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Zweirädriger Zahlensalat

10. Oktober 2020, 11:56 Uhr von Uwe

Nachdem ich ja neulich schon mal einen groben Abriss über die technische Entwicklung vierrädriger Rennvehikel verbrochen habe, folgt nun ein Artikel über die zweirädrigen Gegenstücke. Auch da gibts spannende Entwicklungen, die wesentlich weniger mit aerodynamischen Hilfen wie in der Formel 1 zu tun haben, dafür aber mehr mit Politik im Allgemeinen und Sportpolitik im Besonderen.

Grundsätzlich ist es so, dass die technische Entwicklung bei Motorrädern wesentlich weniger dynamisch verlief als bei Formel 1-Rennwagen. Jahrzehntelang waren die meisten Maschinen im Fahrerfeld sogenannte Production Racer, also frei verkäufliche Motorräder, die mehr oder weniger gut auf den Renneinsatz zugeschnitten waren. Je nach Fabrikat konnte das eine von einer Straßenmaschine abgeleitete Version sein, oder es basierte auf den Rennmaschinen vorheriger Jahre und war entsprechend leistungsfähig, aber keine Gefahr für eventuell eingesetzte Werksmaschinen. Echte Revolutionen waren selten, selbst heute noch kann man ein einmal entwickeltes Motorrad jahrelang einsetzen und nur in Details modifizieren und ist trotzdem mehr oder minder konkurrenzfähig. Komplett neue Motorradkonstruktionen ergaben sich eigentlich nur bei grundlegenden Regeländerungen.

Bunt gemischter Anfang

In den Anfangsjahren der Motorrad-WM waren die Teilnehmerfelder bunt gemischt. Motorräder der unterschiedlichsten Hersteller wurden an den Start gebracht, viele dieser Hersteller kennt man heute nur noch aus dem Geschichtsbuch – z.B. die britischen Velocette, Norton, A.J.S. oder die zahllosen italienischen Hersteller wie Benelli, Gilera, Moto Guzzi, Morini und MV Agusta. Auch deutsche Hersteller waren vertreten, so z.B. NSU. In den ersten Jahren waren viele Maschinen noch Entwicklungen aus der Vorkriegszeit, das änderte sich aber Anfang der 1950er Jahre sehr schnell.

Geoff Duke auf Norton, TT Assen 1951Geoff Duke auf einer 500cc Norton, TT Assen 1951
By Harry Pot / Anefo – http://proxy.handle.net/10648/a8ecb02a-d0b4-102d-bcf8-003048976d84, CC0, Link

Ein einheitliches Konzept lässt sich hier nicht feststellen – es gab Motoren mit Wasser- wie mit Luftkühlung, Zweitakter und Viertakter, und selbst bei der Zylinderzahl herrschte große Verwirrung – bei Gilera findet sich der Urvater aller modernen quer eingebauten Vierzylinder-Reihenmotoren, während Norton große Erfolge mit einem Einzylinder(!) errang (beide in der 500er-Klasse wohlgemerkt) – der letzte Sieg mit einem solch großen Einzylinder folgte erst 1969. Bei den 250ern feierte NSU große Erfolge mit einem Zweizylinder-Viertakter, ebenso in der 125er-Klasse, allerdings mit einem Einzylinder-Viertakter. Literleistungen um die 140 PS waren hierbei klassenübergreifend nichts ungewöhnliches. Den Vogel schoss hingegen Moto Guzzi mit einem 500cc-V8 ab.

Werner Haas auf NSU, TT Assen 1954Werner Haas auf einer 250cc NSU, TT Assen 1954, man beachte die aerodynamische Verkleidung
By Joop van Bilsen / Anefo – http://proxy.handle.net/10648/a92585a8-d0b4-102d-bcf8-003048976d84, CC0, Link

Aerodynamik spielte auch hier schon eine große Rolle, komplett verkleidete Rennmaschinen waren durchaus üblich. Nach schweren Unfällen – die Vollverkleidung machte die Maschinen möglicherweise besonders anfällig für Seitenwind – wurden solche Verkleidungen verboten.

