreiche Wandertouren starten kann. Entsprechend viel Betrieb war hier. Für hochgezogene Augenbrauen meinerseits sorgten zwei Typen, die nicht etwa ein Mountainbike den Berg hochschoben, sondern ein geländegängiges Einrad. Ich komme später drauf zurück.

Der Abstieg endete kurzfristig an der Berninabahn, nämlich ziemlich genau zwischen der Station Morteratsch und der Montebello-Panoramakurve, die das nächste Ziel war. Da führte der Weg dann ein paar Meter entlang der Bahn und erlaubte nochmal einen schönen Blick auf eine Brücke samt wildromantischem Fließgewässer. Und mitten in dem Fließgewässer hockte eine junge Dame im Bikini, die dort die beste Kameraposition für ein Selfie suchte. Das war optisch jetzt nicht so wirklich schlecht anzusehen, aber muss das denn wirklich sein? Mal abgesehen davon, dass das Wasser ausm Gletscher ja ziemlich eiskalt ist…

Jedenfalls gings nun nochmal ein paar Meter nach unten bis zur Straße und zum gut gefüllten Großparkplatz. Hundertpaarundfuffzich Meter weiter gings dann aber schon gleich wieder den Berg hoch in Richtung Montebellokurve. Da ging es also schön steil nach oben, 150 Höhenmeter auf etwa einem Kilometer. Da ist man dann schon erstmal gemütlich unterwegs, zumal man ja auch aufpassen muss mit Gegenverkehr und so – wilde Mountainbiker springen ja gerne mal aus dem Gebüsch. In diesem Fall kamen mir aber keine Mountainbiker entgegen, sondern gleich ein ganzer Schwung Einradfahrer – in einem Affenzahn, und dann nur auf einem Rad den Berg runterbrettern, die hatten also definitiv ein Rad ab, und zwar nicht nur an ihrem Untersatz. Ich hab zumindest ein Foto davon machen können, das glaubt einem ja sonst keiner, dass einem das passiert ist.

Das nächste Ziel war nun also die Panoramakurve. Hier macht die Berninabahn eine 180-Grad Kurve mit heftiger Steigung, in diesem Kreisbogen ist ein Bahnübergang, und neben dem Bahnübergang ist ein Parkplatz, denn von hier hat man über die Baumwipfel hinweg den besten Blick auf den Morteratschgletscher. Vom Zug aus kann man da durch den engen Kurvenradius sogar von hinten im Zug den eigenen Zug in der Kurve vorm Gletscher fotografieren. Entsprechend gut besucht war der Parkplatz mit so lahmarsch-Touris, die aus einer dicken klimatisierten Blechkalesche rausfallen, zwei Fotos machen und wieder weiterfahren. Motorradfahrer waren auch jede Menge unterwegs, und dann halt so ein komischer Kauz wie ich.

Nach dem anstrengenden Aufstieg war hier nun also Verschnaufen angesagt, weil ich natürlich das Fotomotiv „Zug vorm Gletscher“ umsetzen wollte. Ich brauchte auch keine fünf Minuten warten, da kam schon ein Zug vom Pass heruntergefahren. Das ist allerdings nicht optimal von der Bildgestaltung her, auch wenn die Fahrgäste in den zwei offenen Plattformwagen die Fahrt an der frischen Luft sichtlich genossen. Unten im Tal wartete aber schon der Gegenzug, und so hatte ich nochmal fünf Minuten später das Fotomotiv im Kasten bzw. aufs Smartphone gespeichert.

Nun hatte ich die Wahl: Wieder runter nach Morteratsch und dann mit der Bahn zurück? Oder doch lieber in Richtung Pontresina wandern, was aber nochmal reichlich fünf Kilometer waren. Ich entschied mich für letzeres, da der Weg laut Wanderbeschrieb sehr gleichmäßig den Berg runterführen sollte, und ich noch viel Zeit hatte. Außerdem führte der Weg durch den Wald und damit nicht die ganze Zeit durch die pralle Sonne.

