Kategorien

Archive

Kalender

September 2017
M D M D F S S
 123
45678910
11121314151617
18192021222324
252627282930  

Besser gut gelaufen als schlecht gefahren

9. September 2017, 18:55 Uhr von Uwe

Das Fazit passt perfekt zum sechsten Urlaubstag, der eigentlich nicht nach Plan verlief, uneigentlich dann aber doch ziemlich schön war. Und das kam so:

Preludium – Planung am Vorabend

Ich hatte mir im Vorfeld des Urlaubs diverse Touren ausgeknobelt, die ich absolvieren wollte. Welche das dann konkret an welchem Tag sein sollte wurde spontan anhand des Wetterberichts entschieden. Für Interlaken hatte ich nun die freie Auswahl aus Touren Richtung Jungfraujoch (entfiel wegen „Fahrkarte muss noch gekauft werden“ und „Webcam sieht so nach Milchglas aus“), einer Tour zum Lötschberg (eher so meh, weil man sehr zeitig los musste) und einer Tour Richtung Brienz, für die ich mich folgerichtig entschied. Was ich dabei aufgrund urlauberischer Ignoranz komplett verpeilte war die Tatsache, dass der Tag irgendsoein religiöser Feiertag war, was dann im Lauf des Tages zu spontaner Umplaneritis führen sollte…

Etappe 1 – Rumlaufen in Interlaken bis zum Schiffsanleger (1.7 km, ↗24 m, ↘42 m)

Der Morgen begann mit der ersten Niederlage des Tages, allgemein als Aufstehen bezeichnet. Das Schiff würde erst nach 9 Uhr ablegen, ich war trotzdem bereits gegen 7:30 Uhr am Frühstücksbuffet, und das war eigentlich schon eine Stunde zu spät – nicht etwa weil das Buffet schon geplündert worden wäre, nein, es war mir einfach zu viel Andrang, ich futtere mein Frühstücksei lieber in Ruhe und ohne babylonisches Sprachrauschen im Hintergrund. Und davon gabs reichlich, in Englisch (Variante Britannien), in Englisch (Variante von westlich des großen Teichs), Italienisch, Französisch und allerlei asiatisches und nahöstliches, was ich nicht zuordnen kann.

Kurz nach acht und damit eigentlich viel zu früh verließ ich das Hotel und begab mich zum Bahnhof. Direkt dahinter ist der Schiffsanleger, und ich wollte eigentlich noch gucken, ob ich vor der Schiffstour noch ein Ticket für die Fahrt zum Jungfraujoch kaufen könnte. Allerdings war am Schalter schon am frühen Morgen ein Andrang wie als wenns Bananen gäb (so mit Nummern ziehen und warten und so), so dass ich dieses Vorhaben spontan auf den Abend verschob. Somit hatte ich plötzlich ungefähr 45 Minuten Zeit zum freien Herumlaufen, die ich nutzen konnte um mir das Schiff schon mal von außen anzugucken und ziellos auf dem Bahnhof herumzustrolchen. Da war auch zu dieser relativ frühen Stunde schon ordentlich was los, und ich wusste anschließend zumindest schon mal, wo die Züge Richtung Grindelwald und Lauterbrunnen abfahren.

Höhendiagramm

Theoretisch wusste ich auch, dass mein Schweizer Touristenticket auch auf dem Schiff gültig ist, zur Sicherheit wollte ich aber nochmal am Schalter nachfragen. Der dort tätige Mitarbeiter hatte offenbar einen Clown gefrühstückt, denn die Antwort war: „Wenn ihr Touristenticket heute gültig ist, gilt es auch auf dem Schiff.“ Klugscheißer. Ich hätte net behauptet dass ich ein gültiges Ticket habe, wenn es erst ab übermorgen gültig wäre… Egal. Gegen 9 Uhr konnte man das Schiff betreten und ich trabte ganz nach oben auf das sogenannte Sonnendeck, welches ich dann die ganze Fahrt über quasi für mich alleine hatte.