Die erste Revolution

Der Titel ist etwas reißerisch, im wesentlichen passierten Ende der 50er Jahre drei einschneidende Veränderungen – wobei nur eine direkt als solche zu erkennen war. Im Verlauf der 1950er Jahre war der Markt für Serienmotorräder in Italien im stetigen Sinkflug, und so beschlossen sämtliche italienischen Hersteller (in erster Linie Gilera, Mondial und Moto Guzzi), zum Ende des Jahres 1957 aus dem Motorradrennsport auszusteigen um Kosten zu sparen. Einzig MV Agusta scherte aus, scharte diverse Ingenieure der anderen Hersteller um sich und war zunächst Ende der 1950er und dann erneut ab Mitte der 1960er praktisch konkurrenzlos. Die relevante Maschine in der 500er-Klasse war damals ein luftgekühlter Vierzylinder-Viertakter mit bis zu 80 PS bei 12.000 Umdrehungen.

John Surtees auf 500cc MV Agusta, TT Assen 1959
By Wim van Rossem / Anefo – http://proxy.handle.net/10648/a9976fce-d0b4-102d-bcf8-003048976d84, CC0, Link

Die nicht direkt sichtbare Revolution war quasi rhythmischer Natur. Basierend auf dem Vorkriegsmodell DKW RT 125 hatte man im sächsischen Zschopau die MZ RE 125 auf die Räder gestellt und Pionierarbeit bei Zweitaktern geleistet – Stichwort Drehschieber und Resonanzaufladung. Prinzipbedingt funktionierte dies nur bei kleinen Hubräumen bzw. kleinen Motoren mit wenigen Zylindern, womit sich der Einsatz zunächst auf die Klassen bis 125cc und 250cc beschränkte. Aber: Man bot der viertaktigen Konkurrenz Paroli, gewann bereits Ende der 1950er Jahre Rennen und wurde Vizeweltmeister damit. Die Grundlagen für praktisch alle folgenden zweitaktigen Rennmotoren war damit gelegt. Der spezielle Nachteil der Technik war jedoch ein extrem schmales Drehzahlband, was aber im Renneinsatz verschmerzbar war.

250er MZ von 1964250cc MZ von 1964
By MikeSchinkel – https://www.flickr.com/photos/mikeschinkel/276682161/sizes/l/in/set-72157594340403773/, CC BY 2.0, Link

Und schlussendlich wagten sich Ende der 1950er Jahre auch erstmals japanische Hersteller – namentlich Honda, Yamaha und Suzuki – nach Europa und traten in der Weltmeisterschaft an.

Technischer Einschub

Grundsätzlich kann man ja (extrem grob vereinfacht) sagen, dass ein Zweitaktmotor theoretisch bei gleicher Drehzahl doppelt so viel Leistung erzeugen kann wie ein Viertakter, einfach weil er bei jeder Rotation einen Arbeitstakt hat und nicht nur aller zwei Umdrehungen. Praktisch stimmt das so natürlich nicht ganz, wegen Spülverlusten, unsauberer Verbrennung und so weiter. Es reichte aber um konkurrenzfähig zu sein, zumal Zweitakter bauartbedingt einfacher, kleiner und leichter sind. Um also beim Viertakter mehr Leistung zu generieren, musste man die Drehzahlen erhöhen bzw. einen schneller auf hohe Drehzahlen drehenden Motor bauen. Das war quasi der Todesstoß für die großen Einzylinder, das Gegenteil war nun gefragt – mehr Zylinder mit jeweils kleinerem Hubraum, dafür aber mehr Drehzahl war das Rezept der 1960er Jahre. Auch hier wurde der nutzbare Drehzahlbereich extrem schmal, so dass die Maschinen mit komplexen Getrieben ausgerüstet wurden, die 8 bis 10 oder noch mehr Gänge hatten.

