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Dem Gewitter davonlaufen

4. September 2023, 19:33 Uhr von Uwe

Die nächste Wanderung des Urlaubs führte mich – nein, nicht nach Oberwald, da war ich ja erst zwei Tage in Folge gewesen. Es ging an die Lötschbergstrecke, die Eisenbahnverbindung vom Kanton Bern ins Wallis. Ziel der Angelegenheit? Mal gucken wie auf der anderen Seite der Berge das Wetter so ist.

Brig – Kandersteg (42.3 km, ↗519m, ↘114m*)

*Ich traue diesem Wert nicht so ganz, aber im Lötschbergtunnel ist der Empfang ja doch eher schlecht…

Der Morgen begann logischerweise mit einem routinierten Fall aus dem Bett, die Treppen hinunter und dann noch drei weitere Rollen bis vors Frühstücksbuffet. Kann ich nicht zum Nachmachen empfehlen 😉 Daher gabs auf den Schreck erstmal Kaffee, O-Saft, Rührei und Wurstbrot. Solcherart gestärkt und mit frischen Getränken bewaffnet begann der Reise diesmal nicht am Bahnhofsvorplatz, wo die schmalspurigen Züge der Matterhorn-Gotthard-Bahn verkehren, sondern am nördlichsten Bahnsteig der großen Bahn.

Ich suchte mir einen schönen Platz in Fahrtrichtung links, denn die reichlich 100 Jahre alte Lötschberg-Bergstrecke führt von Brig aus zunächst erstmal kilometerlang die Bergflanken hinauf und steigt dabei um 450m an. Das ergibt natürlich gute Aussichten hinunter ins Rhonetal. Den Wanderweg an der Südrampe hatte ich mir ja schon 2017 vorgenommen, heute sollte nun die Nordseite folgen, denn da geht es wieder den Berg hinunter, allerdings nicht konstant an einer Bergflanke, sondern mit mehreren Kehren, ähnlich wie bei der Albulabahn oberhalb von Bergün – nur größer.

Der Zug fuhr also kurz nach halb neun los und ich genoss die schöne Aussicht bei relativ wolkenverhangenem Himmel. In Goppenstein wird der Scheiteltunnel erreicht, hier ist auch der Autoverlad (es gibt keine Straßenverbindung vom Kanton Bern ins Wallis, außer eben diesen Autoverlad – alternativ muss man im Westen bis zum Genfersee oder im Osten bis zum Grimselpass ausweichen, wobei letzterer nicht wintersicher ist). Entsprechend gut besucht sind die Autotransportzüge. Der Zug rattert danach knappe 10 Minuten durch den Tunnel und dann war ich auch schon in Kandersteg angekommen.

Das Wetter sah dort ziemlich fies aus – tiefhängende dunkle Wolken, aber immerhin trocken. Der Wetterbericht hatte ja für den Nachmittag aufziehende Gewitter angekündigt. Dafür waren die Temperaturen angenehm zum Wandern, nicht so irrwitzig heiß wie an den Vortagen. Ich schmierte mich trotzdem mit Lichtschutzfaktor ein, der Sonnenbrand vom ersten Tag war ja noch gut sichtbar an den Händen und Ellenbogen. Und dann gings los mit der Wanderung.

Kandersteg – Frutigen (16.7 km, ↗318m, ↘780m)

Der Wanderweg Lötschberg-Nordrampe ist, ebenso wie sein Pendant an der Südrampe, von der BLS eingerichtet worden. Das äußert sich in nicht wenigen Sitzbänken mit „Lötschberger“-Schriftzug. Der Weg führte dabei zunächst mal entlang der Kander leicht fallend Richtung Norden, bevor er die Bahnstrecke unterquert und man sich in die Büsche schlägt.

Der gesamte Weg ist dabei bis Blausee-Mitholz hauptsächlich aus landwirtschaftlichen Wegen zusammengesetzt, so dass man da auf geschottertem Untergrund problemlos vorwärts kommt. Man schlägt dabei einen Haken weit nach Westen durch den Wald, um dann ganz gut Höhenmeter zu verlieren, bevor man weiter dem Verlauf der Kander folgt, die hier als wilder Bergbach unterwegs ist. Dabei eröffnen sich immer wieder schöne Ausblicke hinunter ins Kandertal, aber auch zurück in Richtung der 3000er, die das Tal auf drei Seiten einrahmen. Dort ballten sich auch immer mehr dunkle Wolken, so dass ich lieber weniger Pause machte und flotten Fußes unterwegs war.

Der vorerst tiefste Punkt der Strecke war am Blausee erreicht, dort geht es mal für einige hundert Meter an der vielbefahrenen Straße entlang, die von Spiez nach Kandersteg zum Autoverlad führt. Der Wanderweg knickt dann aber schnell ab und man beginnt einen fiesen Anstieg zum ehemaligen Bahnhof Blausee-Mitholz, gelegen an der mittleren Ebene der Bahnstrecke. Die macht ja hier das, was sie bei Wassen auch am Gotthard macht – zwei 180-Grad-Kehren. Die unterste Ebene unterquert man, danach geht es steil bergan nach Mitholz, und dann kommen am Ende noch ein paar Treppenstufen zum Bahnsteig. Das Bahnhofsgebäude ist inzwischen allem Anschein nach in privater Nutzung, Züge halten an dieser Station wohl nur noch in Ausnahmefällen.