Etappe 2 – Jetzt fahrn wir übern See, übern See… (18.6 km, ↗82 m, ↘94 m)*

Warum ich das Sonnendeck quasi allein für mich beanspruchen konnte erschloß sich mir erst als der Erste Offizier (zumindest nehme ich an, dass er diese Rolle hatte) zwecks Fahrkartenkontrolle vorbeikam – das Sonnendeck ist nur für Reisende mit einem Ticket der Ersten Klasse. Ich hatte kein derartiges Hinweisschild gesehen, aber wenn ers sagt wirds wohl stimmen, und ich hatte ja auch ein Ticket der Ersten Klasse. Während sich also alle anderen Reisenden auf den unteren beiden Decks tummelten konnte ich mir oben ungestört den Wind um die Nase wehen lassen.

Die Fahrt dauerte etwas über eine Stunde, es ging im Zick-Zack über den See mit Zwischenstops an diversen Dörfern und Anlegestellen. Ich knipste diverse Fotos der „blauer See vor hohem Berg“-Sorte, und guckte dem Kapitän bei den An- und Ablegemanövern zu. Ein Quartett italienischer Mittvierzigerinnen tauchte auf dem Deck auf und wurde vom Ersten Offizier umgehend aufgrund fehlender Fahrkarte wieder nach unten komplimentiert, allerdings erst nach einem fünfminütigen Fotoshooting der Sorte „reife Frau in den Armen eines knackigen Kerls“ (gemeint ist natürlich der Offizier, nicht meine Wenigkeit). Das ganze wurde begleitet von typisch italienischer Gestikuliererei und hemmungsloser Flirterei (der Damen gegenüber dem armen Typen, der da nur seine Arbeit machte).

* Anmerkung zur Überschrift: Anders als die Höhendifferenz vermuten lässt ist der See doch relativ eben. Hier akkumulierte sich offensichtlich die Ungenauigkeit des GPS ordentlich auf…

Interludium – Akute Umplaneritis in Brienz

Gegen 10:20 Uhr kamen wir schließlich in Brienz an, und hier mußte ich nun spontan umplanen. Eigentlich(tm) wollte ich mir der Brienz-Rothorn-Bahn, einer musealen dampfbetriebenen Bergbahn, auf das Brienzer Rothorn hinauffahren. Da hätte ich bei dem schönen Wetter eine famose Aussicht auf den See und die dahinterliegenden Bergketten inklusive Eiger, Mönch und Jungfrau gehabt. Hätte, hätte, Fahrradkette… Wie ich dort am Bahnhof ankam, standen die Menschenmassen bereits bis auf die Straße, und ein Hinweisschild erzählte was von „Mitfahrt nur mit gültiger Reservation möglich, bitte 30 min vor Abfahrt erscheinen“ oder so ähnlich. Ich hatte weder eine Reservation noch hatte ich Bock darauf eine zu erstehen und dann ewig auf den nächsten Zug zum Gipfel zu warten.

Steigungsdiagramm

Vom Gipfel aus hätte ich ohnehin außer dem Ausblick auch nix weiter gehabt, eine Wanderung auf über 2300 m bei gleißendem Sonnenschein und oberhalb der Baumgrenze war jetzt auch nicht unbedingt das, was ich machen wollte, zumal es einen Abstieg von mindestens 1700 m bedeutet hätte – ich brauchte meine Knie noch für die Wanderungen der nächsten Tage. Also ließ ich die Bahn Bahn und den Berg Berg sein und guckte mich erstmal etwas planlos in der Gegend um, bis ich eine zündende Idee haben würde. Eine Mitfahrt kann man bei youtube angucken.

Von Brienz aus kann man ja einiges machen, z.B. weiterfahren in Richtung Meiringen und dort dann Wandern zum Reichenbachfall, wo bekanntermaßen Sherlock Holmes gegen Moriarty kämpfte. Ich entschied mich dann aber für die andere Richtung, die da hieß „Wandern Richtung Oberried und eventuell weiter, und wenn man keinen Bock mehr hat am nächsten Bahnhof in den Zug Richtung Interlaken einsteigen“. Und so begann die Wanderung des Tages.

