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Schöne Aussichten

11. September 2023, 23:36 Uhr von Uwe

Die Wanderung im Tessin hatte mich ja ordentlich geschlaucht und war in Punkte Aussichten auch enttäuschend verlaufen. Das sollte diesmal ganz anders werden. Und von wo hat man allerbeste Aussichten? Richtig, von einem hohen Punkt, der sich weit über dem umgebenden Gelände befindet. Und ein solcher war auch gleich das erste Ziel der Wanderung.

Brig – Fürgangen-Bellwald (19.8km, ↗598m, ↘44m)

Zuallererst gings aber natürlich trotzdem frühstücken, denn ohne Mampf kein Kampf und so. Das Wetter war erheblich besser als am Vortag, soll heißen quasi wolkenloser Himmel, erträgliche Luftfeuchtigkeit und viel Sonne. Da ich aber schon am frühen Morgen unterwegs war, hielten sich die Temperaturen noch im Rahmen.

Zum dritten und letzten Mal in diesem Urlaub gurkte ich also um 8:23 Uhr von Brig Richtung Oberwald. Diesmal wurde allerdings bereits vorher ausgestiegen, nämlich in Fürgangen-Bellwald. Von dort führt eine Seilbahn zum eigentlichen Ort Bellwald (da endet der Gommer Höhenweg, den ich am ersten Tag teilweise gelaufen war), während der Bahnhof eigentlich in Fürgangen liegt. Die Seilbahn war aber auch gar nicht das Ziel. Das baumelt nämlich auf der anderen Seite in der Gegend herum, nämlich knapp 100m über der Rhone, die sich hier eine knapp 300m breite Schlucht geschnitten hat. Richtig, eine Brücke.

Diese Brücke hört auf den schönen Namen „Goms Bridge“ und ist eine relativ neue Errungenschaft der modernen Technik, die gibt es nämlich erst seit 2015. Wenn ich hier schreibe Brücke ist es eigentlich nur ein paar Stahlseile und Holzplanken, denn es ist eine in der frei hängende Seilbrücke, über die nur Fußgänger drüber können. Radfahrer müssen ihr Gefährt schieben, und vierbeinige Huftiere dürfen nicht über die Brücke, steht extra auf einem großen Hinweisschild direkt neben der Brücke.

Fürgangen-Bellwald – Mörel (14.3km, ↗392m, ↘777m)

Nachdem ich dort also aus dem Zug gepurzelt war und mich mit Lichtschutzfaktor eingeschmiert hatte konnte es auch direkt losgehen. Die Brücke erwies sich als einigermaßen wacklige Angelegenheit, obwohl ich der einzige Depp war, der da so früh am Morgen drüber lief. Hier könnte man jedenfalls perfekt das mit dem Gleichschritt und der Resonanz und Eigenfrequenz demonstrieren wenn man wollte. Derlei Gedanken waren mir in dem Augenblick ziemlich Bockwurst, ich hatte genug damit zu tun, einen Schritt vor den anderen zu setzen, denn meine Höhenangst fand die Idee dieser Brückenquerung gar nicht komisch.

Mit einer Hand hielt ich mich also am Geländer fest, die andere umklammerte das Smartphone und mit der Nasenspitze konnt ich dann grad noch den Auslöser für Fotos betätigen (naja, nee, also es ging dann schon mit stillstehen und knipsen, aber viel hätte wirklich nicht gefehlt). Also schnell ein Foto links und ein Foto rechts und dann nix wie Blick stur gradeaus und runter von der Brücke marschiert. Und dann erstmal Pause machen, da ich nach nicht mal 800m Fußweg schon Puls hatte wie nach 10 Stockwerken Treppensteigen. Die Nerven beruhigten sich dann aber auch ganz schnell wieder, nachdem ich wieder festen Boden unter den Stiefeln hatte. Die Aussicht von der Brücke ist jedenfalls famos, es lohnt sich wirklich (vor allem wenn man nicht solche Weichei-Nerven hat wie ich).

Der Wanderweg führte mich nun über diverse Feldwege und Seitenstraßen nach Ernen. Das ist so ein ganz typisches Schweizer Kuhkaff, wo die Zeit irgendwann vor 120 Jahren stehengeblieben scheint. Holzhäuser, großer Brunnen auf dem Marktplatz, ein Schild mit dem Hinweis dass Ernen eins der schönsten Schweizer Dörfer sei und ansonsten sagen sich dort Fuchs und Hase Gute Nacht. Allerdings konnte ich einen recht umfangreichen Durchgangsverkehr konstatieren.