Tom Phillis auf Honda, 125cc TT Assen 1961Tom Phillis auf 125cc Viertakt-Honda, TT Assen 1961
By Joop van Bilsen / Anefo – http://proxy.handle.net/10648/a9d9d7e2-d0b4-102d-bcf8-003048976d84, CC0, Link

Heiße Spionage im Kalten Krieg

Ein im Rückblick extrem wichtiges Kapitel Rennsportgeschichte spielte sich im Juni 1961 auf der Isle Of Man ab. Hier trafen sich MZ-Werksfahrer Ernst Degner und ein Teammanager von Suzuki. Degner hatte vor, aus der DDR zu flüchten (was ihm beim vorletzten Saisonrennen in Schweden gelang) und bot Suzuki technische Details zur damals weltweit führenden Zweitakttechnik von MZ an. Hier vermischten sich also Werksspionage und große Politik zu einer brisanten Gemengelage. Degner war zum Zeitpunkt der Flucht Führender der WM-Wertung, konnte beim letzten Saisonrennen aber mangels Motorrad nicht antreten, so dass ihm der WM-Titel doch noch entging.

50cc Rennen in Assen 196350cc Rennen, TT Assen 1963, Zweitakter dominieren: Hugh Anderson (#2), Mitsuo Itoh (#6), Michio Ichino (#4), Ernst Degner (#1)
By Joop van Bilsen / Anefo – http://proxy.handle.net/10648/aa3cfc28-d0b4-102d-bcf8-003048976d84, CC0, Link

Bei Suzuki baute man nun basierend auf Degners Informationen für die 50cc-Klasse ein Motorrad mit einem Einzylinder-Zweitakter (später wurden auch Motoren mit zwei und sogar Prototypen mit drei Zylindern gebaut), welcher mit einem Getriebe mit zunächst 7, später bis zu 14(!) Gängen verbunden war – und Degner wurde darauf 1962 Weltmeister in der 50cc-Klasse. Bis 1964 war Suzuki unschlagbar, danach folgte Honda mit der RC115 (Zweizylinder Viertakter, 21.500(!) U/min, 9 Gänge) mit einem WM-Titel, aber Suzuki blieb anschließend bis 1968 siegreich.

Hauptsache Drehzahl

In der 125cc Klasse tobte der Kampf zwischen Zweitaktern von MZ, Suzuki und Yamaha gegen Viertakter von Honda. Yamaha setzte zunächst auf luftgekühlte Einzylinder, ähnlich wie auch MZ, aber im Lauf der 1960er Jahre wurde zunächst auf einen Zweizylinder und später auf einen wassergekühlten Vierzylinder in U-Form (quasi zwei nebeneinander liegende Zweizylinder mit separaten Kurbelwellen) umgeschwenkt. Der lieferte wohl um die 40 PS bei 16.500 Umdrehungen. Honda hingegen setzte auf einen Fünfzylinder-Reihenmotor, der wohl 34 PS bei 20.500 Umdrehungen lieferte und das über ein Achtganggetriebe in Vortrieb verwandelte. Suzuki hingegen nutzte einen Zweizylinder-Zweitakter, der anfangs 15 PS, in der letzten Ausbaustufe um die 40 PS gehabt haben soll, die bei 16.500 Umdrehungen anlagen und über anfangs 6, später 9 und schließlich 12 Gänge Qualm auf die Kette gaben.

Phil Read (9) auf Yamaha und Jim Redman (1) auf Honda, 250cc TT Assen 1964Phil Read (#9) und Yamaha und Jim Redman (#1) auf Honda, 250cc TT Assen 1964
By Joop van Bilsen / Anefo – http://proxy.handle.net/10648/aa6ed86a-d0b4-102d-bcf8-003048976d84, CC0, Link

Bei den 250ern setzte man von seiten Hondas zwei Modelle ein, zunächst die RC162 (Vierzylinder, 45 PS, 14.000 Umdrehungen, 6 Gänge), später die RC166 (Sechszylinder, 62 PS, 18.000 Umdrehungen, 7 Gänge). Suzuki setzte (zunächst relativ erfolglos) auf einen Vierzylinder in U-Form (ca 55 PS, 13.000 Umdrehungen, 8 Gänge), konzentrierte sich aber später auf die kleinen Klassen. Bei Yamaha setzte man auf luftgekühlte Zweizylinder-Zweitakter, die im Lauf der 60er Jahre von anfangs 32 PS später auf knapp 50 PS verbessert wurden. Diese Leistung lag bei etwa 11.000 Umdrehungen an. Größere Erfolge stellten sich aber erst Ende der 60er Jahre ein, nachdem Honda sich zurückgezogen hatte. Relevant hierbei ist vor allem die Tatsache, dass dieses Motorrad quasi frei verkäuflich und damit die Grundlage für viele Privatfahrer war.

