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Linksgedrehte Rumkreiselei

4. Oktober 2015, 22:56 Uhr von Uwe

Am Samstag, den 29.8., machte ich eine Ganztagesrundreise durch das Land von Sachertorte und Wiener Walzer. Was ich bei dieser Gelegenheit alles erlebte, sah und am Rande bemerkte, wird hier nun natürlich auch in bekannt epischer Breite ausgerollt.

Organisatorisches

Die Rundfahrt begann bereits Wochen vorher mit organisatorischen Details. Da ich in Österreich herumfahren würde, musste ich mich extra um Fahrkarten kümmern. Daher wich ich auch von meinem Grundsatzprinzip der maximalen Flexibilität ab und buchte Sparpreise, in der Hoffnung dass die Ösis ihre Fahrpläne besser im Griff haben als die Deutschen.

Dank Internet und Kreditkarte geht sowas ja heutzutage fast so einfach wie das Brezelbacken. Witzigerweise war mein übervorsichtiges Kreditinstitut spontan der Meinung, irgendwer kauft unrechtmäßig mit meiner Kreditkarte ein. Das ließ sich aber telefonisch schnell klären, und so konnte ich dann einen Tag später auch die vorher noch nicht getätigten Sitzplatzreservierungen buchen.

Das mit den Sitzplätzen war recht spannend, da man bei einigen Zügen in Österreich direkt platzgenau buchen kann wie im Kino. Da musste ich mich also erstmal informieren (mittels intensivem Videostudium und Online-Weltkarte), auf welcher Seite vom Berghang die Bahnstrecke denn verläuft. Schließlich ist nichts nerviger, als durch die Alpen zu fahren, und immer nur auf die Stützmauer der Bergseite zu glotzen, während der Blick ins Tal auf der anderen Seite ist.

Vom Plan zur Ausführung

Der Tag begann mit dem Frühstück im Hotel, zum ersten mal im Hotel in Salzburg. Das Frühstück war allererste Sahne, das Buffet reichhaltig, sogar Kuchen gab es, und um sieben Uhr morgens war noch schöne Ruhe. Außerdem sprach mich das rustikale Ambiente an, ideal für einen guten Start in den Tag. Und dann ging es also auch schon los zum Bahnhof.

Der IC nach Klagenfurt stand schon am Bahnsteig, so dass ich mir in aller Ruhe meinen Sitzplatz suchen konnte. Da es nur einen halben Waggon der ersten Klasse gab (die andere Hälfte war als Packwagen für sperriges Gepäck wie Mountainbikes, Snowboards und ähnliches ausgeführt) war das nicht weiter schwierig. Der Zug wurde denn auch ganz gut voll, wobei das Sprachwirrwarr nicht nur verschiedenste Varianten und Dialekte des Deutschen umfaßte, sondern auch englisch und irgendwelche osteuropäisch klingenden Sprachen.

Die Fahrt selbst verlief dann wunderbar gemütlich von Salzburg aus nach Süden. Wolken gab es keine am Himmel, dafür knallte die Sonne aufs Allerfeinste herunter. Erster bekannterer Zwischenhalt war Bischofshofen (da hupfen im Winter durchgeknallte Typen mit Holzbrettern an den Füßen schneebedeckte Hänge runter), danach folgte ein Ort mit dem schönen und schön komplizierten Namen Schwarzach-St. Veit. In Österreich sind Ortsnamen ja gerne auch mal deutlich komplizierter als einfach nur „Wien“, aber „Wien“ ist ja nicht Österreich – wie mir verschiedene Österreicher bereits übereinstimmtend erklärt haben.

Nauf auf’n Berg, nunter vom Berg

In Schwarzach-Sankt Dingsda beginnt die Tauernbahn, die weiter in Richtung Süden führt, einmal längs oder auch quer übern Berg und weiter in Richtung Adria. Um zu verstehen, warum man da vor über 100 Jahren eine Bahnstrecke über die Alpen baute (man hatte sicherlich nicht den Transport von jugoslawischen Gastarbeitern im Sinn), sollte man sich mal eine Karte der k.u.k.-Monarchie anschauen.

