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Am Gletscher verwandert

2. September 2023, 19:51 Uhr von Uwe

Die zweite Wanderung des Urlaubs führte mich erneut nach Oberwald. Das heißt, eigentlich an Oberwald vorbei und weiter den Berg hinauf. Ziel war ursprünglich eine Wanderung entlang der Strecke der Dampfbahn Furka-Bergstrecke, vom Scheiteltunnel unterhalb des Furkapasses bis hinunter nach Oberwald. Dieser Plan überlebte jedoch (wie jeder gute Plan) den Aufprall auf die Realität nicht, so dass erst umgeplant und am Ende improvisiert werden musste.

Wenn ich schon da oben am Furkapass herumwandern würde, wollte ich auch einen Blick auf den Rhonegletscher werfen. Der hat sich, Klimawandel sei Dank, jedoch inzwischen von Gletsch aus weit nach oben, bis hinter das ehemalige Hotel Belvedere zurückgezogen. Noch vor 60 Jahren, als man dort Szenen für den James Bond-Klassiker Goldfinger drehte, war der Gletscher von Gletsch aus tatsächlich zu sehen (dreimal darf man raten warum der Ort so heißt). Das war im späten 19. Jahrhundert bis in die Zwischenkriegszeit hinein ein Reiseziel, dass man besucht haben musste – nirgendwo sonst in den Alpen kam man so bequem so nah an einen Gletscher heran. Außerdem gab er auch dem „Glacier Express“ ab 1930 den Namen, denn auch vom Zug aus konnte man ihn bei der Fahrt sehen. Seit 1982 fahren die Züge ja sowieso durch den Furka-Basistunnel, die Bergstrecke war ja wegen meterhohen Schneeverwehungen nur wenige Monate im Jahr befahrbar. Dass da heute Museumszüge mit Dampfloks unterwegs sind, war damals nicht abzusehen.

Wie auch immer, zwischen dem Rhonegletscherzugang am Hotel Belvedere und der Bahnstation am Scheiteltunnel gibt es keinen Wanderweg. An der Straße entlang wandern ist eine reichlich blöde Idee, und so wurde der Plan dahingehend erweitert, dass man oben am Gletscher startet – da fährt der Postbus hin – und dann mit einem Umweg über den Furkapass zum Bahnhof absteigt und ab dort dann an der Bahnstrecke entlangwandert.

Brig – Oberwald – Furka Belvedere (55.1km, 1:43h, ↗1379m*, ↘60m*)

* Einschub: Die Genauigkeit der GPS-Daten war bei der Wanderung voll fürn Arsch, die Tracks mussten massiv nachbearbeitet werden. Ich hab trotzdem mal die Zahlen aus den Tracks eingetragen, aber da kann man getrost ein paar Dutzend Meter Ungenauigkeit annehmen. Ich war jedenfalls immer ebenerdig unterwegs und bin nicht etwas geflogen oder habe mir meinen eigenen Tunnel gegraben.

Der Tag begann also genau wie der Vortag mit einem pünktlichen Sturm aufs Frühstücksbuffet, dieses Mal hatte ich den Frühstücksraum quasi für mich alleine. Anschließend war wieder Einkauf von Getränken angesagt und danach wiederholte sich das Spiel vom Vortag, denn ich fuhr mit genau dem gleichen Zug nach Oberwald wie schon 24h zuvor. Einziger Unterschied: Ich machte unterwegs ein paar Fotoversuche an Stellen, die ich mir am Vortag ausgesucht hatte.

In Oberwald angekommen ging es flinken Fußes zur Bushaltestelle, allein die latente Hektik war völlig unnötig, denn da war noch gar kein Bus. Dann kam erstmal einer, der nicht dahin fuhr wo ich (und quasi alle anderen dort wartenden Personen) wollte. Der Bus kam dann schließlich eine Minute später, was ja aber völlig piepschnurz ist.

