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„Oh, ich hab solche Sehnsucht…

17. September 2014, 21:10 Uhr von Uwe

…ich verlier den Verstand, ich will wieder an die Nordsee, ich will zurück nach Westerland.“ Dieses Zitat stammt bekanntermaßen von der besten Band der Welt und beschreibt hinreichend genau das Motto des Tages.

Gut, einige Leute könnten jetzt dagegen argumentieren, dass das mit dem Verstand verlieren bei mir in Ermangelung desselben nicht so einfach ist, außerdem steht da was von „wieder“ und „zurück“ was faktisch falsch ist, weil ich noch nie vorher an der Nordsee war. Aber von solchen Kleinigkeiten lässt sich ein Uwe nicht aufhalten. Und so saß ich 4:23 Uhr etwas verkatert (fünf Mark in die Wortspielkasse) im Bummelzug nach Leipzig. Das aufregendste an der Fahrt durch Dunkelsachsen war der letzlich erfolgreiche Versuch, nicht gleich wieder einzuschlafen.

Dort angekommen tigerte ich zum ICE, der kurz vor sechs die Fahrt in Richtung Berlin antrat. Draußen wars duster, das Aussteigen verpassen war jetzt eher schwierig, also holte ich erstmal fehlenden Nachtschlaf nach. Aufgewacht bin ich dann im Berliner Hauptbahnhof, als die lokale Schlipsträgervereinigung den Zug stürmte, der passend morgens um sieben von dort Richtung Hamburg fährt. Nachdem sich alles sortiert hatte rollten wir einigermaßen zügig durchs norddeutsche Flachland, nur aufgeschreckt aufgrund einer Durchsage „Wenn ein Arzt oder Sanitäter an Bord ist, bitte melden sie sich in Wagen sowieso, ein Fahrgast benötigt Hilfe“. Das war jetzt schon das zweite Mal in zwei Wochen, dass dies notwendig war. So hielten wir außerplanmäßig in Ludwigslust am Bahnsteig und warteten auf den Notarztwagen, der auch mit vielen blauen Lichtern bewaffnet heranrollte. In Hamburg hatten wir dadurch rund 15 Minuten Verspätung, meinem Umstieg in Richtung Sylt tat das aber keinen Abbruch. Wenn es mit dem Umsteigen nicht geklappt hätte, wäre ich den ganzen Tag (es war ja erst 9 Uhr morgens) in der Hamburger Modellbahn versackt.

So saß ich dann aber doch im IC nach Westerland, der sich erstmal durch Hamburg quält, anschließend bis nach Itzehoe bummelt und sich dort erstmal die Räder plattsteht. Grund dafür ist der notwendige Lokwechsel, bis Itzehoe gibts Fahrdraht, dahinter wird dann mit 100% Ökostrom (behauptet die Bahn ja in der Werbung) in Richtung Norden gedieselt… Die Fahrt durch Schleswig-Holstein ist ungemein aufregend und lässt den Touristen völlig atemlos zurück: Links gibt es Wiesen mit schwarz-weiß gescheckten Kühen und dahinter einzelne Baumgruppen und solitäre Windräder im Hintergrund, rechts hingegen gibt es solitäre Windräder und Baumgruppen sowie Wiesen mit braunen Kühen. Etwas Abwechslung gibt es zwischendrin nur, weil man einen langgezogenen Damm hinauffährt, der für die Gegend völlig untypisch hoch ist. Links und rechts stehen jedoch Bäume, so dass man nix sieht. Das ändert sich irgendwann abrupt, und plötzlich schwebt man 40 Meter über der Erde, blickt von oben auf die Brücke eines Ozeandampfers und sieht im Hintergrund je nach Richtung Rendsburg und die Nordsee oder viel flaches Land mit dem Nord-Ostsee-Kanal mittendrin. Auf der anderen Seite gehts dann langsam wieder runter und man kann sich weiter dem Zählen der lokalen Milchproduktionseinheiten widmen.

In Niebüll wird dann herumrangiert, das anachronistische Konzept der Kurswagen findet hier noch Anwendung. Aufgrund dieser ganzen Unterbrechungen dauert die Fahrt für 240 km auch sagenhafte dreikommairgendwas Stunden, was jetzt nicht unbedingt rekordverdächtig schnell ist. Und die Nordsee versteckt sich immer noch hinterm Deich. Einen echten Blick aufs Wasser kann man erst auf dem Hindenburgdamm werfen. Und wenige Minuten später ist man dann am nördlichen Ende Eisenbahndeutschlands angekommen und steht am Bahnhof Westerland.