Auf jeden Fall führte die Strecke nun stetig den Berg hinauf, die Hänge wurden schroffer, die Landschaft insgesamt reizvoller. Ich klebte also mit der Nase am Fenster und machte auch einige unscharfe Fotos durchs natürlich nicht zu öffnende Fenster. Und so guckten alle Fahrgäste interessiert aus dem Fenster und genossen die tolle Aussicht. Alle Fahrgäste? Nein, nicht alle. Ein frisch verheiratetes Pärchen aus den Vereinigten Staaten, beide keine 25 Jahre alt, waren mehr damit beschäftigt, sich auf dem Laptop das Video ihrer Hochzeit anzuschauen. What the fuck? Da heiratet man und nimmt alles auf und macht dann Hochzeitsreise in Europa – wenn ich es richtig überhört hatte, waren sie in Salzburg und wollten weiter nach Venedig – und gucken dann nicht die tolle Landschaft vor ihrer Nase an? Wozu sind sie dann nach Europa geflogen? Naja, man muss halt nicht alles verstehen…

Auf über 1000m geht es dann schließlich in einen eher länglichen Tunnel, der dann den Höhenzug der Tauern durchschneidet. An beiden Enden gibt es Rampen für Autozüge, das dürfte im Winter auch die einzige Möglichkeit sein, von der einen Seite zur anderen zu kommen. Und kam war man raus ausm Tunnel ging es auch schon wieder den Berg hinunter. Hier hatte ich nun die optimale Seite erwischt, denn die Südrampe kommt ohne großartige Kurven und Tunnel aus, anders als am Gotthard oder bei der Schwarzwaldbahn, wo man mal links und mal rechts das Tal hat. Hier kann man quasi den gesamten Abstieg in Fahrtrichtung rechts verfolgen. Und so sieht man auch, wie der Talboden, der anfangs noch mehrere 100m unter einem ausschaut wie eine schick bemalte Textur mit Dörfern und Feldern und so langsam immer näher kommt, bis man schließlich wieder quasi ebenerdig unterwegs ist.

In Villach leerte sich der Zug quasi komplett, hier kann man in Richtung Italien umsteigen. Das letzte Stück führt dann quasi am Ufer des Wörthersees entlang bis nach Klagenfurt. Bei dem hochsommerlichen Wetter das wunderbar blaue Wasser des Sees mitsamt Segelbooten und allem Zubehör zu sehen hatte schon was. Und so rollte der Zug auf die Minute pünktlich in Klagenfurt ein, so dass ich eigentlich keinen Grund zum Klagen hatte – gut, der war echt flach.

Umsteigen im Süden

Mehr zum Klagen hatte ich dann allerdings schneller als mir lieb war. Mein Anschlußzug, der mich nach Wien bringen sollte, wurde mit 20 Minuten Verspätung angekündigt. Das gab mir mehr Zeit, mich bei lähmender Hitze auf dem Bahnsteig umzusehen. Dort gab es eine laute Großfamilie, die mit viel Geschrei und Gestikuliererei den halben Bahnhof unterhielt. Am anderen Ende saß eine hübsche Blondine in einem der Jahreszeit und den Temperaturen angemessen hübschen Outfit. Bei näherer Betrachtung stellte ich jedoch schnell fest, dass der schöne erste Schein wieder mal trügerisch war – das gute Mädel hätte auch als Schornstein eines Kohlekraftwerks durchgehen können. Wie kann man in nur 20 Minuten Wartezeit drei Kippen verbrauchen?

Meine Reise ging nun mit ungefähr 25 Minuten weiter und führte mich nun durch andere schöne Landschaften – oder anders gesagt anders schöne Landschaften. Die Berge waren hier nicht so hoch, nicht so schroff und eher begrünt. Zu sehen gab es trotzdem ziemlich viel. Neben der bereits angesprochenen Landschaft war das zum Beispiel der Österreichring bei Zeltweg, aber auch so interessante Ortsnamen wie Bruck an der Mur.

Äußerst angetan war ich vom Fahrgastinformationssystem des RailJet. Dort wurde der Fahrplan des Zuges inklusive aktueller Verspätung und prognostizierter Ankunftszeit angezeigt. Dort sah ich zu meiner Überraschung im Laufe der Fahrt, wie die Ankunftszeit und die fahrplanmäßige Zeit sich immer näher kamen… Wir holten also sukzessive unsere knappe halbe Stunde Verspätung auf. Sowas würde man ja in Deutschland überhaupt nicht auf die Reihe kriegen. Und für die geographisch blinden Fahrgäste wird wie im Flugzeug eine Umgebungskarte in drei Maßstäben eingeblendet, so dass man ungefähr erkennen kann, wo man innerhalb Österreichs unterwegs ist. Daran können sich andere Gesellschaften echt ein Beispiel nehmen, ebenso am freundlichen Personal, welches Speise und Getränke aus dem Speisewagen verkaufte – wobei ich mich des Eindrucks nicht erwehren konnte, dass die Bedienungen durchaus auch nach optischen Gesichtspunkten eingestellt worden waren…

Steinalte Gebirgsbahnen

Ein weiteres Highlight der Rundreise war die Fahrt über den Semmering. Dieser Teil der Strecke gehört zur alten k.u.k. Südbahn, welche Mitte des 19. Jahrhunderts als Verbindung zwischen Wien und Triest gebaut wurde – letzteres war damals der wichtigste Stützpunkt der real existierenden kaiserlichen Hochseeflotte und Kriegsmarine. Heutzutage ist die österreichische Kriegsmarine ja eher übersichtlich und dürfte sich auf ein paar Ruderboote für den Neusiedler See beschränken oder so ;-).

