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Rein und raus, raus und rein

6. September 2017, 22:01 Uhr von Uwe

Der Tag stand ganz im Zeichen eines durchgängigen Rein und Raus – rein in den Zug und raus aus dem Zug, rein in den Tunnel und raus aus dem Tunnel, und hoch und runter gings auch noch ordentlich… Eine ziemliche Ochsentour, dafür dass die Entfernung zwischen Andermatt und Interlaken über die Passstraße (Sustenpass oder Grimselpass) grade mal rund 90 km beträgt, und selbst mit der Bahn via Brig sinds „nur“ dreieinhalb Stunden. Allerdings ist bei mir ja manchmal der Weg das Ziel, deswegen gabs „geringfügige“ Umwege…

Etappe 1 – Andermatt – Göschenen

Warum ich das hier zum öchzigsten Mal aufführe? Weil ich heute vor dem Frühstück noch auschecken mußte. Weil das Wetter absolut super war und schon am frühen Morgen keine Jacke gebraucht wurde. Weil am Bahnhof ganze Heerscharen von Soldaten der örtlichen Kaserne noch einen Morgenkaffee trunken während ich meinen Koffer in den Zug wuchtete. Weil mir der Aufenthalt in Andermatt wirklich sehr gut gefallen hat – leider wird sich das Ambiente des Ortes wohl auch ändern, die zahllosen Baukräne diverser Großbaustellen künden von zukünftigen Großhotels, so dass aus dem verschlafenen Nest wohl sowas wie ein zweites Zermatt werden könnte… Ich wills nicht hoffen.

Achja, die Fahrt durch die Schlucht hinunter nach Göschenen war natürlich auch beim fünften Mal (das sechste Mal war ich gelaufen) spektakulär, zumal jetzt auch das Wetter wirklich mitspielte. In Göschenen brauchte ich nun nur auf den Anschlusszug zu warten, und dann gabs tatsächlich und viel später als gedacht eine Premiere im Urlaub: Ich fuhr auf einer Bahnstrecke auf der ich vorher noch nie unterwegs war…

Etappe 2 – Gotthardstrecke Göschenen – Bellinzona

Diese Premiere geriet zunächst mächtig unspektakulär unterbelichtet: Es ging 15 km geradeaus durch stockfinstre Nacht. Jepp, Gotthardtunnel. Das eindrucksvollste daran ist ja irgendwie die Tatsache, dass man ihn um 1875 gebohrt hat, als man quasi überhaupt noch keine Erfahrung mit solchen Monstervorhaben hatte. Auf jeden Fall fährt man da halt recht ereignisarm durch, nach gut 10 Minuten wirds wieder hell und plötzlich ist man in Italien. Naja, nicht so ganz, beim Simplontunnel würds stimmen. Man ist im Tessin, was aber sprachlich aufs Gleiche rauskommt. Die automatisierten Ansagen im Zug sind ja in der Schweiz grundsätzlich mehrsprachig, je nach Kanton aber in unterschiedlichen Sprachen. Nördlich des Gotthard gabs Deutsch, Englisch und Französisch (Prochainerais Andermatt… [sprich Proschäneräh Andermatt]), im Tessin gabs Italienisch, Englisch und Deutsch. Ganz verrückt wirds in Graubünden, da wird man noch auf rätoromanisch zugetextet, was selbst in der Schweiz kaum einer mehr spricht.

