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Tessin sehen und schwitzen

9. September 2023, 18:34 Uhr von Uwe

Nach dem eher kurzen und wenig anstrengenden Sonntagsspaziergang von Zermatt nach Randa führte mich die nächste Tour ins Tessin. Und das wurde eine überraschend anstrengende Angelegenheit. Aber der Reihe nach…

Aufgrund der topographischen Gegebenheiten führt die schnellste Verbindung zwischen Wallis und Tessin über Domodossola. Das wiederum liegt in Italien. Die entsprechenden Zugverbindungen sind allerdings im Schweizer Tarif inkludiert, eben weil es die beste Verbindung ist. Das heißt nicht, dass die Verbindung wirklich schnell ist (locker über 2h Fahrzeit für eine Strecke von nicht mal 75km Luftlinie), aber ich war ja im Urlaub und nicht auf der Flucht. Und so lautete der Tagesplan: Simplontunnel von innen bestaunen, in Italien umsteigen und dann ins Tessin furzen (die Bahngesellschaft heißt Ferrovie autolinee regionalesi ticinesi, kurz FART…)

Brig-Domodossola-Camedo (73.2km, ↗692m, ↘799m)

Der Tag begann also wie die vorherigen Tage auch mit der Erstürmung des Frühstücksbuffets. Der Wetterbericht sah besser aus als an den vorherigen Tagen, im Tessin sollte es Wolken geben, die Temperaturen waren dort auch mit vergleichsweise erträglichen 25 Grad angesagt. Am Vorabend hatte es laut Nachrichten dort auch größere Gewitter gegeben. Das klang soweit alles erstmal nicht verkehrt, also ging es wie gewohnt zum Bahnhof mit dem obligatorischen Besuch des Supermarkts zwecks Getränkeversorgung.

Und dann konnte es eigentlich losgehen. Die Fahrt nach Italien sollte mit einem IC Richtung Mailand stattfinden, der dann auch pünktlich am Bahnsteig eintraf. Ich suchte mir einen Platz, und dann passierte… nix. Es gab eine Durchsage, dass sich die Weiterfahrt aufgrund eines technischen Problems um wenige Minuten verzögern würde. Ich sah in Gedanken schon meinen Anschluss in Domodossola davonfahren (als Deutscher ist man ja von der Bahn Kummer gewohnt). Mit etwa acht Minuten Verspätung gings dann los und ich konnte den ersten Punkt des Tages abhaken: Simplontunnel von innen begucken.

Besagter Tunnel ist mit 19.8km ja einer der längsten Tunnel der Alpen und war zur Eröffnung 1905 bis in die 80er Jahre hinein der längste Eisenbahntunnel der Erde. Längere Tunnel gibt es inzwischen als Basistunnel in den Alpen, oder als Unterquerung von Meerengen (Eurotunnel, Verbindung von Honshu und Hokkaido in Japan) oder auch (so wirds von Wikipedia gezählt) in diversen U-Bahn-Netzen (das finde ich aber irreführend, weil man da den Tunnel über Abzweigungen im Zweifelsfall eher verlassen kann). Wie auch immer, diese ganzen neueren Tunnel sind technisch auf ganz anderem Niveau gebaut worden, was die Arbeiter da vor inzwischen 130 Jahren in den Fels gehauen haben ist nochmal eine ganz andere Leistung. Davon kriegt man freilich nicht viel mit wenn man im Zug sitzt, man rauscht halt durch ne Röhre, in der Schweiz rein und nach neun Minuten in Italien wieder raus. Und ganz ohne Grenzkontrolle.

Die Verspätung wurde bis Domodossola gehalten, ich hatte statt einer knappen Viertelstunde also nur noch fünf Minuten zum Umsteigen. Das war aber auch kein Problem, der Weg ist klar und deutlich beschildert. Die SSIF (Società subalpina di imprese ferroviarie) hat ihren Bahnhof direkt unter dem Bahnhof Domodossola und quer zu dessen Fahrtrichtung. Und von hier fährt eine Schmalspurbahn in Richtung Locarno. Ab der Schweizer Grenze wird das dann Centovallibahn genannt und von der FART betrieben. Kompliziertes Gebilde, das alles.

Diese Bahn ist eine echte Bummelbahn, Blumenpflücken während der Fahrt klappt nur nicht, weil man a) die Fenster nicht öffnen kann und b) man so hart am Berghang unterwegs ist dass es da keine Blumen zu pflücken gibt. Die Strecke wurde in steilste Felswände gemeißelt und so kurvt man da mit einem Affenzahn von 30 Sachen von Kuhkaff zu Kuhkaff und überwindet dabei mehr als 600m Höhenunterschied. Das ist ein echtes Erlebnis, sollte man mal mitgefahren sein, zumal es auch einige spektakuläre Aussichten und Brücken unterwegs zu bestaunen gibt.