Motor der Honda RC174Der Motor der Honda RC174, ein Sechszylinder-Viertakter
By MorioOwn work, CC BY-SA 3.0, Link

Bei den 350cc und 500cc-Rennen ging es im wesentlichen um die Frage „MV Agusta oder Honda“. Erstere setzen 10 Jahre lang einen Vierzylinder-Viertakter mit Luftkühlung ein, der 50 PS bei 12.000 Umdrehungen erreichte und mit einem Fünfganggetriebe verbunden war. Das war zumindest bis Mitte der 1960er Jahre ausreichend, gegen die wachsende Konkurrenz von Honda musste aber ein neues Modell her. Dieses hatte entgegen dem allgemeinen Trend zu mehr Zylindern sogar nur einen Dreizylindermotor (angeblich auf speziellen Wunsch von Graf Agusta, der von einem dreizylindrigen Zweitaktmodell von DKW beeindruckt gewesen sein soll – die Ingenieure hätten sicherlich was ganz anderes bauen wollen, aber Tests mit Sechszylindermotoren kamen nie über ein Prototypenstadium hinaus). Der Motor erreichte wohl jedenfalls über 65 PS bei etwa 14.000 Umdrehungen, das Getriebe hatte 6-7 Gänge. Honda setzte die RC174 ein (6 Zylinder, 65 PS, 16.500 Umdrehungen, 7 Gänge), die aber nur 300cc hatte. Trotzdem gewann man 1967 sieben von acht Rennen.

Agostini vor Hailwood, TT Assen 1967Giacomo Agostini (MV Agusta #1) und Mike Hailwood (Honda #2) im 500cc Rennen der TT Assen 1967
By Anefo – http://proxy.handle.net/10648/ab1d0638-d0b4-102d-bcf8-003048976d84, CC0, Link

In der 500er-Klasse schließlich führte in den späten 1960ern kein Weg an den Dreizylinder-Viertaktern von MV Agusta vorbei (ca 80 PS, 12.000 Umdrehungen, 7 Gänge). Giacomo Agostini war damit zwischen 1966 und 1972 absolut konkurrenzlos und gewann sieben Mal den WM-Titel. Honda hingegen setzte auf die RC181, einen Vierzylinder-Viertakter (85 PS, 12.000 Umdrehungen, 6 Gänge). Diese war jedoch trotz Mike Hailwood am Lenker chancenlos.

Vier Zylinder sollt ihr sein

Ab 1968 wurden schließlich die Zylinderzahlen und die Getriebegröße (maximal 6 Gänge) per Reglement limitiert (50cc: 1 Zylinder, 125cc und 250cc: 2 Zylinder, 350cc und 500cc: vier Zylinder), was nicht nur die vielzylindrigen Hondas illegal machte, sondern Honda direkt dazu bewog, sich nach der Saison 1967 komplett aus dem Motorradrennsport zurückzuziehen. Und natürlich war damit nun auch klar, dass erstens MV Agusta schon wieder ohne Konkurrenz dastand und sich zweitens über kurz oder lang die Zweitaktmaschinen durchsetzen würden.

Phil Read (1) und Bill Ivy (2), 250cc TT Assen 1968Phil Read (#1) vor Bill Ivy (#2), beide auf Yamaha, 250cc TT Assen 1968
By Jack de Nijs / Anefo – http://proxy.handle.net/10648/ab459be8-d0b4-102d-bcf8-003048976d84, CC0, Link

In den kleineren Klassen (alles bis 250cc) gewannen 1968 Suzuki und Yamaha bereits mit Zweitaktern, bei den 350ern und 500ern hingegen trat Giacomo Agostini als einziger Fahrer des Feldes auf einer MV Agusta gegen eine Schar von Privatfahrern auf veralteten englischen Motorrädern an und gewann mal eben alle Rennen in beiden Kategorien. Der letzte Sieg eines Viertaktmotorrades in der 250er-Klasse war 1969 (Kel Carruthers wurde Weltmeister auf einer Benelli). Neue Firmen traten ebenfalls Ende der 1960er an – Kawasaki und Derbi. Die wesentliche Neuerung Anfang der 1970er Jahre war der Umstieg auf Scheibenbremsen – nur gute 10 Jahre nachdem es bei Autorennen zum Standard geworden war.