Die Strecke musste damals also irgendwie den Semmering überqueren, und so entstand die allererste Gebirgsbahn der Welt. Dieses gelang so hervorragend, dass die Strecke heute noch im Einsatz ist und als erste Bahnstrecke überhaupt zum Unesco-Weltkulturerbe ernannt wurde. Und aufgrund der entsprechend alten Streckenführung zwischen Mürzzuschlag und Gloggnitz (das rollt doch schön über die Zunge…) gurkt man da auch wunderschön langsam mit 40 bis 60 km/h den Berg hoch und wieder runter. Damit hat man so richtig schön viel Zeit die Landschaft zu bestaunen und im Geiste den Ingenieuren für dieses Wunderwerk der Technik zu danken.

Hinter der Semmeringquerung wird die Strecke dann aber hintenraus doch stocklangweilig, denn da geht es nun schnurgerade und quasi topfeben in nordöstlicher Richtung der Hauptstadt Wien entgegen. Hier wird die Geschwindkeit des Zuges dann auch mal auf irgendwas oberhalb von 150 km/h erhöht, was vorher aufgrund der Topographie nicht möglich war.

Auf der Westbahn

Am Nachmittag zur Zeit der höchsten Tagestemperatur kam ich schließlich in Wien-Meidling an. Hier musste ich zum zweiten und auch schon letzten Mal an diesem wunderschönen und zu diesem Zeitpunkt höllisch heißen Tag umsteigen. Und während der RailJet von Klagenfurt nach Wien quasi leer war (ich hatte fast den gesamten Waggon für mich alleine), war der nächste Zug das blanke Gegenteil. Der Zug kam von Budapest und fuhr weiter nach Frankfurt über München.

Von der ganzen großen Flüchtlingsproblematik, die nur zwei Wochen später die Schlagzeilen bestimmte, war zwar noch nichts zu spüren, allerdings waren viel Urlauber unterwegs, die zum Samstag mit vielen großen Koffern beladen unterwegs waren. Entsprechend war die Stimmung im Zug eher unentspannt, um das Wort gereizt zu vermeiden.

Nicht zur persönlichen Erbauung beitragen konnte die Strecke. Zunächst kurvt man von Wien Meidling aus zum Westbahnhof, steht da noch einmal ein paar Minuten herum und fährt dann schließlich über eine extrem fade Neubaustrecke nach Westen. Ich habe ja die Vermutung, dass die Erbauer irgendeinen Komplex kompensieren mussten oder irgendwo zu kurz gekommen sind – warum sonst baut man einen dreizehneinhalb Kilometer langen Tunnel mitten ins Flachland? Da hat man doch gar nix mehr vom Wienerwald… Gut, man könnte es halt auch so sehen, dass man damit schneller aus Wien flüchten kann, ist eben alles Ansichtssache. Ich fand die Strecke jedenfalls extrem ätzend, typisch Schnellfahrstrecke halt – lange Tunnel, und wenn man gerade nicht unter der Erde tieffliegt, kann man sich Lärmschutzwände links und rechts anschauen. Und nicht zuletzt ist der Fahrkomfort bei 230 km/h auch nicht mehr der Allerbeste, der Zug ruckte an einigen Stellen ziemlich abrupt und heftig.

Endgültig im Eimer war die Laune dann, als ein Kleinkind anfing herumzuschreien, und sie die Eltern partout nicht kümmern wollten. Ich weiß ja nicht, ob da für eine spätere Karriere als Opernsänger(in) geübt wurde, aber in einem vollbesetzten Zug mit sowieso schon genervten Reisenden muss das dann nicht unbedingt sein, andere Eltern haben es doch auch geschafft, ihre Kleinen im gleichen Zug zu bespaßen…

Wie auch immer, ich war nach der langen Fahrerei ja auch schon recht abgekämpft ob der zahlreichen Eindrücke, und so war ich irgendwie doch heilfroh, als der Zug kurz vor 19 Uhr endlich Salzburg erreichte. Ich kämpfte mich noch durch den Supermarkt im Bahnhof (Gedrängel wie zum Sommerschlußverkauf) und erstand noch fix eine kalorienreiche ungesunde Kleinigkeit zu Beißen und eine gleichfalls ungesunde Limonade. Beides wurde nun gemütlich zurück ins Hotel getragen, wo ich den Rest des Abends gemütlich auf dem Bett liegend verbrachte – und mich beim Studium des Wetterberichts freute, dass ich den ganzen Tag in klimatisierten Zügen unterwegs gewesen war. Und am nächsten Morgen ging es schon wieder weiter, diesmal in Richtung Westen.

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