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Abschweifende Gedanken

8. Januar 2011, 14:19 Uhr von Uwe

Wenn man nach drei Wochen Fronturlaub – also drei Wochen Aufenthalt an der Heimatfront – wieder im Zug sitzt und sich so den tristen grauen wolkenverhangenen Himmel und die wegtauenden schmutzigen stumpfen Schneereste anguckt, die schneller oder langsamer an einem vorbeiziehen, dann hat man plötzlich viel Zeit, die Gedanken zu sammeln und zu rekapitulieren, was sich da so abgespielt hat.

Im Wesentlichen hab ich ja über die Feiertage gar nichts gemacht, d.h. vor Weihnachten war ich kräftig am Plätzchenbacken, weil sowas ja sonst keiner macht – meine Mutter hat keine Zeit, mein Vater kümmert sich lieber um so wichtige Dinge wie Weltfrieden und Weihnachtsbaumschmuck, und mein Lieblingsbruder ist ohnehin nachtaktiv und daher tagsüber nicht ansprechbar.

Nach der ganzen Backerei ist dann plötzlich Weihnachten, die ganze liebe Verwandtschaft, die man sonst nie auf einen Haufen sieht  sitzt um den gedeckten Kaffeetisch und dann gehts los mit dem großen Kaffeeklatsch: Was gibts alles Neues, wer hat welche Krankheiten, wer ist gestorben, wer hat geheiratet, wo gabs Nachwuchs, bei wem steht ’ne Scheidung ins Haus? Das volle Ballett also. In diesem Zusammenhang kommt dann natürlich sofort die Frage, wann ich denn endlich mal gedenke, mein Singledasein aufzugeben und geordnete Verhältnisse zu schaffen. Da ich ja manchmal nicht ganz doof bin, gibts auf diese dumme Frage eine ebenso dumme Antwort der Sorte „Wozu geordnete Verhältnisse, dann gibts ja gar nix mehr über Scheidungen, Trennungen und sonstigen Quatsch zu tratschen“, und dann ist meistens auch Ruhe, und man regt sich weiter über doofe Politiker, die Steuern oder wenigstens das Wetter auf.

Dann gibts aber auch noch einzelne Familienmitglieder, die können bei dem Thema nicht lockerlassen und flechten das dann ganz geschickt in andere Diskussionen mit ein. Und so sieht man sich dann plötzlich mitten in einem Gespräch zum Thema Steuererklärung mit der Feststellung konfrontiert, dass ich doch die Steuerklasse ändern sollte, weil ich so Geld sparen kann… Is recht, und dafür hab ich dann nicht absetzbare Kosten für alle möglichen anderen Dinge an der Backe.

Immerhin hatte sich das Thema dann nach Weihnachten erstmal erledigt, da gings dann nur noch um Essensplanungen und Ärger, weil ich mich nur noch zwischen Bett in meinem Kabuff und Sofa im Wohnzimmer bewege und da im Haus schon tiefe Gräben entstanden seien durch die Abnutzung. Ich hätte aus Rücksicht auf den geschundenen Wohnzimmerteppich die nächsten Tage meine Bude gar nicht erst verlassen sollen, da hätte ich meine Ruhe gehabt. Mein Bruder hats ja clever eingefädelt und sich zwecks Silvester feiern verdünnisiert, also musste ich dann eben als wandelnde Provokation herhalten, wenn man schon zu sonst taugt.

Überhaupt gibt es ja Leute in der Familie, die scheinen ganz genau zu wissen, warum ich nach wie vor alleine durchs Leben gehe. Und da kriegt man dann ungefragt so tolle Vorschläge zu hören wie „Du darfst nicht so hohe Ansprüche haben!“ Ja nee, is klar. Ich und hohe Ansprüche, na wo werd‘ ich denn? 90-60-90 und dauerwillig, dabei aber keinefalls billig, oder so. Würde mir doch im Traum nicht einfallen, hohe Ansprüche zu haben. Macht die Familie ja vor mit den niedrigen Ansprüchen. Wie bei der Hochzeitszeitung damals zur Silberhochzeit. Gut, die Zeitung hatte 150 A4-Seiten und ’n Hardcovereinband. Hat mich ein halbes Jahr Arbeit gekostet, und durch ’ne Prüfung bin ich in der Zeit auch gerasselt. Und was krieg ich dann zu hören? „Da fehlt ein Komma, dort sind zwei Rechtschreibfehler, hier ist ein Sachfehler und über das Kapitel verteilt ist der Ausdruck verbesserungsfähig.“ Jau, und da soll ich nicht so hohe Ansprüche haben?