Die Fahrt selbst war dann ein Erlebnis. Die Passstraße kurvt ja in zahlreichen Serpentinen den Berg hinauf und ist dabei ziemlich schmal – an vielen Stellen kommen selbst zwei Autos kaum aneinander vorbei, geschweige denn das Platz für einen Bus oder gar Lastwagen wäre. Stellenweise hat die Straße noch das Pflaster aus Napoleons Zeiten und sieht noch ziemlich genauso aus wie man es bei James Bond sehen konnte. Die Postbusse in der Schweiz haben dafür eine spezielle Mehrton-Fanfare, die vor Serpentinen ausgiebig eingesetzt wird, um entgegenkommende Fahrzeuge zu warnen, dass die Serpentine gleich durch einen ausholenden Bus komplett blockiert wird. Da braucht man als Fahrgast schon ein gewisses Vertrauen in die Künste des Mannes vorn am Lenkrad, denn auf einer Seite ist der Berg, auf der anderen ein steiler Abhang. Der Bus war dabei gut gefüllt, in Gletsch wurde es dann etwas leerer, aber die meisten Leute (so auch ich) wollten mindestens bis zum Hotel Belvedere oder eher noch bis zur Passhöhe und von da aus wandern gehen.

Kurz nach 10 Uhr war ich dann am Hotel Belvedere angekommen, von wo es nun zu Fuß weiterging.

Furka Belvedere – Furkapass (9,8km, 4:24h, ↗156m, ↘623m)*

* Die Zahlen beziehen sich auf die gesamte Wanderung bis nach Gletsch, bis zum Pass ging es 2:24h bergan (inklusive Verlaufen), danach bergab.

Der erste Weg führte mich quer über den Parkplatz hin zum Besucherzentrum. Auf dem Parkplatz tummelte sich alles, was zwei oder vier Räder hat, darunter auch eine Sammlung italienischer Sportwagen (Ferrari und Lamborghini), aber auch ganz normale Alltagsautos, Campingvans sowie nicht wenige Radfahrer. Im Besucherzentrum kann man alle Arten von kitschigen Andenken käuflich erwerben, ich beschränkte mich auf Ansichtskarten. Den Zutritt zur Eisgrotte (ein in den Gletscher geschlagenen Stollen) muss man ebenso bezahlen, ist meiner Meinung nach das Geld aber nicht wert, das gibts anderswo in spektakulärer. Wenn man natürlich nicht wie ich wandern gehen will und nur mit dem Auto am Parkplatz steht hat man nicht viel Auswahl, da man so auch den einfachsten Blick auf den Gletscher hat.

Ich hingegen stapfte gegenüber dem Hotel Belvedere einen schmalen Pfad mit vielen steinernen Stufen empor, der mich Richtung Furkapass führen sollte – mit einem Schlenker über die Bergflanke, von wo man einen exzellenten Blick auf den Gletscher hat. Den Blick hatte ich dann auch und knipste zahlreiche Fotos. Blöderweise war der Weg dort dann nicht so wirklich gut markiert, es wurde reichlich unwegsam mit kraxeln über große Felsbrocken. Ein Schweizer war auch dort unterwegs und wunderte sich ebenso wie ich, dass das ja irgendwie nicht so richtig sein könnte so als Wanderweg. Nach einer Weile und einem ausführlichen Studium der Karte sowie der Nutzung des GPS war ich mir ziemlich sicher, dass der Weg in die falsche Richtung führte und ich (bzw. auch der Schweizer Wanderfreund) einen Abzweig verpasst haben musste. Also alles wieder zurück und dann neu orientieren. Das kostete mich also eine knappe Stunde Wanderzeit und einen halben Liter Erfrischungsgetränk, ohne dass ich meinem eigentlichen Ziel näher gekommen wäre. Aber so ist das halt mit Navigation und Karte und der Realität – „wenn sie einen Unterschied zwischen der Karte und der Landschaft bemerken, halten sie sich an die Landschaft“.