Im Gotthardtunnel

Na jedenfalls gings dann von Airolo aus mächtig bergab. Auf dem Weg Richtung Bellinzona ist der Höhenunterschied noch größer als auf der Nordseite, so dass man hier gleich vier Kehrtunnels erbaut hat, davon zwei quasi übereinandergestapelt, so dass die Bahn hier in drei Stockwerken übereinander fotografiert werden kann (was entsprechend gern und oft gemacht wird). Und irgendwie habens die Ingenieure 100 Jahre später noch geschafft, die Autobahn dazwischenzuquetschen…

Auffällig ist hier nun (neben der Sprache) auch die andere Optik. Die Häuser entsprechen nicht mehr dem typisch nördlichen Schweizer Holzbau, sondern sind aus Stein und haben einen eindeutig italienischen Einschlag. Außerdem gibt es erheblich mehr Bäume auch in höheren Lagen, was mit dem Wetter zusammenhängt – warme und feuchte Luft aus dem Süden staut sich in den Hanglagen, so dass es die Gegend die nasseste der Schweiz ist, was natürlich gut fürs Pflanzenwachstum ist. Und aufgrund der höheren Temperaturen wachsen sogar so komische Dinger wie Palmen. Und wer sich davon ein bewegtes Bild machen will, kann sich bei youtube die komplette Fahrt von Locarno die Südrampe hinauf und die Nordrampe hinunter (also entgegen meiner Fahrtrichtung) auf youtube reinziehen.

Etappe 3 – Bellinzona – Locarno

In Bellinzona mußte ich dann umsteigen in Richtung Locarno, und hier merkte man schon deutlich die Nähe Italiens – in Form von wild gestikulierenden Machos und Frauen in modischen Sommerkleidern, was allerdings nicht immer zum Vorteil der Frau war… Nuja. Zwischen Bellinzona und Locarno waren mächtig Bauarbeiten im Gange, die Schweizer bauen ja die Gotthardstrecke noch massiv aus und werkeln dort am Ceneri-Basistunnel, damit man dann irgendwann zwischen Zürich und Mailand nicht über 550 m über dem Meer steigen muß – frei nach Motto „Weg mit den Alpen, freie Sicht aufs Mittelmeer.“ Ich hingegen wollte ja gar nicht ans Mittelmeer, sondern an den Lago Maggiore, bzw. nach Locarno.

Dort angekommen wars verflixt warm – kein Wunder, Locarno ist der Ort der Schweiz mit der höchsten Durchschnittstemperatur. Entsprechend viele Sommerurlauber waren unterwegs. Ich hingegen verzog mich in den kühlen unterirdischen Bahnhof der Ferrovie autolinee regionale ticinesi, was aber furzegal ist, weswegen man das mit FART abkürzt. Oder so ähnlich. Jedenfalls betreibt die Gesellschaft eine Schmalspurlinie Richtung Italien, die sogenannte Centovallibahn. Und das war die nächste Etappe.

Etappe 4 – Centovallibahn Locarno – Domodossola

Rein von der Geographie her und von der Art und Weise, wie man die Bahnstrecke ins Gelände gebaut hat, war das mit Abstand der spektakulärste Streckenabschnitt des Tages. Die Strecke weist irre Steigungen und aberwitzig enge Kurvenradien auf, die man sonst nur von Straßenbahnen kennt. An diversen Stellen wurde die Trasse direkt in fast senkrechte Felswände gehauen, und wenn man aus dem Fenster guckt kommt erstmal 100 m gar nix, und dann irgendwo unten ein paar grobe Steine und ein Fließgewässer. Natürlich fährt die Bahn nicht sonderlich schnell, Blumenpflücken während der Fahrt wäre also durchaus möglich, wenn man die Fenster öffnen könnte (scheiß Klimaanlagen aber auch immer) und wenns statt Felsen Blumenwiesen gäb. Achja, eine Führerstandsmitfahrt auf der Strecke gibts natürlich bei youtube (ist zwar die Gegenrichtung, das macht aber die Landschaft nicht hässlicher).

