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Dieser Tag war weiß Gott hart

4. September 2017, 22:23 Uhr von Uwe

Halleluja, mir ist endlich (mit freundlicher Unterstützung von Otto Waalkes, bei dem ich mir dieses recht dämliche Wortspiel ausgeborgt habe (und wer weiß, wo der das ausgeborgt hatte (Klammerbemerkung innerhalb einer Klammerbemerkung, auch nicht schlecht))) ein originellerer Titel eingefallen… Nach diesem Exkurs in die Untiefen der deutschen Sprache nun also zur eigentlichen Wanderung, die fand wenig überraschend in der Schweiz statt und führte mich von Göschenen nach Erstfeld.

Etappe 1 – Andermatt – Göschenen (4.33 km, ↗8 m, ↘334 m)

Der Tag begann mit einem überpünktlichen Frühstück (ich hatte ja am Vorabend gefragt, ob ich 10 Minuten eher zum Futtertrog würde marschieren dürfen), so dass ich mich frisch gestärkt und voller Tatendrang (im Frühtau zu Berge ich zieh, fallera (oder so ähnlich)) gegen 8:20 Uhr in Richtung Bahnhof marschieren konnte – das GPS war zu diesem Zeitpunkt bereits eingeschaltet, deswegen tauchen in der Überschrift auch ungefähr 500 m Fußweg zusätzlich zur Bahnfahrt auf. Die Bahnfahrt nach Göschenen hinunter hatten wir ja nun schon einige Male, diesmal war allerdings das Wetter deutlich besser. Es gab nur einige wenige Wolken irgendwo hoch oben und weit weg von der Sonne, was fantastische Aussichten ergab. Göschenen lag zu diesem Zeitpunkt noch im Schatten, das sollte sich aber schnell ändern, und es wurde schließlich ein heißer Sommersonntag.

Höhendiagramm

Ich verweilte noch eine runde Viertelstunde am Bahnhof und wartete die Abfahrt des Anschlusszuges Richtung Airolo ab, damit ich schon mal wusste, wohin ich am nächsten Tag mit meinem Koffer würde laufen müssen – gute Vorbereitung ist die halbe Miete. Anschließend begab ich mich gemütlichen Fußes – ich hatte ja den ganzen Tag Zeit – auf den Weg. Der Wanderweg, ausgeschildert als ViaGottardo, führt laut Plan auf ungefähr 23.5 km hinunter nach Erstfeld, was einen Abstieg von ca. 1100 m hinunter auf ca. 470 m bedeutet. Auf dem Höhendiagramm des Wanderplans sah das relativ geradlinig bergab aus, dies stellte sich jedoch als grobe Vereinfach der realen Tatsachen dar (und ich Depp bin voll drauf reingefallen…). Aber später mehr dazu.

Etappe 2 – Göschenen – Erstfeld (25.94 km, ↗714 m, ↘1279 m)

Los gings direkt entlang der Bahnstrecke in Richtung des kleinen Dorfes Wassen. Dieses kennt in der Schweiz jedes Kind, und zwar im Zusammenhang mit der Gotthard-Bergstrecke. Diese führt ja dreimal mehr oder weniger direkt dran vorbei, auf drei Ebenen, die alleine schon über 200 Höhenmeter unterschied ausmachen. Der Weg war schmal, aber gut ausgebaut und zumindest für Fußgänger problemlos begehbar. Witzigerweise ist er auch als Mountainbikestrecke ausgeschildert, aber da gilt der Spruch vom lieben und schieben. Fahren kann man dort höchstens in suizidalen Absichten – man fliegt unweigerlich die Böschung runter und knallt dann unten entweder auf die Felsen im Flußbett der Reuss oder auf der Gotthardautobahn, deren Hintergrundrauschen mich bis weit hinter Wassen begleitete. Das Tal ist ja sehr eng, beiderseits ragen Berge über 3000 m in die Höhe, das gibt also recht lautes Rauschen aus verschiedensten Richtungen.

Trotzdem war Wassen nach rund 90 Minuten erreicht, zahlreiche Biker saßen dort zum Sonntagsbrunch, bevor es für sie weiter über irgendwelche Passstraßen gehen würde. Vorbei am Bahnhof (an dem nix mehr hält) auf der mittleren der drei Bahn-Ebenen ging es mit schönem Ausblick in Richtung Norden durch den Ort. Am Ortsausgang folgte ein steiler Abstieg bis auf die unterste Ebene, gelegen auf dem Talniveau der Reuss, der der Wanderweg nun weiter folgt.