Nach diesem Anstieg geht es nun erstmal relativ gemächlich weiter bergan, immer direkt neben den Bahngleisen. Hier gibt es dann auch einige Schautafeln zur Streckengeschichte und zu interessanten technischen Einrichtungen, zum Beispiel für den kombinierten Verkehr: Aufgrund der 4m-Eckhöhe der Lastwagentransporte müssen diese Züge auf der Lötschbergstrecke Zickzack fahren (also zwischen den beiden Gleisen wechseln), weil es sonst unschöne Zusammenstöße mit Tunnelwänden geben könnte. Dafür gibt es extra Signale auf der Strecke. Unterhalb der Ruine Felsenburg vorbei geht es in Richtung des nördlichen Kehrtunnels, dort befindet sich dann auch ein Grillplatz. Ein paar Meter weiter kam mir dann auch passend ein Zug entgegen, so dass ich (anders als damals bei der Wanderung an der Südrampe) tatsächlich auch mal ein Foto mit Zug machen konnte. Schade war nur, dass quasi alle Güterzüge (und aufgrund der unfallbedingten Sperrung des Gotthard-Basistunnels sollten da einige über die Lötschbergstrecke umgeleitet werden) unten durch den Lötschberg-Basistunnel fahren. Kann ich betriebswirtschaftlich verstehen, hätte aber schöne Fotomotive abgegeben.

Auf jeden Fall folgte nach diesem gemächlichen Anstieg nun ein umso steilerer Abstieg, der mich mächtig ins Schwitzen brachte. Das lag weniger an den damit verbundenen Anstrengungen (es ging halt etliche Treppenstufen runter, und es war im schattigen Wald, zumal sich die Sonne eh hinter den Wolken versteckt hatte), als vielmehr an der Qualität des Wegs an dieser Stelle. Die Treppen waren teilweise aus diesen typischen Stahlgitterprofilen zusammengebaut, durch die man problemlos durchgucken kann. Das mag ok sein wenn die Treppe einen halben Meter überm Berghang schwebt, hier aber hingen die Treppen teilweise seitlich verankert an einer quasi senkrechten Felswand – mit freiem Blick auf ca 100m nichts gefolgt von felsigem Untergrund. Wie Bud Spencer so schön sagte: „Wenn du hier abschmierst kommt aber kein Postbote mehr“.

Besonders vertrauenserweckend sahen die Treppen auch nicht aus, etliche Stufen waren mehrfach ausgebessert und das Geländer war offensichtlich schon mehrfach durch Steinschlag verbogen worden. Da kommt Freude auf beim geneigten Wanderer, vor allem wenn er wie ich unter massiver Höhenangst leidet. Und im Gegensatz zu einer Brücke, über die man dann stur drüberlatschen kann mit Blick fest aufs andere Ende gerichtet geht das eben beim Absteigen einer Treppe nicht so wirklich, man muss ja schon so grob schauen wo die Treppenstufen sind und wo man sich am Geländer festhält. Ich kam am Ende wohlbehalten unten an, hatte da aber Puls als wär ich hunderte Treppenstufen hinaufgestiegen.

Dafür war nun der Rest der Wanderung umso einfacher, denn ich war nun direkt auf der gleichen Ebene wie die Bahnstrecke, und der Weg mäanderte nun auch nicht mehr allzuweit davon weg. Das Wetter wurde allerdings nicht wirklich besser, eher im Gegenteil. Die Wolken hatten sich zu einem ziemlich bedeckten Himmel zusammengeballt (außer in Richtung Spiez, da schien die Sonne), aber es blieb (noch) trocken.

Der Wanderweg führte mich nun weiter auf diversen asphaltierten Wegen in Richtung Kandergrund bis fast hinunter zur Hauptstraße, bevor man wieder nach rechts schwenkt und gemütlich in Richtung des ehemaligen Bahnhofs Kandergrund stiefeln darf. Hier begann nun auch ein ganz leichter Nieselregen, der mich aber nicht weiter störte. Hinter der Bahnstation machte ich an einer Sitzbank erstmal eine längere Pause, bis der Nieselregen stärker wurde, so dass ich dann doch die Jacke rauskramte und weiterlief. Der Regen reichte aber insgesamt nicht einmal aus, um die Straße flächendeckend zu befeuchten und war nach 10 Minuten vorbei. Und nicht nur das, weitere 10 Minuten später verzogen sich die Wolken und plötzlich wurde es sonnig und warm. Innerhalb weniger Minuten änderte sich das Wetter grundlegend – als ich schließlich in Frutigen ankam, war wolkenloser Himmel und ich ziemlich durchgeschwitzt ob der plötzlichen Hitze.