Mein Weg führte mich nun in Richtung Zauberwald. Ja, da Ding heißt wirklich so. Dort gibts ein paar Holzschnitzereien und einen Waldspielplatz für Kinder oder solche, die sich dafür halten. Und mit etwas Glück lauert hinterm nächsten Baum auch nicht Hexe Baba Jaga, denn die treibt ihr Unwesen normalerweise weiter nordöstlich. Jedenfalls führte der Weg dorthin immer entlang der Straße, die hier mit konstant 4% Steigung an den Berghang gemeißelt worden war. Das behauptete jedenfalls das Straßenschild, dass dort auch gleich ein rechtwinkliges Dreieck mit diversen Zahlen bereithielt (siehe Fotoseite). Erfreulicherweise lag die Straße um diese Zeit (halbdreiviertel zehn Uhr vormittags) noch im Schatten des Berghangs, so dass man da ganz bequem laufen konnte, immer leicht bergan, aber mit bequemer Steigung. Einzig auf den Autoverkehr musste man achten, und einmal auch auf mit einem Affenzahn um die Kurve rauschende Postbusse.

Am Zauberwald angekommen wurde kurz pausiert und die Wanderkarte studiert, denn nun ließ man die Straße links liegen und stapfte stattdessen auf einem schmalen Pfad abwärts zur Binna. Das ist ein kleiner Bergbach, der sich dort eine steile und tiefe Schlucht gegraben hat. Dieser Bach wird dann auf einer kleinen Brücke überquert und dann hatte ich Flashbacks vom Vortag, denn nun hieß es viele Stufen hinauf in Richtung Hockmatta klettern. Da war man dann auch raus aus dem Schatten der Berge, und die Sonne brannte schon wieder gewaltig. Hockmatta ist eigentlich nur eine Ansammlung von ein paar Scheunen und Wohnhäusern sowie einer Kapelle. Daneben steht dann ein fetter Wanderwegweise mit der Höhenangabe 1180m (oder so in der Größenordnung). Der Abschnitt vom Zauberwald bis Hockmatta war aber auch der einzige, der steil und etwas schwerer zu laufen war, ab hier lief ich nun immer auf gut ausgebauten Feldwegen, die man auch mit einem Trecker benutzen könnte.

Der Weg verlief nun immer oberhalb des Tals, und hier gabs auch keinen Wald, der die Aussicht versperrte. Stattdessen dominierten hier zahllose Wiesen, auf denen die Heuernte im vollen Gang war. Und dahinter türmt sich dann die andere Talseite mit so Orten wie Fiesch (der Sachse würde sagen da is vieh’sch was los) und Lax, hinter denen sich dann Eggishorn (2926m) und Bettmerhorn (2872m) in die Höhe schrauben. Dahinter könnte man dann den Aletschgletscher bewundern, wenn der Blick nicht durch die Berge verstellt wäre… Da müsste man dann von Fiesch aus mit der Seilbahn hochgondeln.

So hoch hinaus wollte ich ja aber gar nicht (im nächsten Urlaub dann vielleicht, wer weiß). Ich begnügte mich also mit dem Ausblick, der auch so schon für den vorherigen Tag entschädigte. Der Weg führte nun mehr oder minder leicht absteigend in geschwungenen Bögen in Richtung Grengiols. Auf der anderen Seite des Tals brummte der Straßenverkehr, alle paar Minuten ratterte auch ein Zug durch den dort befindlichen Zahnstangenabschnitt, ich hingegen musste nur auf gelegentliche Radfahrer achtgeben. Das lief sich also alles sehr gemütlich, und an jeder Kurve ergaben sich neue Ausblicks ins Tal.

Bei Grengiols macht das Gelände eine ziemlich steile Stufe (deswegen gibts ja dort nicht nur den Zahnstangenabschnitt der Bahn, sondern auch noch einen Kehrtunnel). Der Weg wurde hier nun steiler und führte in diversen Serpentinen hinunter zum Ortsrand von Grengiols. Das scheint ein Paradies für Tulpenfreunde zu sein, dort ist eine Tulpenwiese und ein Tulpenweg ausgeschildert – ich glaube auch nicht, dass sie damit Biergläser meinen. Mich faszinierte eher die gemessen an der Ortsgröße total überdimensionale Kirche.

Der ursprüngliche Wanderplan wäre nun gewesen, die Wanderung in Grengiols zu beenden. Da es aber grad erst gegen Mittag war, und ich ob der vielen schönen Aussichten gute Laune hatte und die Beine auch mitmachten wurde der Plan spontan abgeändert. Man könnte auch behaupten ich hätte keinen Bock gehabt, 100m steil zum Bahnhof runter zu stiefeln. Da ist durchaus was dran, meine Knie machten sich beim Treppensteigen öfter bemerkbar. Na jedenfalls bog ich in Grengiols dann doch nach links ab und wanderte weiter in Richtung Mörel. Das waren nochmal vier Kilometer, also auch nicht übertrieben viel, zumal sich inzwischen auch Wolken vor die Sonne schoben.

