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Du bist…

17. Dezember 2007, 21:18 Uhr von Uwe

Erinnert sich noch jemand an diese unsägliche „Du bist Deutschland“-Kampagne? Vor etwa zwei Jahren beehrte uns ja die Bertelsmann-Gruppe damit. In medialer Omnipräsenz wurden dem Konsumenten verschiedenste Werbespots mit Prominenten serviert, was nicht nur bei mir zur totalen Übersättigung führte, zumal die Idee der ganzen Aktion nicht wirklich rüberkam, bei mir jedenfalls. Wikipedia bietet einen guten Überblick über die ganze Sache.

Warum ich das schreibe? Ganz einfach, es gibt eine neue Kampagne der selbsternannten Deutschlandverbesserer, die auch schon kritisiert wird. Diesmal soll das Ziel wohl sein, dem gemeinen Deutschen mehr Kinderfreundlichkeit beizubringen. Allerdings stellt sich nicht nur mir die klassische Grönemeyer-Frage: Was soll das? Für diese Kampagne wird nicht wenig Geld ausgegeben, die ach so vielfältige Medienlandschaft übt sich in kollegialer Gleichschaltung und am Ende klopfen sich die Initiatoren in bester Gutmensch-Manier gegenseitig auf die Schultern, dass sie doch etwas ganz wundertolles gebracht haben und Deutschland dadurch viel schöner und besser geworden ist. Gequirlte Scheiße!

Halten wir mal die Fakten (aus meiner subjektiven Sicht der Dinge) fest: Deutschland ist kinderfeindlich. Es ist schwer bis unmöglich, Kind und Beruf unter einen Hut zu bringen, es gibt zu wenig Betreuungsangebote, die Schulen sind in einem desolaten Zustand, Spielplätze werden lieber von perspektivlosen jugendlichen Alkoholikern bevölkert, und nicht zuletzt sind viele Eltern einfach überfordert. Überfordert von einer Leistungsgesellschaft, die von den Arbeitssklaven die totale Flexibilität verlangt (heute in Stuttgart, morgen in Hamburg, übermorgen in München), in der nicht klar ist, ob der Arbeitsplatz im nächsten Monat noch existiert oder nach Timbuktu ausgelagert wurde, und wo es teilweise notwendig ist, zusätzlich zum Gehalt noch staatliche Hilfen in Anspruch zu nehmen, um überhaupt über die Runden zu kommen. Wie man Kindern da noch eine unbeschwerte Kindheit ermöglichen will, ist nicht nur mir rätselhaft.

Gleichzeitig (und zu einem nicht unerheblichen Teil direkt aus den genannten Punkten folgend) schießt, wen wunderts, die Anzahl von Personen mit psychischen Erkrankungen in die Höhe, ebenso die Scheidungsrate. Warum auch zusammen leben und sich mit einem Partner abgeben? Ellenbogen ausfahren, egoistisch sein und Karriere machen wird ja in dieser Gesellschaft viel höher bewertet. Dass Männer bei einer Scheidung nicht selten bis aufs letzte Hemd ausgenommen werden, sorgt bei einigen Herren der Schöpfung sicherlich auch für eine zusätzliche Bindungsunwilligkeit, aber das nur am Rande. Jedenfalls könnte man sich eigentlich hinstellen und sagen: „Wer Kinder in diese Welt setzt, ist selbst schuld.“

Ich kanns den Leuten noch nicht mal verübeln, wenn sie sich für die Null-Kind-Politik entscheiden. Kinder kosten Zeit (obwohl, morgens in der Kita abgeben und abends abholen, danach noch vor der Glotze parken, fertig is der Lack), Kinder kosten Geld (dummerweise wachsen Kinder und brauchen darum alle Nase lang neue Klamotten), Kinder kosten Nerven (zum Beispiel, wenn es nachts um Drei herumplärrt, weil es in die Windeln geschissen hat). Der ROI ist vergleichsweise mies und von einem noch so tollen Kinderlachen kann man sich keine warme Mahlzeit leisten.