Trotzdem wurde die Fahrt zu einer ziemlichen Strapaze für meine Nerven, da ein älteres Ehepaar (ca. 60-65) mit Enkelkind (ca. 2. Klasse) mit im Waggon saßen. Und die unterhielten sich in unmöglicher Lautstärke über völlig banales Zeug. Opas wichtigste Frage bei jedem Bahnhof war: „Sind wir schon in Italien? Ach nein, erst in Ribellasca. Das sind noch 5 Stationen.“ Vor lauter Diskussion und Gucken in den Linenplan verpaßte er die ganze tolle Aussicht links und rechts zum Fenster raus… Wenn man nix relevantes zu vermelden hat, sollte man eben einfach mal die Klappe halten – gilt nicht nur Manager im Meeting. Ich war jedenfalls mittelschwer genervt von dem Kerl.

Höhenprofil

Im Übrigen führt die Strecke tatsächlich zum Großteil durch Italien, da sie aber zusammen mit der Simplonbahn die schnellste Verbindung vom Tessin ins Wallis und sogar weiter nach Bern ist, gelten die Schweizer Fahrkarten dort auch. Damit brauchte ich für diesen Italienabstecher auch keine extra Fahrkarte, sondern zeigte brav meine Touristenkarte vor, die leider nur etwas umständlich groß ist. Nach einem steilen Abstieg in mehreren Schleifen erreichten wir schließlich gegen halb zwei Domodossola, von wo aus es dann wieder in Richtung Norden weiterging.

Etappe 5 – Simplonbahn Domodossola – Brig

Ich bestieg den erstbesten Zug Richtung Schweiz, was zufällig ein IC Richtung Lausanne war. Dieser war überraschend gut besucht, ich kriegte gerade noch einen Platz im Schwerbehindertenabteil, welches aber unbelegt war. War ja auch nur für eine knappe halbe Stunde. In der Zeit kamen der Schaffner und zwei Leute vom Schweizer Grenzschutz, der Opa mitsamt Anhang nervte die Leute im benachbarten Speisewagen, und ich guckte aus dem Fenster und sah… Dunkelheit. Die Alpen sind ja durchlöchert wie ein Schweizer Käse, kaum ist man aus einem Tunnel raus ist man schon wieder im nächsten drin. Längster Tunnel hierbei war nun der Simplontunnel mit 19.005 km (die fünf Meter scheinen wichtig zu sein).

Direkt hinter dem nördlichen Tunnelportal war auch schon Brig erreicht und ich stolperter bei gleißendem Sonnenschein auf den Bahnsteig. Einen Schreck versetzte mir der lautstarke Opa (ja, der war mitsamt Entourage auch ausgestiegen) als er lautstark verkündete „Bern ist Gleis 8“. Das machte zwar grammatikalisch und ausdrucksmäßig mal so überhaupt keinen Sinn, sagte mir aber dass er den gleichen Anschluss nehmen wollte wie ich. Darauf hatte ich aber mal sowas von überhaupt keinen Bock, weswegen ich spontan umplante. Statt mit dem nächsten IC durch den Lötschberg-Basistunnel Richtung Bern zu fahren, würde ich ich stattdessen mit dem nächsten Regionalzug über die Lötschberg-Bergstrecke in Richtung Bern fahren.

Etappe 6 – Lötschberg-Bergstrecke Brig-Spiez

Die Entscheidung verzögerte meine Ankunft in Interlaken um eine Stunde, das war mir aber mal grad völlig egal. Wichtiger war die Tatsache dass ich so den Ausblick aus dem Fenster an der Lötschberg-Südrampe genießen konnte, und das bei absolut genialem Sommerwetter, frei von allen Wolken. Also suchte ich mir ein schönes Plätzchen auf der in Fahrtrichtung linken Seite und harrte der Dinge, die da kommen würden. Und da kam einiges. Die Bahnstrecke steig von Brig aus kontinuierlich an, immer entlang der Bergflanke, bis sie irgendwann rund 400 m über dem Niveau des Rhônetals liegt. Da hat man einen fantastischen Blick ins Tal bis hin zum Mont-Blanc-Massiv im Westen. Dann biegt die Strecke nach Norden ab und führt durch den Lötschbergtunnel nach Kandersteg. An diesem Tunnel gibt es einen Autoverlad, was die kürzeste winterfeste Verbindung von Bern ins Wallis darstellt – ansonsten müsste man nach Westen bis an den Genfersee ausweichen.

