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Nah am Wasser gebaut

11. September 2017, 21:19 Uhr von Uwe

Der zweite Urlaubstag in Interlaken stand im Zeichen einer auswärtigen Wanderung. Diese führte mich zu vielen schönen Aussichten ins Rhônetal, über spektakuläre Brücken und finstere Tunnel und über Wanderwege mit fließend Wasser.

Etappe 1 – Interlaken – Spiez – Hohtenn (72.8 km, ↗655 m, ↘220 m)

Da ich für diese Wanderung eine Anreise von ca. 90 Minuten mit der Bahn haben würde und außerdem sowieso gerne der erste in der heißen Schlacht ums kalte Frühstücksbuffet bin stand ich pünktlichst um 6:30 Uhr auf der Matte und konnte somit gut gestärkt gegen 7 das Hotel verlassen. Fünf Minuten später war ich bereits am Bahnhof und zog eine Nummer – für einen der beiden geöffneten Fahrkartenschalter, ich brauchte ja noch eine Fahrkarte für die Fahrt zum Jungfraujoch.

Der Kauf dieser Fahrkarte war ein wenig komplizierter, weil mein Schweizer Touristenpass der ersten Klasse bis Wengen gültig war (in der zweiten Klasse nur bis Lauterbrunnen), und ich außerdem ganz fies nach dem Wetterbericht der nächsten Tage fragte… man will ja bei Sonnenschein aufm Berg stehen. Außerdem funktionierte die Kartenzahlung nicht, so dass ich die 122 (oder so in der Größenordnung) Franken bar bezahlen musste. War kein Beinbruch, allerdings dauerte die ganze Transaktion inkl. des Verstauens der ganzen Papiere die man da so kriegt (Fahrkarte, Fahrplan, Infoheft, „Reisepass“) länger als gedacht, so dass ich dann gerade noch rechtzeitig in den Zug hüpfen konnte um nach Spiez zu gondeln.

Höhendiagramm

Der Zug war um diese Uhrzeit nur von unausgeschlafenen asiatischen Urlaubern und auch nicht muntereren (was für ein Wort) Schweizer Pendlern besetzt. In Spiez hieß es dann umsteigen in den Regionalzug über die Lötschberg-Bergstrecke Richtung Frutigen, Kandersteg, Goppenstein und weiter Richtung Brig. Dieser schraubte sich ab Frutigen gemütlich die Berge hinauf bis zum Autoverlad in Kandersteg (mächtig Stau am frühen Morgen), und südlich des Lötschbergtunnels bequemte sich auch langsam die Sonne hinter den Bergen hervor. Gegen 9 Uhr war ich dann in Hohtenn am Start meiner Südrampenwanderung angekommen. Diese begann mit einem wichtigen Gang – auf den Lokus. Sowas gibts ja an so ziemlich jedem Schweizer Bahnhof für ohne Obulus, dafür aber sauber und benutzbar. Danach konnte es dann losgehen.

Etappe 2 – Hohtenn – Eggerberg (16.02 km, ↗166 m, ↘406 m)

Etwas gleichzeitig mit mir startete ein Paar aus Frankreich die Wanderung in die gleiche Richtung, allerdings legten die ein Tempo vor, dem ich keinesfalls folgen wollte. Ich guckte mir gemütlich die ganzen Hinweisschilder zum Eisenbahnbau und die Erklärungen zur Streckenführung an und machte zahlreiche Fotos von Brücken. Aufgrund von Murphy und dem Satz von der Erhaltung der Gemeinheit kam der Zug blöderweise immer 30 Sekunden später um die Ecke bzw. aus dem Tunnel.

Steigungsdiagramm

Der Weg ließ sich sehr gut laufen und war bestens ausgeschildert. Im Prinzip kann man sich da aber auch nicht verlaufen – nach links gehts steil den Berghang hoch, nach rechts gehts steil ins Tal runter. Knifflige Stellen gab es hier aber keine, dafür spektakuläre Aussichten en masse. Ich hatte auch noch das Glück, hervorragendes Wetter zu haben und konnte so im Osten weit ins Rhônetal gucken, über dem sich entfernt am Horizont das Bergmassiv des Mont Blanc erhebt – allerdings war da dann doch zu viel Bodennebel im Weg. In die andere Richtung kann man diverse Hörner (u.a. Bietschhorn) bestaunen. Landschaft gibts also zu bestaunen.

