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Der große Durchblick

18. April 2010, 21:22 Uhr von Uwe

Seit Ende Februar kann ich zweimal im Jahr Geburtstag feiern, denn da begann für mich ein neues Leben. Und zwar das Leben mit Durchblick. Nein, ich bin keiner Sekte beigetreten, wurde auch nicht erleuchtet, sondern hab mich unters Messer gelegt und mir an den Augen herumsäbeln lassen. Der Rest des Artikels enthält nun die ganzen gefährlichen detaillierten Einzelheiten, wem also schon vom Lesen schlecht wird, sollte es lieber gleich lassen…

In the beginning, back in 195588

Eines schönen Sommertages, klein Uwe hatte gerade Lesen gelernt, wurde festgestellt, dass das mit dem Lesen erheblich komplizierter wird, wenn man die Buchstaben gar nicht erkennen kann. Im konkreten Fall war das die Beschriftung eines Eisenbahnwaggons, der 15 m neben der Wohnung aufm Bahnhof stand (heute steht da nix mehr, aber das ist ne andere Geschichte). Jedenfalls wurde ich daraufhin zum Augenarzt geschleppt und gehörte danach zur Spezies der zweibeinigen Brillenschlangen.

I’m a blind man

In den folgenden Jahren wurde ich immer größer und die Augen immer schlechter, bis sich die Werte um 1995 bei ungefähr -7 bzw. -6.25 dpt stabilisierten. Damals hatte ich eine Brille mit relativ großen Gläsern, die dann entsprechend schwer war und nervige Druckstellen hervorrief. Zwischen 1999 und 2001 trug ich dann auch mal Kontaktlinsen und kam damit auch prima klar. Allerdings vertrug ich die dann nach einer Bindehautentzündung nicht mehr und kehrte zur Brille zurück, diesmal aber eine mit recht kleinen Gläsern wegen des Gewichtes.

Letztes Jahr ging ich dann das erste Mal seit Jahren wieder zum Optiker, weil ich selbst schon gemerkt hatte, dass sich die Sehkraft schon lange Zeit über kontinuierlich weiter verschlechtert hatte. Das Ergebnis war niederschmetternd: 1.5 dpt mehr, was dann folgende Absolutwerte ergab: rechts sph -9.25 cyl -1.5, links sph -6.75 cyl -2.5. Beide Werte werden quasi aufaddiert, um die gesamte (nichtvorhandene) Sehschärfe anzugeben. Und weil Beispiele besser sind als abstrakte Zahlenwerte, kann man sich in diesem Simulator mal ansehen wie ich die Welt sah, wenn ich keine Brille trug – quasi blind.

Schlimmer war jedoch, dass ich nun selbst mit Brille nicht mehr uneingeschränkt klar sehen konnte. Durch die hohe Brechkraft kam es zu chromatischen Aberrationen, sobald ich nicht stur geradeaus durchs Brillenglas guckte. Kann es
etwas irritierenderes geben, als wenn man am Rand des Monitors die Buchstaben doppelt sieht? Nachdem dann im Oktober 09 ein neuer Versuch mit Kontaktlinsen an der Unfähigkeit des Augenarztes scheiterte, begann ich mich ernsthaft mit der Variante einer operativen Korrektur auseinanderzusetzen, weil ich die Schnauze endgültig voll hatte.

Information ist alles

Also informierte ich mich im Netz des weltweiten (un)Wissens und stellte alsbald fest, dass es Zentren für Augen-OPs in den umliegenden Großstädten gibt, die für mich allerdings nur umständlich zu erreichen waren. Schlußendlich fiel meine Wahl auf die Augenklinik von Dr. Kohm in Karlsruhe, weil dort mit Raffi und Tok auch jemand wohnt, bei dem ich problemlos übernachten könnte und weil die einen Infovormittag an einem Samstag abhielten, während alle anderen Kliniken in Freiburg und Stuttgart sowas immer nur abends ab 20 Uhr machten.