So hohe Ansprüche hab ich ja im Übrigen auch gar nicht: Sie sollte einigermaßen vernünftig sein und zu mir passen, mal so ganz allgemein formuliert. Das reicht in der Form auch schon als KO-Kriterium. Mit Vernunft sind ja in den heutigen unvernünftigen Zeiten sowieso nur die allerwenigsten gesegnet (wobei ich mir ja nach wie vor nicht sicher bin, ob ich damit geschlagen bin), und spätestens bei der Kompatibilität zu meinem Querkopf hörts dann sowieso auf.

So, Ankunft in Leipzig, Umsteigen in den ICE Richtung Nürnberg, mit reserviertem Fensterplatz. Das ist ja das Schöne am Reisen, dass man einfach stur in die Landschaft gucken kann und sich nicht auf die Straße konzentrieren muss. Gut, wenn man natürlich so einen tollen Platz erwischt wie ich, dann sieht man die Wand. Wenn ich den Deppen erwische, der die Sitzplatzabstände so optimiert hat, dass man mehr Sitzreihen mit weniger Beinfreiheit und noch weniger Fenster in den Waggon quetschen kann, den schick ich auf eine Deutschlandrundreise – im Gütercontainer. Aber gut, das Wetter war eh mies – hellgrau in dunkelgrau, neblig-diesig mit Regen und allgemein zum Abgewöhnen.

Also nutzt man dann die Chance, sich mal im Waggon umzuschauen, was da sonst noch so für Gestalten rumsitzen. Da kann man ja die tollsten Feldstudien treiben. Da gibts viele, die lesen Bücher. Dann gibts die Zeitungs- und Illustriertenleser, die Filmgucker mit Laptop und Ohrstöpseln, die Handyspielespieler, Vieltelefonierer, Studentinnen mit Aktenordnern und bunten Textmarkern, Jungmütter, die ihrem Nachwuchs hinterherrennen, DB-Personal auf Freifahrt, aber fast niemanden, der sich dieses Panoptikum von Typen mal anguckt – alle wie in Trance mit sich selbst beschäftigt. Reisen nur als Mittel zum Zweck, möglichst schnell von hier nach da, stromlinienförmig, optimiert, auf Effizienz getrimmt. Schon erstaunlich.

Und so kommt man schließlich wieder im wilden Westen an, bei strömendem Regen, fährt mit dem Bus durch den Berufsverkehr nach Hause und stellt am Ende des Tages fest, dass man doch eigentlich ein ganz tolles Leben hat: Man hat Arbeit, man hat Geld, ist krankenversichert und nicht krank (höchstens so geistesgestört wie der Rest der Gesellschaft), man muss nicht mitten in der Nacht aufstehen und nach dem schreienden Kind sehen, dem im Schlaf der Lieblingsteddy aus dem Bett gekullert ist, man wird nicht schief angeschaut, wenn man erst nach 11 in die Puschen kommt, und man hat ’ne Bettdecke, die man sich um die Füße wickeln kann und die trotzdem noch bis über die Schultern reicht. Es könnte mir also bedeutend schlechter gehen.

Ein Kommentar zu “Abschweifende Gedanken”

  1. Ines

    Nicht hauen.

    Aber ich sehe da durchaus einen Zusammenhang zwischen „3 Wochen Heimaturlaub“ und „Singledasein“.

    Könnt man ja mal drüber nachdenken. Theoretisch.

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