Etappe 3 – Auf Schusters Rappen über Hängebrücken (18.6 km, ↗653 m, ↘623 m)

Ich folgte zunächst gemütlichen Schrittes der Uferpromenade von Brienz. An dieser findet man diverse Zeugnisse der örtlichen Holzschnitzkunst (es gibt in Brienz direkt Schulen sowohl dafür als auch für Geigenbau, ich nehme aber an dass letztere nicht aus dem Ganzen geschnitzt werden). Den mit Abstand größten Spaß machte der Wasserspielplatz, mit diversen Pumpen, Archimedischen Schrauben, Ventilen und anderem Zeugs zum Rummatschen mit eiskaltem Seewasser.

Geschwindigkeitsdiagramm

Der Weg führt dann aus dem Ort heraus stetig nach oben, denn direkt am Seeufer führen Bahntrasse und Straße entlang, während der Wanderweg oberhalb im Hang durch den Wald führt. Daraus ergibt sich, dass man zwischendrin mehrere Hängebrücken überqueren muss, die jeweils die Schluchten diverser Bergbäche überspannen. Je nach Konstruktion quietschte und wackelte das dann durchaus schon recht beachtlich. Andererseits hatte man aufgrund der Höhe immer wieder faszinierende Ausblicke der Sorte „blauer See vor hohen teils schneebedeckten Bergen“.

Und so ergab es sich, dass ich bei einer ebensolchen Pause zum Genießen des Naturblicks und eines Schlucks aus der Wasserflasche mit drei Wanderern ins Gespräch kam, die gerade das gleiche taten. Es stellte sich heraus, dass dies ein Ehepaar (Conni und Leo aus Pfaffenhofen/Ilm) und ein weiterer Wanderer (Hubertus aus einem Kaff bei Sigmaringen) waren. Und diese waren unterwegs auf dem Jakobsweg, der zufällig gerade dort entlangführt. Die ganzen Details zum Jakobsweg mag ich hier nicht aufschreiben, auf jeden Fall waren sie auf dem Weg nach Interlaken als heutigem Etappenort, und da ich in die gleiche Richtung wandern wollte wanderten wir dann eben gemeinsam weiter.

Höhendiagramm

Wenn man nicht alleine herumläuft macht das Wandern auch gleich mehr Spaß, man quatscht halt über Gott, die Welt, das Wandern, die Arbeit, warum man auf die Idee kommt nach Spanien laufen zu wollen und allerlei anderes. Und ehe wir uns versahen waren wir in Oberried. Dort machten wir Kaffeepause – entlang des Jakobsweges gibt es immer wieder kleine Pausenmöglichkeiten von privater Stelle, wo man in diesem Fall zum Selbstkostenpreis einen Kaffee trinken konnte. Es war erst früher Nachmittag, die Sonne schien, was also sollte ich jetzt schon am Bahnhof und dann zurück ins Hotel fahren? Also ging es weiter per pedes.

Der Weg war prima ausgeschildert, die Sonne knallte auf uns runter, und über uns kreisten die Geier mehrere Steinadler – sehr majestätisch, aber ohne Fernglas nicht wirklich mehr als ein großer dunkler Fleck im Himmel. Es ging erneut rund 200 m nach oben in Richtung Ringgenberg. Wir stellten fest, dass der Weg auch als Planetenweg ausgeschildert war, ohne zunächst zu erkennen was das bedeuten sollte. Dieses Rätsel löste sich erst deutlich später – vorher lachten sich drei Wanderer noch schlapp über Leo, der an einem Sägewerk den Fahrer eines ungefähr 50 Jahre alten Lastwagens über eben diesen ausfragte und das als Interview mit dem Handy aufnahm. Man will ja ein paar Erinnerungen haben wenn man ein Vierteljahr auf dem Jakobsweg unterwegs ist… Kurz nach diesem Interview trafen wir schließlich auf einen Wegweiser, der den Planetenweg erklärte – eine maßstäbliche Verkleinerung des Sonnensystems, so dass der Weg an allen Planeten vorbeiführte (dort standen wir gerade am Saturn), bevor man schließlich in Ringgenberg am Zentrum bzw. an der Sonne ankommt.