Ich guckte also fasziniert aus dem Fenster und ließ mich auch nicht von den Horden von Wanderern aus dem Konzept bringen, die bis Frutigen nach und nach zustiegen. Der Nordabschnitt der Strecke, von Kandersteg nach Frutigen, besteht ja auch wieder aus einer Doppelschlaufe zwecks Höhengewinnung, das ist mit den 3000ern im Hintergrund schon faszinierend anzusehen. Und plötzlich kommt man aus dem Tunnel raus und guckt aufs himmelblaue Wasser des Thunersees… Die Landschaft der Schweiz ist schon mächtig gewaltig. Einen Einblick in den Ausblick (ha, welch Wortspiel) gibt auch für diese Strecke ein Video auf youtube.

Etappe 7 – Spiez – Interlaken Ost

Alle guten Dinge gehen einmal zuende, so auch meine Fahrt nach Interlaken. Den letzten Abschnitt legte ich mit einem Regionalzug zurück, obwohl eigentlich(tm) ein ICE im Fahrplan stand. Dieser fiel aber (wir erinnern uns, Tunnelbauen und Deutsche Bahn passen nicht zusammen) ersatzlos aus. Das machte aber nix, die Schweizer Züge sind eh bequemer und besser gepflegt. Die Strecke nach Interlaken führt nun immer schön am Seeufer entlang, was die mitreisenden Asiaten zum Anlaß nahmen, die Speicher ihrer Kameras mit verwackelten und unscharfen Aufnahmen von Spiegelungen der Fensterscheiben zu füllen…

Und so kam ich schließlich etwas knülle in Interlaken an. Der Ort ist ja das Touristenziel der Schweiz überhaupt und entsprechend völlig überlaufen mit Asiaten aus dem Fernen und Mittleren Osten. Und auf die ist alles ausgerichtet – die Hinweisschilder auf Englisch und Japanisch, die Speisekarten vorm Restaurant auf arabisch, und beim Juwelier stehen nicht mal die Preise dran an der Auslage… Als Mitteleuropäer ist man dort definitiv in der Minderheit, was wohl auch bei den Schweizerin nicht ungeteilte Zustimmung findet.

Ich schleppte also mich und meinen Koffer die 500 m bis ins Hotel und begab mich erstmal zum Ausruhen (wovon eigentlich, ich hatte ja den ganzen Tag nix gemacht außer Bahn fahren?) aufs Zimmer. Das war halt so wie man sich ein Hotelzimmer vorstellt, zweckmäßig und charakterlos. Gegen das urige Ambiente des Hotels in Andermatt war das gar nix, zumal nachts die Reklamebeleuchtung der Fünf-Sterne-Luxusbude von der anderen Straßenseite ins Zimmer strahlte – wobei besagte Luxusbude damit auch nur wie ein Nobelpuff wirkte… Als letzte Amtshandlung des Tages spazierte ich noch ein wenig durch den Ort, in erster Linie um zu erkunden wo man Getränke einkaufen könnte und wie lange man bis zum Bahnhof braucht, damit klar ist, wann man morgens los muß.

Da das Frühstück bereits ab 6:30 Uhr serviert wurde konnte ich hier nun sehr flexibel die Unternehmungen für die nächsten Tage planen. Wichtigstes Hilfsmittel dabei war der Wetterbericht bzw. die mit fürchterlicher Blasmusik unterlegte Alpenwebcamrundschau, denn wenn ich mit der Bergbahn aufs Jungfraujoch fahre und dafür über 100 EUR(!) hinblättere, will ich auch Ausblick haben. Der Trip war aber ohnehin noch nicht dran, weil ich dafür erst noch Fahrkarten kaufen musste. Wofür ich mich letztlich entschied berichte ich dann im nächsten Eintrag.

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