Danach war ich zwar wieder auf dem richtigen Weg, dafür bog jetzt mein GPS komplett falsch ab (das merkte ich aber erst als ich nach dem Urlaub die Aufzeichnungen prüfte): Mehrere Stunden Lücken, dann ein paar Punkte irgendwo bei Realp (wo ich nicht war) und insgesamt nix brauchbares mehr aufgezeichnet. Die Karte und die Diagramme habe ich mir dann also kompliziert zusammengestöpselt: Ich hab die Fotos hergenommen und über die Zeitstempel dann per Karte (OSM und Google Earth) meine Standorte nachverfolgt. Daraus habe ich einen Satz Wegpunkte gebastelt, die ich dann per Programm auf den OSM-Wanderweg gemappt habe, den ich gelaufen bin. Das Ergebnis ist halt wild interpoliert, aber zumindest einigermaßen nachvollziehbar.

Unabhängig von der ungenauen Karte setzte ich nun einigermaßen bequem einen Fuß vor den anderen, vorbei an vierbeinigen Milchlieferanten und hatte schließlich gegen Mittag die Passhöhe in Sicht (und zwar von oben, weil der Wanderweg runde 20m höher herauskommt und man am Ende noch ein paar Stufen nach unten steigt, wo dann ein großes Schild an der Straße steht).

An diesem Schild war viel Betrieb, denn jeder Radfahrer, Mopedfahrer und natürlich auch Wanderer will dort natürlich ein Erinnerungsfoto haben. Also alle in einer Reihe anstellen und jeder nur ein Foto (oder so ähnlich). Da oben auf rund 2400m Höhe pfiff dann trotz des Sonnenscheins ein ungemütlicher Wind, also wurde die Jacke angezogen und dem an der Passhöhe auf dem Parkplatz stehenden Imbisswagen ein Besuch abgestattet. Die Preise da waren selbstverständlich so hoch wie die umgebenden Berge, neun Franken für eine Bratwurst mit Brot ist auch für Schweizer Verhältnisse ganz ordentlich. Aber immerhin kann ich jetzt von mir behaupten am Furkapass eine Bratwurst gegessen zu haben – denn „wer anderen eine Bratwurst brät, der hat ein Bratwurstbratgerät“ (und kann diese dann an hungrige Radfahrer und Wanderer verhökern).

Furkapass – Gletsch

Der höchste Punkt des Tages war damit erreicht, und somit war klar: Ab jetzt geht es bergab. Und zwar nicht nur so ein bissl, sondern börsenkrachmäßig steil. Tatsächlich ging es also direkt 300 Höhenmeter runter, und zwar so dass man da Treppenstufen gebraucht hätte. Nur zum Vergleich, das Chrysler Building in New York ist auch über 300 Meter hoch und hat 77 Etagen. Man muss sich also vorstellen, dass man diese Etagen zu Fuß die Treppe runterstapft, nur dass der Weg keine Treppenstufen hatte. Das kann man definitiv nur bei trockenem Wetter laufen, ansonsten wird das eine sehr lange und potentiell lebensgefährliche Rutschpartie.

Unten – das heißt auf Höhe der Bahnstation – angekommen wurde die Jacke wieder ausgezogen, da tropfte inzwischen der Schweiß aus dem Ärmel. Ich war auch nicht der einzige arme Irre, der da bei diesem Wetter herumlief, mir kam sogar eine Wandergruppe entgegen, die mit schweren Rucksäcken bepackt nach oben(!) unterwegs war. Der Abstieg ist in der Form natürlich auch alles andere als gut für die Knie, aber wer dampfende Eisenbahnen sehen will muss halt auch ein bissl was investieren.

Ich hatte mir im Vorfeld die Fahrpläne angeschaut und gesehen, dass am Nachmittag in kurzer Zeit zwei Züge in Gletsch halten, einer je Richtung. Blöderweise hatte ich mich am Vormittag ja verlaufen, die Zeit fehlte mir jetzt. Ich machte mich trotzdem auf den Weg in Richtung Gletsch weiter abzusteigen. Das war nun alles nicht mehr so wahnsinnig steil und ließ sich gut laufen. Der Weg führt da nun immer so in 10-20m Abstand zur Bahnlinie entlang, blöderweise mit Sträuchern dazwischen, man hat also nur stellenweise einen guten Blick ins Tal bzw. zur gegenüberliegenden Felswand, wo früher mal der Gletscher war.

