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Album der Woche

10. August 2020, 19:08 Uhr von Uwe

Die Woche hat grade erst begonnen, aber aus gegebenem Anlass wird heute ein 50 Jahre altes in Stein gemeißeltes Meisterwerk gewürdigt. Dieses stammt von einer britischen Band, die dieser Tage erst ihr aktuellstes Album herausgebracht hat und die seit über 25 Jahren zu meinen absoluten Favoriten gehört.

Logisch, die Band heißt Die Pörpel, äh, Deep Purple. Und besagter Meilenstein ist, man wirds erraten haben: „In Rock„. Das Album stand ohnehin auf meiner Liste der Alben, die ich in dieser Reihe hier besprechen wollte, und nachdem heute morgen die Nachricht die Runde machte, dass Produzentenlegende Martin Birch verstorben ist, wird es nun auch ein Tribut an ihn.

Deep Purple selbst hatten zu jener Zeit, Mitte-Ende 1969, drei eher durchwachsene Alben herausgebracht, die stilistisch von Psychedelic bis Klassik mit Orchester alles boten, was man irgendwie aufnehmen kann – nur gabs eben keinen roten Faden. Nach der ersten von vielen Umbesetzungen (Sänger und Bassist wurden ausgetauscht) entstand das, was man heute das „klassische“ Mark II Lineup nennt – Blackmore, Gillan, Glover, Lord, Paice – und jene teilten sich auch sämtliche Credits aller Songs auf dem Album.

Die musikalische Ausrichtung war ebenfalls klar: Wenns nicht rockt, isses fürn Arsch. Insbesondere Gitarrist Ritchie Blackmore hatte keinen Bock auf weitere Klassikschlenker von Organist Jon Lord. Das Ergebnis war ein wegweisendes Hardrockalbum, welches in einem Atemzug mit den Debüts von Black Sabbath und Led Zeppelin genannt werden muss (denke nicht nur ich).

Das Album beginnt mit Speed King, und da ist der Name Programm. Nach einem prägnanten Intro bestehend aus viel Krach und viel Orgel, steigt die Band in einen Riffrocker vom Feinsten ein, Jon Lord unterfüttert das ganze mit fies verzerrter Orgel, und Ian Gillan hat textlich alte Rock’n’Roll-Standards durch den Fleischwolf gedreht. Die Nummer ist einer der ganz großen Klassiker im ziemlich großen Katalog der Band und wird auch heute gerne noch live ausgepackt. Auf meinem mp3-Player hat das Stück ebenfalls einen Stammplatz.

Es folgt, gleichsam als kurze Verschnaufpause, das vierminütige Bloodsucker. Dieses Stück hat bei mir ewig lange überhaupt nicht gezündet, weil es eher funky daherkommt und musikalisch damit Sounds vorwegnimmt, die die Band erst einige Jahre später in der Coverdale-Ära verschärft austestete. Keine schlechte Nummer, aber im Kontext des Albums… halt eine der schwächeren Nummern.

Das Gegenteil dazu ist das folgende Child In Time. Der Zehnminüter ist für mich der beste Song der Band überhaupt. Jon Lords Orgelintro baut eine ordentliche Spannung auf, Ian Gillans Gesangsleistung ist nicht von dieser Welt (er kann die Nummer auch schon seit 30 Jahren nicht mehr live bringen, weil er es stimmlich nicht mehr schafft), und dann entlädt sich nach einer wahnsinnigen Steigerung alles in einem gewaltigen Gitarrensolo. Und weil das nicht reicht bzw. man den Musiklehrer beeindrucken kann, wenn man musiktheoretisch gescheit was von ABA’C daherfaseln kann, wird der einleitende Teil leicht variiert wiederholt, bevor sich alles nach einer nochmaligen wahnwitzigen Steierung in einer explosiven Coda in Luft auflöst. Das ist ganz großes Rockkino, nur übertroffen von den  zwei Jahre später in Japan entstandenen Livefassungen.

Die zweite LP-Seite beginnt mit einem weiteren epischen Rocker – Flight of the Rat. Das Stück rockt einfach nur acht Minuten lang schwer geradeaus und bietet jede Menge Möglichkeiten für Jon Lord und Ritchie Blackmore sich gegenseitig zu zeigen wer mehr drauf hat (Überraschung: unentschieden). Die folgenden zwei Stücke, Into The Fire und Living Wreck, hatten es bei mir auch lange schwer, aber im Kontext des Albums sind sie essentiell. Sie liefern zwei kürzere Kontrapunkte und kommen auch textlich ganz anders daher – im einen Song gehts um Drogen, beim anderen um Groupies. Grade das Schlagzeug bei letzterem ist irre, es klingt ganz anders als die restlichen Schlagzeugspuren, sehr metallisch, fies und gefährlich.

Den krönenden Abschluß bildet der Siebenminüter Hard Lovin‘ Man. Schon das Intro mit dem schwer pumpenden Bass von Roger Glover ist einsame Klasse, und auch Jon Lords Orgel, die er hier durch einen extra gemein verzerrenden Verstärker jagt, klingt hier noch viel krasser als auf dem restlichen Album.

Flankiert wurde das Album noch von der eher simplen Single Black Night, die damals bis in vordere Chartpositionen aufstieg, aber erst auf der 25th Anniversary Edition zum Album hinzugefügt wurde.

Und was hat das nun alles mit Martin Birch zu tun? Sehr viel, denn der – damals grad 21 Lenze jung und damit jünger als die Bandmitglieder – hat den von der Band im Proberaum erzeugten Krach eingefangen („er war der erste der sich angehört hat wie wir im Proberaum klingen, bevor er uns aufnehmen wollte“ – O-Ton der Band) und daraus einen kohärenten Sound geformt. Die Band war beeindruckt von seiner Leistung, widmete ihm den letzten Song des Albums und heuerte ihn für die nächsten Jahre als Stammproduzenten an.

Birch leitete somit die Aufnahmen für Meilensteine wie Machine Head (jepp, das Ding mit Smoke On The Water), aufgenommen bei widrigsten Bedingungen mitten im Winter mit einem mobilen Tonstudio in einem verlassenen Hotel (und nicht etwa im schicken Aufnahmetempel). Er zauberte mit einfachstem Aufnahmeequipment, was heute von jedem billigen Heimstudio übertroffen wird, die Mutter aller Livealben zusammen (Made In Japan), war später verantwortlich für den Sound auf von mir so geschätzten Klassikern wie Rising von Rainbow, Heaven And Hell von Black Sabbath und natürlich sämtlichen Großtaten von Iron Maiden zwischen 1981 und 1992. Damit war er bereits damals lebende Legende, bevor er sich in einen sehr frühen Ruhestand zurückzog. Er hat also den Sound dessen was man heute Hardrock und Heavy Metal nennt ganz entscheidend geprägt.

Ihm zu Ehren hab ich mir In Rock grad das erste Mal seit langer Zeit wieder am Stück reingepfiffen, und auch wenn das Ding 50 Jahre alt ist klingt es frisch, modern und unverbraucht – und wird das auch in 50 Jahren noch tun.

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