Die katastrophalen Folgen der oben genannten Problematik wie Vernachlässigung, Kindesmisshandlungen und so weiter sind offensichtlich und wurden gerade in letzter Zeit umfangreich in den Medien thematisiert. An den eigentlichen Ursachen ändert das aber gar nichts. Unterdessen kommt unsere glorreiche Familienministerin auf die tolle Idee, dass man zum Schutz der Kinder noch dieses und jenes und überhaupt fast alles Verbieten muss, zum Beispiel böse Killerspiele, die aber in Deutschland eh nur an Volljährige verkauft werden dürfen. Gleiches gilt für Internetanschlüsse, was unseren Terrorminister nicht davon abhält, die verfassungsmäßig garantierten Freiheitsrechte unter dem Vorwand der Bekämpfung von Kinderpornographie abschaffen zu wollen. Wir haben ja alle nix zu verbergen. Das ist zwar eigentlich ein ganz anderes Thema, passt aber grad sehr schön. Wie gesagt, ich kanns eigentlich niemandem verübeln, wenn er/sie keine Kinder will, obwohl diese Einstellung diametral zur genetischen Prägung ist. Und so wird es irgendwann einmal keine Kinder mehr in diesem Land geben.

Das kann natürlich so nicht sein, denn wenn es keine Kinder gibt, kauft irgendwann keiner mehr Spielzeug. Und irgendwann geht dann auch der Industrie die am leichtesten zu beeinflussende Zielgruppe für Klingeltöne, Alkopops und Teeniebands aus. Deswegen – und nur deswegen – gibts eine neue Kampagne für mehr „Kinderfreundlichkeit“. Anstatt etwas gegen die tagtäglichen Probleme zu unternehmen, mit denen Eltern konfrontiert werden, und beispielsweise elternfreundliche Arbeitszeiten einzuführen, Betriebskindergärten zu unterstützen, mehr und besser ausgebildete Lehrer in die Schulen zu schicken und und und passiert… gar nichts. Stattdessen kommen die Bertelsmann-Leute, die nicht unschuldig an der gesellschaftlichen Entwicklung sind (man schaue sich nur mal an, wer alles zur Bertelsmann-Gruppe gehört – insbesondere die verlinkten Artikel und Aufsätze zum Thema sind sehr interessant), mit dieser Kampagne an. Deutschland, du sollst glücklich und kinderlieb werden. Wenns nicht so ernst wäre würde ich in schallendes Gelächter ausbrechen. So ists einfach nur zum Heulen.

14 Kommentare zu “Du bist…”

  1. Ines

    Viel zu lang der Beitrag O.o

  2. indeed

    Das ist der erste Beitrag, den ich trotz seiner Länge bis zum Ende durchgelesen habe. Vielleicht, weil die Züge fehlten. 😉

  3. der ich

    du hast scheinbar zuviel freizeit

  4. Uwe

    Toll, da schreib ich mal was anspruchsvolles, und dann diskutieren die Frauen über die Länge… Oder kommt es am Ende dann doch auf die Länge an?

  5. Ines

    Ich diskutier nich über die Länge. Ich mag lediglich keine langen Texte, weder in Blogs, noch in Onlinenachrichten oder der gleichen. Insbesondere dann, wenn aus der Überschrift oder Bildern nicht eindeutig hervorgeht, dass mich das Thema interessieren könnte *^^*

  6. Weasel

    Wahre Worte… und wie immer toll ausgedrückt. „Dieses Land ist kein Vergnügen.“ (Böhse Onkelz: „Worte der Freiheit“, Schwarzes Album, 1993)

  7. der ich

    „am Ende klopfen sich die Iniatoren“
    the fehlerteufel has finally come back to the texts of mr. uwe d.

  8. Uwe

    Lern du erstmal die Shift-Taste zu benutzen…

  9. der ich

    pfft

  10. Tok

    Well,
    ich als Karrierefrau (das wollte ich immer schonmal schreiben) denke ja auch im hintersten Winkel meiner Hirnrinden über einen evt. existierenden Kinderwunsch nach und komme – auch und wegen meiner betriebs- und volkswirtschaftlichen Teilbildung – zu der Meinung, dass sich für mich Arbeit und Kinder bis zu meinem 30. Lebensjahr nicht unter einen Hut bringen lassen.

    Dass ich als Demnächstakademikerin nicht möchte, mich als „Mutter und Hausfrau“ gesellschaftlich abgestuft zu sehen („Ach, die hat doch nur die Kinder zu versorgen und das bisschen Haushalt..“) kommt noch dazu.

    Aber ich bin ja eh raus (;

  11. Ines

    Manchmal hab ich das Gefühl, „Karrierefrauen“ bilden sich ein bissel viel ein, wenn sie sich mit Müttern vergleichen und/oder Ausreden für ihre Kinderlosigkeit suchen…

    SCNR.

  12. Tok

    Ich denke nicht, dass du verstanden hast, was ich meine.

    SCNR

  13. Ines

    Sicher? 😉

  14. Tok

    Nicht hundertprozentig (:

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