Yamaha TD 250cc von 1969Yamaha TD 250cc von 1969, Standardmodell für den Kundensport
By Ytak171 at en.wikipedia, CC BY-SA 3.0, Link

Zwei Takte für ein Hallelujah

Nur in der 350er- und 500er-Klasse taten sich die Zweitakter weiterhin schwer. Der erste Sieg in der 500er-Klasse konnte 1971 durch eine Suzuki errungen werden. Zu diesem Zeitpunkt trat Kawasaki mit einem Dreizylinder-Zweitakter an, der 80 PS bei 9.500 Umdrehungen ablieferte. Suzuki stellte die RG 500 vor, die zwei Zweizylindermotoren in einen Vierzylindermotor mit zwei Kurbelwellen verpackte, Barry Sheene wurde damit Weltmeister – der erste auf einer japanischen Maschine bzw. auf einem Zweitakter. Den Teamtitel hatte Yamaha bereits gewonnen, die auf einen wassergekühlten Vierzylinder-Reihenmotor setzten.

TT Assen 1971Giacomo Agostini (MV Agusta #1) und Phil Read (Yamaha #5) beim 350cc-Rennen der TT Assen 1971 – man beachte den Finger am Kupplungshebel und die unterschiedlichen Helmdesigns
By Bert Verhoeff / Anefo – http://proxy.handle.net/10648/abc46d88-d0b4-102d-bcf8-003048976d84, CC0, Link

Der schleichende Niedergang der 500er-Viertakter dauerte noch bis 1976 und ist sehr eng mit dem Namen Giacomo Agostini verbunden. Beim letzten Saisonrennen auf der Nürburgring-Nordschleife gewann Agostini auf MV Agusta. Es war der letzte Sieg sowohl für ihn als auch für MV Agusta. Der Viertakter der Maschine hatte damals vier Zylinder und lieferte runde 100 PS bei 14.000 Umdrehungen.

Ángel Nieto 1972 Brünn, 125ccÁngel Nieto, dominierender Fahrer der kleinen Klassen in den 1970ern, auf 125cc Derbi in Brünn 1972
By Box RepsolÁngel Nieto 125cc Checoslovaquia 1972 / Ángel Nieto 125cc Czechoslovakia 1972, CC BY 2.0, Link

Somit lassen sich die 1970er Jahre (vor allem die zweite Hälfte) so zusammenfassen: In der 50cc- und 125cc-Klasse fuhren europäische Hersteller (Bultaco, Kreidler, Morbidelli, Derbi) unter sich. In der 250er und 350er-Klasse ging nix über die Yamaha TZ 250 bzw. TZ 350, allerdings kam dort dann auch das Kawasaki-Werksteam mit Fahrern wie Kork Ballington und Toni Mang und der KR 250/350 als Konkurrenz hinzu. Die 250cc-Kawasaki hatte einen Zweizylidermotor, bei dem jeder Zylinder seine eigene Kurbelwelle nutzte und war das erfolgreichste WM-Motorrad zwischen 1978 und 1982. Die KR 350 war baugleich, lediglich die Bohrung des Motors war größer.

Kawasaki KR350 von 1975Kawasaki KR 350 von 1975
By Mike Schinkel – originally posted to Flickr as Barber Motorcycle Museum – Oct 22 2006 (145), CC BY 2.0, Link

Und in der Königsklasse stand die Yamaha YZR500 neben der Suzuki RG 500 am Start. Die YZR500 wurde zwischen 1973 und 2002(!) eingesetzt, allerdings über die Jahre hinweg mehrfach grundlegend überarbeitet. Die Motoren waren mal Reihenmotoren, mal gekoppelte Zweizylinder wie bei Suzuki, und ab 1982 schließlich in V4-Anordnung.