An den Hang schmiegt sich die Rampe der Lötschberg-Bergstrecke, deren konstantem Gefälle Richtung Brig der Weg mehr oder weniger direkt folgt. Daraus ergeben sich immer wieder imposante Blicke auf die Strecke und die spektakulären Kunstbauten in Form von Viadukten, Galerien, Tunneln und Brücken. Die Trasse des Wanderwegs basiert dabei an vielen Stellen auf der während des Baus der Bahnstrecke von 1906 bis 1912 benutzten Feldbahn. Mit dieser wurden Baumaterial und Arbeiter an die richtigen Stellen im unwegsamen Gelände transportiert. Heute zeugen noch ein knappes Dutzend Tunnel davon, die man als Wanderer durchqueren muß – einer der Tunnel ist so lang, dass man sich laut Warnschild am metallenen Handlauf festhalten soll, um nicht im Dunklen gegen die Feldwand zu laufen… Nein, eine Beleuchtung gibts da nicht.

Geschwindigkeitsdiagramm

Man kann den relativ bequemen Wanderweg natürlich auch verlassen und ins Tal hinabsteigen oder Umwege auf höher gelegene Wege wagen. Ersteres wäre mit der Überquerung einer Brücke verbunden, unter deren Gitterrosten es erstmal 100 m nach unten geht, und dann rauscht da ein Bergbach. Hinter dieser Brücke würden steile Metalltreppen folgen, die dann hinunter in eine Klamm führen, durch die man durch muß, um ins Tal zu gelangen. Mir wurde schon schwummrig als ich nur auf der Brücke stand. Ich wollte dort ja auch gar nicht lang, sondern hab nur Fotos gemacht. Erst danach schaute ich mal genauer auf den Wegweiser, der da dick rot festhielt, dass der Weg nur für schwindelfreie Leute geeignet sei…

Ich folgte also weiter dem Bahnwanderweg in Richtung des markantesten Bauwerks: der Bietschtalbrücke. Diese Bahnbrücke kann man auch als Wanderer überqueren, das Gesagte zum Thema Schwindelfreiheit gilt allerdings auch dort. Der Zug kam natürlich 30 Sekunden zu spät fürs obligatorische Brückenfoto, aber immerhin konnte ich dann ungestört über die Brücke laufen – den Blick stur aufs andere Ende gerichtet und bloß nicht nach unten gucken… und danach tief durchatmen. Blöderweise hatte man GPS-Empfänger durch die Tunnel auf dem Weg und die Lage der Brücke in einem tiefen Gebirgseinschnitt einen dermaßen miesen Empfang, dass der Track hier für 1.8 km Wegstrecke wild um 550m nach unten und 700 m nach oben ausschlug. Tatsächlich gehts da aber nur mal 10 m eine Treppe hoch auf die Brücke und auf der anderen Seite halt wieder ebenso nach unten. Die im Text verteilten Diagramme zeigen also nicht so ganz das, was da wirklich passiert ist…

Höhendiagramm

Das nächste Highlight der Wanderung waren Wege mit eingebautem fließendem Wasser. Der Hang zählt wie das gesamte Rhônetal zu den niederschlagsärmsten Gebieten der Schweiz (die ganzen Viertausender rund um Zermatt stehen im Weg), so dass die Bauern dort die Bergbäche von Bietschhorn und anderen Hängen in handgegrabene Kanäle, sogenannte Suonen, umleiteten. Mit diesem Wasser wurden dann die Felder und Weiden an den Hängen bewässert. Entlang dieser Suonen führen zahlreiche Wanderwege, und aufgrund des für die Bewässerung notwendigen gleichmäßigen Gefälles kann man da super wandern – Wanderweg mit fließend Wasser eben.

Inzwischen hatte die Sonne die Temperaturen ordentlich erhöht, so dass ich auf Sommerbetrieb mit kurzer Hose und T-Shirt umsattelte, immer verbunden mit Hut und Sonnencreme – der Sonnenbrand von der Wanderung zwischen Realp und Andermatt 5 Tage zuvor hatte Spuren an Stirn, Nacken und Ohr hinterlassen… Auf jeden Fall erreichte ich gegen Mittag Ausserberg, ein verträumt in der Mittagssonne dösendes Dorf mit schicken Bauernhäusern. Der Weg führte nun ein gutes Stück weiter auf einer Verbindungsstraße zum nächstgelegenen Weiler, zwischendurch überholte ich das französische Pärchen vom Morgen, die an einem Kräutergarten eine ziemlich lange Pause gemacht haben mußten. Ich knipste dort Unmengen von Schmetterlingen und ließ die Franzosen wieder vorneweg rennen.