Einen fies steilen Anstieg später erreichten wir schließlich auch Ringgenberg, und ich bekam erklärt wie das mit dem Wandernachweis auf dem Jakobsweg funktioniert: Man marschiert in die örtliche Kirche, dort liegt ein Stempel aus, und man macht dann einen Fleißstempel in seinen Pilgerausweis. Damit kann man dann nachweisen dass man wirklich auf dem Jakobsweg herumläuft und kann die damit verbundenen preisgünstigen Unterkünfte in Anspruch nehmen. Leo und Conni erzählten mir da einige abenteuerliche Geschichten, was man da so an Unterkünften erleben kann – von Jugendherberge über Kloster mit schweigenden Nonnen bis hin zum Schlafen im Heu war da einiges dabei…

Steigungsdiagramm

Direkt vor der Kirche hatte Conni inzwischen einen Einheimischen in ein Gespräch verwickelt, aus dem sich für die drei Pilger eine neue Unterkunft für die nächste Etappe am Thunersee ergab – man ist ja jeden Tag so ca. 20 km unterwegs und muß dann eben schauen, wo man übernachten kann, und die Unterkünfte sind rar und begehrt. Außerdem erfuhren wir so von den Diskussionen, die sich in der Region aus den Folgen des zügellosen Massentourismus ergeben – nicht jeder Schweizer fühlt sich wohl dabei, von Urlauberhorden aus Asien, Indien und insbesondere dem Nahen Osten überrannt zu werden. Mit den Japanern gibts dabei erfahrungsgemäß die wenigsten Probleme, die sind diszipliniert (zur Türe raus, links anstellen, jeder nur ein Fotoapparat – oder so ähnlich) und geradezu erschreckend höflich. Chinesen und Inder sind da schon aus ganz anderem Holz geschnitzt, und bei Urlaubern aus dem arabischen Raum wirds dann endgültig schwierig…

Die Region macht halt offensiv Werbung in Asien und im Nahen Osten und lockt gezielt betuchte Kunden nach Interlaken. Diese geben dann in kurzer Zeit sehr viel Geld für Schweizer Uhren, Taschenmesser und sonstige Mitbringsel aus, fahren einmal aufs Jungfraujoch hoch und sind dann wieder verschwunden. In der schieren Menge der Touristen prallen dann aber eben doch die Kulturen ganz gewaltig aufeinander, wobei sich die Diskussionen in erster Linie an der Vollverschleierung entzünden. Naja, sobald man drei Meter weg ist von den Touristenhotspots wandert man trotzdem wieder alleine durch den Wald und hat seine Ruhe…

Geschwindigkeitsdiagramm

Wir begaben uns nach ungefähr 45 Minuten Gesprächspause gemächlich auf die letzten Kilometer bis nach Interlaken. Unterwegs holten wir noch eine den anderen bereits bekannte Pilgerin aus Polen ein – wenn man in die gleiche Richtung wandert und meistens in den gleichen Unterkünften übernachtet lernt man zwangsläufig einige Leute kennen. In Interlaken angekommen verabschiedete ich mich dann in meine (gemessen an der eher zweckmäßigen Pilgerunterkunft) Nobelherberge – wo mir die Qualität des Putzdienstes nicht unbedingt positiv auffiel: Die Mülltüte des Mülleimers war zwar gewechselt worden, aber die alte Mülltüte mitsamt einiger Plastefolien vom Getränkesixpack lag noch daneben… sowas sollte nicht passieren.

Fazit: Trotz oder gerade wegen der spontanen ungeplanten Wanderung wurde es ein toller Tag bei fantastischem Wetter. Die Wanderung selbst ist super und nicht zu anstrengend, zumal man sie auch an mehreren Stellen abkürzen kann, indem man den nächstgelegenen Bahnhof ansteuert. Und da ich noch immer keine Fahrkarten für die Fahrt zum Jungfraujoch hatte stand die Wanderung am Lötschberg als Unternehmung für den nächsten Tag quasi automatisch fest.

Einen Kommentar schreiben