Steigungsdiagramm

Nächster Punkt der Strecke ist das Wasserkraftwerk Wassen, welches als eines von mehreren der Stromerzeugung für die Gotthardbahn dient. Hier war man nun auch schon voll der immer höher steigenden Sonne ausgesetzt, so dass es in der langen Wanderhose zusehends wärmer wurde – eine Jacke hatte ich gar nicht erst angezogen, mir aber dafür die Arme mit Sonnenblocker eingecremt (man lernt ja aus dem Fehler vom Vortag). Nach dem Kraftwerk folgt ein kurzer Anstieg hin zum Pfaffensprungfelsen (ja, der heißt so weil dort der Legende nach ein oder zwei Priester über die Reuss gesprungen sein sollen). Die Bahn dreht sich an dieser Stelle einmal im Kreis, um je nach Fahrtrichtung weiter Höhe zu gewinnen bzw. zu verlieren.

Ich stieg hier nun endgültig um auf Sommerbetrieb mit kurzer Hose, bevor mich der Wanderweg wieder hinunter ans Ufer der Reuss und dort entlang nach Gurtnellen führte. Es folgte die Überquerung der Reuss auf einer spektakulären Hängebrücke, gefolgt von zahlreichen Treppenstufen hinauf auf den Hang. Mein Bruder hielt mich derweil dank moderner elektronischer Kommunikationsmittel auf dem Laufenden in Sachen sonntäglicher Sportergebnisse. Natürlich gings im Anschluß wieder den Berg runter, inzwischen war ich ungefähr auf der Höhe von Intschi angekommen. Hier unterquert der Weg einen Bach in einem längeren Tunnel, in dem man als Fußgänger sogar Licht anschalten kann – vorbildliche Schweizer Organisation. Vorbei an einzelnen Bauernhäusern führte nun der Weg durch das sich öffnende Reusstal in Richtung Amsteg. Im Hintergrund hatte man den Windgällen immer im Blick, von rechts oben knallte die Sonne auf den Hut, und links im Tal rauschte die Autobahn vor sich hin (was dem Deutschlehrer sicherlich die Fußnägel aufrollt, hier aber explizit als stilistisches Mittel eingesetzt wird, ätsch).

Tempodiagramm

Obwohl man Amsteg schon lange vor sich im Tal liegen sieht, zieht sich der Abstieg ganz schön – die Wegstrecken täuschen im Gebirge kolossal. Nichtsdestoabertrotz war ich irgendwann dort angekommen. Wahrzeichen des Ortes sind zum Einen das große Wasserkraftwerk und zum Anderen eine hohe Brücke der Gotthardstrecke, ungefähr 100m über Ortsniveau. Mittlerweile war es schon nach Mittag, entsprechend voll waren die Lokale. Ich folgte (und das war wie sich herausstellen sollte ein ziemlich dämlicher Plan) den Wegweisern des Wanderweges, anstatt einfach dem ebenfalls ausgeschilderten Radweg in Richtung Erstfeld zu folgen. Letzterer führt auf dem Damm der Reuss entlang schnurgerade nach Erstfeld, aber warum einfach wenn man auch schwierig kann…

Der Fußweg führte mich dann nämlich irre steil den Berg hinauf bis direkt an die Bahnstrecke – also mal eben 100 Höhenmeter. Dort machte ich erstmal Pause (ich weiß noch dass es ziemlich genau 14 Uhr war), bevor es (und das war die Stelle wo mir langsam dämmerte dass das Blödsinn war) wieder hinunter ging bis an die Straße von Amsteg Richtung Silenen – also mal eben wieder rund 100 Höhenmeter nach unten. Einziger Effekt (neben der Tatsache dass ich mich ziemlich verausgabt hatte beim Aufstieg)? Ich war halt für ungefähr 1-2 km nicht an der Straße langmarschiert.

Höhendiagramm

Keine zwei Kilometer weiter, noch vor Silenen, erfolgte der nächste Aufstieg. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen – ich hatte schon irgendwas über 15 km Fußmarsch hinter mir, die Sonne brannte bei knapp 30° C, und der Wanderweg schickt einen völlig unmotiviert rechts in den Wald, wenn das Ziel eigentlich gradeaus vor einem liegt… Wie sagte der Typ in dem einen Film so schön: „Jetzt wirds psychologisch.“ Also kämpfte ich mich vorbei an diversen Äckern und Weiden bis zur Kirche von Silenen. Und dort begann das Spiel noch einmal von vorn. Rechtskurve, den Berg hoch, jeder nur einmal schlappmachen (frei nach dieser englischen Komikertruppe).

Allen Widrigkeiten zum Trotz war dann gegen 14:45 Uhr tatsächlich das Ziel in Sicht, und laut Wegweiser noch ca. 45 Minuten entfernt. Ich lag also prima in der Zeit und ließ es nun gemütlicher angehen. Als krönenden Abschluß der verqueren Wegführung gabs nochmal einen Schlenker über eine Wiese, wo ich das korrekte Abbiegen in Ermangelung eines echten Weges verpaßte – ein paar umgeknickte Grashalme kann man halt schon mal übersehen. Den Umweg kann man auf der Karte vom gestrigen Eintrag auch schön sehen, wenn die blaue Linie mal eben vor Erstfeld noch ein Stück nach Süden zackt, bevor ich tatsächlich den Radweg am Reussufer erreichte, den ich schon in Amsteg hätte wählen können. Naja, hinterher ist man immer schlauer.