Und so saß ich dann am Vormittag des 5.12.09 dort in der Praxis und ließ mir die Augen genauestens vermessen. Der Doc sah sich die Werte und die Aufnahmen an und meinte dann als Erstes sinngemäß „Laser kommt nicht in Frage, das Risiko ist mir zu hoch.“ Die üblichen Laser-OPs hobeln ja quasi etwas von der Hornhaut ab und korrigieren so die Form und damit die Sehschärfe. Bei meinen Werten hätte man da aber quasi das halbe Auge abtragen müssen, was natürlich nicht unbedingt eine gute Idee ist. Im Übrigen gilt eine OP als erfolgreich, wenn der Patient danach in der Lage ist, ohne Sehhilfe Auto zu fahren.

Statt also mit dem Laser zu arbeiten, wurde mir die Variante einer intraokularen Linse empfohlen. Das heißt in der Kurzfassung: Skalpell, Schnitt, Plastik ins Auge, zumachen. Dafür waren dann noch weitere Untersuchungen nötig, die am 17.12.09 stattfanden. In der Zwischenzeit hatte ich mich da auch noch weiter belesen und somit wurden an eben diesem 17.12. die OP-Termine festgelegt: Anfang Februar ein Termin zum lasergestützen Löchern der Hornhaut wegen des Augeninnendrucks, am 23.2. OP am ersten Auge, eine Woche drauf dann am zweiten.

Das ist ein sogenannter Laser…

Die erste Behandlung war also das „Einstanzen“ von Löchern oberhalb der Pupille, damit ein „Ventil“ vorhanden ist, damit das Kammerwasser abfließen kann und der Augeninnendruck nicht zu groß wird. Man kriegt da vorher ein paar betäubende Tropfen ins Auge, dann guckt man gradeaus in einen Lichtstrahl, der Doc klemmt einen Ring aufs Auge, damit man nicht blinzelt (gäbe auch blöde Löcher im Augenlid ;-)) und dann machts ganz kurz „Zoom“. Das fühlt sich so an, als wenn einer mit einer superfeinen Nadel durchs Auge bis ins Hirn sticht und die Nadel dann gleich wieder rauszieht – also innerhalb weniger Millisekunden. Man hat quasi gar keine Zeit zusammenzuzucken, da ist der Schmerzimpuls schon vorbei. Die ganze Aktion dauerte keine fünf Minuten und danach konnte ich wieder nach Hause fahren.

Ganz nebenbei wurden noch mal die Termine geändert, der Doc meinte, es wäre eigentlich sinnvoller, beide Augen in einer OP zu behandeln, sonst müsste ich ja eine Woche lang mit einem unoperierten und einem operierten Auge herumrennen, und das Hirn kriegt üblicherweise dabei einen Koller wegen zu stark differierendem Stereoinput.

Der große Tag

Am 23.2. um 8:30 Uhr war es dann also soweit. Ich wurde vom Anästhesisten interviewt, der erklärte mir dann, was passieren würde: Kanüle in den Arm, „und dann legen wir sie um“. Also bekam ich ein schickes OP-Mützchen, die Stiefel bekamen ebenfalls ein paar Plastelatschen obendrüber und der Anästhesist legte die Leitung fürs Schlafmittel.

Der spannendste Teil war jedoch das „Einzeichnen“. Der Arzt muss ja markieren, wo im Auge links und rechts ist, damit er die Linse auch korrekt gedreht im richtigen Winkel einsetzen kann. Dazu kriegt man nach dem oligatorischen Betäubungsmittel noch ein farbloses Gel ins Auge geklatscht, das erstmal alles verklebt. Und dann geht der Doc tatsächlich mit einem Stift hin und malt Streifen ins Auge… Wenn ichs nicht aus eigenen Augen gesehen hätte, wie der Stift meinem Auge näherkam, ich hätts nicht geglaubt. Der Rest ging dann schnell, die Schwester wünschte mir schöne Träume, ich fragte noch nach der Uhrzeit (9:38 Uhr), dann wurde mir kurz angenehm warm und dann wars auch schon dunkel.

Das nächste woran ich mich erinnere, ist die Stimme des Docs, die mir sagt, dass die OP komplikationsfrei gelaufen ist. Die Augen aufmachen ging noch nicht, das kostete mich mindestens eine halbe Stunde. Und dann war natürlich auch noch nix mit dem grandiosen Durchblick. Zum Einen weil ich über den Augen schicke modische Plastikdeckel hatte, damit da nix rankommt und man schon gar nicht am Auge reibt. Und zum Zweiten, weil mir die Augen (natürlich) wehtaten. Klar, da war auch grad mit nem Skalpell dran rumgeschnitten worden. Nach einem Kaffee und einem belegten Brötchen gings mir dann etwas besser. Im Übrigen wurde da im OP mächtig geschuftet, allerdings in aller Regel OPs an Rentnern wegen Grauem Star.