Kurz vor Gletsch (so 600m vorm Ort) gibt es dann einen unbeschrankten Bahnübergang, da kreuzt der Wanderweg die Bahnstrecke. Und wie ich so 20m davor um die Ecke komme sehe ich es aus Richtung Gletsch qualmen. Ich gucke auf die Uhr – das muss dann wohl der bergwärts fahrende Zug sein. Ich postierte mich also passend am Bahnübergang und da kam auch schon der Zug herangeschlichen. Das musste natürlich für Fotos herhalten, und damit war mein Ziel erreicht – Dampfbahn sehen und erleben.

Die restlichen paar hundert Meter ging es nun ganz gemütlich, in Gletsch waren auch hochsommerliche Temperaturen und nach der Erfahrung des Vortages wollte ich da kein Risiko eingehen. Der weitere Abstieg nach Oberwald hätte nochmal mehrere Stunden gedauert, das musste bei diesem Wetter dann wirklich nicht sein. In Gletsch sollte dann auch 10 min später ein Bus vom Grimselpass herunter in Richtung Oberwald fahren, also setzte ich mich an den Straßenrand und harrte der Dinge die da kommen würden.

Da kamen also: ein Porsche 911 targa aus den 70er oder 80er Jahren, unzählige dicke Motorräder, ein Nachbau eines Lotus 7 (also vermutlich ein Caterham), einige Radfahrer und ein Citroën DS Cabrio. Danach kündigte die bereits erwähnte Mehrton-Fanfare den Postbus an, der die Serpentinen des Grimselpasses hinabrollte. Besagter Bus war voll, der Fahrer musterte meinen Travel Pass kurz und kritisch, war aber begeistert und ich fand dann einen Platz auf dem Notsitz wo man sonst Platz für Rollstuhlfahrer lassen soll.

Gletsch – Oberwald – Brig (47.3km, 1:43h, ↗59m, ↘1105m)

Die Rückfahrt hinunter nach Oberwald war ereignislos, aufgrund meines Platzes konnte ich quasi nix sehen und war hautpsächlich damit beschäftigt, mich festzuhalten um nicht in der Kurve vom Sitz zu rutschen. Zwischendrin gabs noch eine Durchsage über den Kehrtunnel der Bahnstrecke und die Höhenunterschiede, und dann waren wir nach eine Viertelstunde auch schon in Oberwald angekommen. Meine Knie waren nicht unbedingt davon begeistert, dass ich jetzt wieder aufstehen wollte, aber irgendwie muss man ja vom Bus zum Bahnsteig kommen.

Hier zeigten sich nun wieder die Vorteile des integrierten Taktfahrplans der Schweiz: Nicht mal 10 Minuten später kam der Zug in Richtung Brig. Im Gegensatz zum Vortag konnte ich die Fahrt dieses Mal genießen, obgleich die Temperaturen unten im Rhonetal alles andere als angenehm waren – in den Nachrichten hieß es später, im Wallis bzw. im Rhonetal seien die höchsten Temperaturen des Tages gemessen worden, irgendwas um die 35° Celsius.

Ich kam also wieder gegen halb fünf Uhr nachmittags in Brig an, organisierte mir im lokalen Supermarkt neuen Getränkenachschub und verzog mich dann gemütlich ins Hotelzimmer – nicht ohne zum Abschluss nochmal die 82 Treppenstufen hinaufzukraxeln. Immerhin hatte eine Kollegin mal behauptet, Treppensteigen wäre gut als Training für einen knackigen Arsch und dass Frauen auf sowas stehen würden. Tscha.

Damit war der Freitag geschafft, die Wettervorhersage verhieß weiterhin tropische Temperaturen, aber auch massives Gewitterrisiko ab dem späten Nachmittag. Also lautet der Beschluss, dass man morgens wandern muss. Und das wurde in den nächsten Tagen auch gemacht, aber das ist dann wieder was für die nächsten Einträge.

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