Ich fahre ja nun öfter mal längere Strecken mit der Bahn. Dabei kann man immer wieder Beobachtungen anstellen, was so sonst noch für Leute die Züge und Bahnhöfe bevölkern. Im folgenden gibt es daher eine unvollständige Liste der verschiedensten Typen, die man da so trifft:
Der Direkte: Als Pendler zeichnet er sich dadurch aus, dass er genau weiß, wann und wo sein Zug fährt, er geht flotten Schrittes mit Aktentasche oder Rucksack bewaffnet vom Bahnhofseingang direkt zum Bahnsteig und läßt sich von nichts ablenken, ausser von eventuellen Durchsagen bezüglich Bahnsteigänderungen oder Verspätungen. Außerdem kennt er den Fahrplan seiner Stammstrecke auswendig und kann so präzise umplanen, falls mal was dazwischenkommt.
Der Planlose: Er fährt Zug, weil es gar nicht anders ging. Das letzte Mal ist er vor zwanzig Jahren von Hintertupfingen ins Nachbardorf gefahren, jetzt war gerade das Auto in der Werkstatt und der Besuch bei Oma Gertrude zum 90. musste trotzdem sein, dummerweise wohnt die aber am anderen Ende der Republik. Am Bahnhof fällt er auf, indem er beim Aussteigen direkt vor der Waggontür auf dem Bahnsteig stehenbleibt und den ganzen Verkehr aufhält. Anschließend sucht er den Bahnsteig für den nächsten Zug, fragt (trotz Fahrplanausdruck mit Bahnsteigangabe in der Hand und Bahnsteiganzeige und Anzeige am Zug selbst) ob das jetzt der Zug nach xyz wäre, was Umstehende unterschiedlich beantworten: „Keine Ahnung“ (noch ein Planloser), „Ja“ (ein normaler Reisender), „Steht doch dran, du Depp“ (ein genervter Direkter). Ebenso konsequent steigt der Planlose im falschen Waggon ein, obwohl er extra seinen Sitzplatz reserviert hat, mit der folge, dass er sich dann mitsamt Gepäck durch den halben Zug fragen muss, wo denn nun Wagen 5 oder 7 oder 12 ist.
Der Tourist: Dieser ist mit dem halben Hausstand, vier Koffern, drei Taschen und zwei Rucksäcken unterwegs und braucht allein schon deswegen mehr Platz als alle anderen. Natürlich dauert damit das Ein- und Aussteigen besonders lange, ebenso dauert es, bis der Tourist dann endlich seinen reservierten Sitzplatz eingenommen hat, denn die ganzen Koffer müssen ja irgendwo verstaut werden – meistens irgendwo im Gang, so dass alle anderen zur Körperertüchtigung durch Hindernislauf gezwungen sind.
Der Shopper: Ihn trifft man nur auf großen Bahnhöfen, und das auch nur deswegen, weil es da größere Einkaufspassagen gibt. Mit Bahnfahren hat er nix am Hut, er wundert sich nur über all die anderen drolligen Gestalten, die so gehetzt durch die Gegend rennen, weil sie ihren Zug noch erwischen wollen. Die anderen drolligen Gestalten fluchen derweil über die blöden Shopper, die immer nur blöd im Weg rumstehen und Schaufenster begucken.
Der Optimist: Er verzichtet grundsätzlich auf Sitzplatzreservierungen in der Hoffnung, dass Freitag nachmittag im ICE von Freiburg nach Hamburg oder Berlin schon noch irgendwo Platz sein wird. Dementsprechend findet man Optimisten meistens in jenen Zügen im Eingangsbereich auf dem Boden sitzend.
Der Panische: Der Panische hat fortwährend Angst, im falschen Zug zu sitzen. Deshalb fragt er alle Mitreisenden alle fünf Minuten, ob der Zug denn auch in (Mannheim/Frankfurt/Hannover/sonstige Großstadt) hält. Außerdem sorgt er sich fortwährend um seine Anschlüsse beim Umsteigen, insbesondere wenn der Zug gerade minimale Verspätung hat. Das Zugpersonal hat dann alle Hände voll zu tun, den Panischen wieder zu beruhigen, dass der Anschluss-ICE natürlich wartet, weil noch ungefähr 200 andere ebenfalls in diesen Zug umsteigen müssen.
Der Hyperaktive: Der Hyperaktive kann im Zug keine Minute stillsitzen. Er stellt seine Tasche ab und setzt sich. Er steht wieder auf, kramt aus der Tasche eine Flasche Wasser und setzt sich. Er steht wieder auf, holt das Buch oder Kreuzworträtsel und setzt sich wieder. Nun wird wahlweise im Buch geblättert, aufs Klo gegangen, mit dem Handy gespielt, aus dem Fenster geguckt, der Fahrplan studiert, wieder zwei Seiten gelesen, die Frühstücksstulle aus der Tasche gekramt usw. usw.
Der Vorwärtsfahrer: Der Vorwärtsfahrer kann auf gar keinen Fall auf einem Platz sitzen, auf dem er rückwärts fahren würde. Es ist völlig schnurz, ob das der reservierte Platz im knackevollen ICE ist, da wird das Personal zur Sau gemacht, dass er da nicht sitzen kann und ob er nicht einen anderen Platz kriegen könnte. Kann er natürlich nicht, also werden umsitzenden Reisen Platztausche angeboten. Dummerweise wechseln Züge ja unterwegs auch mal die Fahrtrichtung, z.B. in Frankfurt – hier folgen dann völlig unvermittelt panische Ausrufe „Ach du Schreck, wieso fahren wir jetzt rückwärts? Das geht ja gar nicht.“ gefolgt vom Aufspringen und Suchen einer anderen Sitzmöglichkeit.