Barry Sheene, TT Assen 1976Barry Sheene auf Suzuki, TT Assen 1976
By Hans Peters / Anefo – http://proxy.handle.net/10648/ac8729f4-d0b4-102d-bcf8-003048976d84, CC0, Link

Sonderweg für Honda

Wie man sieht, hatten es sich Kawasaki, Suzuki und Yamaha in den Ergebnislisten bequem gemacht. Nur Honda fehlte nach wie vor. Das sollte sich ändern. Allerdings hatte Honda nicht vor, einen Zweitaktmotor zu bauen, der nichts mit den Motoren für Straßenmotorräder zu tun hatte. Man war der Meinung, ein revolutionärer Viertaktmotor könnte konkurrenzfähig sein. Das Ergebnis war die Honda NR500 (NR=new racing).

Motor der Honda NR500Motor der Honda NR500, man beachte die Kolbenform und die Ventilzahl
By The original uploader was Ux z at Japanese Wikipedia. – Transferred from ja.wikipedia to Commons., CC BY-SA 3.0, Link

Der Motor war ein V4 mit Wasserkühlung, der über ovale(!) Kolben verfügte, und damit acht Ventile pro Zylinder erlaubte. Das sollte theoretisch für eine bessere Füllung und damit mehr Leistung sorgen. Außerdem war das Motorrad selbst komplett anders aufgebaut als die Modelle der Konkurrenz – ein Monococque anstatt dem klassischen Rahmen. Der machte jedoch die Arbeit der Mechaniker deutlich komplizierter und wurde schließlich verworfen. Der Motor selbst lieferte wohl 135 PS bei 19.000 Umdrehungen. Allerdings hatten Suzuki und Yamaha nochmal 10 PS mehr an der Kette. Verbunden mit einem höheren Gewicht war das Motorrad nie in der Lage, um Siege mitzufahren.

Honda NS500 1982.jpgHonda NS500 von 1982
By RikitaOwn work, CC BY-SA 3.0, Link

Ende 1981 wurde Projekt nach mehrjähriger Entwicklungszeit eingestampft und ins Museum gestellt. Nachfolger wurde die konventionelle NS500 mit Zweitakt-V3 (über 120 PS bei 11.000 Umdrehungen). Damit wurde Freddie Spencer 1983 Weltmeister. Schwachpunkt war jedoch der Dreizylindermotor, der im Nachfolgemodell NSR500 durch einen Vierzylinder ersetzt wurde.

Dreimal vier Zylinder

Mitte der 1980er Jahre bis zum Ende der Zweitakt-Ära 2002 hatte sich die Motorentechnik nun endgültig konsolidiert: Honda NSR500 (V4), Yamaha YZR500 (V4) und Suzuki RGV500 (V4) – wobei die Suzuki stets weniger Leistung und damit weniger Höchstgeschwindigkeit lieferte und Kevin Schwantz grundsätzlich später als spät bremste um doch gewinnen zu können. Cagiva brachte ebenfalls ein Motorrad mit V4-Motor an den Start, erzielte jedoch nur einige wenige Achtungserfolge.

Kevin Schwantz auf Suzuki 1989Kevin Schwantz auf Suzuki 1989
By Stu Newby – https://www.flickr.com/photos/jorvikiwi/5177141734/in/album-72157625414254852/, CC BY-SA 2.0, Link

Diese Maschinen (Anfang der 90er) wogen schlappe 115-120kg (vor Anhebung des Mindestgewichts) und hatten irrwitzig viel Qualm an der Kette – über 150 PS, ohne jede Traktionskontrolle. Nicht umsonst wurden diese Maschinen „Unrideables“ genannt, denn nur ein kleines bisschen zu viel Gas am Kurvenausgang und man wurde vom Motorrad geworfen wie von einem bockigen Rodeopferd.

