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Ausblick zum Abschluß

24. September 2017, 16:51 Uhr von Uwe

Am vorletzten vollen Urlaubstag gab es die letzte Wanderung, die gemessen an den Touren rings um Interlaken aber eher kurz und gemütlich ausfiel. Dafür gabs tolle Aussicht, ingenieursmäßig spannende Konstruktionen, italienisches Eis und viel Bahnfahrt.

Etappe 1 – Auf dem Weg zum Bahnhof St. Moritz (880 m, ↗12 m, ↘53 m)

Der Tag begann nach einer ruhigen Nacht mit pünktlichem Frühstück um 7:30 Uhr, was dann auch gleich das erste Highlight des Tages darstellte. Das lag in erster Linie an der Art und Weise, wie das Frühstücksbuffet auf einem umgebauten Pferdeschlitten aufgebaut und arrangiert war – fast zu schön zum Plündern, aber ohne Frühstück gehts ja halt auch nicht. Pluspunkte gabs außerdem für das auf den Punkt gekochte Frühstücksei und die Kaffeekanne vom Designer – Minuspunkte kassierte der Orangensaft wegen den Fasern des Fruchtfleisches, weil ich das überhaupt nicht mag.

Höhendiagramm

Auf jeden Fall gings dann gemütlich vom Hotel aus in Richtung Bahnhof. Dabei erkundete ich gleich mal den relevanten Weg durchs Parkhaus mit der Rolltreppe, damit kommt man nämlich kürzer und bequemer vom Ort hinunter an den direkt am Seeufer gelegenen Bahnhof. Das Wetter präsentierte sich wieder von der allerschönsten Sonnenseite, so dass also nix gegen eine Wanderung am Pass sprach – ich hatte mir vorher diverse Routen ausgeknobelt, je nach Wettervorhersage.

Etappe 2 – St. Moritz – Ospizio Bernina (22.6 km, ↗666 m, ↘193 m)

Die Bahnfahrt auf der Berninalinie ist im allerhöchsten Maße spektakulär, und meiner Meinung nach die spektakulärste aller Bahnen des Urlaubs. Die Strecke steigt dabei von St. Moritz auf knapp 1800 m ausgehend über die Baumgrenze bis auf die Passhöhe von etwa 2250 m an und windet sich dann auf der Südseite in zahllosen Schleifen steil hinab in Richtung Italien und endet auf unter 500 m in Tirano.

Im ersten Abschnitt fuhr ich aber erstmal nur bis zur Passhöhe. Auch da da gibt es schon tolle Blicke aus dem Fenster, zum Beispiel an der Montebellokurve mit Panoramablick auf den Morteratschgletscher. Leider saß ich dafür auf der falschen Seite des Waggons, und da der Zug gut besucht war (ich war nicht der einzige, der da zum Sonntag wandern gehen wollte), ließ ich das Knipsen bei der Fahrt und schmierte mich lieber mit Sonnenschutzfaktor ein.

Steigungsdiagramm

Die Strecke folgt auf der Nordseite der Passstraße und führt vorbei an diversen Seilbahnstationen bis zum Lej Neir (Schwarzer See) und dem daneben liegebenden Lago Bianco (Weißer See). Einige Kurven am Seeufer später ist man am Bahnhof Ospizio Bernina, dem Scheitelpunkt der Strecke (und nebenbei der höchsten Alpenquerung der Eisenbahn ohne Scheiteltunnel).

Etappe 3 – Ospizio Bernina – Cavaglia (8.5 km, ↗87 m, ↘600 m)

Ab hier ging es nun auf Schusters Rappen weiter. Die Landschaft auf dieser höhe besteht in erster Linie aus Geröll und Felsen. Der einzige Unterschied zwischen dieser Landschaft und der echten Mondlandschaft ist das Vorhandensein von Grasbewuchs und auf diesem Bewuchs herumtrampelnden Rindviechern. Somit ergaben sich also Fotogelegenheiten der Sorte „lila Kuh in hellgrau vor See mit Berghang und Schnee im Hintergrund“.