Camedo-Intragna (11.7km, ↗550m, ↘761m)

Meine Wanderung begann nun nach dieser spektakulären Anreise am ersten Schweizer Bahnhof der Strecke, in Camedo. Zunächst fielen mir sofort zwei Dinge auf: Erstens ist das Tessin italienisch geprägt, d.h. man sagt statt „Grüezi“ eben „Buon giorno“. Außerdem unterscheiden sich die Gebäude in ihrer Bauweise erheblich – im Wallis dominiert Holz als Baustoff, im Tessin wurde traditionell mit Stein gebaut. Zweitens hatte der Wetterbericht insofern Recht, als dass es ziemlich bedeckt war. Dafür war die Luftfeuchtigkeit am Anschlag. Ich schmierte mich mal vorsichtshalber trotzdem mit Lichtschutzfaktor ein, man kann ja nie wissen. Und dann gings los.

Die erste Teiletappe führte mich durch einige Gassen und Hinterhöfe von Camedo den Berg hinauf zur Straße Richtung Borgnone. Da hat man dann schon mal die ersten dreistelligen Höhenmeter eingesammelt. Hinter Borgnone (drei Häuser und ein Kirchturm…) begann dann er eigentliche Wanderweg. Entlang alten Säumerpfaden führt die „Via del Mercato“ in Richtung Locarno. Der Weg selbst entpuppte sich als eher schweres Geläuf: Zahllose Treppenstufen aus grobem Stein, der obendrein aufgrund der Gewitter vom Vortag stellenweise noch feucht und rutschig war, dazu viele Wurzeln als Fußangeln. Man musste bei jedem Schritt genau aufpassen wo man hintrat. Zum Ausgleich gabs dann auch keine Aussicht ins Tal, da waren nämlich zahllose Bäume im Weg. Immerhin hielten die Wolken die Sonne ab.

Der Weg folgt der Topographie des Geländes, und das heißt: es geht immer hoch und runter. Bei jedem Seitental, dass irgendein Bergbach herausgewaschen hat, geht es etliche Stufen hinunter, nur um auf der anderen Seite wieder hochklettern zu dürfen. Das schlug dann irgendwann schon auf meine Laune als Wanderer, weil ich von der Plackerei nix hatte, außer dass mir der Schweiß in Strömen herunterlief. Blöderweise verdunstete er aufgrund der Luftfeuchtigkeit nicht so wirklich, womit die Kühlwirkung nicht vorhanden war und ich natürlich noch mehr schwitzte. Gegen Mittag taten sich dann zu allem Überfluss auch noch Lücken in den Wolken auf, so dass die Sonne ab da immer stärker auf den Wald knallte und die Temperaturen sich dann doch wieder der 30-Grad-Marke näherten.

Vor Verdasio machte ich dann erstmal eine längere Pause, nur um danach weiter den Berg hoch stiefeln zu dürfen. Unterwegs kam ich dort dann auch an diversen Altären vorbei, die irgendwelchen mir nicht geläufigen Heiligen gewidmet sind. Das ist schon schräg für mich als unbedarften Wanderer: Da marschiert man nichtsahnend durchs Unterholz und plötzlich steht da in der Mitte vom Nirgendwo ein Altar, komplett mit Inschriften und Bemalung und allem drum und dran. Auf der ganzen Wanderung kam ich bestimmt an einem Dutzend solcher Altäre vorbei, einige schon in schlechtem Zustand, andere aber frisch restauriert.

Auf jeden Fall ging es nach Verdasio immer weiter den Berg hinauf. Das alleine war schon ätzend, aber anhand des Blicks ins Tals wusste ich ja, wo die Bahnlinie unter mir verlief und dass ich da auch wieder runter musste… Nach weiterem Auf und Ab kam ich schließlich oberhalb von Corcapolo auf einer asphaltierten Straße heraus, die nun in gleichmäßigem Gefälle zur Hauptstraße Richtung Intragna führte. Der Wanderweg führt dann theoretisch über Pila nach Intragna hinunter, das war mir angesichts des inzwischen ausgebrochenen Hochsommers und meines Zustandes (alle Klamotten durchgeschwitzt, die Hose dadurch doppelt so schwer geworden und außerdem langsam knapp werdende Getränkevorräte) zu viel, ich wollte nur noch zum Bahnhof Intragna.