Steigungsdiagramm

Zu meinem Erstaunen kam mir das Wasser des nächsten Bewässerungsgrabens am Weg aber entgegen – ich ging also seit Ausserberg die ganze Zeit leicht bergauf. Das war eigentlich die falsche Richtung, wie mir auch der Blick ins Tal bewies, denn die Bahnstrecke war irgendwie weit unter mir zu sehen. Ich hatte mich aber nicht verlaufen, der Weg bog erst kurz vorm Baltschiederbach nach rechts ab und führte nun in steilen Serpentinen hinunter zum Baltschiederviadukt. Natürlich kam auch hier kein Fotozug – ich hatte überhaupt den ganzen Tag nicht wirklich viele Züge gesehen, bis auf die planmäßigen Regionalzüge und die unten im Tal Richtung Montreux verkehrenden Fernzüge.

Egal, das letzte große Highlight der Wanderung war nun die Querung der Talseite im Baltschiedertal. Dazu ging es zunächst erneut durch einen Tunnel der ehemaligen Baubahn, an den sich direkt eine Brücke anschluß, die wiederum von einem Tunnel abgelöst wurde. Das war aber nur das Vorspiel, das eigentlich spannende war die dahinter verborgene zweite Brücke – direkt neben einem Wasserfall. Da hätte man sich problemlos mit einer Flasche Shampoo hinstellen und kalt duschen können. Sehr fotogen und überaus erfrischend bei deutlich über 25 Grad Außentemperatur.

Geschwindigkeitsdiagramm

Und damit ging es nun gemütlich die letzten Meter weiter bis nach Eggerberg. Am Haltepunkt angekommen bestaunte ich einmal mehr die Bahnhofskultur der Schweiz: Dort halten ganze zwei Züge pro Stunde (1 je Richtung halt), und das auch nur als Bedarfshalt. Man muß also am Bahnsteig auf einen Knopf drücken, damit der Zug signalisiert kriegt dass er überhaupt halten soll. Trotzdem gibt es dort einen sauberen Wartesaal mit einem geleerten Papierkorb, saubere und kostenlose Toiletten, jede Menge Werbeprospekte der Bahngesellschaft zum Mitnehmen und eine digitale Anzeige wann der nächste Zug kommt. Man stelle sich das mal in Deutschland vor, wie vermüllt es da im Vergleich aussehen würde…

Etappe 3 – Eggerberg – Brig – Spiez – Interlaken (92.66 km, ↗222 m, ↘419 m)

Ich musste nur eine knappe Viertelstunde auf den Zug warten, der mich in rund 10 Minuten hinunter nach Brig brachte. Dort hatte ich nun rund 20 Minuten Aufenthalt bis zur Abfahrt eines ewig langen (über 10 Doppelstockwaggons und vorne dran noch 2 normale Wagen) Intercity Richtung Spiez. Dieser war mitten am frühen Nachmittag überraschend gut besetzt. Die Fahrt nach Spiez durch den Lötschberg-Basistunnel ist zwar erheblich schneller als das Gegurke über den Berg drüber, dafür ist die Aussicht im Tunnel halt auch eher eingeschränkt und dafür der Geräuschpegel höher. Aber hey, ich war im zweitlängsten Tunnel Kontintaleuropas (nach dem Gotthardbasistunnel) unterwegs, das ist doch auch was.

In Spiez wurde nun gemütlich in den letzten Zug des Tages umgestiegen, der mich wohlbehalten zurück nach Interlaken brachte. Ich ging noch im örtlichen Supermarkt neue Getränke für die Tour des nächsten Tages kaufen, schleppte mich dann ins Hotel und beschloß den Tag nach einer erholsamen Dusche gemütlich mit sinnlosem Zappen durchs Fernsehprogramm (am Ende guckte ich so halb verpennt die erste Halbzeit irgendeines Europacupspiels), bevor ich dann gegen 21:30 Uhr das Licht ausknipste – der nächste Tag würde wieder sehr zeitig beginnen und verdammt anstrengend werden. Aber davon mehr im nächsten Eintrag.

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