Der Wanderweg selbst führt zunächst am Seeufer des Lago Bianco entlang und dann über grobes Geröll hinüber in Richtung Alp Grüm. Man kann natürlich auch andere Ziele wählen, die dann zu Berghütten oder hinunter ins Tal führen, ich wollte aber erstmal zur Alp Grüm und dann spontan weiter entscheiden wohin mich die Füße tragen sollten – Zeit hatte ich ja mehr als genug. An eiliges Wandern war aber angesichts der Höhenluft ohnehin nicht zu denken, immerhin war ich auf über 2200 m und damit höher als an der Kleinen Scheidegg unterwegs. Andererseits gabs halt außer begraster Mondlandschaft auch nicht viel zu sehen…

Geschwindigkeitsdiagramm

Das ändert sich dann schlagartig wenn man die Bergrücken oberhalb von Alp Grüm erreicht hat. Von dort ergibt sich von ca 2100 Höhenmetern aus in Richtung Westen ein Panoramablick auf den knapp 6 km entfernten Piz Palü (3900 m) und den Palügletscher und in Richtung Süden ein Talblick von knapp 20 km in Richtung des über 1000 m tiefer liegenden Poschiavo. Und direkt davor macht die Bahnstrecke direkt am Bahnhof eine 180°-Kurve in die Steigung von 7% hinein (was die Strecke zu einer der steilsten Adhäsionsbahnstrecken der Welt macht – was so viel heißt wie „man muss ordentlich tricksen um die Physik der Reibung zu überlisten“ bzw. „der Fahrgast sollte sich festhalten um nicht seinem Gegenüber in den Schoß zu rutschen“). Auf jeden Fall merkte ich dann aber doch, dass die Luft recht dünne war und ich langsam machen mußte, was in Alp Grüm aber plötzlich sehr einfach wurde.

Ich war nämlich kaum am Bahnhof Alp Grüm angekommen als auch prompt (und erstmals im Urlaub überhaupt) das Timingglück auf meiner Seite war – es kam nämlich plötzlich und unerwartet ein Zug. Damit konnte ich dann die Panoramakurve mit Zug vorn und Panorama hinten knipsen. Und weil Murphy was gutzumachen hatte, folgte dem Zug noch der Gegenzug und dann noch der Bernina-Express mit seinen Panoramawagen, so dass ich also Panoramakurve mit Panoramazug vor Bergpanorama knipsen konnte. Nachdem ich dafür ungefähr eine ganze Weile am Bahnhof herumgeschlichen war und es immer noch recht früh am Morgen war, begann nun ein gemütlicher Abstieg in Richtung Cavaglia.

Der Wanderweg führt hierbei steil, aber nicht so irre steil wie in Richtung Lauterbrunnen, den Berg hinunter. Direkt unterhalb der Alp Grüm ist man schon wieder innerhalb der Bäume, mit Aussicht ist dann sowieso nicht mehr viel, man erhascht lediglich hier und da mal noch ein paar Blicke zwischen den Bäumen hindurch und kommt dann nach einer länglichen Wanderung im Luftlinie lediglich 1.5 km entfernten, aber auch 400 m tiefer gelegenen Cavaglia an. Insgesamt war ich vom Berninapass bis nach Cavaglia rund 8.5 km gewandert und hatte dafür inklusive des langen Fotostopps in Alp Grüm 2.5 h benötigt.

Höhendiagramm

Murphy hingegen hatte scheinbar einen besonders guten Tag gehabt, ich kam nämlich quasi zeitgleich mit dem Zug am Bahnhof an. Ich hörte hinter mir noch ein Quietschen im Wald, beschleunigte meinen gemächlichen Schritt noch etwas und konnte somit den Zug exakt am Bahnhof abpassen. Ebenso abpassen tat mich das Zugpersonal, das wollte meine Fahrkarte schon sehen als ich mich kaum in den Sitz hatte fallen lassen und der Zug noch nicht mal losgefahren war… Machte aber nix, sie hattens nicht eilig mit der Kontrolle – geht eben friedlich, freundlich und gesittet zu bei den Eidgenossen.

Etappe 4 – Cavaglia – Tirano (27.6 km, ↗100 m, ↘1340 m)

Da es beim Einsteigen in den Zug erst ziemlich genau Mittag war, hatte ich nun also noch viel Zeit fürs Bahnfahren entlang der Berninastrecke. Dank moderner Kommunikationstechnik in der Hosentasche stellte ich fest, dass ein komplettes Befahren der Strecke bis Tirano und zurück nach St. Moritz zeitlich machbar wäre, womit der restliche Tagesplan feststand: Zugluft im Zug genießen und Fotos machen (oder so ähnlich).

Zum Sonntag mittag war der Regionalzug quasi leer, zumindest in der ersten Klasse, die Pauschaltouristen drängelten sich alle im Berninaexpress mit seinen Panoramafenstern, die man aber nicht öffnen kann. Ich hingegen konnte sämtliche Fenster auf beiden Seiten öffnen und damit grandiose Aussicht nach allen Seiten genießen – zum Preis von etwas Zugluft und klingelnder Ohren, da Stahlräder auf Stahlschienen in engen Kurven ziemlich durchdringende Quietschgeräusche erzeugen.