Das wiederum animierte mich dann zu einer eher schnelleren Gangart, denn die Wolken sahen nicht so wirklich freundlich aus, sondern eher nach spontanem Regenguss. Auch der Wind frischte merklich auf, so dass ich stellenweise meinen Hut festhalten musste, damit er nicht ohne mich abhob. Der Weg war nach wie vor ganz simpel, auf asphaltierten Nebenstraßen, die außer dem lokalen Bauern auch die Radfahrer nutzen, ging es gemächlich bergab. Der Ausblick umfasste hier nun den Blick in Richtung der Ortslage Grengiols mit der tief eingeschnittenen Rhone, dem Eisenbahnviadukt und anschließendem Kehrtunnel sowie der Seilbahnstation Betten, von wo aus man nicht etwa pennen geht, sondern zur Bettmeralp fahren kann. Da oben gibts aber außer schöner Aussicht nicht wirklich was.

Die letzten zwei Kilometer ging es nun doch deutlich steiler bergab, von etwa 900 auf etwa 750m nämlich. Das war aber im Vergleich zu den steilen Stufen in Grengiols deutlich angenehmer zu laufen, da es wie gesagt eine asphaltierte Nebenstraße statt endloser Treppenstufen war. Unten im Tal merkte man dann auch wieder, dass irgendwie Hochsommer angesagt war, da staute sich die Hitze. Ich musste nun nur noch ein paar hundert Meter durch Mörel bis zum Bahnhof laufen, das war aber kein Hindernis mehr. Und so ließ ich mich dann am Bahnhof auf eine Bank fallen und harrte der zugförmigen Dinge, die da kommen mochten.

Mörel – Brig (6.7km, ↗29m, ↘100m)

Ich hatte kaum durchgeatmet und zwei Schluck aus der Flasche getrunken als auch schon der Zug kam – keine 10 Minuten nachdem ich am Bahnhof angekommen war. Bei einem Stundentakt ist das mal deutlich unter dem statistischen Erwartungswert für die mittlere Wartezeit. Aber gut, man kann ja auch mal Glück haben.

Weniger Glück hatte ich dann mit meinen Mitreisenden, denn im Zug saßen drei ältere Herrschaften (Ü70 mindestens), die mich abschätzig musterten, wie ich mich in meinen leicht verschwitzten und staubigen Wanderklamotten in den erstbesten erstklassigen Sitzplatz fallen ließ (ungefähr so wie Bud Spencer, wenn er als Faust nach Westen geht und erstmal im Speisewagen Platz nimmt, bevor er durch einen Indianerüberfall um sein Mittagessen gebracht wird). Indianer überfielen mich zwar nicht, aber die Rentner verschossen mit ihren Blicken Giftpfeile und tuschelten was von wegen „gehört hier nicht her“ oder so ähnlich. Ich kann nur vermuten, dass sie der Meinung war ein dahergelaufener Typ wie ich hätte in der ersten Klasse nix verloren. Sollen sie mal meinen, der Schaffner hatte gegen meine Fahrkarte nix einzuwenden, und nur das zählt. Aber was willste machen mit so älteren Gestalten, die aus Prinzip schlechte Laune haben und an allem herumkritisieren? Richtig, gar nix. In Brig stieg ich also ganz gemütlich aus – die Temperaturen hätten wieder mal zum Baden am Mittelmeer gepasst – und lief gemütlich und mit frischen Getränken zurück zum Hotel.

Insgesamt war das also nach dem Reinfall vom Vortag eine wirklich schöne Wanderung, die sich auch von den Aussichten her absolut gelohnt hat. Man kann die Strecke auch noch in verschiedenen Richtungen variieren bzw. verlängern oder verkürzen wie es grad passt – da ist ja alle dreieinhalb Meter eine Bahnstation.

Damit war nun nur noch ein Tag in Brig übrig, am Tag danach war Verlegung nach Graubünden angesagt. In Anbetracht des angesagten Wetters (weiterhin tropische Hitze) strich ich nun die Wanderung am Simplonpass aus dem Programm – bei 30 Grad im Schatten auf 2000m am Pass herumlaufen, wo es ja keinen Schatten gibt und dann am Ende nochmal eine Stunde mit dem Postbus zurückfahren müssen war keine besonders prickelnde Vorstellung, vor allem nicht nach dem Erlebnis im Tessin mit der langen Rückfahrt in den verschwitzten Klamotten durch den Simplontunnel. Stattdessen wollte ich als Abschluss dieses ersten Urlaubsabschnittes einen Stadtbummel durch Brig machen und den „Bahnlehrpfad Simplon“ bewandern – kurz, aber vielleicht interessant. Aber das ist dann was für die nächsten Einträge.

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