Wayne Rainey auf Yamaha 1990Wayne Rainey auf Yamaha 1990
By Stefan Isaacs from Seattle, USA – Wayne Rainey accelerating out of Turn 3, Laguna Seca, 1990, CC BY 2.0, Link

Ende der 90er Jahre wurde schließlich auf bleifreies Benzin umgestellt, außerdem gab es noch Experimente mit der Motorkonfiguration, genauer gesagt der Zündreihenfolge. Man unterscheidet hierbei zwischen Big-Bang und Screamer-Konfigurationen. Der relevante Unterschied ist einfach, dass beim Big-Bang mehrere Zylinder gleichzeitig feuern, beim Screamer hingegen zünden die Zylinder in gleichmäßiger Folge. In der Theorie liefert die Big-Bang-Konfiguration mehr Traktion am Hinterrad – in der längeren Folge zwischen den größeren Zündungen kann der Reifen wieder Grip finden, während er bei kontinuierlicher Belastung beim Screamer (so getauft weil der Motor halt kreischt wie irre) schwerer zu kontrollieren ist. Praktisch erkauft man sich diesen Vorteil mit mehr Vibrationen.

Mick Doohan auf Honda 1990Mick Doohan auf Honda 1990
By RikitaOwn work, CC BY-SA 3.0, Link

Mick Doohan hielt das Mitte der 90er alles für Kokolores und bestand auf dem Screamer, in erster Linie wegen des psychologischen Vorteils. Die Konkurrenten flogen regelmäßig im hohen Bogen von den Maschinen und hatten daher Angst davor, von Big Bang wieder auf Screamer umzusteigen. Doohan hingegen gewann 1997 die WM überlegen.

Dreimal zwei Zylinder

Bei den 250ern sah die Lage ähnlich aus: die Honda NSR250 mit V2-Motor war von 1985 bis 2009(!) im Einsatz, so unterschiedliche Piloten wie Freddie Spencer, Toni Mang, Max Biaggi und Dani Pedrosa wurden damit Weltmeister. Die größte Konkurrenz war die Aprilia RSV250 (ebenfalls V2) und die Yamaha YZR250 (ebenfalls V2). Beide waren ähnlich lang im Einsatz, erst die Umstellung zur Moto2 machte die Maschinen obsolet.

Honda NSR250 1996Honda NSR250 von 1996, gefahren von Ralf Waldmann
Von RikitaEigenes Werk, CC BY-SA 3.0, Link

In der kleinsten Klasse (125cc) duellierten sich schließlich nur noch Honda und Aprilia mit der RS125R. Gemäß Reglement war hier nur ein einzelner Zylinder erlaubt. Später folgten auch noch andere Hersteller: Derbi/Gilera, KTM und Yamaha, die Erfolge hielten sich jedoch in Grenzen.

Vier Takte sollt ihr sein

Im Jahr 2002 wurde die 500cc-Klasse durch die MotoGP abgelöst. Der größte Unterschied: Statt Zweitaktern waren nun explizit Viertaktmotoren vorgeschrieben, die dafür aber fast den doppelten Hubraum (990cc) haben durften, wobei die Zylinderzahl zwischen drei und sechs liegen sollte. Honda baute einen V5 in die RC211V ein und gewann mit Valentino Rossi und Nicky Hayden drei WM-Titel. Yamaha stellte die YZR-M1 auf die Räder, die von einem Vierzylinder-Reihenmotor angetrieben wurde. Hier wurde auch wieder mit der Zündreihenfolge herumexperimentiert, und Valentino Rossi bewies seine damalige Ausnahmestellung, indem er 2004 gleich sein erstes Rennen auf der bis dahin ziemlich erfolglosen Yamaha gewann. Bei Suzuki wurde die GSV-R designt, die einen V4 nutzte. Kawasaki trat mit einem Werksteam an, die ZX-RR hatte vier Zylinder in Reihe. Die Leistung der Motorräder bewegte sich irgendwo bei 240-250 PS, allerdings inzwischen mit elektronischer Traktionskontrolle. Und dann gabs da noch Ducati mit einem V4.

Nicky Hayden auf Honda RC211V 2006 in BrünnNicky Hayden auf Honda RC211V 2006 in Brünn
Von Box Repsol – https://www.flickr.com/photos/box_repsol/7843735860/in/album-72157631205461136/, CC BY 2.0, Link

Ab 2007 galten 800cc als Hubraumlimit, Honda baute dafür die RC212V mit einem V4, alle anderen Hersteller reduzierten lediglich den Hubraum, änderten aber nix am Gesamtkonzept. Die Honda hatte jedoch Kinderkrankheiten, und der Titel ging ziemlich überraschend an Ducati, wo Casey Stoner die überlegene Leistung des Motors auf den Geraden nutzen und das desaströse Handling in Kurven mit schierem Talent ausgleichen konnte.