Aufgrund meiner überragend wahnsinnigen (oder auch wahnsinnig überragenden) Zeitplanung hatte ich laut Plan eine knappe Stunde Zeit bis zur Rückfahrt. Da der Zug nicht so ganz pünktlich in Westerland ankam, blieben davon noch etwas über 40 Minuten übrig. Das reichte aber aus, um einmal über die Promenade zum Strand zu promenieren (oder besser gesagt: von den Touristenhorden dahin geschoben zu werden). Am Strand angekommen war dann prompt der Akku meines tragbaren Krawallgerätes alle, und nach dem Einlegen eines neuen Akkus ertönte der einzig passende Song, den man an so einem Ort hören kann: Nämlich der eingangs erwähnte. So zog ich mit einem etwas dämlich grenzdebilen Grinsen im Gesicht wieder von dannen, kaufte noch ein paar Ansichtskarten, schüttelte den Kopf über beknackte Radfahrer (rote Ampeln gelten ja immer nur für die anderen) und enterte pünktlich den IC zur Rückfahrt (was haargenau der gleiche Zug war, mit dem ich auf der Insel angekommen war).

Man kann das jetzt beknackt finden, für 45 Minuten Sylt mitten in der Nacht aufzustehen, andererseits kann man natürlich auch die Frage stellen: Warum nicht? Aufgrund der Verkehrsanbindung und meinem allgemeinen Desinteresse am Strandurlaub werde ich da so schnell nicht wieder hinkommen. Schnell hinkommen tut man ja aufgrund der exorbitanten Bahnverbindung ohnehin nicht. Wegkommen allerdings ebensowenig, denn der Zug musste jetzt die ganze Strecke wieder zurückgurken. Ich knipste am Nord-Ostsee-Kanal ein paar Fotos aus dem Zug heraus, verschlief einen Teil der Fahrt und ärgerte mich am Ende über die Unfähigkeit der Bahn: Mittem im holsteinischen Hindukusch standen wir herum und warteten drauf, dass ein Bahnübergang die Schranken herunterließ… Das führte zu einer Verspätung von 15 Minuten, so dass ich im Geiste schon meinen Anschluss in Hamburg ohne mich abfahren sah.

Allerdings musste eben dieser Anschluss auch erst durch das Nadelöhr zwischen Altona und Hauptbahnhof, was er hinter unserem IC tat, so dass ich einerseits ganz gemütlich umsteigen konnte, andererseits schon bei der Abfahrt aus Hamburg wieder 15 Minuten Verspätung hatte. Da half auch der schöne Blick auf die Hamburger Skyline samt Hafen nur bedingt. Der Zug gondelte dann mit gemütlichen 200 Sachen durch eine völlig reizlose Waldlandschaft – immer wenn man mal was interessantes hätte sehen können, hatte man dort Lärmschutzwände hingepflanzt. Die Verspätung veränderte sich auch nicht weiter, und kurz vor der Einfahrt nach Hannover kam dann die denkbar dämlichste Ansage, die ich mir in dieser Situation vorstellen konnte: „Nicht warten kann der IC hastenichgesehen nach Leipzig über Magdeburg“

Da stand ich nun am Bahnsteig und studierte den Fahrplanaushang. Der nächste Zug nach Magdeburg fuhr eine Stunde später. Dann fiel mir der Regionalbummelzug Richtung Halle auf, der nördlich am Harz vorbei fährt und mir mittels eines Umsteigen in Aschersleben die Verbindung nach Güsten ermöglichte. Und ob ich nun um 21:56 Uhr auf Gleis 3 oder um 21:56 Uhr auf Gleis 2 ankommen würde, ist dann auch mal relativ Bockwurst. So oder so wärs eine Stunde nach Plan. Allerdings fuhr der Zug Richtung Aschersleben bereits in 15 Minuten, und er fuhr eine Strecke, die ich bis dato noch nicht kannte. Also langer Rede kurzer Sinn: Ich wurde dann im Diesel-Wackeldackel über Hildesheim, Goslar, Bad Harzburg und weitere Nester in Richtung Aschersleben kutschiert.

Optisch macht die Strecke einiges her so mit den Bergen im Hintergrund, andererseits sagen sich dort auch Fuchs und Hase Gute Nacht. Die zunehmende Dunkelheit verunmöglichte eine tiefgreifendere Landschaftsbetrachtung ab Vienenburg, und spätestens ab Wernigerode (wo man immerhin das hell angestrahlte Schloss sehen konnte) wars dann endgültig zappenduster. Ab dort kannte ich die Strecke dann aber auch, und in Aschersleben umsteigen ist jetzt auch nicht unbedingt das größte Highlight – überraschend war allenfalls die Anzahl der um die Zeit noch herumreisenden Nachtschwärmer. Und damit kam ich dann nach einem verdammt langen Tag am hässlichsten Bahnhof Deutschlands an, grüßte daheim angekommen kurz meine Eltern und fiel ohne weitere Erklärungen ins Bett. Und damit war meine Urlaubsherumreiserei 2014 abgeschlossen, es folgte nur noch eine Fahrt, nämlich zurück nach Erlangen.

2 Kommentare zu “„Oh, ich hab solche Sehnsucht…”

  1. Ines

    Gelesen und für nett geschrieben befunden.

  2. Bla(h)fasel - Blog

    […] ich noch jung und irre war (inzwischen bin ich nur noch irre), und zwar im Rahmen einer Tagestour (Bericht dazu), die mich von Chemnitz über Leipzig, Berlin und Hamburg nach Sylt und zurück über Hannover zu […]

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