Der Mitarbeiter: Der Mitarbeiter der Bahn ist zunächst mal durch seine Kleidung erkenntlich (manchmal auch nicht, ich hab schon Kontrolleure im Rolling Stones-Shirt und um den Hals baumelnden Ausweis gesehen). Die meisten Mitarbeiter kontrollieren die Fahrscheine, machen mehr oder minder wichtige Ansagen (Ankunft am nächsten Bahnhof, Umsteigemöglichkeiten, Fußballergebnisse, die Speisekarte im Bordbistro, …) und sind ansonsten unauffällig, bis auf das katastrophale Englisch, in welchem die üblichen Standardfloskeln vorgetragen werden (müssen): „Senk yu for träwwelling wiff Deutsche Bahn.“ Schon klar. Noch unauffälliger sind Mitarbeiter auf Freifahrt, zum Beispiel Lokführer, die zu ihrer Schicht fahren. Die sitzen dann irgendwo im Zug und schnarchen und fallen ansonsten überhaupt nicht auf.
Der Besserwisser: Kommentiert jede Durchsage am Bahnsteig oder im Zug mit einem sinnlosen Kommentar, läßt bei jeder sich bietenden Gelegenheit einen Satz in der Richtung „Früher bei der Bundesbahn war das alles viel besser“ ab und hat für das Personal nichts als Verachtung übrig. Die Unpünktlichkeit der Bahn ist für ihn in Stein gemeißelt, selbst wenn der Zug absolut pünktlich verkehrt. Dies ist insbesondere dann spannend, wenn der Zug zum Beispiel in Mannheim einen Korrespondenzhalt hat und daher 10 Minuten planmäßigen Aufenthalt. Da kann man dann eine Schimpftirade ob der unsäglichen Unpünktlichkeit anhören, ein trockenes „Wir sind genau pünktlich.“ bei der Abfahrt erzeugt dann ein äußerst dumm dreinschauendes Gesicht mit sperrangelweit offenstehendem Mund…
ERGÄNZUNGEN:
Der Gehörzerstörer (eingereicht von Miss M@rple): Hört über seinen USB-Stick-MP3-Player oder auch sein Handy und Kopfhörer so laut Schranz oder ähnlichen Lärm so laut, dass der Unterschied zwischen Kopfhörer und Lautsprecher nicht mehr existent ist. Den Gehörzerstörer trifft man oftmals spät abends, wenn man selbst in der Rolle des Direkten nach einigen Überstunden völlig müde von der Arbeit nach Hause fährt und die Batterien des eigenen Musikplayers wieder mal leer sind und man keine Ersatzbatterien dabei hat.
Der Schlachtenbummler (vorgeschlagen von Tok): Vertreter dieser Spezies sind nie allein anzutreffen, sondern grundsätzlich mindestens in Gruppen von drei oder vier Leuten unterwegs. Besonders häufiges Auftreten ist in der Nähe von Fußballstadien, Konzerthallen und anderen für Großveranstaltungen geeigneten Orten, daher auch in aller Regel eher in Regional- und Stadtbahnen, nur sehr selten im teureren Fernverkehr. Von anderen Reisenden unterscheiden sie sich durch auffällige Optik (Fanschals des Fußballvereins, T-Shirt passend zum Konzert, …), Akustik (Debatten über die nicht vorhandene Spielkultur, den parteiischen Schiri und den verletzten Stürmerstar, schiefer Gesang) und die Verpflegung. Letztere besteht in der Regel aus einem Kasten Gerstenkaltschale, die leeren Flaschen kullern dann nicht selten durch den halben Zug und hinterlassen wohlriechende Düfte… Kollateralschäden wie Bierpfützen auf den Polstern machen das Erlebnis komplett.
Der Raucher: Inzwischen ist diese Spezies sehr selten geworden, da das natürliche Habitat aka Raucherabteil bekanntermaßen abgeschafft wurde. Das führt dazu, dass immer mal wieder einzelne Abhängige mit zitternden Fingern in Richtung Klo wanken und dort mal fix das Rauchverbot ignorieren. Nachfolgende Reisende, die einem dringenden Bedürfnis nachgehen müssen, benötigen daher oftmals eine Gasmaske. Eine andere Variante besteht darin, bei Bahnhofshalten in der geöffneten Tür zu stehen und auf den Bahnsteig zu paffen.

17. August 2008, 08:09 Uhr
Ich hab noch einen:
Der Gehörzerstörer: Hört über seinen USB-Stick-MP3-Player oder auch sein Handy und Kopfhörer so laut Schranz oder ähnlichen Lärm so laut, dass der Unterschied zwischen Kopfhörer und Lautsprecher nicht mehr existent ist. Den Gehörzerstörer trifft man oftmals spät abends, wenn man selbst in der Rolle des Direkten nach einigen Überstunden völlig müde von der Arbeit nach Hause fährt und die Batterien des eigenen Musikplayers wieder mal leer sind und man keine Ersatzbatterien dabei hat.
17. August 2008, 12:41 Uhr
Stimmt, diese Spezies ist auch recht häufig. In aller Regel hab ich aber Ersatzbatterien dabei, um genau solche Fälle zu vermeiden.
18. August 2008, 14:09 Uhr
Herr-vor-ragend. Spitzenmäßig geschrieben, und vor allem: „so true“ …
18. August 2008, 17:02 Uhr
Mir fehlen die feierwütigen Herren; egal welchen Alters, entweder Junggesellenabschied oder Bundesliga. Nur echt mit Bierkasten und mindestens einer auf Boden und Mitreisende geleerte Flasche.