Steigungsdiagramm

Die letzten Meter bis zum Bahnhof waren unspektakulär, die Sonne hatte sich inzwischen zum Glück hinter ein paar Wolken versteckt. Kurz vor 16 Uhr erreichte ich schlußendlich den Bahnhof und hatte nun eine gute halbe Stunde Zeit zum Ausruhen. Also saß ich im schlecht belüfteten Warteraum auf dem Bahnsteig und informierte mich via Smartphone über die aktuellsten Ereignisse. Kurz vor halb fünf traf der IC (oder IR? nicht so drauf geachtet, auf jeden Fall ein ewig langer Zug) Richtung Zürich am Nachbargleis ein, gefolgt von meinem Zug, der aus Richtung Göschenen ankam. Was nun folgte hatte ich so auch noch nicht gesehen: Der Bahnsteig quoll über von Leuten – Wanderer auf der Rückkehr vom Sonntagsausflug, Familien auf dem Weg vom Tessin in Richtung Zürich, Luzern oder Basel, kurz, die halbe Schweiz schien den Bahnhof zu bevölkern. Trotzdem ging das Umsteigen absolut gesittet vonstatten, keiner rannte oder drängelte, und es gab auch genug Sitzplätze für alle. Und damit ging es nun pünktlich wieder den Berg hinauf, vorbei an all den Stellen, die ich vorher entlanggewandert war.

Etappe 3 – Erstfeld – Göschenen (28.85 km, ↗627 m, ↘1 m)

Wenn man die operativ-taktischen Daten dieser und der vorherigen Etappe vergleicht werden zwei Dinge deutlich: Die Bahn fährt erhebliche Umwege zwecks Höhengewinnung bei rollreibungsverträglicher Steigung (was für ein Wortungetüm…), und der Höhenunterschied beim Wandern war über dreimal so hoch wie minimal notwendig. Während die Wanderung inkl. aller Pausen und Wartezeiten über sieben Stunden gedauert hatte, fuhr der Zug nun in nicht mal 30 Minuten den Berg hinauf. Die Sehenswürdigkeiten habe ich ja bereits ausführlich beschrieben, also erwähne ich mal diverses Videomaterial auf youtube, was sich der geneigte Leser diesbezüglich reinziehen kann:

Etappe 4 – Göschenen – Andermatt (4.33 km, ↗334 m, ↘8 m)

Etwas kaputt schleppte ich mich in Göschenen in den Anschlusszug hinauf nach Andermatt, und – dort kurz nach 17 Uhr angekommen – schließlich zurück ins Hotel. Wie auch an den vorherigen Tagen setzte ich mich dann ins Restaurant, vervollständigte das Reisetagebuch (Kommentar des Hotelchefs: „Das sieht man heute nur noch ganz selten, toll.“), verdrückte einen Burger und spülte mit einem Bier nach. Letzte Amtshandlung des Tages war dann die Nutzung des Hotel-iPads (yay, Schleichwerbung für faule Äpfel) um auf einer einschlägig bekannten Videoplattform die Aufzeichnung der Sportereignisse des Tages reinzuziehen – spektakulärer Überholversuch in der letzten Kurve, genutzt hats nur nix…

Tempodiagramm

Fazit: Die Südrampe der Gotthardstrecke ist aus technischer Sicht beeindruckender, die Lötschberg-Südrampe bietet die besseren Talblicke, die Berninastrecke ist spektakulärer (von so irrwitzigen Strecken wie Belgrad-Bar (Führerstandsmitfahrt bei youtube) mal ganz zu schweigen) – aber die Nordrampe der Gotthardstrecke ist allemal eine Reise wert. Einziger Wermutstropfen: Seit der Eröffnung des Basistunnels fahren nur noch Regionalzüge über den Berg, die internationalen Schnellzüge kacheln mit 200 Sachen die knapp 60 km unterm Berg durch. Das reizt mich als Reisenden mal so gar nicht, denn ich fahre ja Bahn, um Landschaft zu sehen – Tunnel sehen von innen alle gleich aus, kennst du einen, kennst du alle… Und nachdem die DB es ja am Vortag hingekriegt hatte, die wichtigste Bahnverbindung zwischen Deutschland und der Schweiz zu kappen (und weil ohnehin Sonntag war), fuhr auch nicht ein einziger Güterzug auf dieser einstmals so wichtigen Nord-Süd-Achse. Aber gut, das ist jetzt Meckern auf hohem Niveau.

Damit waren auch schon vier Urlaubstage in Andermatt rum, am nächsten Morgen folgte die Abreise in Richtung Interlaken, allerdings mit einem großen Schwenk durchs Tessin bis nach Italien.

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