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Album der Woche

7. April 2023, 16:35 Uhr von Uwe

In dieser Woche geht es nicht direkt um ein Album, sondern eigentlich nur um einen Song. Denn das Album enthält nur diesen einen Song. Sowas hatten Jethro Tull und ähnliche Truppen vor 50 Jahren auch drauf, aber die fummelten das im Studio zusammen. Das Album der Woche hingegen wurde live eingespielt.

Gut, 100%ig live ist es nicht, im Studio wurden hinterher ein paar mehr oder minder passende Soundeffekte dazugebastelt. Aber das tut dem Spaß keinen Abbruch.

Um wen gehts also? Eine eher unbekannte Band aus dem südöstlichen Ruhrgebiet, dort wo es langsam ins Sauerland übergeht. Aus Hagen nämlich. Die formte sich in den späten 60ern als Schülerband, benannte sich später um und wurde in den 70ern im Westen des damals geteilten Deutschlands eine der führenden Livebands, mit Shows die sich mit ihren Spezialeffekten nicht vor den Größten der Branche verstecken brauchte. Später wechselte der musikalische Stil in den Wirren der poppigen 80er Jahre und 1989 war Schluß. Wie heißt die Band? Grobschnitt heißt sie.

Und was spielte diese Band? In ihren besten Zeiten in der zweiten Hälfte der 70er Jahre eine Art symphonischen Prog, sehr in Richtung Genesis, Pink Floyd und ähnlicher Vorbilder von der britischen Insel. Grobschnitt mixten da noch einen ganz eigenen Humor rein (wer hat schon einen Sänger namens Willi Wildschwein?) und hoben sich damit deutlich von anderen Vertretern ab. Viele dieser Songs waren ausladend und gerne auch mal acht bis zehn Minuten lang. Live wurde da auch bis zum Exzess improvisiert, so dass Songs auch gerne mal noch viel länger wurden.

Das ganz große Vorzeigestück der Band hört auf den Namen Solar Music. Es geht zurück auf ein Fragment aus den Frühtagen der Band namens Sun Trip, dass live schon Jahre vor der ersten Studioaufnahme 1974 gespielt wurde und bei ausnahmslos jedem Grobschnitt Konzert gespielt wurde. In dieser Studioaufnahme dauert die Nummer schon mal über eine halbe Stunde, mit einer fiesen Unterbrechnung in der Mitte, weil man ja die Schallplatte rumdrehen musste.

Die erste relevante Livevariante entstand am 7. April 1978 in Mülheim/Ruhr und wurde auf dem Album Solar Music Live verewigt – was denn nun auch das Album der Woche ist. Da dauert das Stück mal eben 54 Minuten. Die im Tracklisting angegebene Unterteilung neun Stücke kann man getrost vergessen, das Stück fließt und mäandert in wilder Improvisation über die volle Länge, und hat durch die Veröffentlichung auf CD noch gewonnen, denn nur damit kann man sich das komplette Epos am Stück reinziehen. Die eingangs erwähnten Studionachbesserungen betreffen einen kurzen Akkordeon-Schnipsel nach ungefähr drei Vierteln und eine rückwärts abgespielte Botschaft angehangen an eine Warnung über die Verwendung von giftigem Nebel als Show-Gimmick nach rund 20 Minuten. Das mit dem giftigen Nebel ist ein typisches Beispiel für den Grobschnitt-Humor, diverse Pyroeffekte waren Teil ihrer Liveshow. Zum Glück wurde ein Auftritt der Band damals im Rockpalast mitgefilmt.

Wonach klingt das nun? Die beiden Referenzen die mir einfallen sind Shine On You Crazy Diamond von Pink Floyd für einige der ruhigeren Abschnitte und die Liveversion von Space Truckin‘ vom Made In Japan-Album von Deep Purple, für die energetischen Parts.

Das Stück wurde auch danach noch weiterentwickelt und umarrangiert. So entstand 1979 eine kürzere (aber mit 30 min immer noch nicht kurze) und viel druckvollere Version, die als Powerplay bekannt wurde. Um 1985 war man wieder etwas ausladender und mit mehr deutschen Texten beim Namen Sonnentanz angekommen, was die zweite Liveveröffentlichung des Stücks ist.

Die Band nahm damals aber jede Menge Konzerte auf. Schlagzeuger und Klangzauberer Joachim „Eroc“ Ehrig machte sich in den letzten 20 Jahren daran, diese Bänder nach und nach zu restaurieren und als History Of Solar Music zu veröffentlichen. Inzwischen gibt es zwei Dutzend offizielle Aufnahmen, siehe Liste im Wikipedia-Artikel. Meine persönliche Lieblingsversion ist die Aufnahme aus Warburg von 1978 – sehr ähnlich zu Solar Music Live, aber ohne die nachträglichen Effekte. Die früheren Versionen sind stellenweise noch etwas hakeliger bei den Improvisationen, die Powerplay-Varianten sind ebenfalls nicht zu verachten, da sind aber die symphonischen Einflüsse von Pink Floyd mit ihren Keyboardteppichen nicht mehr vorhanden, die für mich einen Großteil des Reizes ausmachen.

Also: gemütliches Sofa suchen, Glas Wein dazu, und in Richtung Sonne fliegen.

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