Casey Stoner 2007 Philip Island (cropped).jpgCasey Stoner auf Ducati 2007
Von Photo by Tamas from Melbourne, Australia
Cropped by Danyele – Stoner practice lap (original photo), CC BY 2.0, Link

Die folgenden Jahre bis 2015 gingen als die Ära der „Aliens“ in die Geschichte ein, denn fünf Fahrer – Valentino Rossi, Casey Stoner, Jorge Lorenzo, Dani Pedrosa und ab 2013 Marc Márquez – waren klar überlegen, selbst gegenüber Teamkollegen auf gleichem Material und auch die Fahrerkollegen zollten Anerkennung, dass diese fünf überirdisch gute Leistungen erbrachten, die sich klar vom Rest des Feldes abhoben. Die Yamaha M1 war das erfolgreichste Modell dieser Zeit, mit WM-Titeln für Rossi und Lorenzo.

Valentino Rossi und Jorge Lorenzo 2009 SachsenringValentino Rossi (#46) und Jorge Lorenzo (#99), Teamkollegen bei Yamaha, am Sachsenring 2009
Von Morten Jensen – https://www.flickr.com/photos/mortenofdenmark/5773373142/in/album-72157626843573676/, CC BY 2.0, Link

Seit 2012 gilt 1000cc als Hubraumgrenze, was Honda wiederum zum Entwickeln der RC213V nutzte, Suzuki stellte in der GSX-RR auf einen Reihenvierzylinder um. Kawasaki zog sich aus der MotoGP mangels Erfolgen zurück, dafür kamen Aprilia und KTM neu hinzu. Die Honda ist das erfolgreichste Motorrad der Gegenwart, was aber wohl zum Großteil an der fahrerischen Qualität am Lenkergriff liegt (in erster Linie Marc Márquez und Dani Pedrosa). Das Motorrad gilt als schwierig zu fahren, im Vergleich zur Yamaha M1 oder auch der Suzuki GSX-RR. Die Motorräder mit Reihenmotor haben ihre Stärken beim Handling in (schnellen) Kurven und erlauben hohe Kurvengeschwindigkeiten, die Modelle mit V4 (Ducati, Honda, KTM) haben ihre Stärken beim Anbremsen und Herausbeschleunigen.

Dani Pedrosa und Marc Márquez 2013Dani Pedrosa und Marc Márquez auf Honda RC213V beim GP von Katalonien 2013
Von Box Repsol – https://www.flickr.com/photos/box_repsol/9057321707/in/album-72157634121840159/, CC BY 2.0, Link

Moto2

Zur Saison 2010 wurde die 250er-Klasse durch die Moto2 ersetzt. Hier gibt es Einheitsmotoren (600cc Vierzylinder-Reihenmotor von Honda, seit 2018 765cc Dreizylinder-Reihenmotor von Triumph), Einheitsreifen, Einheits-Elektronik. Nur die Chassis sind unterschiedlich – in erster Linie gewinnt Kalex alles was es zu gewinnen gibt. Lediglich ein Marc Márquez schaffte es, auf Suter Weltmeister zu werden. KTM erzielte ebenfalls starke Ergebnisse in letzter Zeit, stieg jedoch Ende 2019 aus, um sich komplett auf die MotoGP zu konzentrieren.

Franco Morbidelli 2016Franco Morbidelli auf Kalex 2016
Von Sascha WenningerFranco Morbidelli, CC BY-SA 2.0, Link

Moto3

Analog zur Moto2 wurde die 125cc-Klasse durch die Moto3 ersetzt. Hier ist ein Einzylinder-Viertakter mit 250cc angesagt. Die beiden relevanten Modelle sind die Honda NSF250R und die KTM RC250GP, die regelmäßig die Siege und WM-Titel (Honda 5, KTM 3) unter sich ausmachen.

Sandro Cortese 2012.jpgSandro Cortese auf KTM 2012
By Andrew Napier – https://www.flickr.com/photos/andrewnapier/8150083783/, CC BY 2.0, Link

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