Steigungsdiagramm

Highlights gibts natürlich dann auf der Strecke so einige, angefangen von den diversen Panoramablicken oberhalb von Poschiavo, gefolgt von der Fahrt am Seeufer des Lago di Poschiavo und schließlich natürlich das Kreisviadukt von Brusio, bevor man die Grenze nach Italien passiert und am Endbahnhof Tirano ankommt (wo die Bahnstrecke als Straßenbahn einmal quer über einen Kreisverkehr führt…). Das kann man sich natürlich auch vollumfänglich bei youtube reinziehen.

Etappe 5 – Eis und Kaffee in Tirano (1.1 km, ↗40 m, ↘42 m)

Ich hatte nun zwei Stunden Zeit mir in Tirano die Beine zu vertreten. So viel vertreten wollte ich bei hochsommerlichen Temperaturen aber gar nicht, ich wollte mich eigentlich nur in ein Cafe setzen und ein Eis essen. Das war aber gar nicht so einfach, da gefühlt halb Italien das schöne Wetter zum herumsitzen in Cafes nutzte (weswegen auch die 1 km herumlaufen aus der Überschrift zustandekamen). Die Situation entkrampfte sich erst, als der Bernina-Express Richtung St. Moritz abfuhr und die ganzen Pauschaltouristen abdüsten. Ich bekam meinen Platz im Cafe und einen Becher Eis, lauschte der Diskussion der Gruppe Hobbyradler am Nebentisch (die den Albula- und Berninapass mit dem Rad abgefahren waren) und ließ mich auch nicht vom typisch italienischen Chaos (ha, Vorurteile, wie kann ich nur…) der Bedienung irritieren.

Gegen 14:40 Uhr machte ich mich dann auf den atemberaubend langen Weg vom Bahnhofsvorplatz zum Bahnsteig und guckte da noch ein wenig dem Treiben zu. Der Wagenmeister inspizierte die Bremsen, die Zugchefin (ihrerseits auch ein Blickfang) kontrollierte die Bremszettel und diskutierte in nett anzuhörendem (und mir völlig unverständlichem) Schwyzerdeutsch irgendwelche technischen Details mit dem Lokführer. Ich nahm im Zug Platz und überlegte mir, wo ich noch Fotos machen wollte, die ich bis dahin noch nicht hatte machen können (z.B. am Morteratschgletscher). Außer einem indischen Ehepaar war auch keiner weiter im Zug, insofern sollte das auch relativ problemlos möglich sein.

Etappe 6 – Tirano – St. Moritz (61.5 km, ↗2010 m, ↘640 m)

Allerdings wurden meine Nerven durch besagtes indisches Paar etwas strapaziert. Diese rissen nämlich nicht nur ein Fenster einen Spalt auf, sondern die Fenster auf beiden Seiten bis zum Anschlag. Und dann hingen sie mit dem Kopf so weit zum Fenster raus, dass die Rübe bei einer Tunneleinfahrt ab gewesen wäre – mit allen hässlichen Konsequenzen für die ansonsten vorbildliche Pünktlichkeit. Außerdem saß ich damit voll im Zug, also im Zug innerhalb des Zuges, weil ein Zug ohne Zug kein Zug ist (wie schon John Lennon anno 1963 richtig feststellte). Um dem ganzen Ärgernis die Krone aufzusetzen pennten die beiden dann von so viel grandiosem Ausblick erschöpft noch vor Alp Grüm ein und verpaßten dann beinah ihren Ausstieg in Pontresina…

Geschwindigkeitsdiagramm

Davon aber mal abgesehen war die Fahrt absolut grandios. Die Streckenführung ist halt (wie bereits erwähnt) spektakulär, das Wetter war ebenso fantastisch, und ich schaffte es sogar, aus dem wackelnden und lautstark quietschenden Zug heraus einigermaßen vorzeigbare Schnappschüsse von Landschaft im Allgemeinen und Morteratschgletscher im Besonderen zu machen. Und so kam ich mit vielen neuen Eindrücken und einem sich über fehlenden Speicherplatz beschwerenden Handy in St. Moritz an. Dort war nur noch Rolltreppe vom Bahnhof in den Ort, kurzes zurückdackeln zum Hotel und frühe Nachtruhe angesagt, da es am nächsten Morgen nochmal mit dem Zug quer durch die ganze Schweiz gehen sollte.

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