Der ausgeschilderte Weg dahin tat dann alles, um mich von der Hauptstraße fernzuhalten: Ich latschte durch enge Gassen, über diverse Treppen, die die Serpentinen der Straße abkürzten und durfte dann noch die Bahnstrecke unterqueren, eine abenteuerlich aussehende uralte Steinbrücke über den/die/das Riale di Mulitt überqueren, nur um dann vorbei an Weinreben noch einmal die Bahnstrecke zu queren und zur Hauptstraße hinaufzusteigen. Wer auch immer den Weg ausgeschildert hat, er hatte den Plan, die Wanderer zu ärgern. Immerhin kam ich aber auch am letzten Geldautomat der Schweiz vorbei (also zumindest wenn man von Intragna in Richtung Westen bzw. Italien fährt…).

Kurz vor 15 Uhr hatte ich dann das Ziel in Sicht: Den Bahnhof von Intragna. Ich war fix und alle, hatte zum Glück noch ein paar Getränke und konnte nach einigen Minuten auch langsam anfangen, den Ausblick aufs Bahnhofsrestaurant zu genießen, komplett mit Palmen und so. Ist halt schon nochmal was anderes als auf der Nordseite des Simplon. Erfreulicherweise sollte nur wenige Minuten später auch ein Zug in Richtung Domodossola fahren, ich hatte das also ziemlich perfekt getroffen, so zeitlich gesehen.

Intranga-Domodossola-Brig (81.5km, ↗917m, ↘616m)

Besagter Zug nach Domodossola war überraschend voll. Ich weiß jetzt nicht obs daran lag, dass der Gotthard-Basistunnel ja gesperrt war und deswegen einige Verbindungen in den Schweizer Norden einfach über den Simplon schneller waren, oder obs ganz normaler Ausflugsverkehr war, auf jeden Fall war der Zug auch in der ersten Klasse sehr gut besucht.

Ärgerlicherweise lag das zum Teil an der Schaffnerin, die für sich und ihren Koffer mal eben ein Viererabteil blockierte und mir das dann auch wort- und gestenreich auf italienisch klarzumachen versuchte. Ich nickte nur und suchte mir den letzten verbliebenen Platz. Sie gestikulierte weiter und wollte mir dann schlußendlich auf Englisch erklären, dass am anderen Ende des Zuges auch ein Abteil der ersten Klasse wäre, wo ich mehr Platz finden würde. Ich meinte dazu sinngemäß dass ich ja jetzt einen Platz hätte und nicht unbedingt durch den ganzen Zug turnen will. Nachdem dann die Fahrkartenkontrolle mit einigen Hindernissen (ihr Lesegerät wollte den QR-Code nicht gleich scannen) überstanden war, konnte ich mich auch dem entspannten Teil der Fahrt in Form von „vorbeiziehende Landschaft beglotzen“ widmen. Aber ehrlich, ist es so schwierig, seine Aktentasche im Kabuff beim Fahrer abzustellen? Sie musste eh bei jedem Halt aussteigen und das Abfahrtssignal geben, also wozu braucht die Tasche dann vier Sitzplätze?

Die Fahrt nach Domodossola dauerte ungefähr 90 Minuten, dort war dann wieder direkt Anschluss an einen IC Richtung Norden. Zum Glück hatte der Triebwagen bis Domo keine Klimaanlage (oder diese war nicht auf Kühlschranktemperatur eingestellt). Meine vollgeschwitzten Klamotten trockneten nur sehr langsam, so richtig ätzend wurde es dann ab Domo im IC, denn dessen Klimaanlage funktionierte allerbestens. Es war zwar nett, quasi den ganzen Wagen für mich alleine zu haben, aber mit kalten nassen klebrigen Klamotten herumzusitzen ist echt nichts, was ich weiterempfehlen kann.

Meine Knie waren nach der Tour ebenfalls nicht allzu erfreut über die Anstrengung, das Aufstehen zum Aussteigen in Brig wurde zum Kraftakt. Jaja, mimimi, ich bin ein Weichei. In Brig war jedenfalls wieder astreiner Sonnenschein angesagt, so dass ich mich nach erneuter Aufstockung des Getränkevorrats zurück ins Hotel trollte und dort erstmal meine Hosen auswringen musste. In weiser Voraussicht hatte ich auf den über 20 Jahre alten Rat eines Professors aus meiner Studienzeit gehört: „Der Trend geht zur Zweithose“. Derlei ausgestattet stand dann auch der Wanderung am nächsten Tag nichts im Wege.

Fazit: Eine verdammt anstrengende Wanderung über Stock und Stein auf einem nicht unbedingt gut ausgebauten Weg (Sitzbänke sucht man dort bspw. vergebens, man hat nur einige wenige Möglichkeiten zum Einkehren, z.B. in Verdasio). Die Aussicht ist selbst von der Bahnlinie aus besser, weil da weniger Bäume die Sicht versperren, und das Wetter tat ein Übriges dazu, dass ich diese Wanderung als „reichlich ätzend und nicht unbedingt wiederholenswert“ abspeichern werde.

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