Aber so weit sind wir ja noch nicht. Zunächst mal ging es nun weiter von Kandergrund über diverse schmale Anliegerstraßen und einen Trampelpfad quer über eine Wiese zu einer Brücke über die Bahnstrecke. Von hier hatte man nun das Ziel Frutigen schon vor Augen, ebenso das bekannte BLS-Kanderviadukt und die Tellenburg. Hier war nun auch etwas Betrieb auf den ansonsten quasi leeren Nebenstraßen, denn da war wohl ein Seifenkistenrennen für Kinder geplant. Da kamen also alle paar Minuten Autos durch, die weitere Teilnehmer zum Startplatz kutschierten. Ich hingegen stiefelte hinunter zur Kander und überquerte sowohl diese als auch die Hauptstraße.

Die letzte Hürde der Wanderung war hier nun der Aufstieg zur Tellenburg. Eigentlich hatte ich darauf schon gar keinen Bock mehr, weil die Sonne inzwischen herunterbrannte wie nix gutes und ich ja inzwischen auch schon rund 15km unterwegs war. Allerdings hat man nur von dort oben den Postkartenblick auf das Kanderviadukt, also was will man machen… Mit hängender Zunge kam ich oben an, machte Pause und die entsprechenden Fotos (leider ohne Zug) und trollte mich alsbald von dannen.

Die letzten Meter nach Frutigen hinein führten dann zunächst an der Straße entlang, dann links in Richtung der Bahnstrecke und am Ende kommt man direkt am Nordportal des Lötschberg-Basistunnels heraus. Von dort sind es dann noch ein paar hundert Meter bis zum Bahnhof. Dort angekommen wurde zunächst der Bahnhofskiosk geplündert – 2l Getränke für schlappe CHF 15… aber gut, Samstag Nachmittag gegen 14 Uhr, da nimmt man was man kriegen kann.

Frutigen-Brig (60.3 km, ↗431m, ↘499m*)

* Die Werte hier sind komplett synthetisch errechnet, da ich im Zug keinerlei Empfang hatte. Ich hab also die (bekannten) Höhenwerte der einzelnen Bahnstationen als Bezugspunkte genommen.

Die knappe halbe Stunde Wartezeit überbrückte ich mit Eisenbahn gucken – immerhin ein Güterzug mit Kühlcontainern hatte Zwischenhalt auf den Gütergleisen, um einen IC vorbeizulassen. Und dann kam mein Zug mit – schockschwerenot – 4 Minuten Verspätung (oder sowas in der Größenordnung). Nicht dass mich das interessiert hätte, aber in der Schweiz ist das absolut unüblich. Bis Brig war das aber alles locker wieder reingeholt.

Ich setzte mich nun also in Fahrtrichtung rechts hin und genoss die Fahrt, vorbei an den ganzen Ecken, die ich vorher erwandert hatte. Die Wanderstrecke betrug am Ende gute 16km, die Bahnstrecke nach Kandersteg ist bedingt durch die Schlaufen nochmal länger. Die Luftlinien-Entfernung zwischen Kandersteg und Frutigen beträgt übrigens nur reichlich 10 Kilometer.

Die bösen Gewitterwolken hatten sich inzwischen auch in Kandersteg weitestgehend verzogen, und an der Südrampe war wieder Hochsommer angesagt. Bei weit über 30 Grad kam ich wieder unten in Brig an und verzog mich auf kürzestem Weg zurück ins Hotel – diesmal ohne Getränkevorrat aufzufrischen, weil ja zum Samstag Nachmittag die Läden geschlossen hatten.

Den finalen Aufstieg im Hotel mit seinen 82 Stufen meisterte ich schließlich auch noch und nun waren mehrere Fragen zu beantworten: Was sollte ich mit dem nächsten Tag anstellen? Und wo würde ich die notwendigen Getränke herkriegen zum Sonntag? Und wieso kann sich der Typ im Nachbarzimmer nicht entscheiden, ob er „Spiel mir das Lied vom Tod“ oder „Das Boot“ angucken will? Und wieso überhaupt stellt er seinen TV so laut? An Schlaf war so nicht wirklich zu denken, zumal sich nun auch die angekündigten Gewitter bemerkbar machten. Das war zwar nicht wirklich wild, die Blitze schlugen in großer Entfernung ein, aber gefühlt ist so ein Donner schon recht laut, wenn das Echo vom Berghang zurückkommt.

Auf jeden Fall war es eine schöne Wanderung auf einfachen gut zu laufenden Wegen (bis auf den fiesen Abstieg in der Mitte). Damit habe ich nun sowohl die Nordrampe als auch die Südrampe bewandert – beides interessant, und vom Charakter her auch total unterschiedliche Wanderstrecken. Der Plan für den Sonntag stand auch: Von Zermatt aus nordwärts wandern, allein aus dem Grund, dass Zermatt der einzige Ort in der näheren Umgebung sein würde, wo man Sonntags Getränke würde kaufen können. Aber das ist dann etwa für einen anderen Eintrag hier.

 

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