Tok holte mich dann irgendwann gegen halb eins ab und wir fuhren mit der Straßenbahn zu ihr. Keine Ahnung, wie blöd die anderen Fahrgäste geglotzt haben, ich hielt die Augen lieber geschlossen und ließ mich von Tok führen. Beim Zwischenstopp in der Apotheke (Tok brauchte was wegen einer anstehenden Weisheitszahn-OP) musste sie auch erstmal ganz energisch darauf hinweisen, dass ich nur eine neue modische Brille probiere und sie ja diejenige ist, die was braucht… Na jedenfalls verbrachte ich den Rest des Tages auf einer bequemen Matratze (und schnarchte, soweit Tok mir das später erklärte).

So sieht übrigens ein Uwe aus, der gerade eine Augen-OP an beiden Augen hinter sich hat:

Kontrolle muss sein

Die Nacht hindurch konnte ich erstaunlicherweise ganz gut schlafen, am nächsten Morgen ging es dann zur ersten Kontrolle. Da kamen dann endlich die Plastedeckel vom Auge, so dass man nun erstmals tatsächlich sowas wie einen Durchblick hatte. Der war natürlich noch weit vom Endergebnis entfern, weil noch alles geschwollen und gerötet war. Auf jeden Fall sah soweit erstmal alles ok aus und ich konnte damit zunächst nach Hause. Die nächsten Tage verbrachte ich musikhörenderweise in der Horizontalen auf dem Sofa, geplagt von stechenden Kopfschmerzen, weil die Nervenbahnen sich ob des plötzlichen gesteigerten Inputs leicht genervt zeigten.

Anstatt mich über das Wochenende zu schonen, musste ich mir am Freitag eine Wohnung in Erlangen angucken (die dann meine neue Wohnung wurde), und kam so am Ende des Tages in Halle an und wurde von meiner Mutter abgeholt. Die wundert sich heute noch, wie sie das Auto unter Kontrolle gehalten hat, als ich ihr „bei 150 Sachen in der linken Spur“ erklärte, dass ich mich hatte operieren lassen. Nuja, es reicht wenn ich mir alleine meine Rübe darüber zerbreche was da alles hätte schiefgehen können.

Schief ging dann in der folgenden Nacht irgendwas, ich wachte nämlich mit einem heftigst blutunterlaufenden rechten Auge auf. Keine Ahnung wie es passierte, aber laut Arzt platzte da wohl ein Äderchen und dann siehts aus, als hätte man gegen Klitschko im Ring gestanden. Wirklich schlimm wars aber nicht, sah nur spektakulär aus. Eine halbe Woche später, am 4. oder 5. März, war dann die nächste Nachkontrolle inklusive Ziehens der Fäden im linken Auge (ja, die nähen die Nähte im Auge tatsächlich zu).

Dabei bestätigte sich dann, was ich schon subjektiv vermutet hatte: Das rechte Auge konnte inzwischen prima sehen, das linke hatte sich zwar auch erheblich gebessert, war aber immer noch weit weg von „scharf“. Der Doc stellte dann fest, dass die Linse nicht optimal an der richtigen Position im richtigen Drehwinkel saß und man dass mit einer weiteren OP korrigieren musste. In Anbetracht meines Zeitplanes mit Firmenwechsel und Umzug fand diese OP so schnell als möglich, nämlich am 9. März statt.

Doppelt hält besser

Die zweite OP verlief analog zur Ersten, wieder gabs Stift aufs Auge und Ko-Tropfen in den Arm, diesmal wurde aber nur ganz kurz sediert, damit sie die eigentliche Spritze in den Nerv hinterm Auge setzen konnten. Nein, ich mochte mir das dann lieber nicht vorstellen, was die da eigentlich tun. Ich wachte dann wieder auf, hatte wieder einen Plastedeckel auf dem linken Auge und wurde wieder von Tok abgeholt (hat hier einer Murmeltier gemurmelt?).

