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Album der Woche

27. Januar 2022, 22:17 Uhr von Uwe

Wir springen ins Jahr 1987, zu einem Album einer Band aus einem nicht mehr existierenden Staat. Ein Album, mit dem ich einiges verbinde, und an dessen Texten jeder Deutschlehrer seine helle Freude haben kann.

Meine erste Begegnung mit City hatte ich irgendwann in den späten achtziger Jahren, und zwar tatsächlich im staatlichen Fernsehen der damals noch real existierenden DDR. Da wurde nämlich der Titel Casablanca aus der gleichnamigen LP vorgestellt. Und das klang spannend und faszinierend und man konnte die Texte verstehen (bis auf den Textschnipsel mit „as time goes by“, den hab ich erst viele Jahre später begriffen). Die nächste Erinnerung dazu datiert auf Anfang Januar 1988 oder 89, denn da lag die LP aufm Wohnzimmertisch, wenn ich mich richtig entsinne (wobei das nach gut 30 Jahren mit der Erinnerung ja so eine Sache ist) hatte mein Vater das Album organisiert und meiner Mutter zum Geburtstag geschenkt. Kann natürlich auch ganz anders gewesen sein, auf jeden Fall war die LP dann mal im heimischen Plattenschrank. Das bedeutete aber noch lange nicht dass ich sie gehört hätte.

Der nächste Kontakt zum Album war erst in den frühen 90ern, da dudelte ein Titel aus der LP auf einer Kassette die Woche um Woche beim Autofahren abgespielt wurde, immer wenn es übers Wochenende in den Garten ging. Und noch etwas später, da war ich dann aber inzwischen so 14 oder 15, durchforstete ich erstmals den väterlichen Plattenschrank und nahm das Album als solches in seiner Gesamtheit wahr – und wusste dann natürlich schon mehr über die geschichtlichen Zusammenhänge und so weiter und so fort.

City waren ja eine sehr politische Band, die mit ihren Texten gern und oft und viel aneckten, was in der DDR nicht weiter ungewöhnlich war, mussten doch alle Texte staatlich genehmigt werden. Bei diesem Album aber wurden so viele Dinge so unverblümt und direkt angesprochen dass es im Nachhinein nicht nachvollziehbar ist, wie das durch die Zensur durchkommen konnte. Gut, die zweite Seite der LP durfte nicht im Radio gespielt werden, und ich kann mich auch nicht entsinnen, jemals was anderes als das Titelstück im Radio gehört zu haben.

Insgesamt neun Songs gibts auf dem Album, allesamt irgendwo in der Schnittmenge von Pop mit leichten Rock-Anleihen, nix sonderlich musikalisch kompliziertes, aber eben mit beißenden Texten. Markant ist der Schlagzeugsound, der mich schwerstens an Phil Collins erinnert. Das Album beginnt mit Cinema Hall, einer Beschreibung des möglichen Eskapismus wie man ihn nur im Kino erleben konnte („und wem die Stadt eng wird, hier geht er hin, ins Kino am Platz irgendwo in Berlin“). Überhaupt drehen sich die allermeisten TExte irgendwie um die Hauptstadt der DDR.

Das folgende Titelstück beschreibt eine Szene aus dem gleichnamigen Film mit Humphrey Bogart und hat – ungewöhnlich – einen englischen Refrain neben den sonst deutschen Texten („play it again Sam, again and again, Casablanca – as time goes by“). Danach folgt Nachts in meinen Träumen, ein eher unauffälliges Stück, bevor die erste LP-Seite mit Pfefferminzhimmel beendet wird. Vordergründig beschreibt das Stück wieder den Eskapismus im Kino, aber das so oft wiederholte „und sie will ganz woanders sein“ lässt sich natürlich prima auf die Verhältnisse in der DDR übertragen, aus der man ja auch nicht rauskam.

Die zweite LP-Seite beginnt rockig mit Noch’n Bier, einer Abrechnung mit Normalbürgern, denen der Konsum genug ist („wir haben sechs goldne Löffel im Besteck und ein TV-Set“)  – der Text ist erschreckend aktuell, man müsste es halt nur mit den jeweils aktuellsten Smartphones und Digitalabos umformulieren. Lediglich die „vakuumverstärkten Denkexperten“ sitzen inzwischen in anderen Gremien – aber dass man den Begriff nicht zensiert hat ist schon krass.

Weiter geht es mit z.B. Susann, einer Hymne auf die geteilte Hauptstadt. Da wird auf diverse Ereignisse in der jüngeren Geschichte angespielt (Prager Frühling) und die damals aktuellen Verhältnisse auf den Punkt gebracht („heut seh ich vom Balkon bei Mutter drüben den Mercedes-Stern, Reklame für McDonalds-Futter und Türken, die die Straße kehr’n“ – für mich die besten Textzeilen des ganzen Albums). Ich hab mir die Nummer mal angehört als ich vor einigen Jahren durch Berlin lief, vorbei an Hotels die auf dem ehemaligen Todesstreifen hochgezogen wurden, da wird einem erst klar dass die Geschichte noch gar nicht so wahnsinnig lange her ist.

Noch direkter wird die Beschreibung in Wand an Wand, in der vordergründig über die Nachbarin in der Nebenwohnung gesungen wird, aber es klingt als kämen die Geräusche aus der Nachbarwohnung wie aus einem anderen Land, so nah und so unerreichbar. Auch Halb und Halb schlägt in diese Kerbe, irgendwo zwischen „sich mit den Verhältnissen arrangieren“, resignieren und doch dagegen aufbegehren – „Im halben Land und der zerschnittenen Stadt,
Halbwegs zufrieden mit dem, was man hat“. Den Abschluss bildet das Stück Gute Gründe, das einerseits alles aufzählt was man so hat („Der eine wäre, ich habe zu fressen und die Gehaltserhöhung wird nicht vergessen. Bin polizeilich gemeldet und leidlich gesund. Auto und Hund sind noch so ein Grund“) und dass es einem ja gar nicht schlecht geht („Man liest die Zeitung, man trinkt sein Bier, man kegelt und segelt und vögelt mit ihr.“), aber am Ende eben doch drauf hinweist, dass das eben doch nicht reicht, und dass man aus seinem bequemen Leben vielleicht doch raus will.

Fazit: Man muss das Album natürlich im gesellschaftspolitischen Kontext sehen, ansonsten ergeben die meisten Texte überhaupt keinen Sinn mehr, abgesehen vielleicht von Casablanca selbst, das funktioniert auch heute noch ganz wunderbar. Aber da ich eben zu diesem Album aufgrund meiner Herkunft eine entsprechende Verbindung habe gehört das eben auch zweifellos an prominenter Stelle in meinen Plattenschrank.

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