Im Gegensatz zur letzten Woche ist das mit der Einleitung dieses Mal die allerleichteste Übung. Es geht nämlich um Bretter vorm Kopf. Das ist ein relativ häufiges Krankheitsbild insbesondere bei Politikern, aber auch bei Ochsen und anderen sturen Rindviechern (man kann jetzt streiten ob man Politiker mit Ochsen und Rindviechern vergleichen sollte, das ist immerhin eine echte Beleidigung für die ehrbaren vierbeinigen Grasfresser). Auf jeden Fall hatte ein solcher zweibeiniger Sturschädel mal definitiv niemals nicht die Absicht, eine Mauer zu errichten.
Ein etwas anders gearteter künsterisch anspruchsvoller Sturschädel hingegen hatte die völlig gegenteilige Idee: Er wollte eine Mauer errichten, um der Entfremdung zwischen dem Künstler und seinem Publikum wirksam und künstlerisch wertvoll Ausdruck zu verleihen. Und weil er schon dabei war, verwurstete er zusätzlich noch sämtliche Kindheitstraumata zu einem ziemlich anspruchsvollen Gesamtwerk, welches die Fans bis heute gespalten zurücklässt.
Besagter Künstler heißt Roger Waters, und der war Gründungsmitglied von Pink Floyd, spielte dort den Bass und übernahm teilweise auch den Gesang. Seine künstlerischen Vorstellungen drifteten jedoch nach so bahnbrechenden Alben wie „The Dark Side Of The Moon“ und „Wish You Were Here“ in eine andere Richtung als die Vorstellungen von Gitarrist David Gilmour und Keyboarder Rick Wright. Es kam zu den berühmten und vielzitierten kreativen Differenzen, und am Ende wurde „The Wall“ – das Album der Woche – quasi eine Art Waters-Soloalbum. Rick Wright war nur noch Angestellter und kein vollwertiges Mitglied der Band mehr, David Gilmour darf an einigen wenigen Stellen mit exzellenten Soli glänzen, aber Dreh- und Angelpunkt sind die Texte und das Gesamtkonzept des großen Ganzen.
Und wie bei jedem epochalen künstlerischen Projekt wurde natürlich nicht gekleckert, sondern geklotzt. Dementsprechend entstand also nicht nur ein Doppelalbum, sondern auch noch ein zutiefst verstörender und deprimierender Film (den sich einige der Bandmitglieder nur genau einmal zur Premiere ansahen, weil sie eben dabei sein mussten). Das textliche Konzept erzählt die Lebensgeschichte eines Künstlers namens Pink (das Alter Ego von Roger Waters), der sich – geprägt von einer als feindlich wahrgenommenen Gesellschaft – in sich selbst zurückzieht, eine Mauer um sich herum errichtet und zum alles hassenden Faschisten wird.
Waters greift dabei alle möglichen prägnanten Ereignisse seiner Kindheit auf, angefangen vom Fehlen des Vaters (der fiel als Soldat im Zweiten Weltkrieg, man vergleiche auch mit „Tommy“ von The Who) über die alles erdrückende und einengende Liebe der Mutter, die ihn auf Schritt und Tritt kontrolliert, bis hin zum gleichmacherischen Schulsystem, was den Kindern den Spaß aberzieht und jegliche abweichenden Gedanken aufs Schärfste bestraft (damals noch durch den Rohrstock).
Musikalisch kamen da nun insgesamt 26 „Songs“ heraus, wobei vieles nur Skizzen sind, Überleitungen, Zwischenspiele, Hörspielsequenzen und anderes. Wirklich echte Songs sind eigentlich nur rund die Hälfte. Die ganze Sache hat auch irgendwie den Charakter von Stückwerk, ganz im Gegensatz zu so kohesiven Werken wie „The Dark Side Of The Moon“. Lediglich die drei Teile von Another Brick In The Wall ergeben irgendwie ein schlüssiges Ganzes, wobei Waters hier das gleiche Riff auf dem Bass zugrundelegt, und sich die grundsätzliche Melodie im Gesang ebenfalls gleicht.
Musikalisch herausragend sind hingegen die wenigen Stücke, bei denen David Gilmour Credits hat. Dazu zählen Run Like Hell, ein treibendes und geradezu rockiges Stück, und vor allem Comfortably Numb, in dem der gute David mal eben zwei der besten Gitarrensoli aller Zeiten abliefert. Die meisten anderen Stücke sind musikalisch minimalistisch und dienen in erster Linie dazu, dass Roger Waters seine Texte irgendwie unterbringen kann.
Produziert wurde die ganze Geschichte übrigens von Bob Ezrin, der damals schon eine große Nummer in der Branche war und mit Alice Cooper und Kiss gearbeitet hatte (und in den letzten 10 Jahren Haus- und Hofproduzent von Deep Purple war). Und der größte Witz an diesem kolossal düsteren Konzeptalbum ist die Tatsache, dass Another Brick In The Wall (Part Two) als Single ausgekoppelt und zum größten Singlehit des Jahres 1980 wurde. Aber gut, ein Schulchor, der „We don’t need no education“ singt, was soll da schon schiefgehen? (mal abgesehen vom Aufschrei des konservativen politischen Establishments…) Achja, auch hier soliert David Gilmour am Ende ganz grandios.
Fazit: Ich kann mir das Album nicht am Stück anhören, viel zu deprimierend und düster. Musikalisch noch am ehesten verträglich sind neben den bereits angesprochenen Songs noch Hey You und Young Lust sowie mit Abstrichen Mother. Andererseits muss man anerkennen, dass es hier ums künstlerische große Ganze geht – so wurde das Album 1990 in Berlin an geschichtsträchtigem Ort aufgeführt – da kriegt „Tear Down The Wall“ gleich eine ganz neue Bedeutung. Am allerbesten ist meiner Meinung nach jedoch die Livedarbietung von Comfortably Numb und Run Like Hell als Zugaben von PULSE, da zog die Band 1994 (ohne Roger Waters) alle Register und setzte auf Jahrzehnte hinaus Maßstäbe. Gerade das finale Solo von Comfortably Numb in der epischen Livefassung ist für mich eines der ausdrucksstärksten, was jemals irgendwer auf einer elektrischen Gitarre gespielt hat.
Und damit man sich ein Bild davon machen kann gibt es noch ein paar Links: Another Brick In The Wall (Part II), Comfortably Numb (live) und Run Like Hell (live).

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