Am nächsten Morgen bei der Nachkontrolle war dann alles soweit prima, die Linse saß nun auch richtig, und ich wurde nun für den Rest des Monats krankgeschrieben. Bei der Erst-OP ging das nicht, weil das ein medizinisch nicht notwendiger Eingriff war und damit als Schönheits-OP gilt. Die Nach-OP war nun medizinisch notwendig, da konnte man mich problemlos krankschreiben. Nein, ich verstehs auch nicht, aber so ists eben.

Die vorletzte Nachkontrolle war in der vorletzten Märzwoche, da sahen alle Werte gut aus (die Buchstabenfolge RZVDE vom Sehtest hatte ich inzwischen auswendig gelernt und verblüffte dann die Auszubildenden, indem ich auch mal EDVZR ansagte…) Das einzige Problem waren nun noch die Fäden im Auge, die die Naht zusammenhielten, die mussten noch drinbleiben bis nach Ostern, damit das alles ordentlich zusammenwachsen konnte. Also verblieben wir so, dass ich erstmal meine neue Stelle antreten würde und dann einen Termin vereinbaren sollte.

Dieser letzte Termin war nun vorgestern. Die Fäden wurden gezogen (das war eigentlich das Unangenehmste an der ganzen OP-Geschichte überhaupt, weil da ohne große Betäubung am Auge gefummelt wird) und die Sehschärfe wurde noch mal geprüft. Die Werte waren zwar nicht optimal, aber erheblich verbessert und reichten aus, dass mir der Arzt ein Attest ausstellte, dass ich ohne Sehhilfe Auto fahren darf. Nun muss ich demnächst mal noch den ganzen Sehtestkram mit Sehfeld usw. machen, damit ich es im Führerschein umtragen lassen kann. Für Nachts hab ich ein Rezept für eine Brille gekriegt, die -0.5 dpt hat und damit noch etwas mehr Kontrast bringt.

I Can See For Miles

Fazit: Die ganze Aktion war erfolgreich, und die Verbesserung meiner Lebensqualität kann ich kaum in Worten ausdrücken. Wenn man nicht selbst jahrzehntelang damit leben musste, kann man es sich kaum vorstellen, was das bedeutet, plötzlich „sehen“ zu können. Das geht los, wenn man aufwacht und nicht erstmal die Brille aufsetzen muss, um überhaupt nur die Uhrzeit vom Wecker ablesen zu können. Man muss nicht mehr alle Nase lang die Brille putzen, um den Durchblick zu behalten, und das extrem eingeschränkte Sehfeld gehört auch endlich der Vergangenheit an. Und ich hab mir für dieses Jahr auch vorgenommen, das erste Mal seit mindestens 10 Jahren schwimmen zu gehen. Insofern war die Entscheidung für diese OP eine meiner besseren Entscheidungen. Achja, mein zweiter Geburtstag ist damit dann der 23.2. 😉

Ich kann auch die Augenarztpraxis von Dr. Kohm uneingeschränkt weiterempfehlen, die haben sich blendend gekümmert (und ich war da wohl irgendwie auch ein Ausnahmefall, weil nicht nur != Ü60, sondern sogar U40…) Weiterer Dank gilt Raffi und Tok, für die Matratze, den O-Saft, die dummen Sprüche und dafür, dass sie mich ausgehalten haben 🙂

5 Kommentare zu “Der große Durchblick”

  1. Weasel

    Na dann herzlichen Glückwunsch nachträglich zum zweiten Geburtstag! Kann mir gut vorstellen, dass es einer großen Überwindung bedarf, sich so einer OP zu unterziehen. Umso schöner ist’s aber danach, wenn alles geklappt hat.

  2. Tok

    Dumme Sprüche gibt’s hier frei Haus!
    Ich tät ja sagen „immer wieder gerne“, aber nochmal ne OP wünsch ich dir nu auch nicht 😀

  3. Ines

    Das fehlt das Foto mit ohne Brille am Ende.

  4. Uwe

    @Ines: Du bist ja noch nicht vorbeigekommen um ein Foto zu machen 😛

  5. Bla(h)fasel - Blog

    […] einer Brille zum Geburtstag? Zumal einer Brille, die man nicht mehr braucht (übrigens jährt sich mein zweiter Geburtstag morgen zum nullkommafünften Mal)… Und deswegen wandert das Papier im hohen Bogen in die […]

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