Das war insgesamt eine gute Idee, der Weg war wirklich schön zu wandern, und auch lange nicht so überlaufen wie die Wege weiter oben am Pass. Erst ab Ortseingang Pontresina wurde es dann zäh, der Ort zieht sich ziemlich, und da läuft man dann an der Straße lang, der Asphalt reflektiert die Nachmittagshitze, das war dann eher mäßig. Die Ausschilderung führte mich dann an der Station Surovas vorbei, da hätte ich aber fast 45min in der prallen Sonne auf den nächsten Zug warten müssen, da konnte ich die letzten anderthalb Kilometer bis Pontresina dann auch noch laufen. Hier gabs nochmal einen fiesen steilen Abstieg, aber gegen 15:30 Uhr herum war ich am Bahnhof angekommen. Der Maximalweg hätte nun von hier aus noch nach St. Moritz weitergeführt (nochmal rund fünf Kilometer), aber in Anbetracht der Hitze und des Zustands meiner Beine war es ok, die Wanderung dort zu beenden.

Der Zug fuhr dann gegen 16 Uhr ab und brachte mich pünktlich (muss man das eigentlich erwähnen?) nach St. Moritz. Einen Umweg zum Supermarkt später war damit die Wanderung für heute beendet.

It’s pizza o’clock

Das Abendessen gab es schließlich diesmal in einer Pizzeria, so richtig rustikal, mit karierten Tischdecken und allem was man sich so klischeemäßig vorstellt. Ich war sehr pünktlich dran, später wurde der Laden dann richtig gut voll. Das Überraschendste dabei war das Tempo, in dem die Pizza serviert wurde – ich hatte noch nichtmal meine erste Runde Getränk kaltgemacht, da gabs schon was zu Futtern. Lecker wars auch, ich war danach gut satt. Kann ich also empfehlen, La Stalla heißt der Laden.

Auf dem Weg zurück ins Hotel kam ich dann noch (neben einem Pelzladen, diversen Modeläden, einem Chocolatier und anderen Schaufenstern für die oberen Zehntausend) auch an einem Juwelier vorbei. Da gabs neben allerhand diamantösen Griffelklunkern auch Armbanduhren im Schaufenster zu bestaunen. Und damit meine ich jetzt nicht ne schnöde Rolex, sondern Zeiteisen für vier- und fünfstellige Summen. Ich steh also vor diesem Schaufenster, guck diese lack-gesoffen-teuren Teile an, gucke meine 20 EUR-Casio an meinem Handgelenk an, gucke nochmal ins Schaufenster – und stell mir schließlich die Frage: „Wie dekadent muss man eigentlich sein, um eine fünfstellige Summe auszugeben für eine Uhr, die nichtmal das kann, was ich von einer Uhr erwarte – nämlich einigermaßen genau die Uhrzeit anzuzeigen?“ Jede einzelne der Uhren in dem Schaufenster zeigte irgendeine Zeit an, die aber mal gar nix mit der aktuellen Uhrzeit zu tun hatte. Da bleib ich also lieber bei meinem ollen Billigchronographen, den ich vor knapp 20 Jahren gekauft hab – Retro ist ja eh angesagt, und meine geht inzwischen sogar als Vintage durch…)

Damit war der Tag dann auch geschafft, ich stellte dann nur noch fest, dass meine Unterschenkel mir die rote Karte zeigten – da hatte es sich gerächt, dass der Wanderweg immer in die ziemlich gleiche Richtung geführt hatte, die Sonne hatte ganze Arbeit geleistet. War aber auch egal, am nächsten Tag war Bahnfahren angesagt, da konnte sich alles etwas beruhigen. Ich gehe auch davon aus, dass ich nicht zum letzten Mal in der Ecke war, die Wanderung kann man auch von Morteratsch aus machen und dann variieren, man muss ja nicht oben am Pass anfangen mit marschieren. Und dann wird der GPS-Tracker genauer überwacht.

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